Außerordentliche Kündigung – und die Interessenabwägung

Mit dem Begriff „wichtiger Grund“ knüpft die tarifvertragliche Bestimmung des § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD/VKA an die gesetzliche Regelung des § 626 Abs. 1 BGB an, deren Verständnis deshalb auch für die Auslegung der Tarifnorm maßgebend ist1.

Außerordentliche Kündigung – und die Interessenabwägung

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist, zumutbar ist oder nicht2.

Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete; vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Dies gilt für den vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch. Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit seiner Arbeitnehmer vertrauen können. Überträgt er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt ein Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung gestellten Formulare wissentlich und vorsätzlich falsch aus, so stellt dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar. Der Arbeitnehmer verletzt damit in erheblicher Weise seine Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) gegenüber dem Arbeitgeber3.

Im hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall handelte der Arbeitnehmer vorsätzlich. Er trug in die Forderungsnachweise absichtlich nicht geleistete Überstunden ein. Er legte der Arbeitgeberin die falsch ausgefüllten Forderungsnachweise mit dem Ziel vor, für die tatsächlich nicht erbrachten Überstunden Vergütung zu erhalten, auf die er keinen Anspruch hatte. Es ging ihm dabei darum, den Wegfall der Erschwerniszuschläge auszugleichen. Dabei war sich der Arbeitnehmer einer kollusiven Absprache mit der Personalreferentin und seinem Vorgesetzten bewusst4. Auf deren Berechtigung zu entsprechenden Vereinbarungen vertraute er nicht. Er ging auch nicht davon aus, die Personalreferentin habe sich bei irgendeiner Stelle rückversichert.

Das Verhalten des Arbeitnehmers war nicht gerechtfertigt.

Der Arbeitnehmer kann sich nicht darauf berufen, er habe nicht alle tatsächlich geleisteten Überstunden geltend gemacht und ihm hätten auch weiterhin Erschwerniszuschläge gemäß § 19 TVöD zugestanden. Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung zur korrekten Dokumentation der geleisteten Arbeitszeit wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass andere Arbeitsleistungen zwar erbracht, aber nicht ordnungsgemäß abgerechnet worden sind5.

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Das Verhalten des Arbeitnehmers war nicht von einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung gedeckt. Erklärungen der Personalreferentin und/oder des Vorgesetzten des Arbeitnehmers wirken nicht nach § 164 Abs. 1 Satz 1 BGB unmittelbar für und gegen die Arbeitgeberin. Nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts durfte die Entscheidung über die Auszahlung von Überstunden ausschließlich vom Fachbereich Personal der Arbeitgeberin getroffen werden. Diese muss sich das Handeln der beiden Mitarbeiter des Nationaltheaters auch nicht nach den Grundsätzen der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht zurechnen lassen. Der Arbeitnehmer hat nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht auf eine Berechtigung der Personalreferentin und seines Vorgesetzten zu einer entsprechenden Vereinbarung vertraut.

Der Arbeitnehmer unterlag keinem unverschuldeten Rechtsirrtum6. Er musste vielmehr nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage damit rechnen, dass er nicht anstelle der Erschwerniszuschläge monatlich sieben, tatsächlich nicht geleistete Überstunden abrechnen darf. Insbesondere konnte er nicht darauf vertrauen, dass die Arbeitgeberin entsprechende Vereinbarungen schließen oder billigen würde. Die Personalreferentin hatte dem Arbeitnehmer nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mitgeteilt, in Bezug auf die Erschwerniszuschläge bei der Arbeitgeberin „keine Chance“ zu haben.

Es bedarf keiner weiteren Aufklärung zum Umfang der in die Forderungsnachweise eingetragenen, nicht geleisteten Überstunden. Der Arbeitnehmer täuschte seine Arbeitgeberin jedenfalls über Jahre hinweg jeden Monat um bis zu sieben Stunden über die erbrachte Arbeitsleistung und veranlasste sie dadurch zu Zahlungen, auf die er keinen Anspruch hatte.

