Der Arbeitgeber hat kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des erteilten Zeugnisses, wenn er den Arbeitnehmer böswillig mit „ungenügend“ beurteilt hat und der Arbeitnehmer das Zeugnis als „sittenwidrig“, „unterirdisch“ und von vorsätzlicher Schädigungsabsicht getragen beanstandet hat. Das gilt auch dann, wenn zwischen Beanstandung und Klageerhebung zwei Jahre liegen.

Beanstandet ein Arbeitnehmer, dass das ihm erteilte Zeugnis den Anforderungen des § 109 Abs. 1 GewO nicht entspricht, kann er dessen Berichtigung oder Ergänzung beanspruchen. Mit einer Klage auf Berichtigung oder Ergänzung eines erteilten Arbeitszeugnisses macht der Arbeitnehmer weiterhin die Erfüllung seines Zeugnisanspruchs geltend und keinen dem Gesetz fremden Berichtigungs- oder Ergänzungsanspruch1.
Die Verwirkung ist ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung. Sie setzt voraus, dass der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage war (Zeitmoment) und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und sich darauf eingerichtet hat, dieser werde sein Recht auch künftig nicht mehr geltend machen (Umstandsmoment). Der Berechtigte muss dabei unter Umständen untätig gewesen sein, die den Eindruck erwecken konnten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Die Inanspruchnahme von Vertrauen setzt die Kenntnis des Schuldners von einem möglichen Anspruch gegen ihn voraus. Fehlt es hieran, kann der Schuldner auf das Ausbleiben einer entsprechenden Forderung allenfalls allgemein, nicht aber konkret hinsichtlich eines bestimmten Anspruchs vertrauen. Den Schutz vor unbekannten Forderungen hat das Verjährungsrecht zu gewährleisten, nicht aber Treu und Glauben2.
Bei der Festlegung des Zeitmoments ist zu berücksichtigen, dass ein Zeugnis, wenn es seine Funktion im Arbeitsleben erfüllen soll, alsbald nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangt und erteilt werden muss3.
Deshalb wird das Zeitmoment in der Rechtsprechungspraxis schon nach relativ kurzer Zeit als erfüllt betrachtet, z.B. bereits nach fünf Monaten4, elf Monaten5 zwölf Monaten6 oder 15 Monaten3.
Im hier vom Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg entschiedenen Fall sind seit der letzten Beanstandung des Zeugnisses durch den Arbeitnehmer mit Schreiben vom 02.10.2019 und der Antwort der Arbeitgeberin vom 18.10.2019 bis zur Klageerhebung immerhin zwei Jahre vergangen. Das Zeitmoment ist gegeben. Es fehlt jedoch am gebotenen Umstandsmoment. Die Arbeitgeberin konnte nicht darauf vertrauen, dass der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf eine Zeugnisberichtigung fallengelassen hätte.
Es ist nicht so, dass der Arbeitnehmer das beanstandete Zeugnis hingenommen hätte und kommentarlos zwei Jahre zugewartet hätte, bis er dann die Arbeitgeberin mit einer Klage überraschte, wie die Arbeitgeberin glauben machen möchte. Vielmehr hat der Arbeitnehmer zeitnah nach der Erteilung des Zeugnisses dieses mit harschen Worten zurückgewiesen. Schon in seinem ersten Schreiben beanstandete der Arbeitnehmer, dass das Zeugnis „völlig inakzeptabel“ sei. Er verlangte von der Arbeitgeberin, wieder „zu einer sachlichen Auseinandersetzung zurückzukehren“ und dem Arbeitnehmer ein wohlwollendes Zeugnis zu erteilen. Der Ton der Beanstandung wurde mit Schreiben vom 02.10.2019 verschärft. Der Arbeitnehmer machte der Arbeitgeberin deutlich, dass er das erteilte Zeugnis weiterhin für „vollkommen unterirdisch“ halte, das „ganz offensichtlich nicht den gesetzlichen Anforderungen“ entspreche. Der Arbeitnehmer warf der Arbeitgeberin vor, ihn mit dem Zeugnis „vorsätzlich und sittenwidrig“ schädigen zu wollen. Angesichts des drastischen Vorwurfs der sittenwidrigen Schädigung wird die Arbeitgeberin schwerlich ein Vertrauen aufgebaut haben können, dass der Arbeitnehmer von einer Weiterverfolgung seiner Ansprüche Abstand nehmen werde, ungeachtet dessen, dass die Arbeitgeberin den Vorwurf einer sittenwidrigen Schädigungsabsicht mit Schreiben vom 18.10.2019 von sich wies.
