Annahmeverzugslohn nach unwirksamer Änderungskündigung – und der unterlassene Zwischenverdienst

Nach § 11 Nr. 2 KSchG muss sich der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, anrechnen lassen, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen.

Annahmeverzugslohn nach unwirksamer Änderungskündigung – und der unterlassene Zwischenverdienst

Ein Arbeitnehmer unterlässt böswillig iSd. § 11 Nr. 2 KSchG anderweitigen Verdienst, wenn ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl nach Art. 12 GG zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert1. Maßgebend sind dabei die gesamten Umstände des Einzelfalls. Nichtvertragsgemäße Arbeit ist nicht ohne weiteres mit unzumutbarer Arbeit gleichzusetzen. § 11 Nr. 2 KSchG schließt den Fall mit ein, dass der Arbeitgeber nur vertragswidrige Arbeit anbietet. Denn das Angebot vertragsgerechter Arbeit zwecks Erfüllung des bestehenden Arbeitsverhältnisses würde bereits den Annahmeverzug beenden2.

Lehnt der Arbeitnehmer nach Ausspruch einer Änderungskündigung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen ab, kann hierin ein böswilliges Unterlassen liegen. Die Sozialwidrigkeit der Kündigung hat nicht zwingend die Unzumutbarkeit der Weiterarbeit zu geänderten Bedingungen zur Folge3. Die Wahlmöglichkeit des § 2 Satz 1 KSchG wird also durch § ?11 Nr. ?2 KSchG faktisch eingeschränkt, sie steht gleichsam unter dem Vorbehalt der Obliegenheit des § 11 Nr. ?2 KSchG. Die Ablehnung des Änderungsangebots im Zusammenhang mit einer Änderungskündigung ist deshalb im Grundsatz nicht anders zu beurteilen als die Ablehnung eines entsprechenden Angebots nach erfolgter Kündigung4.

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Bei der Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe „Zumutbarkeit“ und „Böswilligkeit“ kommt dem Tatsachengericht ein Beurteilungsspielraum zu, der vom Revisionsgericht nur beschränkt daraufhin überprüfbar ist, ob das Landesarbeitsgericht München den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, bei der Unterordnung des festgestellten Sachverhalts unter diesen Rechtsbegriff Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt worden sind und bei der gebotenen Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt wurden oder das Ergebnis in sich widersprüchlich ist5.

Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält im hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall das Berufungsurteil des Landesarbeitsgerichts München6 nicht Stand, weil es nicht alle wesentlichen tatsächlichen Umstände gewürdigt hat:

Das Landesarbeitsgericht München hat bei der Prüfung der Böswilligkeit nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Arbeitnehmerin im Kündigungsschutzverfahren auf eine für sie mögliche Weiterbeschäftigung als Servicekraft hingewiesen und später im Zusammenhang mit der geltend gemachten Annahmeverzugsvergütung eine derartige Tätigkeit für unzumutbar gehalten hat. Es hat hierzu lediglich ausgeführt, die subjektive Einschätzung (der Arbeitnehmerin) zur Zumutbarkeit einer Beschäftigung im Kündigungsschutzprozess sei nicht mit dem Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung gleichzusetzen. Dies trifft zwar abstrakt zu, führt aber nicht dazu, dass dieser Gesichtspunkt bei der Prüfung vollständig außer Betracht bleibt. Das Landesarbeitsgericht hat nicht beachtet, dass der Arbeitnehmer nach einer betriebs- oder personenbedingten Kündigung die Möglichkeit einer anderweitigen Weiterbeschäftigung mit Erfolg geltend machen kann, wenn er das Anforderungsprofil dieser Stelle erfüllt und ihm eine Tätigkeit auf dem freien Arbeitsplatz nicht objektiv schlechthin unzumutbar ist7. In diesem Fall soll grundsätzlich der Arbeitnehmer selbst entscheiden können, ob er eine Weiterbeschäftigung unter veränderten, möglicherweise erheblich schlechteren Arbeitsbedingungen akzeptiert oder nicht. Beruft er sich zeitnah auf eine solche ihm bekannte Beschäftigungsmöglichkeit, ist grundsätzlich von deren Zumutbarkeit auszugehen8. Die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit hat damit auch eine subjektive Komponente. Hätte das Landesarbeitsgericht dies berücksichtigt, hätte es erkennen können und müssen, dass das Verhalten der Arbeitnehmerin widersprüchlich war, weil sie sich im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens auf eine Tätigkeit als Servicekraft als zumutbare und mögliche Weiterbeschäftigung berufen und eine anschließend angebotene, jedenfalls im Wesentlichen gleichartige Tätigkeit als Prozessbeschäftigung abgelehnt hat.

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Auch dieser Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts verlangt keine Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht München. Das Bundesarbeitsgericht kann in der Sache abschließend entscheiden, da der wesentliche Sachverhalt festgestellt und weiterer Vortrag nicht zu erwarten ist.

