Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – und ihr Beweiswert

Ein Arbeitnehmer hat nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. Nach allgemeinen Grundsätzen trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG1.

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – und ihr Beweiswert

Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt.

Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG reicht die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG aus, um dem Arbeitgeber das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen. Diese gesetzgeberische Wertentscheidung strahlt auch auf die beweisrechtliche Würdigung aus. Der ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt daher aufgrund der normativen Vorgaben im Entgeltfortzahlungsgesetz ein hoher Beweiswert zu.

Die Gesetzesbegründung zur elektronischen Meldung nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGB IV hat die in § 5 Abs. 1a Satz 2 EFZG vorgesehene Papierbescheinigung „als gesetzlich vorgesehenes Beweismittel mit dem ihr von der Rechtsprechung zugebilligten hohen Beweiswert“ bezeichnet2 und sich damit diese Bewertung zu eigen gemacht3. Der Tatrichter kann normalerweise den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt.

Aufgrund des normativ vorgegebenen hohen Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt ein „bloßes Bestreiten“ der Arbeitsunfähigkeit mit Nichtwissen durch den Arbeitgeber nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit mit einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen hat. Vielmehr kann der Arbeitgeber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründet keine gesetzliche Vermutung einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit iSd. § 292 ZPO mit der Folge, dass nur der Beweis des Gegenteils zulässig wäre4.

Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG kann nach den Umständen des Einzelfalls auch wegen Verstößen des ausstellenden Arztes gegen bestimmte Vorgaben der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie erschüttert sein.

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Die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie wird vom Gemeinsamen Bundesausschuss erlassen (§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB V), dem obersten Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen. Als untergesetzliche Rechtsnorm muss sie mit dem geltenden höherrangigen Recht vereinbar sein5. Die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses sind nach § 91 Abs. 6 SGB V (nur) für die Träger des Gemeinsamen Bundesausschusses – die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und den Spitzenverband Bund der Krankenkassen, deren Mitglieder und Mitgliedskassen sowie für die Versicherten und die Leistungserbringer verbindlich6, nicht jedoch für den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer als Parteien des Arbeitsverhältnisses7.

In § 5 EFZG – sowohl in der für den vorliegenden Fall maßgeblichen alten Fassung, wie auch in ab 1.01.2023 geltenden neuen Fassung – wird die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie nicht erwähnt und ihre Anforderungen werden nicht explizit in Bezug genommen. Vielmehr ist dort nur die Rede von „einer ärztlichen Bescheinigung“. § 5 Abs. 1 Satz 2 und Satz 5 EZFG stellen eigene Anforderungen dazu auf, welche Informationen eine dem Arbeitgeber zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit vorzulegende Bescheinigung enthalten muss8. Danach sind lediglich in Schriftform das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer anzugeben. Die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie entfaltet keine unmittelbare Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber und einem Arzt, der kein Vertragsarzt ist oder als Privatarzt gegenüber nicht gesetzlich versicherten Arbeitnehmern tätig wird. Auch Versicherte der Krankenkassen können einen solchen Arzt – auf eigene Kosten – frei wählen und müssen sich nicht an einen Vertragsarzt wenden9.

Soweit das Bundesarbeitsgericht in seiner Rechtsprechung darauf abgestellt hat, dass die „ordnungsgemäß“ iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel des Arbeitnehmers für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ist10, sind bei der Prüfung, ob der Beweiswert einer Bescheinigung erschüttert wurde, nicht alle Bestimmungen der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie relevant. Formale Vorgaben, die in erster Linie kassenrechtliche Bedeutung haben und das Verhältnis zwischen Vertragsarzt und Krankenkasse betreffen, wie Formulare und Angaben für die Abrechnung, sind hierfür grundsätzlich ohne Belang11. Damit wird berücksichtigt, dass diese Richtlinienbestimmungen für Ärzte, die nicht Vertragsärzte sind oder als Privatarzt gegenüber nicht gesetzlich versicherten Arbeitnehmern tätig werden, ohne rechtliche Bedeutung sind.

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Anders zu beurteilen sind hingegen die Regelungen in § 4 und § 5 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie, die sich auf medizinische Erkenntnisse zur sicheren Feststellbarkeit der Arbeitsunfähigkeit beziehen. Hierzu gehören beispielsweise die Bestimmungen zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit aufgrund persönlicher ärztlicher Untersuchung und zur Dauer der zu bescheinigenden Arbeitsunfähigkeit. Es handelt sich dabei zwar bereits von Gesetzes wegen nicht um zwingende Vorgaben, die die Arbeitsvertragsparteien und Arbeitsgerichte binden. Solche Bestimmungen enthalten aber eine Zusammenfassung allgemeiner medizinischer Erfahrungsregeln und Grundregeln zur validen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit12. Sie bilden den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse ab7. So verstanden können Verstöße hiergegen nach der Lebenserfahrung und der Expertise des Normgebers der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie geeignet sein, den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Rahmen der nach § 286 ZPO vorzunehmenden Beweiswürdigung zu erschüttern.

