Die Bestimmung in einer Vorruhestandsvereinbarung, wonach die Ansprüche aus der Vereinbarung „mit Beginn des Monats, für den der Arbeitnehmer eine gesetzliche Rente wegen Alters, Schwerbehinderung oder Erwerbsminderung beanspruchen kann; das ist nach Rechtslage zur Zeit des Abschlusses dieses Vertrages am 01.01.2011“ erlöschen, kann nicht dahin gehend verstanden werden, dass der Anspruch zwar grundsätzlich endet, wenn der Arbeitnehmer eine Rente beziehen kann, spätestens aber am 31.12 2010.

Vielmehr sollte der Leistungsanspruch nach dem klaren Wortlaut der Klausel nur auflösend bedingt sein für den Fall, dass der Arbeitnehmer eine gesetzliche Rente wegen Alters, Schwerbehinderung oder Erwerbsminderung beanspruchen kann. Der zweite Halbsatz enthält keine eigenständige auflösende Bedingung, sondern nur eine Wissenserklärung. Anderenfalls hätte die Regelung dahin lauten müssen, dass die Ansprüche aus der Vorruhestandsvereinbarung erlöschen mit Beginn des Monats, für den der Arbeitnehmer eine gesetzliche Rente wegen Alters, Schwerbehinderung oder Erwerbsminderung beanspruchen kann, spätestens aber am 1.01.2011. Klauseln mit einem festen Enddatum hat die Arbeitgeberin ausweislich der von ihr selbst vorgelegten Vorruhestandsvereinbarungen mit ihrer Mitarbeiterin G und ihrem Mitarbeiter M in anderen Fällen verwandt. Demgegenüber fehlt in Ziff. 4.1 der Vorruhestandsvereinbarung der Parteien ein festes Enddatum. Dementsprechend sieht Ziff. 2.1 die Zahlung des Vorruhestandsgelds „bis zum gesetzlichen Rentenbeginn“ vor.
Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung des Vorruhestandsgelds ist nicht untergegangen, weil dieser im hier entschiedenen Fall seinen Wohnsitz nach Bolivien verlegt hatte und deshalb ab dem 1.01.2011 keine Altersrente wegen Schwerbehinderung beziehen konnte. Dabei kann zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt werden, dass der Arbeitnehmer entgegen seinen Behauptungen aufgrund seines körperlichen Zustands über dem 31.12 2010 hinaus die Voraussetzungen für die Anerkennung als schwerbehinderter Mensch erfüllte.
Ein Erlöschen des Anspruchs des Arbeitnehmers auf Zahlung von Vorruhestandsgeld gemäß Ziff. 4.1 der Vorruhestandsvereinbarung mit Ablauf des 31.12 2010 setzt voraus, dass der Arbeitnehmer ab dem 1.01.2011 eine „gesetzliche Rente wegen des Alters, Schwerbehinderung oder Erwerbsminderung“ beanspruchen konnte. Dies war nicht der Fall. Insbesondere bestand kein Anspruch auf vorzeitige Altersrente für schwerbehinderte Menschen gemäß § 236a Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 SGB VI. Zwar vollendete der am 12.12 1950 geborene Arbeitnehmer im Dezember 2010 sein 60. Lebensjahr. Weitere Voraussetzung war nach § 236a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI aber die Anerkennung als schwerbehinderter Mensch iSv. § 2 Abs. 2 SGB IX zum Zeitpunkt des möglichen Rentenbeginns. Schwerbehindert sind jedoch ausweislich des eindeutigen Wortlauts der Norm nur solche Personen, die ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz iSd. § 73 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich des SGB IX haben. Hieran fehlt es, weil der Arbeitnehmer seit Ende 2004 in Bolivien lebt.
Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts, wonach der Anspruch auf Vorruhestandsgeld grundsätzlich nur bei tatsächlichem Bestehen eines Rentenanspruchs erlischt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt auch dann, wenn zugunsten der Arbeitgeberin davon ausgegangen wird, dass ihre Rechtsvorgängerin bzw. deren Vertreter bei Abschluss der Vorruhestandsvereinbarung keine Kenntnis von dem Umzug des Arbeitnehmers nach Bolivien hatten.
Hierfür spricht zunächst der Wortlaut der Klausel. Erforderlich ist danach, dass der Arbeitnehmer eine Rente „beanspruchen kann“ und nicht, dass er nach einer Rückkehr nach Deutschland eine derartige Rente „beanspruchen könnte“.
Sinn und Zweck der Vereinbarung stützen dieses Verständnis. Der Bezug von Vorruhestandsgeld dient typischerweise dazu, Versorgungslücken zu überbrücken, die dadurch entstehen, dass der Anspruchsberechtigte seine Erwerbstätigkeit bei seinem Arbeitgeber vorzeitig beendet. Der Arbeitnehmer soll regelmäßig wirtschaftlich so lange abgesichert werden, bis er das Alter erreicht, in dem Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung gewährt werden1. Eine Abweichung von diesem typischen Regelungszweck ist vorliegend nicht erkennbar. Der Arbeitnehmer sollte danach als wirtschaftliche Absicherung „bis zum gesetzlichen Rentenbeginn“ (Ziff. 2.1 Satz 1 der Vorruhestandsvereinbarung) zumindest die vereinbarten 4.800, 00 Euro brutto zum Bestreiten des Lebensunterhalts beziehen, wobei anderweitig erhaltene Arbeitsvergütung sowie Sozialleistungen angerechnet werden sollten (Ziff. 5.1 Satz 3). Eine wirtschaftliche Absicherung besteht jedoch nur bei einer tatsächlichen und nicht schon bei einer theoretischen Rentenbezugsberechtigung.
In systematischer Hinsicht verstärkt sich dieser Befund durch die unter Ziff. 5 der Vorruhestandsvereinbarung geregelten „Mitwirkungspflichten“ des Arbeitnehmers. Nach Ziff. 5.3 obliegt es dem Arbeitnehmer ua., „zum frühestmöglichen Zeitpunkt (auch bei Abschlägen), auch während der Laufzeit dieser Vereinbarung, [einen Antrag auf Altersrente] zu stellen“. Auch in Ziff. 4.1 Satz 2 der Vereinbarung wird die Obliegenheit zur Antragstellung genannt. Eine Pflicht bzw. Obliegenheit zum Wohnsitzwechsel, um die Voraussetzungen eines Rentenbezugs erst herbeizuführen, ist nicht vereinbart.
Eine ergänzende Vertragsauslegung dahin gehend, dass den Arbeitnehmer eine derartige, nicht ausdrücklich genannte Mitwirkungspflicht treffen sollte, kommt entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin nicht in Betracht.
Eine solche Auslegung setzt eine planwidrige Unvollständigkeit der vertraglichen Regelung voraus. Liegt sie vor, tritt im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung an die Stelle der lückenhaften Vertragsbestimmung diejenige Gestaltung, die die Parteien bei einer angemessenen Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn ihnen die Lückenhaftigkeit des Vertrags bekannt gewesen wäre. Zunächst ist hierfür an den Vertrag selbst anzuknüpfen. Die in ihm enthaltenen Regelungen und Wertungen, sein Sinn und Zweck sind Ausgangspunkt der Vertragsergänzung. Soweit irgend möglich, sind danach Lücken im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung in der Weise auszufüllen, dass die Grundzüge des konkreten Vertrags „zu Ende gedacht“ werden2.
