Der vergangene Monat hat im Arbeitsrecht wieder eine Reihe neuer Entscheidungen gebracht, diesen Monat insbesondere im Bereich der Kündigungen. Aber sehen Sie selbst:

Eine Änderungskündigung ist also auch dann eine „Entlassung“ im Sinne von § 17 Abs. 1 KSchG, wenn der betroffene Arbeitnehmer das ihm unterbreitete Änderungsangebot – sei es auch unter dem Vorbehalt des § 2 KSchG – angenommen habt.
Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern 10% der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt; gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG ist die Anzeige schriftlich zu erstatten.
Unter „Entlassung“ in § 17 KSchG ist die Erklärung der Kündigung zu verstehen1. § 17 KSchG differenziert dabei nicht – ebenso wenig wie die Regelungen der Massenentlassungsrichtlinie (MERL) – zwischen den unterschiedlichen Formen der Entlassung. Die Vorschrift erfasst Änderungskündigungen iSv. § 2 KSchG deshalb unzweifelhaft dann, wenn sie mangels Annahme des Änderungsangebots die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Folge haben2.
Ob eine Änderungskündigung auch dann als „Entlassung“ iSv. § 17 Abs. 1 KSchG anzusehen ist, wenn sich der Arbeitnehmer mit der Änderung seiner Arbeitsbedingungen – und sei es unter dem Vorbehalt des § 2 Satz 1 KSchG – einverstanden erklärt, hat das Bundesarbeitsgericht zum geltenden Recht noch nicht entschieden3.
Die Meinungen im Schrifttum sind geteilt.
Einige Stimmen gehen von einer uneingeschränkten Anzeigepflicht aus, an der sich durch das spätere Verhalten des Arbeitnehmers nichts mehr ändern könne4.
Andere Stimmen nehmen – mit unterschiedlicher Begründung – an, bei einer Annahme des Änderungsangebots liege keine Entlassung iSv. § 17 Abs. 1 KSchG vor, unabhängig davon, ob sie mit oder ohne Vorbehalt nach § 2 Satz 1 KSchG erklärt worden sei. Dem Arbeitgeber sei allerdings eine vorsorgliche Anzeige zu empfehlen, um den sich aus § 2 KSchG ergebenden Unsicherheiten hinsichtlich des Arbeitnehmerverhaltens zu begegnen5.
Zutreffend ist die erstgenannte Auffassung. Die Anzeigepflicht nach § 17 Abs. 1 KSchG erfasst auch ordentliche Änderungskündigungen. Diese sind unabhängig davon „Entlassungen“, ob der Arbeitnehmer das ihm im Zusammenhang mit der Kündigung unterbreitete Änderungsangebot bei oder nach Zugang der Kündigung mit oder ohne Vorbehalt angenommen hat. Durch die Annahmeerklärung fällt weder die Anzeigepflicht – rückwirkend – weg, noch wird eine erfolgte Anzeige gegenstandslos.
Eine Änderungskündigung iSv. § 2 Satz 1 KSchG liegt vor, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis kündigt und dem Arbeitnehmer in diesem Zusammenhang die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen anbietet. In einem solchen Fall kann der Arbeitnehmer das Angebot unter dem Vorbehalt annehmen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt ist.
Die Änderungskündigung iSv. § 2 KSchG ist ein aus zwei Willenserklärungen zusammengesetztes Rechtsgeschäft. Zu der auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichteten Kündigungserklärung tritt als zweites Element das Angebot zu seiner Fortsetzung unter geänderten vertraglichen Bedingungen hinzu6. Auch wenn die Änderungskündigung im Ergebnis lediglich auf eine Änderung der Vertragsbedingungen zielt, handelt es sich bei ihr doch – wegen der mit ihr verbundenen Kündigungserklärung – um eine „echte“ Kündigung7. Diese unterliegt allen formalen Anforderungen, die an die Wirksamkeit einer Kündigung zu stellen sind8. Die jeweiligen Vorgaben muss der Arbeitgeber vor Zugang der Kündigungserklärung und unabhängig von einer Ablehnung oder (Vorbehalts-)Annahme des Änderungsangebots beachten. Werden die Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Kündigung missachtet, ist dies auch bei Annahme des Änderungsangebots rechtlich von Bedeutung, wenn die Annahme unter Vorbehalt erfolgt. Auch der Arbeitnehmer, der das Angebot auf Änderung seiner Arbeitsbedingungen gem. § 2 Satz 1 KSchG unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung angenommen hat, kann sich im Änderungsschutzprozess darauf berufen, die Änderung der Vertragsbedingungen sei schon aus einem anderen Grund als dem ihrer Sozialwidrigkeit unwirksam9.
