Fußballvereine dürfen für von ihnen ausgebildete Nachwuchsspieler eine Ausbildungsentschädigung fordern, wenn diese Spieler ihren ersten Profivertrag mit einem Verein eines anderen Mitgliedstaats schließen möchten. Die Höhe dieser Entschädigung ist unter Berücksichtigung der Kosten zu ermitteln, die den Vereinen für die Ausbildung sowohl der zukünftigen Berufsspieler als auch derjenigen, die nie Berufsspieler werden, entstanden sind. Ein höherer Schadensersatz ist unzulässig.

Dies entschied heute der Gerichtshof der Europäischen Union für den Fall des Nachwuchsfußballers Olivier Bernard von Olympique Lyonnais, der für seinen ersten Profi-Vertrag zu Newcastle United wechselte.
[content_table tag=“h3″]Der französische Ausgangsfall[↑]
Die Berufsfußball-Charta des Französischen Fußballverbands enthält die in Frankreich für die Beschäftigung von Fußballspielern geltenden Regeln. „Espoir“-Spieler sind nach der Charta Fußballspieler im Alter von 16 bis 22 Jahren, die im Rahmen eines befristeten Vertrags als Auszubildende bei einem professionellen Verein beschäftigt sind. Die Charta verpflichtet den „Espoir“-Spieler, wenn der Verein, der ihn ausgebildet hat, dies verlangt, nach Abschluss seiner Ausbildung seinen ersten Vertrag als Berufsspieler mit diesem Verein abzuschließen.
Olivier Bernard schloss 1997 mit Olympique Lyonnais einen Vertrag als „Espoir“-Spieler für drei Spielzeiten. Vor Ende der Laufzeit dieses Vertrags schlug ihm Olympique Lyonnais den Abschluss eines Vertrags als Berufsspieler mit einer Laufzeit von einem Jahr vor. Herr Bernard verweigerte den Abschluss dieses Vertrags und schloss einen Vertrag als Berufsspieler mit dem Newcastle UFC, einem englischen Fußballclub.
Olympique Lyonnais erhob daraufhin Klage gegen Herrn Bernard und den Newcastle UFC auf Zahlung von 53 357,16 Euro Schadensersatz, was dem Entgelt entsprach, das dieser Spieler während eines Jahres erhalten hätte, wenn er den von diesem Verein vorgeschlagenen Vertrag geschlossen hätte.
Die Berufsfußball-Charta des Französischen Fußballverbandes enthielt zu diesem Zeitpunkt keine Regelung über eine Entschädigung des ausbildenden Vereins für den Fall, dass ein Spieler am Ende der Ausbildung den Abschluss eines Vertrags als Berufsspieler mit diesem Verein verweigerte. In solchen Fällen hatte der ausbildende Verein jedoch die Möglichkeit, gegen den „Espoir“-Spieler auf der Grundlage des französischen Arbeitsgesetzbuchs Klage wegen Verletzung der aus der Charta folgenden vertraglichen Verpflichtungen zu erheben, um die Verurteilung dieses Spielers zur Leistung von Schadensersatz an den Verein zu erreichen.
Die in letzter Instanz entscheidende Cour de cassation fragt nun den Gerichtshof der Europäischen Union im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens, ob der Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit ausbildenden Vereinen gestattet, ihre „Espoir“-Spieler insoweit daran zu hindern oder davon abzuhalten, einen Vertrag als Berufsspieler mit einem Verein eines anderen Mitgliedstaats abzuschließen, als der Abschluss eines solchen Vertrags zu einer Verurteilung zur Schadensersatzleistung führen kann.
Im Wege eines solchen Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es bleibt Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
Profifußballer und die Arbeitnehmerfreizügigkeit[↑]
Der Gerichtshof der Europäischen Union weist zunächst darauf hin, dass die unselbständige Tätigkeit von Herrn Bernard zum Wirtschaftsleben gehört und daher unter das Unionsrecht fällt. Ferner kommt der Charta der Charakter eines Tarifvertrags zu, der der Regelung unselbständiger Arbeit dient, so dass die Charta insoweit ebenfalls unter das Unionsrecht fällt.