Dieses Verständnis des Beweiswerts einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entspricht weitgehend dem des Bundessozialgerichts zum Krankengeldbezug13. Der Bescheinigung mit der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit wird hierin die Bedeutung einer gutachterlichen Stellungnahme beigemessen. Sie bilde eine Grundlage für den über den Krankengeldbezug zu erteilenden Verwaltungsakt der Krankenkasse, ohne dass Krankenkasse und Gerichte an den Inhalt der ärztlichen Bescheinigung gebunden seien14. Im sozialgerichtlichen Verfahren sei eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein Beweismittel wie jedes andere, so dass der durch sie bescheinigte Inhalt durch andere Beweismittel widerlegt werden könne15. Sowohl bei der Erstfeststellung der Arbeitsunfähigkeit als auch bei nachfolgenden Feststellungen besteht nach dieser Rechtsprechung ein Krankengeldanspruch aus § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V nur nach einer persönlichen Untersuchung des Versicherten durch einen Arzt. Eine telefonische Befragung genüge nicht16. Zur Begründung hat das Bundessozialgericht auf die Regelungen zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit in § 4 Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie und auf das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V Bezug genommen. Hieraus hat es die Notwendigkeit hergeleitet, dass Krankengeld nur auf der Grundlage einer bestmöglich fundierten ärztlichen Einschätzung gewährt werden darf. Im neueren sozialrechtlichen Schrifttum wird ergänzend die Auffassung vertreten, eine mittelbare persönliche Untersuchung im Rahmen einer Videosprechstunde stehe der unmittelbaren persönlichen Untersuchung im Sinne dieser Rechtsprechung gleich17. Ein weitgehend einheitliches Verständnis der Verbindlichkeit der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie bei der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit und den damit in Zusammenhang stehenden beweisrechtlichen Fragen ist bedeutsam, weil das Krankengeld eine Entgeltersatzfunktion hat (§ 47 Abs. 3 SGB V). Nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ruht der Anspruch auf Krankengeld, soweit und solange Versicherte beitragspflichtiges Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erhalten. Hierdurch soll einen Doppelbezug von Entgelt und Entgeltersatzleistungen verhindert werden18. Hauptanwendungsfall des § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ist die Entgeltfortzahlung nach §§ 3 und 4 EFZG19.

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Nach diesen Grundsätzen kann ein Verstoß gegen die Regelungen in § 5 Abs. 1 Satz 3 und Satz 4 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (in der im September 2020 geltenden Fassung, entspricht § 5 Abs. 1 Satz 4 und Satz 5 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie in der seit April 2023 geltenden Fassung), wonach die AU-Bescheinigung die für die diagnostizierte Dauer der Arbeitsunfähigkeit maßgeblichen Diagnosen enthalten muss, grundsätzlich zu einer Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung führen.

Die Kodierung nach ICD-10 betrifft allerdings primär das Abrechnungsrecht und damit zunächst das Verhältnis zwischen Vertragsärzten und Kassen. § 295 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB V, der in § 5 Abs. 1 Satz 3 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie in Bezug genommen wird, regelt die Verpflichtung der Vertragsärzte zur versichertenbezogenen Übermittlung der Leistungsdaten, darunter die nach ICD-10 kodierten Diagnosen. Die Diagnose ist Bestandteil einer ordnungsgemäßen Leistungsbeschreibung und zur Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen zwischen Leistungserbringern, Abrechnungsstellen, Krankenversicherungen und -kassen erforderlich20. Die Kodierung nach ICD-10 ist u.a. Voraussetzung für die elektronische oder maschinelle Verarbeitung der Abrechnungen im Rahmen des Fallpauschalensystems und soll diagnose- und leistungsbezogene Analysen zur Weiterentwicklung der Abrechnungs- und Versorgungssysteme ermöglichen21. Dennoch kann ein Verstoß gegen die Vorgabe in § 5 Abs. 1 Satz 4 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie, Symptome wie Fieber oder Übelkeit nach spätestens sieben Tagen durch eine Diagnose oder Verdachtsdiagnose auszutauschen – je nach den im Einzelfall vom Arzt angegebenen ICD-10-Codes – in Zusammenschau mit der Dauer der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit Zweifel an der Richtigkeit der Bescheinigung aufwerfen.