Da es sich bei der Änderungskündigung um eine „echte“ Kündigung handelt, spricht schon dies dafür, sie uneingeschränkt als „Entlassung“ iSv. § 17 Abs. 1 KSchG anzusehen. Es kommt hinzu, dass die Gründe, aus denen unter „Entlassung“ im Sinne dieser Bestimmung schon die Kündigungserklärung zu verstehen ist, für die Änderungskündigung auch dann gelten, wenn sie (unter Vorbehalt) angenommen wurde.
Weder dem Wortlaut des § 17 KSchG noch dem der Bestimmungen der MERL ist zu entnehmen, dass die Erklärung einer Kündigung nur dann als „Entlassung“ iSd. jeweiligen Vorschriften zu verstehen sei, wenn sie tatsächlich zum Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb führe. Die MERL knüpft für das Entstehen der Konsultations- und Anzeigepflichten nicht an das Ausscheiden aus dem Betrieb, sondern an die Absicht des Arbeitgebers an, eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern zu entlassen. Die Änderungskündigung schließt eine solche Absicht ein. Der Arbeitgeber muss bei ihrer Abgabe damit rechnen, dass seine Kündigungserklärung zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses führt, und er strebt eine solche Auflösung sehr wohl an, falls sein Änderungsangebot nicht angenommen wird. Ob es zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses kommt, hängt nicht mehr von seinem Zutun, sondern allein vom Verhalten des Arbeitnehmers ab.
Auch Sinn und Zweck des Konsultations- und des Anzeigeverfahrens nach § 17 Abs. 2, Abs. 3 KSchG, Art. 2, Art. 3 MERL sprechen dafür, eine Änderungskündigung bei der Anzahl der beabsichtigten „Entlassungen“ zu berücksichtigen. Die einzuhaltenden Verfahren sollen präventiv die Rechte des Arbeitnehmers, der zu beteiligenden Arbeitnehmervertretung und der Arbeitsverwaltung sichern. Dieser Schutz verträgt – wie die Kündigung selbst – keinen Schwebezustand.
Beabsichtigt der Arbeitgeber, Änderungskündigungen zu erklären, können Konsultationen mit dem Betriebsrat der möglichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses ebenso vorbeugen wie bei einer „reinen“ Beendigungskündigung10.
Auch bei Änderungskündigungen muss es der Arbeitsagentur ermöglicht werden, nach Lösungen für die durch eine nicht auszuschließende tatsächliche Entlassung entstehenden Probleme zu suchen. Weder der Arbeitgeber noch die Arbeitsverwaltung wissen, wie sich die betroffenen Arbeitnehmer zum Änderungsangebot verhalten werden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie sämtlich auf den Arbeitsmarkt gelangen. Dieser Umstand ist ausreichend. Es genügt – wie bei der Beendigungskündigung – die potentielle Belastung des Arbeitsmarkts, auf die sich die Agentur für Arbeit einstellen muss.
Selbst bei vorbehaltloser Annahme des Änderungsangebots kann im Übrigen die Situation entstehen, dass der Arbeitnehmer zumindest hinsichtlich eines Teils seiner Arbeitskraft auf den Arbeitsmarkt drängt, wenn etwa das Änderungsangebot auf eine Reduzierung der Arbeitszeit zielte. Es wäre nicht einzusehen, dass Teilzeitbeschäftigte, deren Arbeitsverhältnis beendet werden soll, bei der Berechnung des Schwellenwerts mitzählen, nicht aber vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer, die von einer fühlbaren Arbeitszeitverkürzung betroffen sind.