Wenn sich ein Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess auf die Möglichkeit der Zuweisung einer aus seiner subjektiven Sicht zumutbaren geringerwertigen Tätigkeit als die Kündigung ausschließendes milderes Mittel beruft, ist es ihm nach § 242 BGB regelmäßig verwehrt, im Annahmeverzugsprozess die objektive Unzumutbarkeit einer entsprechenden Tätigkeit geltend zu machen. Hierin liegt ein widersprüchliches Verhalten. Die Arbeitnehmerin konnte sich deshalb unabhängig davon, ob ihr die angebotene Prozessbeschäftigung als Servicekraft objektiv zumutbar war nicht mehr auf eine etwaige Unzumutbarkeit berufen. Der Einwand der Arbeitnehmerin, ihre Bereitschaft zur Ausübung der Tätigkeit hätte nur nach Ausspruch einer Änderungskündigung bestanden, während die Situation nach Ausspruch einer Beendigungskündigung nicht vergleichbar sei, ist rechtlich nicht erheblich. Die Arbeitnehmerin verkennt, dass die abgelehnte Prozessbeschäftigung keine dauerhafte Änderung der Arbeitsbedingungen bewirkt hätte, während die im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens erklärte Bereitschaft, zu geänderten Bedingungen weiterzuarbeiten, zu einer dauerhaften Änderung der Arbeitsbedingungen geführt hätte. Die im Kündigungsschutzverfahren erklärte – hypothetische – Bereitschaft war also weitgehender als das, was im Rahmen der Prozessbeschäftigung von ihr gefordert gewesen wäre.

Diesem Ergebnis stehen die bindenden tatsächlichen Feststellungen (§ 559 Abs. 2 ZPO) des Landesarbeitsgerichts nicht entgegen. Es hat im Rahmen der Entscheidungsgründe zwar ausgeführt, die Argumentation der Arbeitgeberin überzeuge „auch in tatsächlicher Hinsicht“ nicht, weil sich nach deren Vorbringen die Arbeitnehmerin im Kündigungsrechtsstreit auf eine ausgeschriebene Stelle als Bedienung bezogen habe, im Rahmen der Prozessbeschäftigung jedoch nicht diese Position (für eine ausgebildete Servicekraft) von der Arbeitgeberin angeboten worden sei, sondern eine durch Zusammenfassung der Stellen mehrerer ungelernter Abrufkräfte geschaffene neue Position. Damit hat das Landesarbeitsgericht in tatsächlicher Hinsicht nur festgestellt, dass die Arbeitgeberin vorgetragen hat, sie habe der Arbeitnehmerin eine andere Stelle als Servicekraft angeboten als die ursprünglich ausgeschriebene, auf die sich die Arbeitnehmerin im Gütetermin des Kündigungsschutzverfahrens berufen hatte. Ob es sich tatsächlich um unterschiedliche Stellen handelte, kann dahinstehen. Denn die Berufungsentscheidung enthält keine tatsächlichen Feststellungen dazu, dass die Arbeitnehmerin, auf deren Einschätzung es insoweit ankommt, die angebotene Prozessbeschäftigung abgelehnt hat, weil es sich nicht um die ursprünglich inserierte Stelle handelte.

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Die Arbeitnehmerin muss sich im Rahmen von § 11 Nr. 2 KSchG lediglich den Bruttoverdienst von 2.000, 00 Euro monatlich aus der angebotenen Prozessbeschäftigung als Servicekraft ab dem 1.10.2017 anrechnen lassen, nicht aber zusätzlich möglicherweise bei dieser Tätigkeit erzielbare Trinkgelder.

Der Begriff des „Verdienenkönnens“ in § 11 Nr. 2 KSchG ist einschränkend dahingehend auszulegen, dass er sich nur auf vertraglich geregelte Ansprüche für eine zumutbare Arbeit gegen den jeweiligen Vertragspartner bezieht. Die Chance, Trinkgelder – schenkweise Zuwendungen von Dritten9 – erhalten zu können, ist insoweit unerheblich. Für die Nichtanrechnung im Rahmen von § 11 Nr. 2 KSchG spricht auch, dass das Trinkgeld üblicherweise nicht zum Arbeitsentgelt zählt, und deshalb weder im Falle von Urlaub noch im Falle der Erkrankung fortzuzahlen ist10. Es wird dementsprechend auch nicht als Annahmeverzugslohn geschuldet11.

Auch der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts ist im Jahr 199512 davon ausgegangen, dass Trinkgelder nicht zum Arbeitsverdienst zählen und ebenso keine zum Arbeitsentgelt gehörenden Sachbezüge darstellen. Soweit er im Rahmen eines obiter dictums ausgeführt hat, in Ausnahmefällen könne – aufgrund einer besonderen vertraglichen Vereinbarung – die Verschaffung einer Verdienstmöglichkeit, namentlich die Möglichkeit Trinkgelder in Empfang zu nehmen, ein Naturalbezug sein, ergibt sich für den vorliegenden Fall kein anderes Ergebnis, weil eine derartige besondere vertragliche Vereinbarung nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht vorgesehen war. Sie ergibt sich weder aus dem ab dem 1.10.2017 angebotenen Arbeitsvertrag über eine Prozessbeschäftigung noch aus dem dazugehörigen Anschreiben.

