Eine „gemeinsame“ Betriebsstätte setzt eine gewisse Verbindung zwischen den Tätigkeiten als solchen in der konkreten Unfallsituation voraus. Parallele Tätigkeiten, die sich beziehungslos nebeneinander vollziehen, genügen ebenso wenig wie eine bloße Arbeitsberührung.

Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt das Haftungsprivileg nur dem versicherten Unternehmer zu Gute, der selbst auf einer gemeinsamen Betriebsstätte eine vorübergehende betriebliche Tätigkeit verrichtet und dabei den Versicherten eines anderen Unternehmens verletzt [1]. Das Unfallversicherungsrecht unterscheidet zwischen Unternehmer und den für einen Betrieb Tätigen (vgl. §§ 104, 105, 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII).
Eine Haftungsprivilegierung des für einen Betrieb Tätigen kommt mithin nur nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses (§§ 831, 840 Abs. 2 BGB) in Betracht. Dafür ist aber erforderlich, dass sich der Unfall bei einer Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte zwischen dem Geschädigten und den Mitarbeitern des grundsätzlich haftenden Unternehmen zugetragen hat (§ 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII).
Nach den vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätzen können in den Fällen, in denen zwischen mehreren Schädigern ein Gesamtschuldverhältnis besteht, Ansprüche des Geschädigten gegen einen Gesamtschuldner (Zweitschädiger) auf den Betrag beschränkt sein, der auf diesen im Innenverhältnis zu dem anderen Gesamtschuldner (Erstschädiger) endgültig entfiele, wenn die Schadensverteilung nach § 426 BGB nicht durch eine sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierung des Erstschädigers gestört wäre [2]. In solchen Fällen hat der Bundesgerichtshof den Zweitschädiger in Höhe des Verantwortungsteils freigestellt, der auf den Erstschädiger im Innenverhältnis entfiele, wenn man seine Haftungsprivilegierung hinweg denkt, wobei unter „Verantwortungsteil“ die Zuständigkeit für die Schadensverhütung und damit der Eigenanteil des betreffenden Schädigers an der Schadensentstehung zu verstehen ist [3]. In Anwendung dieser Grundsätze könnte im Streitfall eine Haftung aus dem Gesichtspunkt des gestörten Gesamtschuldverhältnisses nur entfallen, wenn sich der Unfall auf einer gemeinsamen Betriebsstätte im Sinne des § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII zwischen dem verunfallten Arbeitnehmer und den Mitarbeitern der unfallverursachenden Unternehmens ereignet hätte.
Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfasst der Begriff der „gemeinsamen Betriebsstätte“ betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinander greifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt. Erforderlich ist aber ein bewusstes Miteinander im Betriebsablauf, das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt [4]. § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII ist nicht schon dann anwendbar, wenn Versicherte zweier Unternehmen auf derselben Betriebsstätte aufeinander treffen. Eine „gemeinsame“ Betriebsstätte ist nach allgemeinem Verständnis mehr als „dieselbe“ Betriebsstätte; das bloße Zusammentreffen von Risikosphären mehrerer Unternehmen erfüllt den Tatbestand der Norm nicht. Parallele Tätigkeiten, die sich beziehungslos nebeneinander vollziehen, genügen ebenso wenig wie eine bloße Arbeitsberührung. Erforderlich ist vielmehr eine gewisse Verbindung zwischen den Tätigkeiten als solchen in der konkreten Unfallsituation, die eine Bewertung als „gemeinsame“ Betriebsstätte rechtfertigt [5]. Der Haftungsausschluss nach § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII ist (nur) im Hinblick auf die zwischen den Tätigen verschiedener Unternehmen bestehende Gefahrengemeinschaft gerechtfertigt [6]. Eine Gefahrengemeinschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass typischerweise jeder der (in enger Berührung miteinander) Tätigen gleichermaßen zum Schädiger und Geschädigten werden kann [7]. Der Haftungsausschluss knüpft daran an, dass eine gewisse Verbindung zwischen den Tätigen bei konkreten Arbeitsvorgängen [8] in der konkreten Unfallsituation gegeben ist, die die „gemeinsame“ Betriebsstätte entscheidend kennzeichnet [9].
Die Anwesenheit des (geschädigten) LKW-Fahrers auf dem Betriebsgelände eines anderen Unternehmensund das Abstellen des LKW’s, um diesen nach Freiwerden der Befüllstation befüllen zu lassen, begründet für sich gesehen noch keine Gefahrengemeinschaft, deren Risikoträchtigkeit sich in dem Schadensfall verwirklicht hätte [10].
