Die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung von personenbezogenen Daten zur Aufdeckung von Straftaten gem. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG setzt lediglich einen „einfachen“ Verdacht im Sinne eines Anfangsverdachts voraus, der über vage Anhaltspunkte und bloße Mutmaßungen hinausreichen muss.

Eingriffe in das Recht der Arbeitnehmer am eigenen Bild durch verdeckte Videoüberwachung sind dann zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind, die verdeckte Videoüberwachung damit das praktisch einzig verbleibende Mittel darstellt und sie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist1. Der Verdacht muss sich in Bezug auf eine konkrete strafbare Handlung oder andere schwere Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers gegen einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern richten. Er darf sich einerseits nicht auf die allgemeine Mutmaßung beschränken, es könnten Straftaten begangen werden. Er muss sich andererseits nicht notwendig nur gegen einen einzelnen, bestimmten Arbeitnehmer richten. Auch im Hinblick auf die Möglichkeit einer weiteren Einschränkung des Kreises der Verdächtigen müssen weniger einschneidende Mittel als eine verdeckte Videoüberwachung zuvor ausgeschöpft worden sein2. Diese Rechtsprechung steht mit Art. 8 Abs. 1 EMRK im Einklang3. Mit Wirkung ab dem 1.09.2009 hat der Gesetzgeber in § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG einen entsprechenden Erlaubnistatbestand „zur Aufdeckung von Straftaten“ normiert. Nach der Gesetzesbegründung soll die Regelung die Rechtsprechungsgrundsätze nicht ändern, sondern lediglich zusammenfassen4.
In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall waren vor Einrichtung der Videoüberwachung Inventurdifferenzen aufgetreten. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG ermöglicht eine Videoüberwachung auch dann, wenn nur ein Teil der Differenzen ihre Ursache in Straftaten von Arbeitnehmern gegen das Vermögen der Arbeitgeberin haben. Es gibt keinen Rechtssatz, nach dem ausschließlich dem Volumen nach „erhebliche“ Defizite einen Anhaltspunkt für strafbares Mitarbeiterverhalten bieten können. Entscheidend sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls.
Im vorliegenden Fall hat die Arbeitgeberin zu den aufgetretenen Inventurdifferenzen keinen substantiierten Vortrag gehalten. Das Gericht durfte aber nicht ohne darauf bezogenen Sachvortrag annehmen, dass sämtliche Differenzbestände durch Fehler in der elektronischen Dokumentation ihres Betriebs verursacht sein konnten. Insbesondere wenn in kurzen zeitlichen Abständen Fehlbestände aufgetreten waren, die leicht zu entfernende Teile betrafen, kann dies nach der Lebenserfahrung auf Straftaten der sich in den Lagerräumen aufhaltenden Mitarbeiter hindeuten. Ähnliches gilt für das als unstreitig festgestellte Vorbringen der Arbeitgeberin, der Aushang vom 27.02.2014 habe nicht „geholfen“. Mit dem Sinngehalt dieser Behauptung hat sich das Landesarbeitsgericht nicht auseinandergesetzt. Es ist nicht auszuschließen, dass darin der – verkürzte – Vortrag liegt, nach dem Zutrittsverbot seien weitere Differenzen aufgetreten. Bejahendenfalls machte dies Vermögensdelikte zum Nachteil der Arbeitgeberin zumindest im Sinne eines „Anfangsverdachts“ aber umso wahrscheinlicher. Ein solcher, durch konkrete Tatsachen belegter „einfacher“ Verdacht ist im Rahmen von § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG ausreichend5. Ein „dringender“ Tatverdacht, der einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit für die Begehung von Straftaten voraussetzte6, ist nach dem Gesetzeswortlaut nicht erforderlich. Diesem Verständnis entsprechen auch Sinn und Zweck der Regelung. Es geht darum, schwerwiegende Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten aufgrund vager Anhaltspunkte oder bloßer Mutmaßungen auszuschließen.
