Der Entleiher und der bei ihm gebildete Betriebsrat verfügen nicht über die Regelungskompetenz, durch freiwillige Betriebsvereinbarung das Recht des Verleihers einzuschränken, bei ihm angestellte Leiharbeitnehmer aus dem Entleiherbetrieb abzuziehen.

Der Verband der Metallindustriellen Niedersachsens eV und die IG Metall – Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt – schlossen am 31.05.2017 den „Tarifvertrag Leiharbeit /Zeitarbeit (TV LeiZ)“, der mit Wirkung zum 1.04.2017 in Kraft trat (TV LeiZ 2017). Der in der Fassung vom 15.02.2018 fortgeschriebene „Tarifvertrag Leiharbeit /Zeitarbeit (TV LeiZ)“ galt ab dem 1.01.2019 (TV LeiZ 2018). In beiden Tarifverträgen wurde die gesetzliche Überlassungshöchstdauer auf 48 Monate verlängert. Im Betrieb der Entleiherin bestand eine Gesamtbetriebsvereinbarung mit dem Gesamtbetriebsrat, in der es auszugsweise heißt:
„Zwischen dem Gesamtbetriebsrat der Standorte H & G und den Geschäftsführungen der W GmbH und der W Logistik GmbH (die ‚W-Gesellschaften‘) wird folgende Vereinbarung getroffen:
Zur Gewährleistung der Flexibilität in den Produktionsbereichen wird grundsätzlich der Einsatz von Leiharbeit vereinbart.
Folgendes wird zum Einsatz von Leiharbeitnehmern festgelegt:
- Der Anteil der Leiharbeitnehmer kann insgesamt maximal bis zu 25 % (je Werk H/G) der Gesamtbeschäftigten (inkl. unbefristete, befristete und Leiharbeitnehmer) in den Produktions-, Lager- und Logistikbereichen (Mitarbeiterkategorie M & L Vari, auch direkte Mitarbeiter genannt) betragen.
Darüber hinaus können Einstellungen von Arbeitnehmern nur über befristete oder unbefristete Arbeitsverhältnisse bei W getätigt werden. …
- …
- …
- Die Betriebsvereinbarung tritt mit Wirkung vom 01.01.2011 in Kraft. Sie wird unbefristet abgeschlossen und kann mit einer Kündigungsfrist von 6 Monaten zum Quartalsende von beiden Seiten gekündigt werden.“
Mit Erreichen der Überlassungshöchstdauer von 48 Monaten hat der Leiharbeitnehmer einen Anspruch gegen die Entleiherin auf Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. Dies ergibt sich bereits aus der Anordnung in Nr. 3 Abs. 4 der Anlage zur GBV Zeitarbeit, dass die eigentliche Übernahme nach Ablauf der maximalen Höchstdauer des Einsatzes von 48 Monaten „erfolgt“. Mit dieser Wortwahl haben die Betriebsparteien zum Ausdruck gebracht, dass der Einsatz des bisher als Leiharbeitnehmer beschäftigten Mitarbeiters mit Erreichen der Überlassungshöchstdauer in einem Arbeitsverhältnis mit der Entleiherin fortgesetzt werden soll, soweit nicht einer der Ausnahmetatbestände des Abs. 5 der Nr. 3 der Anlage zur GBV Zeitarbeit vorliegt. Dem Leiharbeitnehmer wird dadurch das Recht eingeräumt, so gestellt zu werden, als wäre mit der Entleiherin gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG wegen Überschreitens der Überlassungshöchstdauer kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis begründet worden.
Durch die Bezugnahme auf die „maximale Höchstdauer des Einsatzes von 48 Monaten“ synchronisiert Nr. 3 Abs. 4 der Anlage zur GBV Zeitarbeit die Übernahme mit der in Nr. 2 der Anlage zur GBV Zeitarbeit geregelten 48-monatigen Überlassungshöchstdauer. Die für die Übernahme maßgebliche Einsatzdauer kann damit ebenfalls frühestens am 1.04.2017 beginnen. Vorhergehende Überlassungszeiten bleiben auch in diesem Zusammenhang unberücksichtigt. Dieser Beurteilung steht die Protokollnotiz zu § 4 Abs. 1 TV LeiZ nicht entgegen, der zufolge zu den Einsatz-/Beschäftigungszeiten iSv. § 4 Abs. 1 TV LeiZ auch die vor Inkrafttreten des Tarifvertrags zurückgelegten Zeiten zählen. Die Protokollnotiz bezieht sich allein auf Betriebe ohne Betriebsvereinbarung und nicht – wie vorliegend – auf solche mit freiwilliger Betriebsvereinbarung iSv. § 3 TV LeiZ.
