Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist, zumutbar ist oder nicht [1].

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen [2].
Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der in Rede stehenden Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf [3]. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind [4]. Ein gegenüber der fristlosen Kündigung in diesem Sinne milderes Mittel ist ua. die ordentliche Kündigung [5].
Als wichtiger Grund ist neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet [6]. Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann [7].
Droht der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel, um die Erfüllung eigener streitiger Forderungen zu erreichen, kann darin – je nach den Umständen des Einzelfalls – ein erheblicher, die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen seine Pflicht zur Wahrung von dessen Interessen liegen [8]. Entsprechendes kann gelten, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nachteilige Folgen mit dem Ziel androht, dieser solle von einer beabsichtigten oder bereits erklärten Kündigung Abstand nehmen [9]. Eine auf ein solches Verhalten gestützte Kündigung setzt regelmäßig die Widerrechtlichkeit der Drohung voraus. Unbeachtlich ist demgegenüber, ob das Verhalten den Straftatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) erfüllt. Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kann einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden [10].
Hier hat der Arbeitnehmer seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme durch die Erklärungen in seinem Schreiben selbst dann nicht verletzt, wenn er sich die Äußerungen seines Prozessbevollmächtigten aufgrund der erteilten Prozessvollmacht (§ 81 ZPO) uneingeschränkt nach § 85 Abs. 1 ZPO zurechnen lassen muss [11]. Das Ansinnen einer gütlichen Einigung hinsichtlich der aus anderen Gründen ausgesprochenen ersten ordentlichen Kündigung war auch in Anbetracht der Ankündigung, im Falle der Nichtäußerung den im Entwurf beigefügten, eine Schilderung der Steuerhinterziehung enthaltenen Schriftsatz bei Gericht einzureichen, nicht widerrechtlich. Darauf, ob sich die Parteien zuvor über das Procedere verständigt hatten, kommt es nicht an.
Eine Drohung setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird [12]. Sie muss nicht ausdrücklich ausgesprochen werden. Die Drohung kann auch versteckt erfolgen, beispielsweise durch eine Warnung oder einen Hinweis auf nachteilige Folgen [13]. Als Übel genügt jeder Nachteil. Das In-Aussicht-Stellen eines zukünftigen Übels ist widerrechtlich, wenn entweder das Mittel, dh. das angedrohte Verhalten, oder der Zweck, dh. die erwartete Willenserklärung, oder jedenfalls der Einsatz des fraglichen Mittels zu dem fraglichen Zweck von der Rechtsordnung nicht gedeckt ist [14].
Die Einführung des Schriftsatzes in den laufenden Kündigungsschutzprozess mag für die Arbeitgeberin ein empfindliches Übel gewesen sein. Das Vorgehen des Arbeitnehmers war aber nicht widerrechtlich. Es war ihm – ebenso wie seine Ankündigung – erlaubt.
Parteien dürfen zur Verteidigung ihrer Rechte schon im Hinblick auf den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) alles vortragen, was als rechts, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann [15]. Ein Prozessbeteiligter darf auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Das gilt jedenfalls so lange, wie er die Grenzen der Wahrheitspflicht achtet [16].
Dass der Arbeitnehmer in dem der Arbeitgeberin vorab übermittelten Schriftsatz leichtfertig unwahre Tatsachenbehauptungen aufgestellt hätte, ist nicht ersichtlich. Das Landesarbeitsgericht hat sein Vorbringen zur Verbuchung privater Aufwendungen und Erstattungsleistungen einer Versicherung mangels ausreichenden Bestreitens der Arbeitgeberin nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden angesehen. Die Würdigung wird von der Arbeitgeberin nicht angegriffen. Ein Rechtsfehler ist auch objektiv nicht erkennbar.