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Einer Berücksichtigung von Verstößen gegen § 5 Abs. 1 Satz 4 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie steht – anders als das Landesarbeitsgericht Niedersachsen meint22 – nicht entgegen, dass die nach § 5 Abs. 1 EFZG aF für den Arbeitgeber vorgesehene Durchschrift der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine Angaben zur Ursache und Art der Arbeitsunfähigkeit und der zugrundeliegenden Erkrankung zu enthalten hat23. Dies trifft zwar zu und der Arbeitnehmer ist grundsätzlich auch nicht verpflichtet, diese Informationen offenzulegen. Etwas anderes gilt aber, wenn sich wie vorliegend ein Arbeitnehmer – ohne dazu vom Gericht oder der Gegenseite aufgefordert zu sein – freiwillig zu den zugrundeliegenden Diagnosen bzw. ICD-10-Codes erklärt und sie selbst ins Verfahren einführt. In dem Fall kann sich der Arbeitgeber auf diese Informationen für eine eventuelle Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stützen.

Ob es dem Arbeitgeber gelungen ist, den Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, ist eine Frage der Beweiswürdigung. Diese ist grundsätzlich gemäß § 286 ZPO dem Tatrichter vorbehalten. Revisionsrechtlich ist nur zu überprüfen, ob die Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei und ohne Verletzung von Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen erfolgt ist, ob sie rechtlich möglich ist und ob das Berufungsgericht alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt hat24.

Zwar dürfte grundsätzlich davon auszugehen sein, dass ein Verstoß gegen § 5 Abs. 1 Satz 4 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie den Beweiswert einer für zwei Wochen ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auf der Basis von „Symptomen“ wie z.B. Fieber oder Übelkeit erschüttern könnte. Ein solcher Verstoß hätte Auswirkungen auf die gesamte Bescheinigung. Er würde nicht erst nach Ablauf des „zulässigen“ Zeitraums von sieben Tagen eingreifen. Allerdings kann maßgeblich auch darauf abgestellt werden, dass unklar ist, in welchen konkreten Umständen die Arbeitgeberin einen Verstoß gegen die genannte Richtlinienvorschrift erkennen kann, sodass im Regelfall ein relevanter Verstoß gegen § 5 Abs. 1 Satz 4 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie nicht vorliegt. § 5 Abs. 1 Satz 4 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie fordert nicht, dass der Arzt ab der zweiten Woche der Arbeitsunfähigkeit bereits konkrete Schmerzursachen attestiert. Zudem ist auch der weitere Vortrag des Arbeitnehmers zu ärztlichen Behandlungen und Untersuchungen zu berücksichtigen.

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Bei der Prüfung, ob der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert ist, ist eine Gesamtbetrachtung der Umstände des Falls vorzunehmen und dabei den weiteren Vortrag des Arbeitnehmers, auch zu medizinischen Behandlungen und ärztlich angeordneten Untersuchungen, zu berücksichtigen. 

Eine Kongruenz zwischen der Kündigungsfrist und der Dauer der insgesamt bescheinigten Arbeitsunfähigkeit hatte das Arbeitsgericht nicht zu berücksichtigen. 

Im hier entschiedenen Fall bedeutete dies:

Die Annahme des Arbeitsgerichts, die mit M25.51 G R kodierte ärztliche Feststellung könne eine Diagnose darstellen und somit im Einklang mit § 5 Abs. 1 Satz 4 Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie stehen, ist in der Systematik und Struktur des ICD-10-Systems angelegt. Die von der Ärztin des Arbeitnehmers verwendete Schlüsselnummer M25.51 stammt aus dem Kapitel XIII zu Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes. Sie befindet sich in der Gruppe Arthropatien (M00-M25) unter der Überschrift „Sonstige Gelenkkrankheiten, anderenorts nicht klassifiziert“ (M.25.) als Gelenkschmerz (M.25.5). Damit hat die Ärztin eine Schlüsselnummer gewählt, die sowohl nach Kapitel wie auch nach Untergruppe „Krankheiten“ umfasst. Dass das Arbeitsgericht bei der vorliegenden Kodierung aus dem Bereich der Gelenkerkrankungen keine Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen angenommen hat, unterliegt deshalb keinen revisionsrechtlichen Bedenken.

