Arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz – und der Auskunftsanspruch

Zur Bestimmung von auf dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz beruhenden Leistungsansprüchen kann nach den in der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen ein auf § 242 BGB gestützter Auskunftsanspruch bestehen. 

Arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz – und der Auskunftsanspruch

Grundsätzlich besteht keine nicht aus besonderen Rechtsgründen abgeleitete Pflicht zur Auskunftserteilung für die Parteien des Rechtsstreits. Die Zivilprozessordnung kennt keine – über die anerkannten Fälle der Pflicht zum substantiierten Bestreiten hinausgehende – Aufklärungspflicht der nicht darlegungs- und beweisbelasteten Partei1.

Von diesem Grundsatz abweichend kann allerdings materiell-rechtlich nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine Auskunftspflicht bestehen.

Dafür müssen es die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien mit sich bringen, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über den bestehenden Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die Auskunft unschwer geben kann, die erforderlich ist, um die Ungewissheit zu beseitigen2. Zudem darf die Darlegungs- und Beweissituation im Prozess durch materiell-rechtliche Auskunftsansprüche nicht unzulässig verändert werden3.

Der Auskunftsanspruch nach § 242 BGB setzt im Einzelnen voraus: (1) das Vorliegen einer besonderen rechtlichen Beziehung, (2) die dem Grund nach feststehende oder (im vertraglichen Bereich) zumindest wahrscheinliche Existenz eines Leistungsanspruchs des Auskunftsfordernden gegen den Anspruchsgegner, (3) die entschuldbare Ungewissheit des Auskunftsfordernden über Bestehen und Umfang seiner Rechte sowie (4) die Zumutbarkeit der Auskunftserteilung durch den Anspruchsgegner4. Schließlich dürfen (5) durch die Zuerkennung des Auskunftsanspruchs die allgemeinen Beweisgrundsätze nicht unterlaufen werden5.

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Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz  wird inhaltlich durch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bestimmt6. Er gebietet dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gesetzten Regel gleich zu behandeln. Er verbietet nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung7. Trotz des Vorrangs der Vertragsfreiheit ist der Gleichbehandlungsgrundsatz auch bei der Zahlung der Arbeitsvergütung anwendbar, wenn diese durch eine betriebliche Einheitsregelung generell angehoben wird oder der Arbeitgeber die Leistung nach einem erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt, indem er Voraussetzungen oder Zwecke festlegt8. Die Begünstigung einzelner Arbeitnehmer erlaubt noch nicht den Schluss, diese bildeten eine Gruppe. Eine Gruppenbildung liegt erst dann vor, wenn die Besserstellung nach bestimmten Kriterien vorgenommen wird, die bei allen Begünstigten vorliegen9. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist auch dann anwendbar, wenn der Arbeitgeber – nicht auf besondere Einzelfälle beschränkt – nach Gutdünken oder nach nicht sachgerechten oder nicht bestimmbaren Kriterien Leistungen erbringt10.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26. April 2023 – 10 AZR 137/22

  1. BAG 12.10.2022 – 5 AZR 135/22, Rn.20; 27.05.2020 – 5 AZR 387/19, Rn. 29 mwN, BAGE 170, 327[]
  2. vgl. BAG 12.10.2022 – 5 AZR 135/22, Rn. 22; 25.11.2021 – 8 AZR 226/20, Rn. 71 mwN; ebenso BGH 18.02.2021 – III ZR 175/19, Rn. 44 mwN[]
  3. vgl. BAG 12.10.2022 – 5 AZR 135/22 – aaO; 24.02.2021 – 10 AZR 8/19, Rn. 40, BAGE 174, 193; vgl. insgesamt zum Gleichbehandlungsgrundsatz Staudinger/Richardi/Fischinger [2022] § 611a Rn. 1045[]
  4. BAG 12.10.2022 – 5 AZR 135/22, Rn. 23; 27.05.2020 – 5 AZR 387/19, Rn. 32 mwN, BAGE 170, 327; Staudinger/Looschelders/Olzen [2019] § 242 Rn. 605; MünchKomm-BGB/Krüger 9. Aufl. § 260 Rn. 12 ff.[]
  5. BAG 12.10.2022 – 5 AZR 135/22 – aaO; 27.05.2020 – 5 AZR 387/19 – aaO; BGH 17.04.2018 – XI ZR 446/16, Rn. 24[]
  6. BAG 12.10.2022 – 5 AZR 135/22, Rn. 25; 27.04.2021 – 9 AZR 662/19, Rn. 17[]
  7. st. Rspr., vgl. BAG 12.10.2022 – 5 AZR 135/22 – aaO; 3.06.2020 – 3 AZR 730/19, Rn. 42, BAGE 171, 1; 27.04.2016 – 5 AZR 311/15, Rn. 35[]
  8. BAG 12.10.2022 – 5 AZR 135/22 – aaO; 27.04.2016 – 5 AZR 311/15 – aaO[]
  9. BAG 12.10.2022 – 5 AZR 135/22 – aaO; 15.05.2013 – 10 AZR 679/12, Rn. 40; 20.03.2013 – 10 AZR 8/12, Rn. 39[]
  10. BAG 12.10.2022 – 5 AZR 135/22 – aaO; 27.04.2021 – 9 AZR 662/19, Rn. 17[]
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