Die Beantwortung einer die Auslegung einer Tarifnorm betreffenden Rechtsfrage hat nicht schon deshalb grundsätzliche Bedeutung iSd. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG, weil eine rechtskräftige Entscheidung im Ausgangsverfahren die Bindungswirkung nach § 9 TVG auslöst.

Nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt werden, dass eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat. Die Beschwerde ist begründet, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von der aufgeworfenen Rechtsfrage abhängt, diese Rechtsfrage durch das Revisionsgericht klärungsfähig und klärungsbedürftig ist und diese Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder jedenfalls eines größeren Teils der Allgemeinheit eng berührt1. Der Beschwerdeführer hat die nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG von ihm zu benennende entscheidungserhebliche Rechtsfrage regelmäßig so konkret zu formulieren, dass sie mit „Ja“ oder mit „Nein“ beantwortet werden kann2.
Eine Rechtsfrage ist klärungsbedürftig, wenn sie höchstrichterlich noch nicht entschieden und ihre Beantwortung nicht offenkundig ist3.
Der Beklagte hat nicht konkret aufgezeigt, welche Umstände im Einzelnen gegen das – nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts zweifelsfreie – Verständnis der umstrittenen tariflichen Regelung in § 4 Ziff. 3 Buchst. d MTV 2011 sprechen.
Der Beklagte hat ferner nicht dargelegt, dass die Beantwortung der Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt.
Die Beschwerde hat weder aufgezeigt, dass sich die Rechtsfrage der Addition der Zuschläge nach § 4 Ziff. 1 und Ziff. 2 MTV 2011 in den Mitgliedsbetrieben in nennenswertem Umfang stellt und künftig stellen wird, noch hat sie ein abstraktes Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts begründet. Die pauschale Behauptung des Beklagten, die Auslegung der Tarifvorschrift habe „branchenspezifische Relevanz für die Mitgliedsunternehmen“ und es sei „die Mehrheit der Handwerksbetriebe“ betroffen, vermag nicht zu rechtfertigen, dass die Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung iSd. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Eine Rechtsfrage hat nicht allein deshalb grundsätzliche Bedeutung iSv. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG, weil von ihr mehr als 20 Arbeitsverhältnisse bei einem Arbeitgeber betroffen sein können4.
Die Beantwortung der Rechtsfrage berührt auch nicht schon wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts, weil eine rechtskräftige Entscheidung in diesem Rechtsstreit die Bindungswirkung nach § 9 TVG auslöst. Hiergegen spricht bereits, dass der MTV 2011 mit Wirkung zum 1.01.2014 durch einen neuen Manteltarifvertrag abgelöst wurde, auf den sich die Bindungswirkung der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nach § 9 TVG nicht erstreckt5. Soweit der Neunte Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 17.06.19976 bei einer Rechtsstreitigkeit zwischen Tarifvertragsparteien über die Auslegung eines Tarifvertrags die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iSd. § 72a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG idF vom 02.07.1979 im Hinblick auf die Bindungswirkung der rechtskräftigen Entscheidung für die Gerichte und Schiedsgerichte nach § 9 TVG bejaht hat, wird daran nicht festgehalten. Einer Anrufung des Großen Bundesarbeitsgerichts gemäß § 45 ArbGG bedarf es hierbei nicht. Die Entscheidung des Neunten Bundesarbeitsgerichts ist zu der mit Ablauf des 31.12 2004 außer Kraft getretenen Fassung von § 72a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG ergangen. Die in § 72a ArbGG aF enthaltene Beschränkung der Grundsatzbeschwerde auf besondere Rechtsstreitigkeiten über Tarifverträge, Arbeitskampfmaßnahmen und Betätigungsrechte ist mit Wirkung zum 1.01.2005 ersatzlos entfallen. Der Gesetzgeber hat den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung einheitlich für alle Rechtsfragen geregelt und damit bei Rechtsstreitigkeiten, in denen eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat, einen Gleichklang zwischen der Zulassungsrevision (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG) und der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72a Abs. 1 ArbGG) geschaffen, wie er in anderen Verfahrensordnungen bereits vorgesehen war7. Anhaltspunkte für eine Privilegierung von Verbandsstreitigkeiten enthält das Gesetz in seiner heutigen Fassung nicht.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 10. Juli 2014 – 10 AZN 307/14
- BAG 15.10.2012 – 5 AZN 1958/12, Rn. 13 mwN[↩]
- BAG 8.12 2011 – 6 AZN 1371/11, Rn. 5 mwN, BAGE 140, 76[↩]
- BAG 27.03.2012 – 3 AZN 1389/11, Rn.19 mwN[↩]
- vgl. BAG 28.06.2011 – 3 AZN 146/11, BAGE 138, 180[↩]
- vgl. nur Wiedemann/Oetker TVG 7. Aufl. § 9 Rn. 40[↩]
- 9 AZN 251/97, BAGE 86, 125[↩]
- vgl. die Begründung zu Art. 7 Nr. 3 Buchst. a des Entwurfs der Bundesregierung zum Anhörungsrügengesetz, BT-Drs. 663/04 vom 03.09.2004 S. 48[↩]