Es fehlte zum Unfallzeitpunkt ein betriebliches Zusammenwirken zwischen den Mitarbeitern der Befüllstation und dem LKW-Fahrer, bei dem die Tätigkeit der Mitwirkenden im faktischen Miteinander der Beteiligten aufeinander bezogen, miteinander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet war und sich die Beteiligten bei den versicherten Tätigkeiten ablaufbedingt in die Quere kommen konnten. Das Öffnen des Domdeckels durch den LKW-Fahrer begründete nicht eine Gefahrengemeinschaft zwischen ihm und den Mitarbeitern der Befüllstation. Zwar war das Öffnen des Domdeckels erforderlich, um den Befüllvorgang durchzuführen. Auch konnte der gesamte Befüllvorgang angesichts der Art der Transportfahrzeuge sowie des Befüllvorgangs als solchem und der sich daraus ergebenden Gefahren nicht ohne Absprache und Fachkenntnis der Beteiligten erfolgen. Doch hatte der LKW-Fahrer den LKW an die Befüllstation lediglich herangefahren und dort abgestellt, um das Freiwerden der Befüllstation abzuwarten. Ein Zusammenwirken mit den Mitarbeitern der Befüllstation, das eine gegenseitige Gefahrensituation begründet hätte, war damit nicht verbunden. Für eine wechselseitige Gefährdungslage ist nicht ausreichend, dass für eine der Parteien eine nur theoretische Möglichkeit besteht, verletzt zu werden.
Sollte der LKW-Fahrer erst auf dem Rückweg von der Toilette zu seinem Fahrzeug gestürzt sein, fehlen ebenso die Voraussetzungen eines notwendigen Miteinanders im Arbeitsablauf sowie des wechselseitigen Bezugs der betrieblichen Aktivitäten und damit die notwendige Verbindung zwischen den Tätigkeiten als solchen in der konkreten Unfallsituation [11]. Der LKW-Fahrer war dem Risiko, auf dem Gelände zu Schaden zu kommen, nicht anders ausgesetzt als jeder andere, der dieses Gelände begangen hat.
Zum Unfallzeitpunkt war nach den getroffenen Feststellungen mithin das für die „gemeinsame Betriebsstätte“ erforderliche aufeinander bezogene betriebliche Zusammenwirken des Verletzten mit den Mitarbeitern der Beklagten (noch) nicht gegeben.
Die Bedenken, dass die Aufspaltung der Geschehnisse einen ständigen Wechsel zwischen Anwendbarkeit und Unanwendbarkeit des Haftungsprivilegs zur Folge habe und dies mit dem gesetzgeberischen Zweck der Haftungsprivilegierung des § 106 Abs. 3 SGB VII, den versicherungspflichtigen Unternehmen durch die Haftungsfreistellung eine gewisse Entlastung als Ausgleich für die Beitragspflicht zur gesetzlichen Unfallversicherung zukommen zu lassen, nicht vereinbar sei, teilt der Bundesgerichtshof nicht. Der Haftungsausschluss des § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII beruht auf dem Gedanken der sogenannten Gefahrengemeinschaft [12]. Andere Gesichtspunkte, die in den Fällen der §§ 104, 105 SGB VII eine Rolle spielen, so die Wahrung des Betriebsfriedens oder auch die Haftungsersetzung durch die an die Stelle des Schadensersatzes tretenden Leistungen der Unfallversicherung, die vom Unternehmer finanziert wird [13], kommen dagegen nicht zum Tragen und können deshalb den Haftungsausschluss nach § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII auch nicht rechtfertigen [14]. Nur demjenigen, der als Schädiger von der Haftungsbeschränkung profitiert, kann es als Geschädigtem zugemutet werden, den Nachteil hinzunehmen, dass er selbst bei einer Verletzung keine Schadensersatzansprüche wegen seiner Personenschäden geltend machen kann [15].