Die Arbeitgeberin hat die außerordentliche Kündigung ausdrücklich auf tatsächliches pflichtwidriges Verhalten des Arbeitnehmers gestützt. Soweit dieser teilweise auf Grundsätze der Verdachtskündigung Bezug nimmt, kommt dem vorliegend keine Bedeutung zu.

Die außerordentliche Kündigung erweist sich aufgrund der gemäß § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung auch nicht als unverhältnismäßig.

Bei der Prüfung im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der – fiktiven – Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen7.

Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel – etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung – gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses, zu erreichen8. Der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers ist im Rahmen der Interessenabwägung insbesondere hinsichtlich einer möglichen Wiederholungsgefahr von Bedeutung. Je höher er ist, desto größer ist diese9.

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Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist10.

Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung wird in der Revisionsinstanz lediglich daraufhin überprüft, ob das Berufungsgericht bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat11.

Die Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts hält diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab nicht stand.

Allerdings ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, eine Abmahnung sei vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung entbehrlich gewesen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Es hat zu Recht angenommen, der Arbeitnehmer habe seine Pflichten – indem er die Arbeitgeberin über Jahre hinweg monatlich um bis zu sieben Stunden über die erbrachte Arbeitsleistung täuschte und sie dadurch zu Zahlungen veranlasste, auf die er keinen Anspruch hatte – so schwer verletzt, dass eine Hinnahme dieses vorsätzlichen und systematischen Fehlverhaltens nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für ihn selbst erkennbar – ausgeschlossen war.

Dagegen hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die außerordentliche Kündigung erweise sich bei Abwägung der relevanten Umstände im Ergebnis dennoch als unverhältnismäßig, einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, das Verschulden des Arbeitnehmers werde maßgeblich durch seine Beweggründe und Ziele charakterisiert. Beide Faktoren seien gewichtige Erkenntnismittel zur Beurteilung der Täterpersönlichkeit und der Verwerflichkeit der Tat, wie sich aus § 46 Abs. 2 StGB ergebe. Der Arbeitnehmer habe die Weigerung der Arbeitgeberin, an ihn künftig Erschwerniszuschläge zu zahlen und die Ankündigung, darüber hinaus eventuell gezahlte Erschwerniszuschläge zurückzufordern, aus nachvollziehbaren Gründen als in hohem Maße ungerecht empfunden. Ferner sei er nicht von selbst auf den Gedanken verfallen, statt des verwehrten Erschwerniszuschlags als Ausgleich Überstunden vorzuspiegeln, sondern von der Personalreferentin zu seinem betrügerischem Verhalten gegenüber der Arbeitgeberin angestiftet worden. Dabei sei der technische Leiter bereit gewesen, die monatlich gemeldeten Überstunden abzuzeichnen.

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Das Landesarbeitsgericht ist zu Unrecht von einem geringen Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers ausgegangen. Seine Würdigung beruht auf einer Verkennung des Rechtsbegriffs des Verschuldens und berücksichtigt überdies nicht alle wesentlichen Aspekte des Falls widerspruchsfrei.

Verschulden im zivilrechtlichen Sinn ist anhand des in § 276 Abs. 2 BGB gesetzten Maßstabs zu beurteilen. Es umfasst demnach jede Form von Vorsatz und Fahrlässigkeit12. Das Landesarbeitsgericht hat im Rahmen seiner Interessenabwägung nicht berücksichtigt, dass der Arbeitnehmer seine arbeitsvertraglichen Pflichten vorsätzlich verletzte. Den geringeren Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers hat es im Wesentlichen damit begründet, er habe sich aus nachvollziehbaren Gründen ungerecht behandelt gefühlt und sei von der Vertretung des Personalbereichs zu seinem Handeln im Zusammenwirken mit seinem Vorgesetzten angestiftet worden. Damit nimmt es die eigene Verantwortung des Arbeitnehmers nicht ausreichend in den Blick.

Das Landesarbeitsgericht hat insofern unter Verweis auf § 46 Abs. 2 StGB auf Umstände abgestellt, die bei der Strafzumessung abzuwägen sind. Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB13 ist „die Schuld des Täters … Grundlage für die Zumessung der Strafe“. Damit hat es verkannt, dass es bei der Frage der Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung nicht um eine repressive Strafzumessung oder Sanktion für begangenes Unrecht in der Vergangenheit geht, sondern um die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses8 sowie um die Abwägung von Interessen im Zusammenhang mit der Frage, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Dauerschuldverhältnisses für die Zukunft zumutbar ist.

