Außerordentliche Kündigung – und die Berufung auf ein Leistungsverweigerungsrecht

Eine beharrliche Arbeitsverweigerung, die geeignet ist, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen, kann auch darin liegen, dass der Arbeitnehmer sich zu Unrecht auf ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB und/oder ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 Abs. 1 BGB beruft.

Außerordentliche Kündigung – und die Berufung auf ein Leistungsverweigerungsrecht

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der – ggf. fiktiven – Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht1. Bei der Interessenabwägung ist die ordentliche Unkündbarkeit seines Arbeitsverhältnisses – hier: nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV – nicht gesondert zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen2.

Der Arbeitnehmer hat einen „an sich“ wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB herbeigeführt, indem er die von ihm geschuldete Arbeitsleistung beharrlich verweigerte.

Die beharrliche Weigerung eines Arbeitnehmers, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein Arbeitnehmer verweigert die ihm angewiesene Arbeit beharrlich, wenn er sie bewusst und nachdrücklich nicht leisten will. Ob er zur Arbeitsleistung verpflichtet war, entscheidet sich nach der objektiven Rechtslage. Verweigert der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweist3.

Der kündigende Arbeitgeber ist darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB begründen sollen. Ihn trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen. Allerdings hat hierzu der Arbeitnehmer seinerseits nach § 138 Abs. 2 ZPO substantiiert vorzutragen; er muss darlegen, warum sein Fehlen als „entschuldigt“ anzusehen sei. Nur die im Rahmen der insofern abgestuften Darlegungs- und Beweislast vom Arbeitnehmer behaupteten Tatsachen hat der Arbeitgeber zu widerlegen4.

Der Arbeitnehmer verweigerte in dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall seit dem 1.10.2012 die von ihm geschuldete Arbeitsleistung. Er war grundsätzlich verpflichtet, die ihm mit seinem Einverständnis übertragenen Tätigkeiten auszuführen.

er Arbeitnehmer war nicht berechtigt, die Arbeitsleistung zu verweigern, weil es ihm gemäß § 275 Abs. 3 BGB unzumutbar gewesen wäre, sie zu erbringen.

Nach § 275 Abs. 3 BGB kann der Schuldner die Leistung verweigern, wenn er sie persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des ihr entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann. Die Vorschrift betrifft das Spannungsverhältnis von Vertragstreue und Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung5. Sie löst es (nur) dann zugunsten des Schuldners auf, wenn für diesen die Leistungserbringung in hohem Maße belastend ist6, weil ein Fall besonderer Leistungserschwerung vorliegt7. Dem Schuldner kann die Erfüllung der von ihm persönlich zu erbringenden Leistung unzumutbar sein, wenn er dadurch Gefahr läuft, in bedeutsamen Rechtsgütern verletzt zu werden8. Im Falle einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung des Arbeitnehmers selbst – nicht eines seiner nahen Angehörigen – ist umstritten, ob die Leistungsbefreiung automatisch gemäß § 275 Abs. 1 BGB eintritt oder der Betreffende erst von einem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB Gebrauch machen muss9.

Weiterlesen:
Befristete Arbeitsverträge - und das Anschlussverbot

Dem Arbeitnehmer war es nicht unzumutbar, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.

Er beruft sich nicht etwa darauf, dass er bereits arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Eine entsprechende ärztliche Bescheinigung gemäß § 5 EFZG hat er nicht vorgelegt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine Arbeitsunfähigkeit zumindest zu erwarten gewesen wäre, wenn er seine Tätigkeit fortgesetzt hätte. Zwar hat der Arbeitnehmer behauptet, an einer psychischen Erkrankung zu leiden. Jedoch hat er diese nur schlagwortartig umschrieben. Es fehlt an Vortrag zu den Symptomen und dazu, wie sich die Krankheit – die ihm offenbar seit Jahren bekannt ist – in der jüngeren Vergangenheit entwickelt hat, welche konkreten Auswirkungen die Situation am Arbeitsplatz hatte und warum es ihm deshalb nicht mehr zugemutet werden konnte, die Arbeitsleistung fortzusetzen.

