Annahmeverzugslohn – und der unterlassene Zwischenverdienst

Eine Arbeitnehmerin muss sich auf ihren Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs (§ 615 Satz 1 iVm. § 611a Abs. 2 BGB) nach § 615 Satz 2 BGB den Wert desjenigen anrechnen lassen, was zu erwerben sie böswillig unterlassen hat.

Annahmeverzugslohn – und der unterlassene Zwischenverdienst

Nach § 615 Satz 2 BGB muss sich der Arbeitnehmer den Wert desjenigen anrechnen lassen, was zu erwerben er böswillig unterlässt, wobei die Anrechnung bereits die Entstehung des Annahmeverzugsanspruchs hindert und nicht nur zu einer Aufrechnungslage führt1.

Ein Arbeitnehmer unterlässt böswillig iSd. § 615 Satz 2 BGB anderweitigen Verdienst, wenn ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert2. Maßgebend sind dabei die gesamten Umstände des Einzelfalls. Die Unzumutbarkeit der anderweitigen Arbeit kann sich unter verschiedenen Gesichtspunkten ergeben, so kann sie etwa ihren Grund in der Person des Arbeitgebers, der Art der Arbeit oder den sonstigen Arbeitsbedingungen haben. Erforderlich für die Beurteilung der Böswilligkeit ist stets eine unter Bewertung aller Umstände des konkreten Falls vorzunehmende Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen. Dabei schließt die Beschäftigungsmöglichkeit bei dem Arbeitgeber, der sich mit der Annahme der geschuldeten Dienste des Arbeitnehmers in Verzug befindet, eine Anrechnung nicht grundsätzlich aus3. Dasselbe gilt beim Betriebsübergang für eine Erwerbsmöglichkeit beim neuen Betriebsinhaber, selbst wenn der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses wirksam widersprochen hat4.

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Bei der Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe „Zumutbarkeit“ und „Böswilligkeit“ kommt dem Tatsachengericht ein Beurteilungsspielraum zu, der vom Revisionsgericht nur beschränkt daraufhin überprüfbar ist, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob bei der Unterordnung des festgestellten Sachverhalts unter diesen Rechtsbegriff Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt worden sind, bei der gebotenen Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt wurden oder das Ergebnis in sich widersprüchlich ist5. Dieser eingeschränkten Rechtskontrolle hält die angefochtene Entscheidung stand. Das Landesarbeitsgericht geht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts von den zutreffenden Maßstäben aus und wendet sie rechtsfehlerfrei auf den Streitfall an.

So auch in dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall: Die von der Arbeitgeberin angebotene, auf zwölf Monate befristete anderweitigen Beschäftigung war als solche der Arbeitnehmerin an sich zumutbar. Es sollten sich weder die Art der Tätigkeit, noch der Arbeitsort, noch die von der Arbeitnehmerin bezogene Vergütung ändern. Sie hätte nicht vorübergehend in ein „klassisches“ Leiharbeitsverhältnis wechseln müssen, sondern lediglich ihre bisherige Arbeitsleistung zu den bisherigen Konditionen für einen Dritten erbringen müssen. Dabei wäre sie zwar, soweit es die Erbringung der Arbeitsleistung betrifft, (auch) dessen Direktionsrecht unterworfen gewesen. Die Arbeitnehmerin hat aber keine Bedenken gegen die Person der Erwerberin geltend gemacht. Es ist nicht ersichtlich, welche konkreten und unzumutbaren Nachteile mit dem „gespaltenen Direktionsrecht“ für die Arbeitnehmerin verbunden gewesen wären. Soweit ihre Revision in diesem Zusammenhang „vertragsrechtliche Umstände“ bemüht, verkennt sie, dass § 615 Satz 2 BGB nicht Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag regelt, sondern die nach anderen Maßstäben zu beurteilende Obliegenheit, aus Rücksichtnahme gegenüber dem Arbeitgeber einen zumutbaren Zwischenverdienst zu erzielen.

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Ohne revisible Rechtsfehler hat in der Vorinstanz das Hessische Landesarbeitsgericht eine Unzumutbarkeit der angebotenen anderweitigen Beschäftigung aus betriebsverfassungsrechtlichen Gründen verneint6. Das Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmerin mit der Arbeitgeberin sollte zum Zeitpunkt des Angebots vorübergehender anderweitiger Beschäftigung nicht beendet werden, sie hätte dem Betrieb der Arbeitgeberin weiterhin angehört. Sie zeigt nicht auf, welche konkreten und unzumutbaren „betriebsverfassungsrechtlichen Nachteile“ der Arbeitnehmerin bei der auf zwölf Monate befristeten Ausübung ihrer bisherigen Tätigkeit bei der Erwerberin entstanden wären.