Die Annahme eines geringen Grads des Verschuldens des Arbeitnehmers widerspricht den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, aus denen sich ein Verschulden in Form des Vorsatzes bei absichtlichem Handeln ergibt. Soweit es darauf abgestellt hat, der Arbeitnehmer habe sich „aus nachvollziehbaren Gründen“ ungerecht behandelt gefühlt, gibt es keine dies rechtfertigenden Feststellungen. Es fehlt auch jede Darlegung des Arbeitnehmers, warum und in welcher Höhe ihm Zuschläge nach § 19 TVöD zugestanden haben sollen. Soweit das Berufungsgericht bezüglich des Grads des Verschuldens eine „Anstiftung“ durch die Personalreferentin und ein „Zusammenwirken“ mit dem technischen Leiter berücksichtigt hat, hat es verkannt, dass dies allenfalls zu Beginn des pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers eine Rolle spielte. Es geht vorliegend nicht um ein einmaliges Fehlverhalten, zu dem der Arbeitnehmer überredet worden wäre. Vielmehr handelte der Arbeitnehmer über einen Zeitraum von fünf Jahren jeden Monat durch bewusst falsches Ausfüllen der Forderungsnachweise erneut pflichtwidrig. Er mag zu Beginn durch die Personalreferentin auf den Gedanken gebracht worden sein. Er hätte in den folgenden Jahren aber jederzeit – insbesondere ohne sich gegenüber der Arbeitgeberin offenbaren zu müssen, zu rechtstreuem Verhalten zurückkehren können.

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Zulasten des Arbeitnehmers sind die Schwere und Folgen seiner Pflichtverletzung sowie der Grad des ihn treffenden Verschuldens zu berücksichtigen. In seinem Verhalten lag ein schwerer Vertrauensmissbrauch. Er verletzte seine Verpflichtung zur korrekten Dokumentation der geleisteten Arbeitszeit vorsätzlich und erheblich und handelte dabei über Jahre hinweg in der Absicht, die Arbeitgeberin zu Zahlungen an ihn zu veranlassen, auf die er keinen Anspruch hatte.

Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei der Pflichtverletzung um ein Verhalten handelte, das auf Heimlichkeit angelegt war14. Aus den Forderungsnachweisen war in der Regel nur der monatliche Umfang an Überstunden ohne nähere Zuordnung nach Tagen und Uhrzeiten ersichtlich. Eine effektive Kontrolle und Rückverfolgung der einzelnen Überstunden war dadurch kaum möglich. Der Arbeitnehmer nutzte diese Umstände im Zusammenspiel mit der Personalreferentin und seinem Vorgesetzten gezielt aus, wobei die Wahrscheinlichkeit gering war, dass die Arbeitgeberin aus den angegebenen die fingierten Überstunden würde herausfiltern können.

Gegen den Arbeitnehmer spricht weiter seine Vorbildfunktion als Vorgesetzter. Als Abteilungsleiter der Fahr- und Sonderdienste im Eigenbetrieb Nationaltheater oblag ihm ua. die Mitarbeiterführung und Personalplanung betreffend sechs bis 15 Stellen.

Dem Arbeitnehmer ist nicht zugutezuhalten, dass er sich aus nachvollziehbaren Gründen ungerecht behandelt fühlte und von der Personalreferentin im Zusammenwirken mit seinem Vorgesetzten zu seinem Handeln „angestiftet“ wurde.