Das Landesarbeitsgericht München10 hat im hier entschiedenen Fall in der Vorinstanz ohne Rechtsfehler angenommen, dass es dem Arbeitnehmer nicht aufgrund von – drohenden – Persönlichkeitsrechtsverletzungen unzumutbar gewesen sei, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen11.

Nicht jedes den Arbeitnehmer belastende Verhalten des Arbeitgebers oder eines seiner Repräsentanten (§ 278 BGB) stellt einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers oder eine Verletzung vertraglicher Pflichten zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) dar. Persönlichkeitsrechte werden nicht allein dadurch verletzt, dass im Arbeitsleben übliche Konflikte auftreten, die sich durchaus über einen längeren Zeitraum erstrecken können. Sozial- und rechtsadäquates Verhalten muss aufgrund der gebotenen objektiven Betrachtungsweise – dh. ohne Rücksicht auf das subjektive Empfinden des betroffenen Arbeitnehmers – von der rechtlichen Bewertung ausgenommen werden. Mangels entsprechender Systematik und Zielrichtung werden keine Rechte des Arbeitnehmers beeinträchtigt, wenn er von verschiedenen Vorgesetzten, die nicht zusammenwirken und die zeitlich aufeinanderfolgen, in seiner Arbeitsleistung kritisiert oder schlecht beurteilt wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn seine Arbeitsleistung nicht nur beanstandet oder ignoriert, sondern auch positiv gewürdigt wird. Ebenso müssen Verhaltensweisen von Arbeitgebern oder Vorgesetzten unberücksichtigt bleiben, die lediglich eine Reaktion auf Provokationen durch den vermeintlich „gemobbten“ Arbeitnehmer darstellen. Insoweit fehlt es an der eindeutigen Täter-Opfer-Konstellation12.

Zur Begründung des Vorwurfs, er sei systematisch in seiner beruflichen Entwicklung „blockiert“ worden, beruft der Arbeitnehmer sich darauf, dass ihm Zwischenzeugnisse mit unrichtigem Inhalt erteilt, ein Telearbeitsplatz verweigert, Leistungspunkte gestrichen, keine herausfordernden Aufgaben übertragen und eine Fortbildung und Beförderung verwehrt worden seien. Weitere Verhaltensweisen der Arbeitgeberin hat er nicht konkret dargetan; es ersetzt keinen substantiierten Sachvortrag, Vorschriften zu benennen, gegen die sie verstoßen haben soll.

Mit dem Landesarbeitsgericht München10 lassen die vom Arbeitnehmer geschilderten Verhaltensweisen weder einzeln für sich noch in ihrer Gesamtschau den Schluss auf eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts zu. Zwischen den Parteien bestanden lediglich Konflikte wie sie im Arbeitsleben üblich sind. Sie ergaben sich aus unterschiedlichen Auffassungen über die Qualität der Arbeitsleistung und -ergebnisse des Arbeitnehmers. Es ist nicht ersichtlich, dass die Arbeitgeberin oder einer ihrer Repräsentanten (§ 278 BGB) auch nur in einem Einzelfall die Ebene der Sachlichkeit verlassen hätte. Im Übrigen würde selbst dies nicht ausreichen, um eine Rechtsverletzung anzunehmen13.

Der Arbeitnehmer mag es als erniedrigend empfunden haben, dass ehemalige Kollegen zu seinen Vorgesetzten wurden. In diesem Empfinden mag er dadurch bestärkt worden sein, dass seine Arbeitsleistung schlechter beurteilt wurde, als er es für gerechtfertigt hielt. Er hatte jedoch keinen Rechtsanspruch darauf, gleichfalls befördert zu werden14. Die Arbeitgeberin hat substantiiert dargetan, dass sie ihn nicht als „Führungskraft“ sehe, weil er aus ihrer Sicht nicht über ausreichende Gestaltungsfähigkeiten bei komplexen, noch unklaren Sachverhalten und nicht über das erforderliche Team- und Kommunikationsverhalten verfüge.