Sodann stellt der Gerichtshof der Europäischen Union fest, dass die untersuchte Regelung, wonach ein „Espoir“-Spieler nach Abschluss seiner Ausbildungszeit verpflichtet ist, seinen ersten Vertrag als Berufsspieler bei Meidung von Schadensersatz mit dem Verein abzuschließen, der ihn ausgebildet hat, diesen Spieler davon abhalten kann, von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen. Daher stellt eine solche Regelung eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit dar.
Spielerausbildung als legitimer Zweck einer Freizügigkeitsbeschränkung[↑]
Wie jedoch der Gerichtshof bereits in seinem Urteil Bosman1 entschieden hat, ist angesichts der beträchtlichen sozialen Bedeutung, die dem Sport und insbesondere dem Fußball in der Union zukommt, der Zweck, die Anwerbung und die Ausbildung junger Spieler zu fördern, als legitim anzuerkennen.
Bei der Prüfung, ob eine das Recht auf Freizügigkeit dieser Spieler beschränkende Regelung geeignet ist, die Verwirklichung dieses Zwecks zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zu seiner Erreichung erforderlich ist, sind die Besonderheiten des Sports im Allgemeinen und des Fußballs im Besonderen sowie ihre soziale und erzieherische Funktion zu berücksichtigen.
Ausbildungsentschädigung als Anreiz zur Talentsuche[↑]
Nach Ansicht des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aussicht auf die Erlangung von Ausbildungsentschädigungen geeignet, die Fußballvereine zu ermutigen, nach Talenten zu suchen und für die Ausbildung junger Spieler zu sorgen. Dazu weist der Gerichtshof darauf hin, dass eine Regelung, die eine Ausbildungsentschädigung für den Fall vorsieht, dass ein Nachwuchsspieler nach Abschluss seiner Ausbildung einen Vertrag als Berufsspieler mit einem anderen Verein als dem abschließt, der ihn ausgebildet hat, grundsätzlich durch den Zweck gerechtfertigt werden kann, die Anwerbung und die Ausbildung von Nachwuchsspielern zu fördern. Eine solche Regelung muss jedoch für das Erreichen dieses Zwecks tatsächlich geeignet und verhältnismäßig im Hinblick auf diesen Zweck sein, wobei die Kosten zu berücksichtigen sind, die den Vereinen durch die Ausbildung sowohl der künftigen Berufsspieler als auch derjenigen, die nie Berufsspieler werden, entstehen.
Daraus folgt, dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer einer Regelung nicht entgegensteht, die für den Fall, dass ein Nachwuchsspieler nach Abschluss seiner Ausbildung einen Vertrag als Berufsspieler mit einem Verein eines anderen Mitgliedstaats abschließt, zum Zweck der Förderung der Anwerbung und der Ausbildung von Nachwuchsspielern die Entschädigung des ausbildenden Vereins gewährleistet, sofern diese Regelung geeignet ist, die Verwirklichung dieses Zwecks zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zu seiner Erreichung erforderlich ist.
Kein Schadensersatz auf entgangenen Gewinn[↑]
Die im Ausgangsverfahren fragliche französische Regelung war nicht durch die Zahlung einer Ausbildungsentschädigung, sondern durch eine Verpflichtung zur Schadensersatzleistung gekennzeichnet, der sich der betreffende Spieler wegen Verletzung seiner vertraglichen Verpflichtungen aussetzte und deren Höhe von den tatsächlichen Ausbildungskosten, die diesem Verein entstanden waren, unabhängig war. Dieser Schadensersatz wurde nämlich nicht anhand der diesem Verein entstandenen Ausbildungskosten, sondern anhand des gesamten diesem Verein entstandenen Schadens berechnet. Der Gerichtshof stellt daher fest, dass die französische Regelung über das hinausging, was zur Förderung der Anwerbung und der Ausbildung junger Spieler und zur Finanzierung dieser Tätigkeiten erforderlich war.
Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 16. März 2010 – C-325/08 (Olympique Lyonnais SASP / Olivier Bernard und Newcastle UFC)
- EuGH, Urteil vom 15.12.1995 – C-415/93, Bosman[↩]