Auch ist der Streitfall gut vergleichbar mit dem Sachverhalt, der dem BGH, Urteil vom 11.10.2011 ((BGH, Urteil vom 11.10.2001 – VI ZR 248/10 zugrunde lag. Ein Zusammenwirken der Beteiligten in einem konkreten Arbeitsvorgang zum Zeitpunkt des Unfalls ist – wie dort – auch im Streitfall nicht gegeben. Gleiches gilt für die Fallgestaltung, die dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10.05.2011 ((BGH, Urteil vom 1005.2011 – VI ZR 152/10 zugrunde lag. Auch dort war bezogen auf den Unfallzeitpunkt noch kein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen festzustellen.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 23. September 2014 – VI ZR 483/12
- vgl. BGH, Urteile vom 03.07.2001 – VI ZR 198/00, BGHZ 148, 209 und – VI ZR 284/00, BGHZ 148, 214; vom 14.06.2005 – VI ZR 25/04, VersR 2005, 1397, 1398; und vom 08.06.2010 – VI ZR 147/09, VersR 2010, 1190 Rn. 10 mwN[↩]
- st. Rspr. vgl. BGH, Urteile vom 24.06.2003 – VI ZR 434/01, BGHZ 155, 205, 212 ff.; vom 11.11.2003 – VI ZR 13/03, BGHZ 157, 9, 14; vom 13.03.2007 – VI ZR 178/05, VersR 2007, 948 Rn.19; vom 22.01.2008 – VI ZR 17/07, VersR 2008, 642 Rn. 11; und vom 08.06.2010 – VI ZR 147/09, VersR 2010, 1190 Rn. 12[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 11.11.2003 – VI ZR 13/03, aaO, 14 f.; vom 13.03.2007 – VI ZR 178/05; vom 22.01.2008 – VI ZR 17/07; und vom 08.06.2010 – VI ZR 147/09, jeweils aaO[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 17.10.2000 – VI ZR 67/00, BGHZ 145, 331, 336; vom 24.06.2003 – VI ZR 434/01, BGHZ 155, 205, 207 f.; vom 16.12 2003 – VI ZR 103/03, BGHZ 157, 213, 216 f.; vom 17.06.2008 – VI ZR 257/06, BGHZ 177, 97 Rn.19; vom 01.02.2011 – VI ZR 227/09, VersR 2011, 500 Rn. 7; und vom 10.05.2011 – VI ZR 152/10, VersR 2011, 882 Rn. 12[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 23.01.2001 – VI ZR 70/00, VersR 2001, 372, 373; vom 14.09.2004 – VI ZR 32/04, VersR 2004, 1604 f.; vom 08.06.2010 – VI ZR 147/09, VersR 2010, 1190 Rn. 14; vom 01.02.2011 – VI ZR 227/09; und vom 10.05.2011 – VI ZR 152/10, jeweils aaO[↩]
- vgl. dazu BGH, Urteil vom 16.12 2003 – VI ZR 103/03 aaO, S. 218 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 03.07.2001 – VI ZR 284/00, BGHZ 148, 214, 220; Waltermann, NJW 2002, 1225, 1228 ff.; Otto, NZV 2002, 10, 14; Schmidt, BB 2002, 1859, 1860 f.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 01.02.2011 – VI ZR 227/09, aaO Rn. 7 und 9[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 23.01.2001 – VI ZR 70/00, VersR 2001, 372, 373; vom 14.09.2004 – VI ZR 32/04, VersR 2004, 1604 f.; vom 08.06.2010 – VI ZR 147/09, VersR 2010, 1190 Rn. 14 und 16; vom 01.02.2011 – VI ZR 227/09, VersR 2011, 500 Rn. 7; und vom 10.05.2011 – VI ZR 152/10, VersR 2011, 882 Rn. 12 sowie vom 11.10.2011 – VI ZR 248/10, VersR 2011, 1567 Rn. 9[↩]
- vgl. hierzu BGH, Urteil vom 11.10.2011 – VI ZR 248/10, VersR 2011, 1567 Rn. 9 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 11.10.2011 – VI ZR 248/10, VersR 2011, 1567 Rn. 9 aE[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 16.12 2003 – VI ZR 103/03, BGHZ 157, 213, 218[↩]
- vgl. BVerfGE 34, 118, 132[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 03.07.2001 – VI ZR 198/00, BGHZ 148, 209, 212 und – VI ZR 284/00, BGHZ 148, 214, 220; und vom 16.12 2003 – VI ZR 103/03, aaO[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 03.07.2001 – VI ZR 198/00 und – VI ZR 284/00 jeweils aaO; BVerfGE 34, 118, 136; Lemcke, r+s 2002, 508[↩]
Bildnachweis:
- Curriculum Vitae: loufrre | CC0 1.0 Universal