Eine Kollision zwischen den kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit für das Arbeitsverhältnis normativ geltenden Tarifregelungen sowie den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen ist nach dem Günstigkeitsprinzip (§ 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG) zu lösen1.

Hiernach treten unmittelbar und zwingend geltende Tarifbestimmungen hinter einzelvertragliche Vereinbarungen mit für den Arbeitnehmer günstigeren Bedingungen zurück. Ob ein Arbeitsvertrag abweichende günstigere Regelungen gegenüber dem Tarifvertrag enthält, ergibt sich aus einem Vergleich zwischen der tarifvertraglichen und der arbeitsvertraglichen Regelung. Bei diesem sog. Günstigkeitsvergleich sind die durch Auslegung zu ermittelnden Teilkomplexe der unterschiedlichen Regelungen gegenüberzustellen, die in einem inneren Zusammenhang stehen, sog. Sachgruppenvergleich2.
In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall, in dem kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG) die zwischen der Arbeitgeberin und der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) geschlossenen Tarifverträge Anwendungen finden, konnte der Arbeitnehmer nach den individualvertraglichen Regelungen einen Stundenlohn von 9, 36 € brutto und die dort genannten Zuschläge sowie weiterhin einen Verpflegungszuschuss beanspruchen, wenn die Arbeitszeit täglich mindestens acht Stunden beträgt. Dieser Verpflegungszuschuss beträgt nach den getroffenen Feststellungen infolge einer konkludenten Vertragsänderung der Parteien 12 €. Die Arbeitgeberin hielt dagegen die Zahlung des tariflichen Stundenentgelts nach § 2 Abs. 1 ÄTV iHv. 13, 00 Euro brutto je Stunde arbeitsvertragliche Ansprüche des Arbeitnehmers auf einen Verpflegungszuschuss nicht erfüllt. Das Bundesarbeitsgericht bejahte einen Verpflegungskostenzuschuss des Arbeitnehmers:
Im vorliegenden Rechtsstreit kommt es entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin nicht zu einem Günstigkeitsvergleich iSd. § 4 Abs. 3 TVG zwischen dem tariflichen Entgelt einerseits sowie den Regelungen über das Arbeitsentgelt einschließlich der Zuschläge und dem Anspruch auf einen Verpflegungszuschuss andererseits. Der Verpflegungszuschuss kann nicht der Sachgruppe „Arbeitszeit und Arbeitsentgelt“ zugeordnet werden, anhand derer ein Günstigkeitsvergleich mit dem für die identische Arbeitszeit geleisteten tariflichen Entgelt durchzuführen wäre3.
Ob es sich bei dem vertraglich geschuldeten Verpflegungszuschuss um einen Entgeltbestandteil handelt, hängt davon ab, ob mit dessen Zahlung erbrachte Arbeitsleistung zusätzlich vergütet werden soll. Zu berücksichtigen sind alle Entgeltbestandteile, die sich, zumindest auch – als Gegenleistung zu der zu erbringenden Arbeitsleistung darstellen4.
Mit dem arbeitsvertraglich vereinbarten Verpflegungszuschuss soll nicht (auch) die Arbeitsleistung zusätzlich vergütet werden. Entgegen der Auffassung des in der Vorinstanz mit dem vorliegenden Fall befassten Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg5 handelt es sich nicht um „Entgelt im weiteren Sinn“, welches in einen Sachgruppenvergleich einzubeziehen ist, sondern um einen Aufwendungsersatz, der nicht in einem inneren Zusammenhang mit dem für die Arbeitsleistung geschuldeten Entgelt steht. Das ergibt für das Bundesarbeitsgericht die Auslegung des Arbeitsvertrags.
Bei dem Arbeitsvertrag der Parteien handelt es sich bereits nach seinem äußeren Erscheinungsbild um einen Formularvertrag, der nach den Regelungen über Allgemeine Geschäftsbedingungen auszulegen ist6.
Verpflegungskostenzuschüsse sind regelmäßig Aufwendungsersatzleistungen und stellen kein Arbeitsentgelt dar7. Ein Aufwendungsersatz wird nicht als Gegenleistung für geleistete Arbeit, sondern im Hinblick auf besondere Aufwendungen oder Auslagen gewährt, die dem Arbeitnehmer im Rahmen der Erbringung seiner Tätigkeit entstanden sind8.