Weiterlesen:
Urlaubsabgeltung - und die arbeitsvertragliche Ausschlussfristenregelung

Es ist nicht ersichtlich, dass gegen den Arbeitnehmer eine „Entwicklungsblockade“ verhängt worden wäre. Ihm sind Angebote zur Fort- und Weiterbildung unterbreitet worden. Diese hat er entweder nicht angenommen oder er hat die begonnenen Schulungen – etwa das sog. Gallup-Stärkentraining – vorzeitig abgebrochen. Wenn Probleme in seinem Arbeitsumfeld aufgetreten sind, hat die Arbeitgeberin versucht, Tätigkeiten in anderen Bereichen für ihn zu finden und ihm einen „unbelasteten Neustart“ zu ermöglichen. Nach seinen eigenen Angaben ist er nicht nur kritisiert, sondern verschiedentlich für seine Arbeitsleistung und seine Arbeitsergebnisse auch gelobt worden. Zu keiner Zeit wurde ihm eine Aufgabe entzogen. Die Notwendigkeit, ihm neue Tätigkeiten zuzuweisen, ergab sich vielmehr dadurch, dass die ihm übertragenen Projekte abgeschlossen waren. Dass der Arbeitnehmer mit den ihm zuletzt übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ nicht ausgelastet war, lässt nicht den Schluss zu, die Arbeitgeberin habe ihn auf das „Abstellgleis“ geschoben. Ihm ist zusätzlich ein Einsatz im Projekt „SharePoint“ angeboten worden. Diesen hat er – mit der Begründung, dass er sich dafür zunächst hätte fortbilden müssen – abgelehnt. Er hat auch im Prozess keine Angaben dazu gemacht, welche möglichen Aufgaben, die den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen entsprochen und nicht eine Beförderung bedeutet hätten, die Arbeitgeberin ihm „vorenthalten“ habe.

Es kommt hinzu, dass die Auseinandersetzungen um den Telearbeitsplatz und die Streichung von Leistungspunkten bei Beginn der Arbeitsverweigerung bereits im Sinne des Arbeitnehmers „ausgestanden“ waren. Ihm war ein Telearbeitsplatz eingerichtet worden. Sein Vorgesetzter hatte ihm lediglich nahegelegt, in seinem – des Arbeitnehmers – eigenen Interesse gleichwohl ausreichend im Unternehmen „präsent“ zu sein. Die nach den bei der Arbeitgeberin üblichen Gepflogenheiten anlässlich eines Aufgabenwechsels „gehaltsneutral“ gestrichenen Leistungspunkte waren ihm auf seinen „Protest“ hin wieder gutgeschrieben worden. Das hatte für ihn eine Gehaltserhöhung zur Folge, obwohl er sich in der neuen Tätigkeit noch nicht in der dazu erforderlichen Weise „bewährt“ haben konnte.

Die Arbeitsverweigerung durch den Arbeitnehmer war nicht in Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts gemäß § 273 Abs. 1 BGB gerechtfertigt.

Nach dieser Vorschrift darf der Schuldner, der aus dem gleichen Rechtsverhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger hat – sofern sich aus dem Schuldverhältnis nichts anderes ergibt, die geschuldete Leistung verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird. Dem Arbeitnehmer kann ein Recht zustehen, die Arbeitsleistung zurückzuhalten, wenn der Arbeitgeber seine aus dem Arbeitsverhältnis folgenden Haupt- oder Nebenpflichten schuldhaft nicht erfüllt. So liegt es beispielsweise, wenn der Arbeitgeber oder einer seiner Repräsentanten (§ 278 BGB) die Gesundheit des Arbeitnehmers oder dessen Persönlichkeitsrecht in erheblicher Weise verletzt und mit weiteren Verletzungen zu rechnen ist. Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts steht unter dem Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB und unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dementsprechend muss der Arbeitnehmer unter Angabe des Grundes dem Arbeitgeber klar und eindeutig mitteilen, er werde dieses Recht mit Blick auf eine ganz bestimmte, konkrete Gegenforderung wahrnehmen. Nur so wird dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet, den möglichen Anspruch des Arbeitnehmers zu prüfen und ggf. zu erfüllen. Wenn der Arbeitnehmer berechtigterweise von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch macht, liegt keine Arbeitsverweigerung vor15.

Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts München10 hat der Arbeitnehmer kein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB geltend gemacht. Obwohl ihm ausweislich vorheriger Mitteilungen – etwa in der E-Mail vom 30.03.2009 – der Unterschied zwischen beiden Normen bestens bekannt war, hat er die Arbeitgeberin mit E-Mail vom 20.09.2012 (lediglich) wissen lassen, dass ihm die weitere Arbeitsleistung unzumutbar sei und er ab dem 1.10.2012 von seinem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Gebrauch machen werde. Noch in der Klageschrift hat er sich ausschließlich auf § 275 BGB bezogen. Dementsprechend hat er von der Arbeitgeberin nicht etwa verlangt, bestimmte Ansprüche zu erfüllen, Maßnahmen zu ergreifen oder Zustände zu beenden. Mithilfe der Weigerung, seine Arbeitsleistung zu erbringen, wollte er weder eine vertragsgemäße Beschäftigung noch die Unterlassung von weiterem „Mobbing“ erreichen. Vielmehr hat er lediglich „vorgeschlagen“, ihn unter Fortzahlung der Vergütung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze von der Arbeitsleistung freizustellen. Darin erblickte er nicht mehr als die Festschreibung dessen, was nach § 275 Abs. 3 iVm. § 326 Abs. 2 BGB ohnehin – unveränderlich – gelte.

Weiterlesen:
Keine Auffanglohngruppe bei der Eingruppierung von Gebäudereinigern

Gemäß den Ausführungen zu § 275 Abs. 3 BGB bestanden im Übrigen keine Gegenansprüche, auf die der Arbeitnehmer ein Recht, seine Arbeitsleistung zurückzuhalten, erfolgreich hätte stützen können. Zwar hatte er einen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung im Umfang von 35 Wochenstunden. Auch wurde dieser von der Arbeitgeberin bei weitem nicht vollständig erfüllt, weil der Arbeitnehmer nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts München mit den ihm zuletzt übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ nur im Umfang von drei bis vier Stunden pro Woche ausgelastet war. Die „Unterbeschäftigung“ beruhte jedoch darauf, dass der Arbeitnehmer die ihm ergänzend angetragene Tätigkeit im Projekt „SharePoint“ nicht hatte übernehmen wollen. Unter diesen Umständen wäre es rechtsmissbräuchlich iSv. § 242 BGB, die Arbeitsleistung mit dem Ziel zurückzuhalten, weitere Aufgaben zugewiesen zu bekommen.

Der Arbeitnehmer hat seine geschuldete Arbeitsleistung bewusst und nachhaltig verweigert.

Obgleich die Arbeitgeberin ihn mit Schreiben vom 28.09.2012 darauf hingewiesen hatte, dass sie dies als schwerwiegenden Verstoß gegen seine Hauptleistungspflicht betrachten und ggf. arbeitsrechtliche Konsequenzen ziehen werde, blieb er ab dem 1.10.2012 der Arbeit fern und nahm sie trotz dreier Abmahnungen und mehrerer Aufforderungen der Arbeitgeberin bis zum Kündigungszeitpunkt – über mehr als dreieinhalb Wochen – nicht wieder auf.

Der Arbeitnehmer befand sich nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum.

Der Geltungsanspruch des Rechts bewirkt, dass der Schuldner das Risiko eines Rechtsirrtums grundsätzlich selbst trägt und es nicht dem Gläubiger überbürden kann16. Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liegt nur vor, wenn der Schuldner seinen Irrtum auch unter Anwendung der zu beachtenden Sorgfalt nicht erkennen konnte. Dabei sind strenge Maßstäbe anzulegen. Es reicht nicht aus, dass er sich für seine eigene Rechtsauffassung auf eine eigene Prüfung und fachkundige Beratung stützen kann. Ein Unterliegen in einem möglichen Rechtsstreit muss zwar nicht undenkbar sein17. Gleichwohl liegt ein entschuldbarer Rechtsirrtum nur dann vor, wenn der Schuldner damit nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht zu rechnen brauchte; ein normales Prozessrisiko entlastet ihn nicht18.

Der Arbeitnehmer hat sich nicht fachkundig beraten lassen, bevor er die Arbeitsleistung verweigert hat. Nach seinem eigenen Vorbringen war er sich des Risikos, dass ein Leistungsverweigerungsrecht von den Gerichten verneint werden könnte, vollauf bewusst. Unter diesen Umständen kann von einem entschuldbaren, unvermeidbaren Rechtsirrtum keine Rede sein.