Die Arbeitgeberin hat im hier entschiedenen Fall die Fehlbestände betriebsöffentlich gemacht und durch das im Februar 2014 ausgesprochene – nach ihrem unter Beweis gestellten Vortrag ausnahmslose – Zutrittsverbot sichergestellt, dass Ersatzteile nur von den im Lager beschäftigten Mitarbeitern ausgehändigt werden. Die Videoaufzeichnung richtete sich damit nur noch gegen die beiden Lagermitarbeiter, die sich nach dem Vorbringen der Arbeitgeberin mit einer solchen Maßnahme grundsätzlich einverstanden erklärt hatten, und gegen solche Mitarbeiter, die sich möglicherweise vertragswidrig im Bereich des Lagers aufhielten. Bei diesen Personen bestand aber ein konkreter, über bloße Mutmaßungen hinausgehender Verdacht, dass sie sich unberechtigt Ersatzteile aneignen. Dies hat das Landesarbeitsgericht nicht in Betracht gezogen.
Die Videoüberwachung erweist sich nicht aus anderen Gründen als unverhältnismäßig. Nach den bisherigen Feststellungen ist nicht ersichtlich, dass andere Mittel zur Aufklärung des Verdachts und zur Eingrenzung des verdächtigen Personenkreises zur Verfügung gestanden hätten, die weniger stark in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers eingegriffen hätten und mittels derer der Zweck der Überwachung mit vergleichbarer Erfolgsaussicht hätte erreicht werden können.
Die Arbeitgeberin hat im Anschluss an den Aushang vom Februar 2014 mit ihren Lageristen Gespräche geführt, die zur Aufklärung der Ursachen für die Inventurdifferenzen nichts beitrugen. Sie hat insoweit diejenigen Arbeitnehmer angesprochen, die für die Verwaltung des Lagerbestands verantwortlich zeichneten und ggf. über den Verbleib von Ersatzteilen hätten Auskunft geben können. Gespräche mit den Werkstattmitarbeitern musste sie nicht in gleicher Weise als erfolgversprechend ansehen. Aufgrund ihrer innerbetrieblichen Bekanntmachungen konnte sie vielmehr davon ausgehen, diese würden ggf. von sich aus Mitteilung machen, falls sie Aufschluss über mögliche Fehlerquellen hätten geben können und wollen.
Eine effektive Überwachung durch Vorgesetzte oder Kollegen war nicht denkbar. Ebenso wenig lag in der offenen Videoüberwachung eine „mildere“ Alternative. Sie hätte sich vor dem angestrebten Zweck der Aufdeckung von Straftaten nicht als gleichermaßen wirksam wie die, zumindest aus Sicht der meisten Mitarbeiter – verdeckte Beobachtung erwiesen. Das in Rede stehende strafbare Verhalten war seiner Natur nach auf Heimlichkeit angelegt. Zur Aufdeckung solcher Verhaltensweisen können offene Überwachungen regelmäßig nichts beitragen7. Soweit der Arbeitnehmer bemängelt, die initiierte Überwachung habe nicht zur Aufklärung in der Vergangenheit liegender Straftaten führen können, übersieht er zum einen die mögliche indizielle Wirkung, die der Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen für die Beurteilung bereits abgeschlossener Sachverhalte zukommen kann. Zum anderen bezieht sich § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG allgemein auf die „Aufdeckung von Straftaten“, was die Gewinnung von Erkenntnissen über – aufgrund konkreter Anhaltspunkte – vermutete künftige strafbare Handlungen im Beschäftigungsverhältnis einschließt.