Nach dem Arbeitsvertrag ist ein „Verpflegungszuschuss“ zu zahlen. Damit haben die Parteien einen Aufwendungsersatzanspruch vereinbart. Dieser soll Mehraufwendungen des Arbeitnehmers anlässlich seiner auswärtigen Tätigkeit durch eine Verpflegungspauschale ausgleichen9. Die vereinbarte Pauschalierung des Verpflegungszuschusses soll dazu dienen, dass der Arbeitnehmer nicht die konkret entstandenen Mehraufwendungen im Einzelnen gegenüber der Arbeitgeberin nachweisen und diese dann im Gegenzug die Erstattungsfähigkeit prüfen muss, sondern dass sie einen typischerweise entstehenden Verpflegungsaufwand abzugelten hat. Anders als die Arbeitgeberin meint, erfasst der Anspruch auf den Verpflegungszuschuss daher nicht die „unmittelbare Hauptpflicht des Arbeitgebers zur Leistung der Vergütung“. Weiterhin deckt der Verpflegungszuschuss entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts gerade nicht die Kosten ab, die ein Arbeitnehmer für Verpflegung ohnehin im Rahmen seiner privaten Lebensführung aufzuwenden hat. Vielmehr soll durch den Zuschuss ein Ausgleich dafür geschaffen werden, dass dem Arbeitnehmer im Rahmen seiner mindestens achtstündigen Fahrtätigkeit (außerhalb des Betriebs) regelmäßig höhere Aufwendungen für seine Verpflegung entstehen.
Für die Einordnung des Verpflegungszuschusses als pauschalierter Aufwendungsersatz spricht zudem, dass sich die Parteien hinsichtlich der Voraussetzungen (einer mindestens achtstündigen Abwesenheit von der Betriebsstätte) – mit marginalen Abweichungen – an den steuerrechtlichen Vorgaben von § 9 Abs. 4a Satz 3 Nr. 3 EStG orientiert haben10. Ebenso entspricht die zuletzt geleistete Höhe derjenigen des steuerfreien Pauschbetrags11. Die Festsetzung steuerfreier Pauschbeträge durch den Gesetzgeber kann als Indiz dafür gewertet werden, dass in der Regel derartige Mehraufwendungen anfallen12. Der Gesetzgeber geht in Zusammenhang mit § 9 Abs. 4a Satz 3 Nr. 3 EStG typisierend davon aus, dass ein beruflich veranlasster Mehraufwand für Verpflegung anzuerkennen ist, wenn sich der Arbeitnehmer nicht am Betriebssitz oder an anderen ortsfesten betrieblichen Einrichtungen des Arbeitgebers aufhält13. Dementsprechend hat die Arbeitgeberin den sich aus der vertraglichen Vereinbarung ergebenden Betrag als lohnsteuer- und sozialversicherungsabgabenfreie (vgl. § 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV iVm. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SvEV) „Aufwandsentschädigung“ abgerechnet.
Soweit der arbeitsvertragliche Anspruch auf den Verpflegungszuschuss eine tägliche Mindestarbeitszeit von acht Stunden voraussetzt, lässt sich – anders als die Arbeitgeberin meint – nicht folgern, es handele sich vorliegend um eine Entgeltleistung. Mit dieser Voraussetzung wird lediglich festgelegt, nach welcher Mindestdauer der auswärtigen Tätigkeit die Parteien von Mehraufwendungen ausgehen, die durch den pauschalierten Verpflegungszuschuss ausgeglichen werden sollen.
Anhaltspunkte, bei dem Verpflegungszuschuss handele es sich nicht um einen „echten Aufwendungsersatz“, sondern ein „verschleiertes“ und damit steuerpflichtiges Arbeitsentgelt, das bei einem Günstigkeitsvergleich zu berücksichtigen wäre14, sind nicht ersichtlich.
Auch der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 08.11.196215 zu einer Nahauslösung lässt sich nicht entnehmen, dass es sich bei einem Verpflegungszuschuss stets um Arbeitsentgelt handelt. Der Zweite Bundesarbeitsgericht ist vielmehr davon ausgegangen, dass eine Nahauslösung „von Haus aus nicht als Arbeitsentgelt …, sondern als Spesenersatz“ zu beurteilen ist. Lediglich für den damals entschiedenen Rechtsstreit hat er – unter Hinweis darauf, dass eine Beurteilung immer unter Berücksichtigung aller Umstände zu erfolgen habe – die dortige Nahauslösung als Arbeitsentgelt eingeordnet.