Der Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis ist ein Bewertungsverfahren vorgeschaltet, in dessen Verlauf die Eignung des Leiharbeitnehmers für die Fortsetzung seines Einsatzes in einem Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher ermittelt wird. Dazu ordnet Nr. 2 Abs. 1 der Anlage zur GBV Zeitarbeit an, dass nach 36 Monaten eine finale Bewertung auf Basis der während der Einsatzdauer durchgeführten Qualifikationsgespräche durch den Vorgesetzten vorzunehmen ist, um zu überprüfen, ob der Leiharbeitnehmer grundsätzlich für eine Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis in Frage kommt. Erfüllt ein Leiharbeitnehmer die Bewertungskriterien nicht, ist er spätestens nach Ablauf von 36 Monaten darüber zu informieren, dass sein Einsatz bei der Entleiherin im Rahmen der üblichen Abmeldefrist endet (Nr. 2 Abs. 2 der Anlage zur GBV Zeitarbeit). Der finalen Eignungsbewertung geht eine quartalsweise vorzunehmende Prüfung voraus. Nach Nr. 3 Abs. 1 der Anlage zur GBV Zeitarbeit findet jeweils zum Ende des Quartals für das nächste Quartal eine Prüfung statt, ob der Leiharbeitnehmer für eine Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis in Frage kommt. Die Entleiherin hat sicherzustellen, dass zum Zeitpunkt der Übernahmeentscheidung eine aktuelle Bewertung vorliegt.
Innerhalb der ersten 36 der maximal zulässigen 48 Monate ermöglicht Nr. 3 Abs. 3 der Anlage zur GBV Zeitarbeit die Beendigung der Überlassung unabhängig vor der grundsätzlichen Eignung des Leiharbeitnehmers. Nach dieser Bestimmung ist eine Abmeldung in dem angegebenen Zeitraum jederzeit volumens, leistungs- oder verhaltensbedingt möglich. Die Vorschrift ist dahingehend auszulegen, dass es einer Beendigung der Überlassung aufgrund der aufgeführten Sachgründe nur dann bedarf, wenn sie auf Veranlassung der Entleiherin vorgenommen wird. Die Regelung in Nr. 3 Abs. 3 der Anlage zur GBV Zeitarbeit bindet auf Arbeitgeberseite nur die Entleiherin, nicht aber die Verleiherin. Die zwischen der Entleiherin und dem Gesamtbetriebsrat getroffene Vereinbarung kann das Recht der Verleiherin, den bei ihr angestellten Leiharbeitnehmer im Wege ihres Direktionsrechts abzumelden und ggf. durch einen anderen Leiharbeitnehmer auszutauschen, nicht einschränken. Für eine berechtigte Initiative der Entleiherin zur Abmeldung genügen nachvollziehbare Unterschreitungen von Leistungsvorgaben sowie einfache, nicht nur ganz unerhebliche Verletzungen vertraglicher Pflichten.
Die Entleiherin ist Adressatin der Regelung in Nr. 3 Abs. 3 der Anlage zur GBV Zeitarbeit.
Dies folgt nicht nur daraus, dass sie – und nicht die Verleiherin – die Vereinbarung mit dem Gesamtbetriebsrat getroffen hat. Auch die Regelungssystematik spricht dafür, dass sich das Erfordernis eines Sachgrunds für die Abmeldung auf von der Entleiherin initiierte Abmeldungen beschränkt. Die genannten Sachgründe korrespondieren mit der Verpflichtung der Entleiherin, regelmäßig die Eignung des Leiharbeitnehmers für eine Übernahme zu prüfen. Es liegt nahe, dass auch die Arbeitsqualität und -quantität sowie die Einhaltung von Verhaltensvorgaben – und damit volumen, leistungs- oder verhaltensbedingte Aspekte – Gegenstand der Beurteilung sind. Erst die Eingliederung des Leiharbeitnehmers in den Entleiherbetrieb und die dortige Überprüfung seines Leistungs- und Ordnungsverhaltens ermöglichen die Beurteilung, ob die genannten Sachgründe vorliegen und die Entleiherin ein berechtigtes Interesse an einer Beendigung des Einsatzes hat. Dies zu beurteilen obliegt in erster Linie der Entleiherin und begründet einen inneren Zusammenhang zwischen der Prüfpflicht und den erforderlichen Sachgründen für die von der Entleiherin initiierte Abmeldung.
Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung. Der Leiharbeitnehmer soll vor einer willkürlichen, offensichtlich sachwidrigen Abmeldung auf Initiative der Entleiherin geschützt werden. Es soll verhindert werden, dass die Entleiherin ohne triftigen Grund von einem Verleiher die Abmeldung eines Leiharbeitnehmers verlangt, um sich dessen Übernahmeanspruch zu entziehen.
Zudem entspricht es dem gesetzeskonformen Verständnis der Vorschrift, dass diese die Entleiherin nur bei Vorliegen von Sachgründen berechtigt, den Entleiher zur Abmeldung des Leiharbeitnehmers zu veranlassen. Zu einer Einschränkung des Rechts der Verleiherin, die bei ihr angestellten Leiharbeitnehmer abzumelden, wären die Betriebsparteien des Entleihbetriebs nicht berechtigt.
Arbeitgeber und Betriebsrat haben innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Grenzen von § 77 Abs. 3, § 75 BetrVG eine umfassende Regelungskompetenz für alle betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Fragen sowie den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen1. Gegenstand einer freiwilligen Betriebsvereinbarung kann auch die Regelung eines Übernahmeanspruchs für Leiharbeitnehmer sein. Die Regelungskompetenz der Betriebsparteien des Entleiherbetriebs ist jedoch begrenzt. Nach § 14 Abs. 1 AÜG sind Leiharbeitnehmer betriebsverfassungsrechtlich grundsätzlich Teil der Belegschaft des Verleiherbetriebs und bleiben auch während der Dauer ihrer Überlassung in die dortige Betriebsorganisation eingegliedert. Gleichwohl folgt aus dieser Zuordnung nicht die Kompetenz des für einen Verleiherbetrieb gewählten Betriebsrats, alle die Leiharbeitnehmer betreffenden Angelegenheiten zu regeln. Denn für die Dauer einer Überlassung sind die Leiharbeitnehmer zusätzlich in die Organisation des Entleihbetriebs eingegliedert und unterstehen dort dem Weisungsrecht des Entleihers2. Aus der das Leiharbeitsverhältnis kennzeichnenden Aufspaltung der Arbeitgeberfunktionen zwischen dem Verleiher als Vertragsarbeitgeber und dem Entleiher als demjenigen, der die wesentlichen Arbeitgeberbefugnisse in Bezug auf die Arbeitsleistung innerhalb der von ihm vorgegebenen Betriebsorganisation ausübt, ergibt sich demgemäß, dass die Regelungskompetenz der Betriebsparteien im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung grundsätzlich davon abhängt, wer – der Verleiher oder der Entleiher – die Entscheidungskompetenz über den jeweiligen Regelungsgegenstand hat.
Danach dürfen der Entleiher und der bei ihm gebildete Betriebsrat keine freiwillige Betriebsvereinbarung schließen, die die Möglichkeit des Verleihers, bei ihm angestellte Leiharbeitnehmer abzumelden, unmittelbar einschränkt. Das Recht, einen Leiharbeitnehmer beim Entleiher abzumelden, steht idR dem Verleiher und nicht dem Entleiher zu. Die Hauptleistungspflicht des Verleihers gegenüber dem Entleiher besteht darin, einen arbeitsbereiten, den vertraglich festgelegten Anforderungen entsprechenden Arbeitnehmer für die vereinbarte Dauer zur Verfügung zu stellen. Auf diese Verpflichtung ist § 243 BGB entsprechend anzuwenden. Ohne besondere Abrede ist der Verleiher lediglich verpflichtet, einen iSv. § 243 Abs. 1 BGB fachlich geeigneten, nicht aber einen bestimmten Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen. Aus dem Charakter der Arbeitnehmerüberlassung als Dauerschuldverhältnis folgt zwar, dass dem Entleiher für die gesamte Laufzeit des Vertrags ein geeigneter Leiharbeitnehmer zur Verfügung stehen muss. Der Verleiher hat aber grundsätzlich das Recht zum Austausch, sofern dem nicht eine Vereinbarung mit dem Entleiher oder sonstige berechtigte Belange des Entleihers – wie etwa eine lange Einarbeitungszeit für unternehmensspezifische Aufgaben – entgegenstehen3.