Zwar mag der Arbeitnehmer die Auffassung der Arbeitgeberin, ihm stünden die Erschwerniszuschläge gemäß § 19 TVöD ab dem 1.03.2010 nicht mehr zu und er müsse sie für die Vergangenheit eventuell zurückzahlen, als im hohen Maße ungerecht empfunden haben, und in seiner Haltung durch die Personalreferentin und seinen Vorgesetzten bestärkt worden sein. Dies rechtfertigt es aber nicht, diese Zuschläge eigenmächtig und außerhalb jeglicher arbeits- und tarifvertraglichen Regelungen „auszugleichen“. Auch wenn der Arbeitnehmer subjektiv davon ausging, ihm stünden die Zuschläge nach wie vor zu, hätte er die Sach- und Rechtslage – mithilfe fachkundiger Beratung – sorgfältig prüfen und ggf. gerichtlich klären lassen können. Dass er darauf verzichtet und sich stattdessen auf die Absprache mit der Personalreferentin und seinem Vorgesetzten eingelassen hat, um eine Klage zu vermeiden, kann – entgegen seiner Auffassung – nicht zu seinen Gunsten gewertet werden. Vielmehr zeigt es, dass der Arbeitnehmer allein seine Interessen durchsetzen wollte, ohne sich auf eine Überprüfung der Berechtigung der ihm vermeintlich zustehenden Ansprüche einlassen zu müssen. Im Übrigen könnte ein etwaiges eigenes rechtswidriges Verhalten der Arbeitgeberin, das zu der Situation beigetragen hatte, schon deshalb nicht berücksichtigt werden15, weil es sowohl an Feststellungen des Berufungsgerichts als auch an jeder Darlegung des Arbeitnehmers fehlt, warum und in welcher Höhe ihm weiterhin Zuschläge nach § 19 TVöD zugestanden haben sollen. Der Vorwurf, die Arbeitgeberin habe sich bei der Inanspruchnahme von Überstunden an der Grenze des Zulässigen bewegt, lässt ebenfalls kein rechtswidriges Vorverhalten erkennen.

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Das Gewicht der Pflichtverletzung des Arbeitnehmers wird nicht dadurch gemildert, dass er auf Anregung der Personalreferentin und mit Billigung seines Vorgesetzten einen „Ausgleich“ für die Erschwerniszuschläge gemäß § 19 TVöD erzielen wollte. Im Gegenteil verstärkt das bewusste, kollusive Zusammenwirken mit diesen Mitarbeitern zum Nachteil der Arbeitgeberin das Gewicht der Pflichtverletzung, da der ihr gegenüber begangene Vertrauensmissbrauch durch diese Vorgehensweise vergleichsweise sicher vor Entdeckung umgesetzt werden konnte.

Auch war der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht bis zum Ablauf der – fiktiven – Kündigungsfrist am 30.09.2017 zumutbar, weil sie den Arbeitnehmer bis dahin unter Ausschluss jeglicher Überstunden oder bei Ableistung derselben erst nach vorheriger schriftlicher Genehmigung durch den geschäftsführenden Intendanten und den Personalrat hätte weiterbeschäftigen können. Die Störung des Vertrauensverhältnisses der Parteien durch das vorsätzliche und systematische Fehlverhalten des Arbeitnehmers wiegt unabhängig davon, ob eine Wiederholungsgefahr durch solche Maßnahmen ausgeschlossen werden könnte und sie überhaupt praktikabel wäre, besonders schwer16. Auch das Landesarbeitsgericht ist insoweit zu Recht davon ausgegangen, der Arbeitnehmer könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe durch sein Schreiben vom 06.03.2017 ohne Not an der Aufklärung seines Fehlverhaltens, um die er bemüht gewesen sei, mitgewirkt. Er hat dadurch insbesondere keine Einsicht in sein Fehlverhalten gezeigt, die das Gewicht der Vertrauensstörung mindern würde. Mit dem Schreiben vom 06.03.2017 ging es dem Arbeitnehmer nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ersichtlich darum, die Beanstandung der hohen Zahl von geleisteten und ausgezahlten Überstunden zu relativieren.