Wusste die Personalleiterin der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin entsprechend der Annahme des Landesarbeitsgerichts beim Abschluss der Vorruhestandsvereinbarung, dass der Arbeitnehmer dauerhaft nach Bolivien auswandern wollte, liegt mangels eines nicht bedachten, unvorhergesehenen Umstands keine planwidrige Lücke vor. Unerheblich ist, ob der Personalleiterin unbekannt war, dass die Auswanderung des Arbeitnehmers zeitlich zu einer Verschiebung des Renteneintrittsalters führt. Denn insoweit handelte es sich um einen unbeachtlichen Irrtum über die rechtlichen Folgen eines zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bekannten Umstands3.
Hatte die Personalleiterin der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin beim Abschluss der Vorruhestandsvereinbarung keine Kenntnis von der Absicht des Arbeitnehmers, nach Bolivien auszuwandern, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Der mit der Vorruhestandsvereinbarung verfolgte Zweck, den Arbeitnehmer bis zum Bezug einer Rente wirtschaftlich abzusichern, als Ausgangspunkt einer Vertragsergänzung spricht für eine Belastung der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin mit dem Risiko einer Verlängerung ihrer Zahlungspflicht über den 31.12 2010 hinaus.
Der Anspruch auf Vorruhestandsgeld ist auch nicht aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage entfallen. § 313 Abs. 1 BGB kann – unabhängig vom Vorliegen einer entsprechenden rechtsgestaltenden Erklärung der Arbeitgeberin iSd. § 313 Abs. 3 BGB – bereits aufgrund der beschriebenen vertraglichen Risikozuweisung nicht zur Anwendung gelangen. Enthält ein Vertrag nach seinem Inhalt Regeln für Fehlen, Wegfall oder Änderung bestimmter Umstände, scheidet eine Anpassung gemäß § 313 Abs. 1 BGB aus4. Dies ist hier der Fall.
Ein treuwidriges Verhalten des Arbeitnehmers verneint das Bundesarbeitsgericht: Weder der Wegzug aus Deutschland im Jahr 2004 noch die unterbliebene Rückkehr Ende 2010 stellen ein treuwidriges Verhalten des Arbeitnehmers iSv. § 162 Abs. 1 oder § 242 BGB dar.
Die Regelung in § 162 Abs. 1 BGB ist Ausdruck des allgemeinen Rechtsgedankens, dass niemand aus einem von ihm treuwidrig herbeigeführten Ereignis Vorteile herleiten darf5. Nach § 162 Abs. 1 BGB gilt eine Bedingung als eingetreten, wenn ihr Eintritt von der Partei, zu deren Nachteil sie gereichen würde, wider Treu und Glauben verhindert wird. Wann die Beeinflussung des Geschehensablaufs treuwidrig ist, lässt sich nicht abstrakt bestimmen, sondern nur im Einzelfall beurteilen. Maßgeblich ist, welches Verhalten von einem loyalen Vertragspartner erwartet werden konnte. Dies ist mittels einer umfassenden Würdigung des Verhaltens der den Bedingungseintritt beeinflussenden Vertragspartei nach Anlass, Zweck und Beweggrund unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Inhalts des Rechtsgeschäfts, festzustellen6. Ein Verschulden im technischen Sinn ist zwar keine Voraussetzung für eine Treuwidrigkeit, jedoch bei der Gesamtabwägung zu bewerten7. Maßgebend zu berücksichtigen sind weiter die vertragliche Risikozuordnung sowie die Grundrechte als Ausdruck der objektiven Werteordnung8.
Überträgt man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall, so kann eine Treuwidrigkeit des Arbeitnehmers nicht angenommen werden.
Eine solche scheidet von vornherein aus, wenn die Personalleiterin der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin beim Abschluss der Vorruhestandsvereinbarung von der Absicht des Arbeitnehmers, nach Bolivien auszuwandern, Kenntnis hatte. In diesem Fall hätte der Arbeitnehmer in der Ausdrucksweise des Landesarbeitsgerichts „mit offenen Karten“ gespielt.