Die Betriebsparteien auf Entleiherseite überschreiten ihre Regelungskompetenz indessen nicht, wenn sie – wie vorliegend – die Voraussetzungen regeln, unter denen der Entleiher den Verleiher auffordern darf, einen Leiharbeitnehmer abzumelden. Eine solche Regelung stellt keine Beschränkung des Direktionsrechts zulasten des Verleihers dar, sondern konkretisiert die Modalitäten der Einflussnahme auf die Entscheidung des Verleihers über die Abmeldung eines Leiharbeitnehmers durch den Entleiher, ohne dass das Direktionsrecht des Verleihers berührt wird. Dies bedeutet vorliegend für die Regelung in Nr. 3 Abs. 3 der Anlage zur GBV Zeitarbeit, dass für den Übernahmeanspruch des Arbeitnehmers eine Abmeldung ohne Vorliegen eines der in der Bestimmung genannten Gründe nur dann unbeachtlich wäre, wenn sie auf Veranlassung der Entleiherin erfolgte und nicht auf einer autonomen Entscheidung der Verleiherin beruhte.
Als Sachgründe, die die Entleiherin im Verhältnis zum Betriebsrat und dem Leiharbeitnehmer berechtigen, den Verleiher zur Abmeldung aufzufordern, genügen nachvollziehbare Unterschreitungen von Leistungsvorgaben sowie einfache, nicht nur ganz unerhebliche Verletzungen vertraglicher Pflichten.
Für dieses Auslegungsergebnis sprechen der Wortlaut der Vorschrift und die Regelungssystematik. Ihrem Wortlaut nach ermöglicht Nr. 3 Abs. 3 der Anlage zur GBV Zeitarbeit die jederzeitige Abmeldung aus einem volumen, leistungs- oder verhaltensbedingten Anlass. Durch die Verwendung des Begriffs „jederzeit“ wird deutlich, dass weder eine negative Prognose noch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen ist. Regelungssystematisch sind die einer Übernahme des einzelnen Mitarbeiters nach 48 Monaten entgegenstehenden personen- oder verhaltensbedingten Gründe nicht mit den Begriffen der „personenbedingten Gründe“ und „verhaltensbedingten Gründe“ iSd. § 1 Abs. 2 KSchG gleichzusetzen. Gegenstand der Regelung in Nr. 3 der Anlage zur GBV Zeitarbeit ist nicht die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein bereits bestehendes bestandsgeschütztes Arbeitsverhältnis durch Kündigung aufgelöst werden kann, sondern ob ein Arbeitsverhältnis überhaupt erst begründet werden soll. Ein Verhalten, das nach Nr. 3 Abs. 3 der Anlage zur GBV Zeitarbeit innerhalb der ersten 36 Monate die jederzeitige Abmeldung gestattet, unterliegt zudem geringeren Anforderungen als personen- oder verhaltensbedingte Gründe, die gemäß Nr. 3 Abs. 5 der Anlage zur GBV Zeitarbeit einer Übernahme des einzelnen Mitarbeiters nach 48 Monaten entgegenstehen. Auch sachlich nachvollziehbare Gründe, die keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen zur Folge hatten, können eine Abmeldung innerhalb der ersten 36 Überlassungsmonate rechtfertigen.
Erreicht ein Leiharbeitnehmer die Überlassungshöchstgrenze, hat er auch dann einen Übernahmeanspruch, wenn die Entleiherin das Verfahren zur Prüfung der Übernahmeeignung des Leiharbeitnehmers nicht durchgeführt hat, es sei denn, es liegt ein Ausnahmetatbestand der Nr. 3 Abs. 5 der Anlage zur GBV Zeitarbeit vor. Unterlässt die Entleiherin die vorgeschriebene finale Bewertung, ist unter Zugrundelegung des Rechtsgedankens aus § 162 BGB der Leiharbeitnehmer als grundsätzlich übernahmegeeignet anzusehen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. November 2022 – 9 AZR 486/21