Die Dauer des Arbeitsverhältnisses der Parteien wirkt sich nicht entscheidend zugunsten des Arbeitnehmers aus. Dabei kann dahinstehen, ob dafür die Beschäftigungszeit des Arbeitnehmers ab dem 23.08.2001 oder – wie das Landesarbeitsgericht meint – erst ab dem 15.09.2008 maßgeblich ist17. Zwar weist das Arbeitsverhältnis im ersteren Fall bei Kündigungszugang eine Dauer von mehr als 16 Jahren auf. Auch hat der Arbeitnehmer nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts über mehrere Jahre hinweg einen überobligatorischen Einsatz gezeigt. Dem kommt aber mangels störungsfreien Verlaufs des Arbeitsverhältnisses kein besonderes Gewicht zu. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass dieses seit dem Jahr 2012 belastet war. Der Arbeitnehmer hat seitdem über einen Zeitraum von fünf Jahren monatlich systematisch seine Rücksichtnahmepflicht gegenüber der Arbeitgeberin verletzt und sich regelmäßig ihm nicht zustehende Zahlungen verschafft.

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Soziale Belange rechtfertigen kein Überwiegen des Interesses des Arbeitnehmers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der – fiktiven – Kündigungsfrist. Zwar sind das Lebensalter und die Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers – entgegen der Auffassung der Revision – grundsätzlich zu berücksichtigen18. Angesichts des schwerwiegenden, systematischen und vorsätzlichen Fehlverhaltens des Arbeitnehmers treten sie im Streitfall aber in den Hintergrund19.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13. Dezember 2018 – 2 AZR 370/18

  1. vgl. BAG 25.04.2018 – 2 AZR 6/18, Rn. 14; 25.01.2018 – 2 AZR 382/17, Rn. 25 mwN[]
  2. BAG 25.01.2018 – 2 AZR 382/17, Rn. 26; 14.12 2017 – 2 AZR 86/17, Rn. 27, BAGE 161, 198[]
  3. BAG 26.09.2013 – 2 AZR 682/12, Rn. 54, BAGE 146, 161; 9.06.2011 – 2 AZR 381/10, Rn. 14 mwN[]
  4. vgl. dagegen BAG 21.06.2012 – 2 AZR 694/11, Rn. 34, BAGE 142, 188[]
  5. vgl. BAG 13.08.1987 – 2 AZR 629/86, zu B III 6 der Gründe[]
  6. vgl. dazu BAG 14.12 2017 – 2 AZR 86/17, Rn. 51, BAGE 161, 198[]
  7. BAG 14.12 2017 – 2 AZR 86/17, Rn. 54, BAGE 161, 198; 29.06.2017 – 2 AZR 302/16, Rn. 26, BAGE 159, 267[]
  8. BAG 23.08.2018 – 2 AZR 235/18, Rn. 40; 29.06.2017 – 2 AZR 302/16, Rn. 27, BAGE 159, 267[][]
  9. BAG 16.08.1991 – 2 AZR 604/90, zu III 3 e bb der Gründe[]
  10. BAG 29.06.2017 – 2 AZR 302/16, Rn. 28, BAGE 159, 267; 20.11.2014 – 2 AZR 651/13, Rn. 22, BAGE 150, 109[]
  11. BAG 23.08.2018 – 2 AZR 235/18, Rn. 41; 14.12 2017 – 2 AZR 86/17, Rn. 54, BAGE 161, 198[]
  12. BAG 24.11.2011 – 2 AZR 614/10, Rn. 16[]
  13. Grundsätze der Strafzumessung[]
  14. vgl. BAG 21.06.2012 – 2 AZR 153/11, Rn.20, BAGE 142, 176; 10.06.2010 – 2 AZR 541/09, Rn. 45, BAGE 134, 349[]
  15. vgl. dazu BAG 14.02.1978 – 1 AZR 76/76, zu 8 der Gründe, BAGE 30, 50[]
  16. vgl. BAG 9.06.2011 – 2 AZR 381/10, Rn. 23[]
  17. vgl. zur Dauer der Betriebszugehörigkeit iSv. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG BAG 6.02.2003 – 2 AZR 623/01, zu II 1 b bb der Gründe[]
  18. vgl. BAG 19.07.2012 – 2 AZR 989/11, Rn. 43, BAGE 142, 351; 26.03.2009 – 2 AZR 953/07, Rn. 28[]
  19. vgl. BAG 27.04.2006 – 2 AZR 415/05, Rn.19; 16.12 2004 – 2 ABR 7/04, zu B II 3 b aa der Gründe[]