Ein anderes Ergebnis folgt nicht aus § 2 des Lohn- und Gehaltstarifvertras (ÄTV). Soweit die Arbeitgeberin in der Revisionsinstanz geltend gemacht hat, § 2 Abs. 2 ÄTV sei dahingehend zu verstehen, dass die Tarifvertragsparteien mit dieser Regelung (zugleich) günstigere einzelvertragliche Ansprüche auf Gewährung eines Verpflegungszuschusses aufheben wollten, wäre dies rechtlich nicht zulässig. Den Tarifvertragsparteien fehlt für eine solche Vereinbarung die erforderliche Regelungskompetenz.
Gegenstand kollektiver Regelungen durch tarifliche Inhaltsnormen ist die Festsetzung allgemeiner Mindestarbeitsbedingungen16. Die Rechtsnormen eines Tarifvertrags haben dabei keine den Inhalt des Arbeitsverhältnisses gestaltende Wirkung. Deren unmittelbare und zwingende Wirkung hat lediglich zur Folge, dass eine ungünstigere Einzelvereinbarung keine Geltung entfalten kann, weil sie von der tariflichen Regelung verdrängt wird17. Die Privatautonomie soll durch die zwingende Wirkung eines Tarifvertrags allerdings nicht mehr als notwendig eingeschränkt werden18. Dem Arbeitnehmer verbleibt aufgrund der verfassungsrechtlich verbürgten Privatautonomie – wie auch das in § 4 Abs. 3 TVG verankerte Günstigkeitsprinzip zeigt – ein eigener Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung seiner Arbeitsbedingungen19. In diese individualvertraglich getroffenen Vereinbarungen kann durch einen Tarifvertrag nicht unmittelbar eingegriffen werden20.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. Januar 2023 – 4 AZR 171/22
- st. Rspr., BAG 12.12.2018 – 4 AZR 123/18, Rn. 34 mwN, BAGE 164, 345[↩]
- BAG 15.04.2015 – 4 AZR 587/13, Rn. 27 ff., BAGE 151, 221[↩]
- zur Berücksichtigung der Arbeitszeit bei Bildung der Sachgruppe BAG 15.04.2015 – 4 AZR 587/13, Rn. 35 mwN, BAGE 151, 221[↩]
- BAG 12.12.2012 – 4 AZR 328/11, Rn. 46[↩]
- LAG Berlin-Brandenburg 11.03.2022 – 13 Sa 1102/21[↩]
- vgl. dazu BAG 3.07.2019 – 4 AZR 456/18, Rn. 37 mwN[↩]
- vgl. etwa Schaub ArbR-HdB/Linck 19. Aufl. § 98 Rn. 85[↩]
- vgl. BAG 13.03.2013 – 5 AZR 294/12, Rn. 35[↩]
- sh. auch BAG 30.01.2002 – 10 AZR 441/01, zu II 1 d der Gründe[↩]
- so auch bei der Bewertung betrieblicher Spesensätze für Tätigkeiten im Außendienst BAG 27.10.1998 – 1 ABR 3/98, zu B I 3 b der Gründe, BAGE 90, 76[↩]
- idF bis zum 31.12.2019[↩]
- zur Festsetzung von Pauschbeträgen durch die Finanzverwaltung vgl. BAG 5.04.2000 – 7 AZR 213/99, zu 1 der Gründe mwN[↩]
- vgl. BFH 18.06.2009 – VI R 61/06, Rn. 13, BFHE 226, 59[↩]
- vgl. BAG 23.11.2016 – 5 AZR 53/16, Rn. 32 mwN, BAGE 157, 213[↩]
- BAG 08.11.1962 – 2 AZR 109/62, BAGE 13, 301[↩]
- BAG 23.03.2011 – 4 AZR 366/09, Rn. 41, BAGE 137, 231[↩]
- vgl. BAG 13.05.2020 – 4 AZR 489/19, Rn. 27 mwN, BAGE 170, 230[↩]
- BAG 12.12.2007 – 4 AZR 998/06, Rn. 43 mwN, BAGE 125, 179[↩]
- vgl. BAG 13.05.2020 – 4 AZR 489/19, Rn. 28 mwN, aaO[↩]
- BAG 18.08.1971 – 4 AZR 342/70, BAGE 23, 399[↩]
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