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Die Anrechnung unterlassenen Verdienstes iHv.02.000, 00 Euro brutto monatlich endete mit Ablauf des 2.12.2018. Nach Verkündung der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts im Kündigungsschutzrechtsstreit am 28.11.2018 forderte die Arbeitgeberin die Arbeitnehmerin mit Schreiben vom 29.11.2018 auf, am 3.12.2018 zu einem Gespräch über Einsatzmöglichkeiten zu erscheinen. Dieser Weisung kam die Arbeitnehmerin nach. Am 4.12.2018 erschien sie erneut zum angewiesenen Zeitpunkt am von der Arbeitgeberin bestimmten Ort. Auf das weitere Angebot einer Prozessbeschäftigung ab dem 4.12.2018 als Zimmermädchen/Frühstückskraft musste sich die Arbeitnehmerin, die ein vorläufig vollstreckbares Weiterbeschäftigungsurteil erstritten hatte, nicht einlassen13. Hierauf hat ihr Prozessbevollmächtigter unverzüglich, mit Faxschreiben vom folgenden Tag, hingewiesen. Für die Zeit vom 03.12.2018 bis 10.12.2018 steht der Arbeitnehmerin also der ungekürzte Annahmeverzugslohnanspruch zu. 

Der anderweitige Verdienst, den die Arbeitnehmerin während des Anrechnungszeitraums böswillig unterlassen hat, ist nicht pro-rata-temporis, sondern auf die Gesamtvergütung für die Dauer des (beendeten) Annahmeverzugs anzurechnen14. Für die Vergleichsberechnung ist daher zunächst die Vergütung für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste zu ermitteln. Dem ist das gegenüberzustellen, was der Arbeitnehmer in der betreffenden Zeit zu erwerben böswillig unterlassen hat15.

Wenn sich der Arbeitnehmer während des Annahmeverzugs nach § 11 Nr. 2 KSchG auf das vom Arbeitgeber geschuldete Arbeitsentgelt böswillig unterlassenen Verdienst anrechnen lassen muss, ist nur in Höhe des Anteils, den der Arbeitnehmer unter Berücksichtigung der Anrechnung nach § 11 Nr. 2 KSchG noch vom Arbeitgeber verlangen kann, das bezogene Arbeitslosengeld nach § 11 Nr. 3 KSchG zur Anrechnung zu bringen16. Bei der Berechnung dieser Anteile sind im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtberechnung die bereits rechtskräftig vom Arbeitsgericht ausgeurteilten Beträge für September 2017 mit einzubeziehen. Die für den Monat Dezember 2018 notwendige anteilige Berechnung der Vergütung wegen Annahmeverzugs ist auf der Grundlage eines Tagessatzes von einem Dreißigstel des Monatsentgelts durchzuführen17, entsprechendes gilt für die anteilig zu berücksichtigenden öffentlich-rechtlichen Leistungen.

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Januar 2022 – 5 AZR 346/21

  1. st. Rspr., zuletzt BAG 8.09.2021 – 5 AZR 205/21, Rn. 13 mwN[]
  2. vgl. BAG 17.11.2011 – 5 AZR 564/10, Rn. 17, BAGE 140, 42[]
  3. MünchKomm-BGB/Hergenröder 8. Aufl. KSchG § 11 Rn. 25[]
  4. vgl. Linck/Krause/Bayreuther/Linck 16. Aufl. KSchG § 11 Rn. 28[]
  5. BAG 8.09.2021 – 5 AZR 205/21, Rn. 14; 19.05.2021 – 5 AZR 420/20, Rn. 16 mwN[]
  6. LAG München 28.10.2020 – 8 Sa 816/19[]
  7. vgl. KR-Rachor 13. Auf. § 1 KSchG Rn. 240[]
  8. BAG 26.03.2015 – 2 AZR 417/14, Rn. 28 mwN, BAGE 151, 199[]
  9. vgl. Sagan NJW 2019, 1977, 1978; Staudinger/Chiusi [2021] BGB § 516 Rn. 53[]
  10. vgl. Schmitt/Küfner-Schmitt in Schmitt EFZG 8. Aufl. § 4 EFZG Rn. 116 mwN; Hexel in Münchner Anwaltshandbuch ArbR 5. Aufl. § 20 Rn. 24[]
  11. vgl. LAG Hamburg 13.02.2008 – 5 Sa 69/07, zu II der Gründe[]
  12. BAG 28.06.1995 – 7 AZR 1001/94, zu I 1 und 2 und zu II 1 der Gründe, BAGE 80, 230[]
  13. vgl. BAG 8.09.2021 – 5 AZR 205/21, Rn. 16, 18[]
  14. vgl. BAG 16.05.2012 – 5 AZR 251/11, Rn. 29, BAGE 141, 340[]
  15. BAG 22.03.2017 – 5 AZR 337/16, Rn. 32[]
  16. BAG 11.01.2006 – 5 AZR 125/05, Rn. 15 ff., BAGE 116, 355[]
  17. vgl. BAG 16.05.2012 – 5 AZR 251/11, Rn. 24, BAGE 141, 340[]
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