Bei der abschließenden Interessenabwägung überwiegt das Interesse der Arbeitgeberin an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dessen Fortsetzung war ihr selbst für den Lauf der – fiktiven – ordentlichen Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Schluss eines Kalendermonats (§ 8 Ziff. 2 Abs. 2 Satz 1 MTV) nicht zuzumuten.

Weiterlesen:
Selbstbeurlaubung zur Pilgerfahrt

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der – fiktiven – Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zuzumuten war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel – etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung – gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses, zu erreichen19.

Dem Berufungsgericht kommt bei dieser Prüfung und Interessenabwägung – obwohl es sich um Rechtsanwendung handelt – ein gewisser Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz aber daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat20. Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen21.

Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts München10, der Arbeitgeberin sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten gewesen, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung ist insoweit nicht zu beanstanden, wie es zugunsten des Arbeitnehmers die lange Dauer des Arbeitsverhältnisses, dessen von erheblichen Pflichtverletzungen freien Verlauf, seine Unterhaltspflichten und den Umstand berücksichtigt hat, dass die Arbeitgeberin nicht nach weiteren Möglichkeiten gesucht hat, ihn vertragsgemäß in Vollzeit zu beschäftigen. Dass der Arbeitnehmer einen Einsatz im Projekt „SharePoint“ abgelehnt hatte, führte zwar dazu, dass er seine Arbeitsleistung nicht mit dem Ziel zurückhalten durfte, man möge ihm weitere Aufgaben übertragen. Dies entband die Arbeitgeberin jedoch nicht davon, „von sich aus“ andere bzw. zusätzliche Tätigkeiten für ihn zu suchen.

Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auf der anderen Seite die Schwere der Pflichtverletzung und den Grad des ihn treffenden Verschuldens zulasten des Arbeitnehmers berücksichtigt.

Die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers war schwerwiegend. Er hat gegen seine Hauptleistungspflicht verstoßen und es der Arbeitgeberin unmöglich gemacht, mit der von ihm geschuldeten Arbeitsleistung zu planen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob und ggf. welche Arbeiten aufgrund seiner Abwesenheit nicht erledigt wurden22. Ebenso wenig ist es von Belang, dass er mit den Tätigkeiten als „Blueprint-Vorfilterer“ und „TRM-Koordinator“ lediglich für drei bis vier Wochenstunden ausgelastet war. Wollte man dies anders sehen, müssten geringfügig Beschäftigte selbst dann nicht mit einer Kündigung rechnen, wenn sie die Arbeitsleistung noch so beharrlich verweigern sollten.

Weiterlesen:
Ausschlussklausel in "alten" Arbeitsverträgen

Den Arbeitnehmer traf ein erhebliches Verschulden. Er war sich des mit seinem Vorgehen verbundenen Risikos nach eigenem Bekunden hinlänglich bewusst. Die Möglichkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung hatte er ausdrücklich ins Kalkül gezogen.

Das Landesarbeitsgericht durfte angesichts aller Umstände nicht annehmen, die Interessen des Arbeitnehmers überwögen, weil der Arbeitgeberin eine mildere Reaktionsmöglichkeit zur Verfügung gestanden habe.

Es hat gemeint, die Arbeitgeberin habe dem Arbeitnehmer spätestens in dem Personalgespräch am 15.10.2012 eine Verbesserung der von ihm als unerträglich empfundenen Arbeitssituation in Aussicht stellen und ihm so „den Weg zurück (…) ebnen“ müssen. Es könne „nicht von vornherein ausgeschlossen“ werden, „dass (er) ein solches Angebot wahrgenommen hätte“. Es sei ihm „gerade um eine angemessene Beschäftigung“ gegangen. Der Arbeitgeberin sei es deshalb zumutbar gewesen, dem Arbeitnehmer zunächst „ein Entgegenkommen bei der Übernahme weiterer Aufgaben zu zeigen“.