Der Arbeitgeberin kann nicht entgegen gehalten werden, sie habe vorrangig eine Aufklärung durch Taschenkontrollen oder gar die Visitation von Kleidung versuchen müssen. Im Rahmen solcher Maßnahmen wäre der Arbeitgeberin eine vergleichbare Eingrenzung des verdächtigen Personenkreises wie bei der lediglich auf das Lager ausgerichteten Videoüberwachung schwerlich möglich gewesen. Unabhängig davon griff die initiierte Beobachtung nicht stärker in das allgemeine Persönlichkeitsrecht betroffener Arbeitnehmer ein als dies bei der Vornahme von Tor- bzw. Taschenkontrollen der Fall gewesen wäre. Solche Kontrollen berühren typischerweise die Privatsphäre der hiervon erfassten Arbeitnehmer8. Die Zulässigkeit entsprechender Maßnahmen unterstellt wären ihnen auch Beschäftigte ausgesetzt gewesen, die das Zutrittsverbot ausnahmslos beachteten und von denen jedenfalls eine Gefährdung des Eigentums oder der Besitzrechte der Arbeitgeberin an den Ersatzteilen nicht (mehr) ausging. Demgegenüber traf die Videoüberwachung den Arbeitnehmer weder in seiner Intim- noch in der Privatsphäre. Zwar kann sich eine besonders hohe Intensität eines Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht auch aus der Dauer der Beobachtung ergeben, wie dies bei heimlichen Beobachtungen der Fall ist, denen Arbeitnehmer in ihrem Arbeitsbereich während der gesamten Dauer ihrer Arbeitszeit ausgesetzt sind. Von einer solch massiven Beobachtung waren der Arbeitnehmer und andere Mitarbeiter, denen der Zutritt zum Lager verwehrt worden war, aber nicht betroffen. Soweit dies im Fall der Lageristen anders zu beurteilen ist, handelte es sich um Personen, die gleichfalls zum Kreis der Verdächtigen rechneten. Überdies hatten sie der Überwachung zugestimmt.
Der mit der verdeckten Videoüberwachung verbundene Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers war insgesamt nicht unangemessen. Die Überwachung betraf ausgehend von dem Vorbringen der Arbeitgeberin allein das Lager und damit den räumlichen Bereich, auf den sich der Verdacht bezog. Gegenteiliges ist weder festgestellt, noch hat der Arbeitnehmer substantiierten Gegenvortrag gehalten. Im Verhältnis zu Arbeitnehmern, die sich ohne Erlaubnis im Lager aufhielten, war die Eingriffsintensität selbst unter Berücksichtigung der Dauer des Kameraeinsatzes gering. Dieser Bewertung steht nicht die Behauptung des Arbeitnehmers entgegen, der Laufweg zu einem Raum, in dem sich Ersatzwerkzeug für die Werkstattmitarbeiter befunden habe, führe durch bestimmte Bereiche des Lagers. Daraus folgt nicht, dass das Zutrittsverbot lediglich eine eingeschränkte Gültigkeit gehabt hätte. Der wegen des permanenten Überwachungsdrucks ungleich schwerere Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Lageristen war grundsätzlich durch deren Einwilligung gedeckt.
Es spricht viel dafür, dass Letzteres auch vor dem Hintergrund gilt, dass die Lageristen gemäß eigenem Vorbringen der Arbeitgeberin der Überwachung lediglich „zeitlich begrenzt“ zugestimmt hatten. Damit wollten sie erkennbar zum Ausdruck bringen, dass die Einwilligung jedenfalls nach der Aufdeckung von Straftaten anderer Arbeitnehmer, die zugleich ihrer eigenen Entlastung dienen würde, keine Wirkung mehr entfalten sollte.
Selbst unterstellt, eine durchgängige Beobachtung bis Mitte Juli 2014 wäre von der fraglichen Zustimmung der Lageristen nicht mehr gedeckt gewesen und die Videoüberwachung erwiese sich unter diesem Gesichtspunkt als unverhältnismäßig, führte dies nicht zu einem Verbot der Verwertung des Mitschnitts vom 15.07.2014 und des hierauf gestützten unstreitigen Sachvortrags der Arbeitgeberin im Kündigungsschutzprozess mit dem Arbeitnehmer. Der Schutzzweck des BDSG gebietet es nicht, dem Arbeitgeber aus generalpräventiven Gründen eine prozessuale Verwertung datenschutzrechtswidrig erlangter Informationen zu verwehren. Ein Verbot kommt nur in Betracht, wenn mit der Verwertung ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der anderen Prozesspartei einhergeht. Ein solcher Eingriff scheidet aber aus, wenn die Unzulässigkeit der Videoüberwachung allein aus der (Dritt-)Betroffenheit anderer Beschäftigter resultiert9. Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitgeber seinen Dokumentationspflichten gem. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG, die grundsätzlich vor der Datenerhebung zu erfüllen sind, nur unvollständig nachgekommen ist. Die Vorgabe verfolgt den Zweck, dem hiervon erfassten Personenkreis die nachträgliche Rechtmäßigkeitskontrolle zu erleichtern10. Aus ihr kann ein prozessuales Verwertungsverbot jedenfalls dann nicht abgeleitet werden, wenn der Arbeitgeber den Verdacht von Straftaten spätestens im Rechtsstreit durch konkrete Tatsachen untermauern kann und dadurch eine Rechtmäßigkeitskontrolle gesichert ist11.