Die Unzumutbarkeit der angebotenen Tätigkeit würde im Streitfall auch dann nicht anzunehmen sein, wenn der Arbeitgeberin – entgegen ihrem Tatsachenvortrag – die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung gefehlt hätte. Die Arbeitnehmerin hat zwar das behauptete Vorliegen einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung, die die Arbeitgeberin in Kopie zur Akte gereicht hat, im Prozess mit Nichtwissen bestritten. Sie hat sich aber weder zum maßgeblichen Zeitpunkt des Angebots der Arbeitgeberin noch im Verlauf des Verfahrens darauf berufen, die angebotene anderweitige Beschäftigung sei ihr gerade wegen der fehlenden Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung unzumutbar gewesen7. Außerdem hätte sie keine Nachteile erleiden können. Denn selbst wenn für den vorgesehenen Zeitraum von zwölf Monaten entsprechend § 10 Abs. 1 AÜG ein befristetes Arbeitsverhältnis mit der Entleiherin begründet worden wäre, hätte dies nicht zur Unwirksamkeit des gesamten Arbeitsvertrags geführt und damit den Fortbestand ihres (Dauer-)Arbeitsverhältnisses mit der Arbeitgeberin nicht berührt8. Zumindest hätte die Arbeitnehmerin – hielte man dies für erforderlich – eine Festhaltenserklärung abgeben können, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 AÜG.

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Ob die Arbeitnehmerin im vorliegenden Fall, wie sie meint, schon ab August 2019 mit der im Prozessvergleich ab Februar 2020 vereinbarten Tätigkeit hätte betraut werden können, ist unbeachtlich. Denn § 615 Satz 2 BGB betrifft nicht den arbeitsvertraglichen Beschäftigungsanspruch, sondern die Obliegenheit, aus Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) vorübergehend eine nicht vertragsgerechte Arbeit zu verrichten und dadurch einen zumutbaren anderweitigen Verdienst zu erzielen9.

Im Übrigen kann aus § 615 Satz 2 BGB nicht abgeleitet werden, der Arbeitnehmer dürfe auf jeden Fall ein zumutbares Angebot abwarten10. Von der Arbeitnehmerin hätte deshalb erwartet werden können, dass sie das Angebot der Arbeitgeberin zumindest unter dem Vorbehalt einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit annimmt. Sie ist in dieser Hinsicht jedoch untätig geblieben, hat sich nicht auf zum damaligen Zeitpunkt im Intranet der Arbeitgeberin ausgeschriebene Stellen beworben, sondern lediglich im späteren Kündigungsschutzprozess ihre unveränderte Weiterbeschäftigung beantragt. Bewerbungen auf ausgeschriebene freie Stellen oder eine Beschäftigungsklage hätte sie aber auch bei Annahme des Angebots der Arbeitgeberin unter Vorbehalt in Angriff nehmen können.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Mai 2021 – 5 AZR 420/20

  1. st. Rspr., zuletzt BAG 23.02.2021 – 5 AZR 213/20, Rn. 12 mwN[]
  2. st. Rspr., zuletzt BAG 23.02.2021 – 5 AZR 213/20, Rn. 14 mwN[]
  3. BAG 17.11.2011 – 5 AZR 564/10, Rn. 17 mwN, BAGE 140, 42[]
  4. vgl. BAG 19.03.1998 – 8 AZR 139/97, zu II 2 a der Gründe, BAGE 88, 196; MünchKomm-BGB/Henssler 8. Aufl. BGB § 615 Rn. 85; ErfK/Preis 21. Aufl. BGB § 615 Rn. 100; Staudinger/Richardi/Fischinger [2019] BGB § 615 Rn. 178[]
  5. BAG 22.03.2017 – 5 AZR 337/16, Rn.20; 7.11.2002 – 2 AZR 650/00, zu B I 2 b aa der Gründe – jeweils mwN[]
  6. Hess. LAG 12.08.2020 – 2 Sa 331/20[]
  7. zu einem solchen Erfordernis bei fehlender Mitbestimmung des Betriebsrats zur angebotenen anderweitigen Beschäftigung sh. BAG 23.02.2021 – 5 AZR 213/20, Rn. 16[]
  8. vgl. dazu im Einzelnen Schüren in Schüren/Hamann AÜG 5. Aufl. § 9 Rn. 47 ff. mwN[]
  9. vgl. BAG 23.02.2021 – 5 AZR 213/20, Rn. 17[]
  10. so zum inhaltsgleichen § 11 Nr. 2 KSchG: BAG 22.03.2017 – 5 AZR 337/16, Rn. 27[]
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