Die Annahme, darin habe ein milderes Mittel bestanden, das geeignet gewesen wäre, die Arbeitsverweigerung zu beenden, ist rechtsfehlerhaft. Sie steht im Widerspruch zu der Intention des Arbeitnehmers, wie sie aus dessen vorangegangenen Bekundungen und – diese bestätigend – seinem Prozessvortrag deutlich geworden ist.

Ausweislich seiner E-Mails vom 10., 20. und 28.09.2012 hielt der Arbeitnehmer es für unzumutbar iSv. § 275 Abs. 3 BGB, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. In Festschreibung dessen, was gemäß § 326 Abs. 2 BGB ohnehin gelte, „bevorzuge“ er eine bezahlte Freistellung bis zum Eintritt in die Regelaltersrente. Er war danach unter keinen Umständen (mehr) bereit, den bestehenden Arbeitsvertrag zu erfüllen. Die Arbeitgeberin musste mit Blick auf diese Äußerungen annehmen, dass sie ihn nicht dazu hätte bewegen können, seine ablehnende Haltung aufzugeben, indem sie ihm die Übernahme weiterer, den Vereinbarungen der Parteien entsprechender Aufgaben anböte. Eine „angemessene Beschäftigung“ wäre vielmehr in den Augen des Arbeitnehmers – so musste es sich ihr darstellen – allenfalls eine solche gewesen, die eine Beförderung in den Bereich der „AT-Angestellten“ bzw. der „Führungskräfte“ bedeutet hätte. Und selbst das musste zweifelhaft erscheinen, nachdem er mit der E-Mail vom 28.09.2012 mitgeteilt hatte, die „innere Kündigung“ sei „perfekt“, für eine „neue Aufgabe oder Funktion habe (er) keine Kraft mehr“, die Arbeitgeberin habe „die Zusammenarbeit unmöglich gemacht“ und „ihre Glaubwürdigkeit und ihre Integrität restlos und unwiederbringlich kompromittiert“.

Dass er schlechterdings nicht (mehr) bereit war, den bestehenden Arbeitsvertrag zu erfüllen, hat der Arbeitnehmer durch seinen prozessualen Vortrag untermauert. So hat er im Schriftsatz vom 28.05.2013 ausgeführt, es sei „offensichtlich“, dass die „Vertrauensbasis nicht wiederhergestellt“ werden könne und die Prognose für eine erfolgreiche Zusammenarbeit „negativ“ sei. In seinem Schriftsatz vom 10.06.2013 hat er die einzigen Wege beschrieben, die er als gangbar ansehe, um den Konflikt der Parteien zu lösen: entweder eine bezahlte Freistellung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze oder die Zahlung einer Abfindung iHv.01.502.550, 00 Euro zzgl. einer Betriebsrente iHv. 600, 00 Euro pro Monate. Als „worst case“ komme auch eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses in Betracht, allerdings nur bei Gewährung einer Gehaltserhöhung, Zusage von Altersteilzeit und Androhung eines Ordnungsgelds für die Arbeitgeberin.

Gab es demnach kein milderes Mittel, um den Arbeitnehmer dazu zu bewegen, künftig seinen Arbeitsvertrag zu erfüllen, überwog das Interesse der Arbeitgeberin daran, das Arbeitsverhältnis sofort zu beenden. Da der Arbeitnehmer bei vollem Risikobewusstsein seine Hauptleistungspflicht nachhaltig verletzt und deren weitere Erfüllung abgelehnt hatte, ohne dass die Aussicht bestanden hätte, ihn „zur Umkehr“ bewegen zu können, hat er der Arbeitgeberin selbst die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar gemacht. Nicht anders läge es, wenn er sie – im Sinne des von ihm beschriebenen „worst-case“-Szenarios – dazu hätte „nötigen“ wollen, ihn zu befördern, ihm Altersteilzeit zu bewilligen und ihm eine Betriebsrente in der geforderten Höhe zu zahlen.

Weiterlesen:
Bewusst wahrheitswidrige Erklärungen im Kündigungsschutzprozess

Die Arbeitgeberin hat die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Sie hat die Kündigung damit begründet, der Arbeitnehmer weigere sich beharrlich, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Damit hat sie einen Dauertatbestand geltend gemacht, der sich fortlaufend neu verwirklichte23.