Bei der Änderungskündigung sind deshalb im maßgeblichen Zeitpunkt der Kündigungserklärung weder das Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers noch das Unterrichtungsinteresse der Arbeitsverwaltung geringer als bei einer „reinen“ Beendigungskündigung. Die Anzeigepflicht nach § 17 Abs. 1 KSchG davon abhängig zu machen, dass das Änderungsangebot vorbehaltlos ausgeschlagen wird, hieße zum einen, die Gleichsetzung von „Entlassung“ und „Kündigungserklärung“ zu missachten. Zum anderen können sich auch nach der Erklärung einer Beendigungskündigung die betrieblichen Verhältnisse in der Weise ändern, dass der Arbeitnehmer weiterbeschäftigt wird, ohne dass dies die Anzeigepflicht nach § 17 KSchG (rückwirkend) entfallen ließe11.
Hat der Arbeitgeber eine nach § 17 Abs. 1 KSchG erforderliche Anzeige nicht erstattet, führt dies gem. § 17 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 KSchG iVm. § 134 BGB zur Unwirksamkeit der Beendigungskündigungen – auch derjenigen, die im Rahmen von Änderungskündigungen erklärt worden sind.
Gemäß Art. 6 MERL müssen die Mitgliedstaaten Verfahren einrichten, mit denen die Einhaltung der von den Richtlinien vorgesehenen Verpflichtungen gewährleistet werden kann. Die den Mitgliedstaaten überlassene Umsetzung dieser Maßgabe darf der MERL nicht ihre praktische Wirksamkeit nehmen. Deren Vorschriften verlangen eine umfassende Unterrichtung der Agentur für Arbeit – auch über die Durchführung des Konsultationsverfahrens – vor Ausspruch der Kündigung, um ihr die Chance zu eröffnen, auf der Basis der betreffenden Informationen Maßnahmen zu Gunsten der Arbeitnehmer zu ergreifen. Um dies zu gewährleisten, muss schon die Erklärung der Kündigung als solche vor Erstattung einer wirksamen Massenentlassungsanzeige ausgeschlossen sein12.
Dementsprechend stellen die Regelungen in § 17 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 KSchG Verbotsgesetze iSv. § 134 BGB dar. Sie verwehren es dem Arbeitgeber, Kündigungen auszusprechen, bevor er seine Anzeigepflicht erfüllt hat. Handelt er diesen Vorgaben zuwider, führt das zur Unwirksamkeit der Kündigung13.
Welche Rechtsfolgen das Fehlen einer Anzeige im Verhältnis zu klagenden Arbeitnehmern zeitigt, die das Angebot zur Änderung ihrer Vertragsbedingungen unter Vorbehalt angenommen haben, bedarf keiner Entscheidung. Der Kläger greift eine Beendigungskündigung an.
