Aufrechnung mit einer Lohnforderungen – und die tarifliche Ausschlussfrist

Hat der Arbeitgeber für den nicht gezahlten Monatslohn eine Lohnabrechnung in Textform erteilt und zugeleitet, bedarf es einer – weiteren – Geltendmachung auf der ersten Stufe einer zweistufigen Ausschlussfristenregelung selbst dann nicht, wenn der Arbeitgeber die Forderung später bestreitet1.

Aufrechnung mit einer Lohnforderungen – und die tarifliche Ausschlussfrist

Allerdings hindert eine Lohnabrechnung, jedenfalls sofern sie abweichend von § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO nicht bei Zahlung des Arbeitsentgelts2, sondern schon zuvor erteilt wird, den Arbeitgeber nicht, Gegenansprüche zu erheben oder aus anderen Gründen die Zahlung zu verweigern3. Ob die Erteilung einer Lohnabrechnung durch den Arbeitgeber den Arbeitnehmer in solchen Fällen – wie das Thüringer Landesarbeitsgericht angenommen hat4 – stets auch von dem Erfordernis entbindet, zur Vermeidung des Verfalls des Anspruchs die zweite Stufe einer zweistufigen Ausschlussfristenregelung einhalten zu müssen, konnte das Bundesarbeitsgericht im hier entschiedenen Fall als nicht entscheidungserheblich dahingestellt bleiben. Denn unabhängig davon lagen im hier entschiedenen Streitfall schon die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 49 Nr. 2 Satz 1 des hier einschlägigen, für allgemeinverbindlich erklärte Rahmentarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk vom 30.03.1992 idF vom 21.10.2011 (RTV) nicht vor. Die Tarifnorm knüpft auf der zweiten Stufe der Ausschlussfrist die Notwendigkeit einer fristgebundenen gerichtlichen Geltendmachung daran, dass die Gegenpartei den Anspruch schriftlich ablehnt oder sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs schriftlich erklärt.

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Der Arbeitgeber hat im hier entschiedenen Fall zu dem vom Arbeitnehmer erhobenen Anspruch auf den Lohn für Mai 2019 nicht geschwiegen, sondern sich geäußert, indem er mit Schreiben vom 20.06.2019 gegen den „Nettolohnauszahlungsanspruch in Höhe von 1.018, 82 EUR“ die Aufrechnung erklärte. Ob die Aufrechnung, wie es im Tatbestand des Berufungsurteils heißt, „im Nachgang“ zur Erteilung der Lohnabrechnung erfolgte oder – nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien in der Revisionsinstanz – beides zeitgleich, ist dabei rechtlich ohne Belang.

Mit seiner Aufrechnung hat der Arbeitgeber – gemessen an dem Zweck tariflicher Ausschlussfristen – den Lohnanspruch des Arbeitnehmers auch nicht abgelehnt iSd. § 49 Nr. 2 Satz 1 RTV. Durch die Verpflichtung zur zeitnahen gerichtlichen Geltendmachung soll alsbaldige Klarheit über das Bestehen oder Nichtbestehen eines nach Grund oder Höhe streitigen Anspruchs geschaffen werden5. Die Aufrechnung hingegen setzt nach § 387 BGB voraus, dass zwei Personen einander ihrem Gegenstand nach gleichartige Leistungen schulden, sie ist ein Erfüllungssurrogat6. Mit der Aufrechnung hat der Arbeitgeber den Lohnanspruch des Arbeitnehmers folglich nicht geleugnet, sondern sich lediglich berühmt, diesen gemäß § 389 BGB zum Erlöschen gebracht zu haben. Damit hat er aber zugleich – und zusätzlich zur Erteilung der Lohnabrechnung – nochmals bekräftigt, dass der Lohnanspruch des Arbeitnehmers für Mai 2019 in der von ihm abgerechneten Höhe entstanden ist. Einer alsbaldigen gerichtlichen Klärung der nach Grund und Höhe unstreitigen Lohnforderung bedarf es in einem Fall wie diesem nicht. Allenfalls könnte es darum gehen, eine zeitnahe gerichtliche Klärung der vom Arbeitnehmer bestrittenen Schadenersatzforderung des Arbeitgebers herbeizuführen. Wäre ihm daran gelegen gewesen, hätte der Arbeitgeber eine solche Klärung etwa im Wege einer negativen Feststellungsklage bezüglich der Lohnforderung des Arbeitnehmers7 oder mit einer Leistungsklage auf Schadenersatz selbst herbeiführen können. Anderenfalls musste er damit rechnen, dass der Arbeitnehmer bis zur Grenze der Verjährung seinen Lohnanspruch einklagen und die Berechtigung der Aufrechnungsforderung im Prozess streitig stellen würde.

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 3. Mai 2023 – 5 AZR 268/22

  1. BAG 18.11.2020 – 5 AZR 57/20, Rn. 30; 28.07.2010 – 5 AZR 521/09, Rn. 18 mwN, BAGE 135, 197; ganz hM, sh. nur ErfK/Preis 23. Aufl. BGB §§ 194-218 Rn. 60; HWK/Lembke 10. Aufl. § 108 GewO Rn. 8; BeckOGK/Maschmann Stand 1.03.2023 GewO § 108 Rn. 23; MHdB ArbR/Krause 5. Aufl. Bd. 1 § 71 Rn. 49; Schaub ArbR-HdB/Linck 19. Aufl. § 71 Rn. 17; Wiedemann/Wank TVG 8. Aufl. § 4 Rn. 929; Löwisch/Rieble TVG 4. Aufl. § 1 Rn.2015; Däubler/Zwanziger/Yalcin TVG 5. Aufl. § 4 Rn. 1074; JKOS/Jacobs Tarifvertragsrecht 2. Aufl. § 7 Rn. 170[]
  2. vgl. dazu BAG 25.01.2023 – 10 AZR 109/22, Rn. 41 mwN[]
  3. BAG 18.11.2020 – 5 AZR 57/20, Rn. 30[]
  4. Thür. LAG 07.06.2022 – 1 Sa 57/21[]
  5. BAG 24.08.2016 – 5 AZR 853/15, Rn. 38; 16.04.2013 – 9 AZR 731/11, Rn. 27, BAGE 145, 8, st. Rspr.[]
  6. BAG 1.02.2006 – 5 AZR 395/05, Rn. 27; BGH 24.09.2015 – IX ZR 55/15, Rn.20; allgA, vgl. nur MünchKomm-BGB/Schlüter 9. Aufl. BGB § 387 Rn. 1; Grüneberg/Grüneberg BGB 82. Aufl. § 387 Rn. 1, jeweils mwN[]
  7. vgl. BAG 10.10.2002 – 8 AZR 8/02, zu II 2 e bb (3) der Gründe, BAGE 103, 71[]