Soweit die Arbeitgeberin dies anders gesehen und gemeint hat, eine Diagnose könne nur bei „objektivierbaren“ Zuständen vorliegen, zeigt sie keine Rechtsfehler der Vorinstanzen auf. Sie argumentiert, der ärztlichen Sachkunde könne eine ausschlaggebende Bedeutung nur zukommen, wenn die ärztliche Bescheinigung auf einem festgestellten objektiven Befund beruhe. Damit versucht sie letztlich – allgemein und bezogen auf den konkreten Fall – ihre Wertung an die Stelle der Wertung des Arbeitsgerichts zu setzen, ohne sich mit der Begründung des Arbeitsgerichts inhaltlich auseinanderzusetzen. Es entspräche im Übrigen weder der Lebenserfahrung noch den normativen Vorgaben des Entgeltfortzahlungsgesetzes, jeder ärztlichen Beurteilung „eines vom Patienten (subjektiv) geschilderten Gesundheitszustandes“ einen Beweiswert abzusprechen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28. Juni 2023 – 5 AZR 335/22

  1. BAG 11.12.2019 – 5 AZR 505/18, Rn. 16, BAGE 169, 117[]
  2. BT-Drs.19/13959 S. 37[]
  3. aA Ricken RdA 2022, 235, 239 f.[]
  4. BAG 8.09.2021 – 5 AZR 149/21, Rn. 13 mwN, BAGE 175, 358; zust. Fuhlrott/Mai NZA 2022, 97; Küfner-Schmitt Anm. AP EntgeltFG § 5 Nr. 11; Weidt BB 2022, 1396; teilweise kritisch Ricken RdA 2022, 235, 239 f.[]
  5. BSG 15.05.2019 – B 6 KA 27/18 B, Rn. 15[]
  6. vgl. BeckOGK/Roters Stand 1.12.2020 SGB V § 91 Rn. 21; Becker/Kingreen/Hollo 8. Aufl. SGB V § 91 Rn. 62[]
  7. Ricken RdA 2022, 235, 243[][]
  8. vgl. BeckOK ArbR/Ricken Stand 1.03.2023 EFZG § 5 Rn. 18; MünchKomm-BGB/Müller-Glöge 9. Aufl. EFZG § 5 Rn. 17; Schmitt EFZG/Küfner-Schmitt 9. Aufl. EFZG § 5 Rn. 98 ff.; Knorr/Krasney Stand 2022 Entgeltfortzahlung/Krankengeld/Mutterschaftsgeld § 5 Rn. 39[]
  9. MünchKomm-BGB/Müller-Glöge 9. Aufl. EFZG § 5 Rn. 16; Schmitt EFZG/Küfner-Schmitt 9. Aufl. EFZG § 5 Rn. 109[]
  10. BAG 8.09.2021 – 5 AZR 149/21, Rn. 12 mwN, BAGE 175, 358[]
  11. vgl. BeckOK ArbR/Ricken Stand 1.03.2023 EFZG § 5 Rn. 18; Schmitt EFZG/Küfner-Schmitt 9. Aufl. EFZG § 5 Rn. 111 ff.; im Ergebnis auch Fuhlrott/Mai NZA 2022, 97, 99 ff.[]
  12. vgl. Hahn ZMGR 2018, 279, 281; Braun GesR 2018, 409, 410[]
  13. vgl. zB zur Verwendung der Mustervordrucke BSG 29.10.2020 – B 3 KR 6/20 R, Rn. 15; 14.08.2018 – B 3 KR 5/18 B, Rn. 9[]
  14. BSG 29.10.2020 – B 3 KR 6/20 R, Rn. 15; 16.12.2014 – B 1 KR 37/14 R, Rn. 16, BSGE 118, 52; 8.11.2005 – B 1 KR 18/04 R, Rn.20[]
  15. BSG 8.11.2005 – B 1 KR 18/04 R – aaO[]
  16. BSG 16.12.2014 – B 1 KR 25/14 R, Rn. 13[]
  17. BeckOGK/Schifferdecker Stand 1.03.2022 SGB V § 46 Rn. 56; Krauskopf/Rieke Stand September 2022 SGB V § 44 Rn. 27; dazu auch instruktiv Ricken RdA 2022, 235, 242 ff.[]
  18. ErfK/Rolfs 23. Aufl. SGB V § 49 Rn. 1[]
  19. NK-ArbR/Lang 2. Aufl. SGB V § 49 Rn. 3; BeckOGK/Schifferdecker Stand 1.08.2022 SGB V § 49 Rn. 14[]
  20. vgl. BeckOGK/Hess Stand 1.05.2021 SGB V § 295 Rn. 4; Becker/Kingreen/Michels 8. Aufl. SGB V § 295 Rn. 1[]
  21. Becker/Kingreen/Michels 8. Aufl. SGB V § 301 Rn. 6[]
  22. LAG Niedersachsen 09.05.2022 – 4 Sa 505/21[]
  23. vgl. dazu MünchKomm-BGB/Müller-Glöge 9. Aufl. EFZG § 5 Rn. 17 mwN[]
  24. vgl. BAG 11.12.2019 – 5 AZR 505/18, Rn. 25, BAGE 169, 117[]
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