Die fehlende Zustimmung des Betriebsrats hindert die Verwertung der Videoaufzeichnungen ebenso wenig.
Allerdings hat der Betriebsrat bei der Videoüberwachung von Betriebsräumen der Arbeitgeberin nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitzubestimmen. Eine Videoüberwachungsanlage ist im Sinne dieser Norm eine technische Einrichtung, die dazu bestimmt ist, das Verhalten und die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen12.
Im Streitfall ist nicht ersichtlich, dass der Betriebsrat bei der Installation der Videoüberwachung oder jedenfalls der Auswertung des Mitschnitts vom 15.07.2014 beteiligt gewesen wäre. Dies führt für sich genommen aber nicht dazu, dass die Aufzeichnung als Beweismittel oder Sachvortrag, der sich auf daraus erlangte Erkenntnisse stützt, prozessual unverwertbar wäre. Der Schutzzweck von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG gebietet die Annahme eines solchen Verwertungsverbots jedenfalls dann nicht, wenn die Verwendung und Verwertung eines Beweismittels und/oder daraus gewonnener, unstreitiger Informationen nach allgemeinen Grundsätzen zulässig ist. Der Sinn von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG besteht ua. darin, Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Arbeitnehmer durch bestimmte Verhaltenskontrollen des Arbeitgebers nur bei gleichberechtigter Mitbestimmung des Betriebsrats zuzulassen. Soweit die Norm – wenngleich kollektivrechtlich vermittelt – dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmer dient, sind die Schutzzwecke von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG und die zivilprozessualen Grundsätze über ein mögliches (Beweis-)Verwertungsverbot identisch. Ist demnach eine Informations- bzw. Beweisverwertung nach allgemeinen Grundsätzen zulässig, besteht grundsätzlich auch kein darüber hinausgehendes Verwertungsverbot bei Missachtung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats oder bei einer nicht ausreichenden Einhaltung eines betriebsverfassungsrechtlichen Verfahrens13.
Danach würde die weitere Verarbeitung und Nutzung der den Arbeitnehmer betreffenden Videoaufzeichnungen nicht dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzen. Die Verarbeitung – dh. hier insbesondere die Aufbewahrung der Mitschnitte zum Zwecke weiterer Verarbeitung oder Nutzung (§ 3 Abs. 4 Nr. 1 BDSG) – und deren weitere Verwendung im vorliegenden Verfahren war gem. § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG zulässig.
Nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses ua. dann verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich ist.
Dies wäre hier der Fall. Die Aufzeichnungen vom 15.07.2014 begründeten zumindest den Verdacht, dass der Arbeitnehmer zu Lasten der Arbeitgeberin eine Straftat begangen hat. Dies konnte einen Kündigungsgrund darstellen. Überwiegende Interessen des Arbeitnehmers standen der Verarbeitung und Nutzung nicht entgegen. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Arbeitgeberin – was hier nicht auszuschließen ist – die Daten nicht unter Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers erlangt hat.
Das Bundesarbeitsgericht kann nicht abschließend beurteilen, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung vom 19.08.2014 aufgelöst worden ist.
Das bisherige Vorbringen der Arbeitgeberin kann – seine Verwertbarkeit unterstellt und unbeschadet der grundsätzlich dem Landesarbeitsgericht vorbehaltenen abschließenden Interessenabwägung – gem. § 626 Abs. 1 BGB sowohl eine außerordentliche Tat- als auch Verdachtskündigung rechtfertigen.