Wird zugunsten der Arbeitgeberin davon ausgegangen, dass die Absicht des Arbeitnehmers, nach Bolivien auszuwandern, der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Vorruhestandsvereinbarung nicht bekannt war, fehlen Anhaltspunkte, dass der Arbeitnehmer Ende 2004 nach Bolivien zog, um den Erwerb von Rentenansprüchen und damit das Erlöschen des Anspruchs auf Vorruhestandsgeld mit Ablauf des 31.12 2010 zu verhindern. Schon wegen der großen zeitlichen Differenz ist eine derartige Annahme fernliegend. Bei Anknüpfung an die unterbliebene Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland Ende 2010 gilt dasselbe. Es ist nicht ersichtlich, dass der Arbeitnehmer eine bereits geplante Rückkehr nur deshalb unterließ, weil er sich seinen Anspruch auf Vorruhestandsgeld erhalten und die Zahlungspflicht der Arbeitgeberin verlängern wollte. Die Beweggründe des Arbeitnehmers, die zu seiner Auswanderung bzw. der unterbliebenen Rückkehr geführt haben, können nach alledem rechtlich nicht missbilligt werden.
Es stand dem Arbeitnehmer frei, seinen Wohnsitz nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses nach Bolivien zu verlegen. Insoweit gehört die Ausreisefreiheit zwar nicht zu der durch Art. 11 Abs. 1 GG geschützten innerdeutschen Freizügigkeit, sie ist aber doch als Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet und damit eine grundrechtlich geschützte Position, worauf das Bundesverfassungsgericht bereits in der Elfes, Entscheidung hingewiesen hat9. Da die Parteien eine entsprechende vertragliche Vereinbarung nicht getroffen haben, kann dahinstehen, ob vor diesem Hintergrund ein Verbot des Umzugs nach Bolivien überhaupt rechtswirksam hätte vereinbart werden können.
Die Ansprüche sind auch nicht analog § 254 BGB zu kürzen bzw. gemäß § 241 Abs. 2 BGB iVm. § 280 Abs. 1 BGB einredebehaftet.
Eine analoge Anwendung von § 254 BGB kommt in Ermangelung einer planwidrigen Regelungslücke nicht in Betracht. Dies käme einer gesetzlichen Korrektur der vertraglich vereinbarten Risikozuweisung gleich. Diese soll aber nach dem Willen des Gesetzes grundsätzlich unangetastet bleiben (vgl. § 313 Abs. 1 BGB).
Schadensersatzansprüche nach § 280 Abs. 1 BGB (ggf. iVm. § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB) scheiden schon mangels Pflichtverletzung aus. Der Arbeitnehmer war nicht verpflichtet, nach dem Abschluss der Vorruhestandsvereinbarung in Deutschland zu bleiben oder nach mehreren Jahren seinen Lebensmittelpunkt in Bolivien aufzugeben und Ende 2010 nach Deutschland zurückzukehren.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. September 2014 – 9 AZR 827/12
- vgl. BAG 15.02.2011 – 9 AZR 750/09, Rn. 34, BAGE 137, 136[↩]
- BAG 15.10.2013 – 9 AZR 2/13, Rn. 43 mwN[↩]
- vgl. zur Unbeachtlichkeit eines Rechtsfolgenirrtums im Rahmen der Anfechtung auch: BAG 14.02.1996 – 2 AZR 234/95, zu II 1 der Gründe[↩]
- vgl. BAG 28.09.2006 – 8 AZR 568/05, Rn. 22 mwN[↩]
- BAG 12.12 2007 – 10 AZR 97/07, Rn. 40, BAGE 125, 147[↩]
- BGH 16.09.2005 – V ZR 244/04, zu II 1 der Gründe[↩]
- Staudinger/Bork (2010) § 162 Rn. 10[↩]
- BeckOK BGB/Sutschet Stand 1.08.2014 § 242 Rn.19, 22 ff.[↩]
- BVerfG 16.01.1957 – 1 BvR 253/56, zu II 3 der Gründe, BVerfGE 6, 32[↩]