Die Arbeitgeberin kann sich für ihre abweichende Beurteilung der Rechtslage im März 2009 nicht auf Vertrauensschutz berufen. Die Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 27.01.200514 und des Bundesarbeitsgerichts vom 01.03.200715 haben eine neuerliche Diskussion über die Anzeigepflicht bei Änderungskündigungen ausgelöst. Spätestens seit dieser Zeit besteht für die Gewährung von Vertrauensschutz in den Fortbestand der früheren Rechtsprechung, derzufolge Änderungskündigungen auch bei einer unter Vorbehalt erklärten Annahme des Änderungsangebots nicht als Entlassungen iSv. § 17 Abs. 1 KSchG anzusehen waren16, keine Grundlage mehr.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. Februar 2014 – 2 AZR 346/12
- EuGH 27.01.2005 – C-188/03 – [Junk] Rn. 39, Slg. 2005, I-885; seitdem st. Rspr., vgl. BAG 25.04.2013 – 6 AZR 49/12, Rn. 153; 21.03.2013 – 2 AZR 60/12, Rn. 13[↩]
- so zur alten Rechtslage BAG 10.03.1982 – 4 AZR 158/79, BAGE 38, 106; 3.10.1963 – 2 AZR 160/63; so für das geltende Recht weiterhin APS/Moll 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 26a; ErfK/Kiel 14. Aufl. § 17 KSchG Rn. 13; KR/Weigand 10. Aufl. § 17 KSchG Rn. 41[↩]
- offengelassen in BAG 1.03.2007 – 2 AZR 580/05, Rn. 13, BAGE 121, 347; zur alten Rechtslage dagegen ablehnend BAG 10.03.1982 – 4 AZR 158/79, BAGE 38, 106; 3.10.1963 – 2 AZR 160/63[↩]
- vgl. APS/Moll 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 26a; Gerstner ArbR 2010, 355; Hützen ZInsO 2012, 1801, 1802; U. Fischer FS 25 Jahre ARGE Arbeitsrecht im DAV S. 257, 263 f.; wohl auch Niklas/Koehler NZA 2010, 913[↩]
- Bader/Bram/Dörner/Suckow Stand Juni 2012 § 17 KSchG Rn. 37; HaKo-BAGchR/Pfeiffer 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 28; vHH/L/v. Hoyningen-Huene KSchG 15. Aufl. § 17 Rn. 30; KDZ/Deinert BAGchR 8. Aufl. § 17 KSchG Rn.20; KR/Weigand 10. Aufl. § 17 KSchG Rn. 42; LSW/Wertheimer 10. Aufl. § 17 KSchG Rn. 39; Schaub/Linck ArbR-HdB 15. Aufl. § 142 Rn. 13; SES/Schrader § 17 KSchG Rn. 17; Clemenz NJW 2006, 3166, 3167; Dzida/Hohenstatt DB 2006, 1897, 1900; in der Tendenz wohl auch ErfK/Kiel 14. Aufl. § 17 KSchG Rn. 13; SPV/Vossen 10. Aufl. Rn. 1642[↩]
- BAG 16.12 2010 – 2 AZR 576/09, Rn. 21; 10.09.2009 – 2 AZR 822/07, Rn. 15, BAGE 132, 78[↩]
- BAG 27.09.2001 – 2 AZR 487/00, zu II 2 der Gründe[↩]
- zur Schriftform gemäß § 623 BGB: BAG 16.09.2004 – 2 AZR 628/03, zu B I 2 der Gründe, BAGE 112, 58; zur Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG: BAG 12.08.2010 – 2 AZR 104/09, Rn. 16; für die Zustimmung des Integrationsamts: BAG 30.09.1993 – 2 AZR 283/93, BAGE 74, 291[↩]
- BAG 28.05.1998 – 2 AZR 615/97, zu II der Gründe, BAGE 89, 48[↩]
- vgl. dazu EuGH 27.01.2005 – C-188/03 – [Junk] Rn. 44, Slg. 2005, I-885[↩]
- vgl. BAG 22.11.2012 – 2 AZR 371/11, Rn. 48; Lembke/Oberwinter NJW 2007, 721, 729; Reinhard RdA 2007, 207, 215[↩]
- BAG 21.03.2013 – 2 AZR 60/12, Rn. 26; 22.11.2012 – 2 AZR 371/11, Rn. 43 ff.[↩]
- vgl. BAG 21.03.2013 – 2 AZR 60/12, Rn. 21; 22.11.2012 – 2 AZR 371/11, Rn. 31, 37[↩]
- EuGH 27.01.2005 – C-188/03, Slg. 2005, I-885[↩]
- BAG 01.03.2007 – 2 AZR 580/05, Rn. 13, BAGE 121, 347[↩]
- BAG 10.03.1982 – 4 AZR 158/79, BAGE 38, 106; 3.10.1963 – 2 AZR 160/63[↩]