Welche Beweiskraft den von der Arbeitgeberin vorgetragenen Indiztatsachen im Einzelnen und in einer Gesamtschau mit der unstreitigen Wegnahmehandlung im Hinblick auf die Beurteilung zukommt, ob sich der Arbeitnehmer eines Diebstahls oder einer Unterschlagung zulasten der Arbeitgeberin schuldig gemacht hat oder ob zumindest ein dahingehender dringender Verdacht besteht, ist Gegenstand der tatrichterlichen Beweiswürdigung nach § 286 ZPO, die dem Revisionsgericht entzogen ist14.
Anhaltspunkte für eine Rechtfertigungslage hat der Arbeitnehmer, den insoweit eine abgestufte Darlegungslast trifft15, bisher nicht schlüssig aufgezeigt. Zwar mag es in der Vergangenheit üblich gewesen sein, dass Mitarbeiter der Arbeitgeberin Ersatzteile für den Transport aus dem Lager in die Werkstatt in ihrer Kleidung verstauten. Darauf kann sich der Arbeitnehmer aber nicht stützen, weil sich die Weisungslage mit dem Ende Februar 2014 angeordneten Zutrittsverbot verändert hatte. Sein Vorbringen, er habe mit dem für das Lager zuständigen Leiter abweichende Vereinbarungen getroffen, ist in zeitlicher und räumlicher Hinsicht bisher vollkommen unsubstantiiert. Zudem hat die Arbeitgeberin ihren betreffenden Gegenvortrag unter Beweis gestellt. Unabhängig davon lässt das Vorbringen des Arbeitnehmers nicht erkennen, dass er sich im Zusammenhang mit der eigenhändigen Entnahme des Pakets Bremsklötze an die behauptete individuelle Absprache mit dem Lagerleiter gehalten und dementsprechend die Lageristen zumindest nachträglich über die Mitnahme von Ersatzteilen in deren Abwesenheit unterrichtet hat. Auch dies spricht nicht für ein redliches Vorgehen, sondern gibt einen Hinweis darauf, dass sein Verhalten insgesamt auf Heimlichkeit angelegt war. Soweit der Arbeitnehmer überdies geltend gemacht hat, es sei nicht auszuschließen, dass die Bremsklötze in einem Fahrzeug der entsprechenden Typenklasse eingebaut worden seien oder er alternativ – wie in der Vergangenheit üblich – das Paket auf der Theke vor dem Lager abgelegt habe, hat er nicht etwa einen konkreten, ihn entlastenden Geschehensablauf dargestellt, sondern rein hypothetische Sachverhaltsvarianten präsentiert. Ob sich dies unter Berücksichtigung seiner Einlassung im Personalgespräch vom 14.08.2014 mit Erinnerungslücken hinreichend erklären lässt, wird ggf. vom Landesarbeitsgericht zu bewerten sein.
Die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung unter dem Gesichtspunkt einer sog. „Tatkündigung“ hängt materiell-rechtlich nicht davon ab, ob die Arbeitgeberin im Kündigungszeitpunkt alles ihr Mögliche und Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts – auch in Richtung einer denkbaren Entlastung des Arbeitnehmers – unternommen hatte16. Sollte es auf ihre Wirksamkeit als Verdachtskündigung ankommen, wird das Landesarbeitsgericht zu bewerten haben, ob die Arbeitgeberin ihrer diesbezüglich bestehenden Aufklärungspflicht nachgekommen ist, was allerdings nicht fernliegt. Dem sie dabei treffenden Erfordernis einer Anhörung des Arbeitnehmers ist – soweit ersichtlich – Genüge getan.
Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen kann nicht davon ausgegangen werden, die Arbeitgeberin habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt. Ihr Vorbringen ist schlüssig. Nach ihrem – offenbar unstreitig gebliebenen – Vortrag hat ihr allein kündigungsberechtigter Geschäftsführer von den maßgeblichen Tatsachen erst am 7.08.2014 Kenntnis erlangt. Ausgehend vom Zugang der fristlosen Kündigung am 19.08.2014 wäre die Zweiwochenfrist eingehalten. Das gilt allemal gerechnet ab dem Zeitpunkt des Personalgesprächs vom 14.08.2014. Ob ihr Betriebsleiter aufgrund des Ergebnisses einer am 16.07.2014 durchgeführten Bestandsaufnahme, bei der nach dem Vorbringen der Arbeitgeberin bereits das Fehlen eines Pakets Bremsklötze verzeichnet worden sein soll, gehalten war, eine Sichtung der Videobänder bereits vor dem 6.08.2014 vorzunehmen, kann dahinstehen. Daraus ergibt sich nach dem bisherigen Streitstand keine Verzögerung, die der Arbeitgeberin im Rahmen von § 626 Abs. 2 BGB anzulasten wäre. Kenntnisse nicht kündigungsberechtigter Personen muss sich der Arbeitgeber nur ausnahmsweise nach § 242 BGB zurechnen lassen. Dazu müssen diese Personen eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb innehaben sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage sein, den Sachverhalt so umfassend zu klären, dass mit ihrem Bericht an den Kündigungsberechtigten dieser ohne weitere Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abgewogen treffen kann. Voraussetzung für eine Zurechnung ist weiter, dass die Verspätung, mit der der Kündigungsberechtigte in eigener Person Kenntnis erlangt hat, auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebs beruht17. Dafür fehlt es derzeit an Anhaltspunkten.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. Oktober 2016 – 2 AZR 395/15
- grundlegend BAG 27.03.2003 – 2 AZR 51/02, zu B I 3 b cc der Gründe, BAGE 105, 356[↩]
- BAG 22.09.2016 – 2 AZR 848/15, Rn. 28[↩]
- EGMR 5.10.2010 – 420/07 – EuGRZ 2011, 471[↩]
- vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses BT-Drs. 16/13657 S.20; BAG 21.11.2013 – 2 AZR 797/11, Rn. 52, BAGE 146, 303[↩]
- vgl. BeckOK DatenSR/Riesenhuber BDSG 17. Edition § 32 Rn. 118; im Ergebnis ebenso Simitis/Seifert BDSG 8. Aufl. § 32 Rn. 104; zum Erfordernis eines „einfachen Tatverdachts“ als Voraussetzung für Maßnahmen nach § 100a StPO vgl. BGH 11.08.2016 – StB 12/16, Rn. 9[↩]
- BAG 29.11.2007 – 2 AZR 724/06, Rn. 30[↩]
- BAG 27.03.2003 – 2 AZR 51/02, zu B I 3 b dd (2) der Gründe, BAGE 105, 356; ebenso Bergwitz NZA 2012, 353, 357; Grimm/Schiefer RdA 2009, 329, 331, 335[↩]
- BAG 15.04.2014 – 1 ABR 2/13 (B), Rn. 43, BAGE 148, 26[↩]
- Bergwitz NZA 2012, 353, 357; Dzida/Grau NZA 2010, 1201, 1202 f.; Grimm/Schiefer RdA 2009, 329, 341; wohl aA Bayreuther NZA 2005, 1038, 1042; Otto Anm. AP BetrVG 1972 § 87 Überwachung Nr. 36[↩]
- Tinnefeld/Petri/Brink MMR 2010, 727, 732[↩]
- ähnlich Alter NJW 2015, 2375, 2380[↩]
- BAG 11.12 2012 – 1 ABR 78/11, Rn. 16 ff., BAGE 144, 109[↩]
- BAG 22.09.2016 – 2 AZR 848/15, Rn. 44[↩]
- BAG 18.06.2015 – 2 AZR 480/14, Rn. 35, BAGE 152, 47; zum Indizienbeweis BAG 23.10.2014 – 2 AZR 865/13, Rn. 43, BAGE 149, 355[↩]
- zuletzt BAG 16.07.2015 – 2 AZR 85/15, Rn. 40[↩]
- BAG 16.07.2015 – 2 AZR 85/15, Rn. 38[↩]
- BAG 21.02.2013 – 2 AZR 433/12, Rn. 28[↩]