Die Kündigung ist nicht deshalb nach § 134 BGB nichtig, weil sie gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB verstieße. So läge es nur, wenn tragender Beweggrund, dh. wesentliches Motiv für sie eine zulässige Rechtsausübung gewesen wäre24. Das wiederum setzte voraus, dass das geltend gemachte Recht tatsächlich existierte25. Dem Arbeitnehmer stand aber weder ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB noch ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB zu. Er hat kein Recht in zulässiger Weise ausgeübt, sondern beharrlich die von ihm geschuldete Arbeitsleistung verweigert.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22. Oktober 2015 – 2 AZR 569/14

  1. BAG 23.10.2014 – 2 AZR 865/13, Rn.19, BAGE 149, 355; 29.08.2013 – 2 AZR 273/12, Rn.19[]
  2. vgl. BAG 27.01.2011 – 2 AZR 825/09, Rn. 48 mwN, BAGE 137, 54[]
  3. BAG 29.08.2013 – 2 AZR 273/12, Rn. 29, 32[]
  4. vgl. BAG 17.06.2003 – 2 AZR 123/02, zu II 2 b aa der Gründe; 21.05.1992 – 2 AZR 10/92, zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 70, 262[]
  5. BAG 13.08.2010 – 1 AZR 173/09, Rn. 12, BAGE 135, 203[]
  6. MünchKomm-BGB/Ernst 6. Aufl. § 275 Rn. 116[]
  7. Alpmann in jurisPK-BGB 7. Aufl. § 275 Rn. 70[]
  8. vgl. Staudinger/Caspers (2014) § 275 Rn. 112: Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit[]
  9. zum Streitstand siehe Alpmann in jurisPK-BGB 7. Aufl. § 275 Rn. 71; MünchKomm-BGB/Ernst 6. Aufl. § 275 Rn. 118[]
  10. LAG München, Urteil vom 28.05.2014 – 10 Sa 770/13[][][][]
  11. zur eingeschränkten Überprüfbarkeit der tatrichterlichen Würdigung vgl. BAG 28.10.2010 – 8 AZR 546/09, Rn.20; 24.04.2008 – 8 AZR 347/07, Rn. 36[]
  12. BAG 16.05.2007 – 8 AZR 709/06, Rn. 86, BAGE 122, 304[]
  13. vgl. BAG 16.05.2007 – 8 AZR 709/06, Rn. 76, BAGE 122, 304[]
  14. vgl. zur „Fürsorgepflicht“ des Arbeitgebers BAG 23.09.1992 – 5 AZR 526/91, zu II 6 der Gründe[]
  15. vgl. BAG 13.03.2008 – 2 AZR 88/07, Rn. 39 ff. mwN[]
  16. BAG 19.08.2015 – 5 AZR 975/13, Rn. 31[]
  17. vgl. BAG 12.11.1992 – 8 AZR 503/91, zu I 1 der Gründe, BAGE 71, 350[]
  18. vgl. BAG 29.08.2013 – 2 AZR 273/12, Rn. 34; BGH 6.12 2006 – IV ZR 34/05, zu II 1 a aa der Gründe; 27.09.1989 – IVa ZR 156/88[]
  19. vgl. BAG 20.11.2014 – 2 AZR 651/13, Rn. 21; 23.10.2014 – 2 AZR 865/13, Rn. 47, BAGE 149, 355[]
  20. BAG 20.11.2014 – 2 AZR 651/13, Rn. 24; 27.09.2012 – 2 AZR 646/11, Rn. 42[]
  21. BAG 27.09.2012 – 2 AZR 646/11 – aaO; 19.04.2012 – 2 AZR 258/11, Rn. 16[]
  22. vgl. dazu BAG 29.08.2013 – 2 AZR 273/12, Rn. 43[]
  23. vgl. BAG 29.08.2013 – 2 AZR 273/12, Rn. 45; 13.05.2004 – 2 AZR 36/04, zu II 1 der Gründe[]
  24. vgl. BAG 20.12 2012 – 2 AZR 867/11, Rn. 45; 19.04.2012 – 2 AZR 233/11, Rn. 47[]
  25. ErfK/Preis 15. Aufl. § 612a BGB Rn. 5; KR/Treber 10. Aufl. § 612a BGB Rn. 6[]