Erschwerend kommt hinzu, dass der Vorwurf der Schädigungsabsicht auch sehr naheliegt. Das LAG Baden-Württemberg des Landesarbeitsgerichts erkannte mit Urteil vom 02.01.20207 im Kündigungsschutzprozess eine „seltene Hartnäckigkeit und Bösartigkeit“, mit der die Arbeitgeberin versuchte, ein „kündigungsrelevantes Fehlverhalten des Arbeitnehmers zu konstruieren“. Dies setzt sich vorliegend fort. Das erteilte Zeugnis dürfte allenfalls der Schulnote „ungenügend“ entsprechen. Die Arbeitgeberin hat es erkennbar darauf angelegt, dem Zeugnis die Tauglichkeit zu entziehen, dem Arbeitnehmer als Grundlage für künftige Bewerbungen zu dienen. Das weiß die Arbeitgeberin auch. Die Arbeitgeberin unterzog sich deshalb auch weder schriftsätzlich, noch im Berufungstermin der Mühe, das Zeugnis inhaltlich zu verteidigen. Die Arbeitgeberin mag von der Hoffnung getragen gewesen sein, wegen dieses Zeugnisses nicht mehr weiter in Anspruch genommen zu werden, nicht aber von einem schutzwürdigen Vertrauen.
Das Vertrauen der Arbeitgeberin wird auch nicht deshalb schutzwürdig, weil der Arbeitnehmer mit Schreiben vom 02.10.2019 bereits auf eine Berichtigung des Zeugnisses verzichtet hätte und sich nur noch auf einen Schadensersatzanspruch beschränkt hätte. Die Interpretation dieses Schreibens durch die Arbeitgeberin ist unzutreffend. Das Schreiben vom 02.10.2019 knüpft an das vorangegangene Schreiben vom 28.08.2019 an, mit welchem die Berichtigung auch im Hinblick auf die Leistungs- und Verhaltensbeurteilung begehrt wurde. Wenn der Arbeitnehmer dann ausführen lässt, dass das berichtigte Zeugnis „weiter“ „vollkommen unterirdisch“ sei, ergibt sich zwangsläufig, dass das geänderte Zeugnis weiterhin nicht für erfüllungsgeeignet gehalten wird, somit an dem Berichtigungsbegehren festgehalten wird. Nur weil der Arbeitnehmer zugleich die Gebühren für die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe als Schadenersatz geltend machte, kann nicht angenommen werden, dass der Arbeitnehmer von seinem eigentlichen Begehren Abstand genommen hätte und nunmehr nur noch „dulden und liquidieren“ wollte.
Die Tatsache, dass der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis letztlich selbst beendet hat, weil er auch ohne ein Zeugnis der Arbeitgeberin eine Anschlussbeschäftigung gefunden hatte, ist nicht geeignet, bei der Arbeitgeberin einen Vertrauenstatbestand zu begründen, dass sich der Arbeitnehmer dauerhaft damit abgefunden hat, von der Arbeitgeberin kein angemessenes Zeugnis mehr zu erhalten. Der Arbeitnehmer weist zutreffend darauf hin, dass das Zeugnis, zumal nach einer 14-jährigen Berufstätigkeit bei der Arbeitgeberin, nicht nur den Zweck hat, erstmalig nach dem Ausscheiden bei der Arbeitgeberin eine Anschlussbeschäftigung zu finden. Vielmehr dient das Zeugnis auch als Bewerbungsgrundlage für alle weiteren künftigen Bewerbungen und ist für die Dokumentation der Berufsbiografie des Arbeitnehmer unerlässlich.
