Auflösungsantrag – und der bewusst flsche Tatsachenvortrag im Kündigungsschutzverfahren

Bewusst falscher Tatsachenvortrag ist in Bezug auf die vom Arbeitgeber angeführten Kündigungsgründe nicht ungeeignet, einen Auflösungsgrund zu bilden, oder doch stets milder zu beurteilen als vorsätzlich unwahre Tatsachenbehauptungen in Bezug auf die Person des Arbeitgebers, eines Vorgesetzten oder eines Arbeitskollegen, die den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen.

Auflösungsantrag – und der bewusst flsche Tatsachenvortrag im Kündigungsschutzverfahren

Bewusst wahrheitswidriger Prozessvortrag eines Arbeitnehmers in einem Kündigungsrechtsstreit, den dieser hält, weil er befürchtet, mit wahrheitsgemäßen Angaben den Prozess zu verlieren, sind gleichermaßen geeignet, eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Einordnung an; ein Arbeitnehmer, der bewusst falsch vorträgt, um sich einen Vorteil im Rechtsstreit mit seinem Arbeitgeber zu verschaffen, verletzt – ungeachtet der strafrechtlichen Relevanz seines Handelns – in erheblicher Weise seine nach § 241 Abs. 2 BGB auch im gekündigten Arbeitsverhältnis bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers1.

Dabei spielt es keine Rolle, ob der wahrheitswidrige Vortrag letztlich für das Gericht entscheidungserheblich ist. Ausreichend ist, dass er es hätte sein können. Selbst der „untaugliche Versuch“ eines „Prozessbetrugs“ kann das Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers irreparabel zerstören. Keinesfalls mindert es den Unrechtsgehalt von bewusst falschem Vorbringen zu einem Kündigungsgrund, wenn seine Unhaltbarkeit für den Arbeitgeber und das Gericht nicht offensichtlich ist. Die entsprechende Annahme des Landesarbeitsgerichts mutet regelrecht absurd an. Damit würde – worauf die Revision zu Recht hinweist – eine gute Lüge, deren Unwahrheit sich dem/den Belogenen nicht unmittelbar erschließt, privilegiert. Dafür, ob die Unrichtigkeit des Tatsachenvortrags erkennbar ist, kommt es zunächst auf den „Lügenden“ an. Dieser verdient keine Privilegierung, wenn er um die Unwahrheit einer Behauptung weiß, die dazu geeignet und bestimmt ist, seine Chancen in einem Kündigungsschutzprozess zu verbessern.

Weiterlesen:
Arbeitsrecht im September 2015

Bewusst wahrheitswidriger Prozessvortrag in Bezug auf einen Kündigungssachverhalt kann auch dann einen Auflösungsgrund bilden, wenn der Arbeitnehmer mit diesem eine Schutzbehauptung aufrechterhält, die er schon vor Ausspruch der Kündigung aufgestellt hat. Es bedarf keiner Entscheidung, wie eine spontane Lüge zu bewerten ist, mit der ein Arbeitnehmer versucht, die drohende Kündigung abzuwenden. Jedenfalls entbindet ihn ein solcher Versuch, nachdem er fehlgeschlagen ist, nicht von der ihn im Kündigungsrechtsstreit gemäß § 241 Abs. 2 BGB, § 138 Abs. 1 ZPO obliegenden Pflicht, wahrheitsgemäß vorzutragen.

Sollte das Gericht – ggf. in einer Gesamtschau mehrerer für eine Auflösung geeigneter Sachverhalte – annehmen, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei aufzulösen, wird es prüfen müssen, ob die ordentliche Kündigung allein aufgrund ihrer Sozialwidrigkeit unwirksam war2. Dabei ist von der Unwirksamkeit einer Kündigung wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats der Fall zu unterscheiden, dass „nur“ bestimmte Kündigungsgründe mangels diesbezüglicher Beteiligung des Gremiums im Rechtsstreit nicht berücksichtigt werden können. Überdies betrifft diese Beschränkung des „Nachschiebens“ von Kündigungsgründen nicht den Vortrag von Auflösungsgründen im Prozess3.

Bei der Bemessung einer etwaig nach den Vorgaben von § 10 KSchG festzusetzenden Abfindung wird das Gericht unter anderem zu berücksichtigen haben, dass den Arbeitnehmer, der im Rechtsstreit bewusst wahrheitswidrig vorgetragen hat, ein ganz erhebliches „Auflösungsverschulden“ trifft. Dieses ist ggf. abfindungsmindernd zu berücksichtigen4.

Weiterlesen:
Betriebsbedingte Kündigung - und die Darlegungslast des Arbeitgebers

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. Mai 2018 – 2 AZR 73/18

  1. zu einer außerordentlichen Kündigung BAG 23.10.2014 – 2 AZR 644/13, Rn. 16, BAGE 149, 367[]
  2. zu dieser Anforderung BAG 22.09.2016 – 2 AZR 700/15, Rn. 34[]
  3. BAG 10.10.2002 – 2 AZR 240/01, zu B III 1 der Gründe, BAGE 103, 100[]
  4. vgl. BAG 25.11.1982 – 2 AZR 21/81, zu B I 3 der Gründe; 15.02.1973 – 2 AZR 16/72, zu II 3 der Gründe, BAGE 25, 43[]