Dieses Ergebnis steht auch nicht in Widerspruch zu der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung. Die vorliegende Fallgestaltung ist schlicht anders gelagert und nicht vergleichbar.
- In der Entscheidung des BAG vom 17.10.19728 ging es primär um eine Zahlungsklage des Arbeitgebers aus einem Darlehensvertrag. In diesem Rechtsstreit erhob der Arbeitnehmer eine Widerklage auf Schadenersatz wegen eines nicht ordnungsgemäß ausgestellten Zeugnisses, welche er mit einer Widerklage auf Zeugnisberichtigung verband. Nur wegen dieser Verknüpfung zwischen Schadenersatz- und Berichtigungsklage erkannte das BAG, dass der Berichtigungsanspruch früher hätte geltend gemacht werden müssen, wenn der Arbeitnehmer beabsichtigt, wegen einer Fehlerhaftigkeit des Zeugnisses den Arbeitgeber auf Schadenersatz in Anspruch zu nehmen. Man soll also nicht den Arbeitgeber mit einer Schadensersatzklage „überraschen“ können, wenn man vorher das erteilte Zeugnis nicht moniert hat. Das ist mit dem vorliegenden Rechtsstreit nicht vergleichbar.
- Das LAG Düsseldorf5 sah in einem elfmonatigen Zuwarten lediglich das Zeitmoment als erfüllt an. Das Umstandsmoment entnahm es daraus, dass der dortige Arbeitnehmer eine sprachlich unmögliche Beurteilung verlangte. Das in dieser Entscheidung herangezogene Umstandsmoment ist mit etwaigen Umstandsmomenten des vorliegenden Falles nicht vergleichbar.
- Das Hessische LAG hat in seiner Entscheidung vom 31.03.19999 das Umstandsmoment daraus entnommen, dass der Arbeitnehmer, obwohl ihm auf seine Beanstandung ein geändertes Zeugnis mit überdurchschnittlicher Beurteilung zugeleitet wurde, über fünf Monate zugewartet hat. Vorliegend wurde dem Arbeitnehmer aber zu keinem Zeitpunkt ein überdurchschnittliches Zeugnis erteilt, sondern nur ein ungenügendes.
- In dem Fall, der der Entscheidung des LAG Hamm vom 03.07.200210 zugrunde lag, hat der Arbeitnehmer erstmalig nach 15 Monaten das ihm erteilte unterdurchschnittliche Zeugnis beanstandet. Dies unterscheidet sich vom vorliegenden Fall insoweit, als der Arbeitnehmer zeitnah nach der Erteilung das Zeugnis zweimal beanstandete.
- Der Fall des LAG Köln vom 08.02.200011 hat zwar leichte Parallelen zum vorliegenden Fall, weil auch dort der Arbeitnehmer nach einer Beanstandung des Zeugnisses für zwölf Monate untätig geblieben ist. Der Unterschied liegt aber darin, dass im Fall des LAG Köln der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber eine Frist gesetzt hat mit Androhung einer Klage. Im vorliegenden Rechtsstreit setzte der Arbeitnehmer dagegen kein Zeitfenster, in welchem er gegen die Arbeitgeberin vorzugehen beabsichtigte.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 31. Mai 2023 – 4 Sa 54/22
- BAG 27.04.2021 – 9 AZR 262/20[↩]
- BAG 17.08.2021 – 1 AZR 175/20[↩]
- LAG Hamm 3.07.2002 – 3 Sa 248/02[↩][↩]
- BAG 17.10.1972 – 1 AZR 86/72; Hessisches LAG 31.03.1999 – 2 Sa 570/96[↩]
- LAG Düsseldorf 11.11.1994 – 17 Sa 1158/94[↩][↩]
- LAG Köln 8.02.2000 – 13 Sa 1050/99[↩]
- LAG Baden-Württemberg 02.01.2020 – 3 Sa 50/19[↩]
- BAG 17.10.1972 – 1 AZR 86/72[↩]
- Hess. LAG 31.03.1999 – 2 Sa 570/96[↩]
- LAG Hamm 03.07.2002 – 3 Sa 248/02[↩]
- LAG Köln 08.02.2000 – 13 Sa 1050/99[↩]
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