Der Arbeitnehmer hat nicht in rechtswidriger Weise gegen seine aus § 241 Abs. 2 BGB resultierende, durch § 17 UWG ergänzte Verpflichtung verstoßen, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse einschließlich der ihm aufgrund seiner Tätigkeit bekannt gewordenen privaten Geheimnisse der Arbeitgeberin zu wahren [17]. Es kommt nicht darauf an, ob sich die Arbeitgeberin hinsichtlich der in Rede stehenden „Betriebsinterna“ überhaupt auf ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse berufen könnte [18]. Der Arbeitnehmer war jedenfalls im Rahmen des Kündigungsrechtsstreits zur Offenlegung der betreffenden Tatsachen gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten und dem Gericht befugt. Er handelte in Wahrnehmung berechtigter Interessen. Er wollte auf diese Weise unlautere Motive der Arbeitgeberin für die angeblich betriebsbedingte Kündigung dartun. Dass er die Informationen an andere Personen oder Stellen weitergegeben hätte, ist nicht dargetan.
Der bezweckte Erfolg – eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits – war ebenso wenig widerrechtlich. Das gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer seine Weiterbeschäftigung bei der Arbeitgeberin oder die Zahlung einer Abfindung anstrebte. Durch einen Vergleich sollen der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis im Wege des gegenseitigen Nachgebens beseitigt werden (§ 779 Abs. 1 Satz 1 BGB). Sein Abschluss ist in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten – vorbehaltlich eines sittenwidrigen Inhalts der Einigung – grundsätzlich erlaubt [19].
Das Vorgehen des Arbeitnehmers stellt sich auch nicht wegen eines zwischen dem Inhalt des eingereichten Schriftsatzes und der angestrebten Einigung hergestellten Zusammenhangs – der Zweck-Mittel-Relation – als widerrechtlich dar.
Wer sich bei zweifelhafter Rechtslage seinem Vertragspartner gegenüber auf einen objektiv vertretbaren Rechtsstandpunkt stellt, handelt nicht rechtswidrig, wenn er damit den Gegner zum Einlenken veranlassen will. Das gilt auch dann, wenn für den Fall der Nichteinigung eine bestimmte Verteidigungsstrategie angekündigt wird. Eine solche Offenlegung eines beabsichtigten Prozessverhaltens ist – sowohl im Vorfeld einer Klageerhebung als auch im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens – jedenfalls dann rechtlich nicht zu beanstanden, wenn sie weder mutwillig erfolgt, noch zu einer über die Erhebung oder das Bestreiten bestimmter Ansprüche hinausgehenden Belastung des anderen Teils führt [20]. Anders als die Arbeitgeberin meint, reicht es für die Widerrechtlichkeit der Verknüpfung von Mittel und Zweck nicht aus, dass eine Partei auf den Abschluss eines Vergleichs keinen Rechtsanspruch hat [21].
Die Ankündigung des Arbeitnehmers, bei einer Nichteinigung einen dem Entwurf der Replik entsprechenden Schriftsatz bei Gericht einzureichen, wäre allenfalls dann widerrechtlich, wenn sein darin ausgedrückter rechtlicher Standpunkt gänzlich unvertretbar wäre. Das ist nicht der Fall. Der Arbeitnehmer musste nicht von der Wirksamkeit der Kündigung ausgehen. Er durfte sich mit der Behauptung verteidigen, die angestrebte Auflösung des Arbeitsverhältnisses beruhe auf seiner ablehnenden Haltung gegenüber bestimmten buchhalterischen Vorgängen. Seine Anregung, sich vor diesem Hintergrund auf eine einvernehmliche Beilegung des Rechtsstreits zu verständigen, erfolgte im Vertrauen auf eine nicht etwa gänzlich aussichtslose Rechtsposition.
Die Arbeitgeberin war nicht deshalb zur fristlosen Kündigung berechtigt, weil der Arbeitnehmer Fotokopien von Geschäftsunterlagen hergestellt und diese bei Gericht eingereicht hatte. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, insoweit liege keine Verletzung vertraglicher Pflichten vor. Zumindest sei es der Arbeitgeberin nicht unzumutbar gewesen, die Kündigungsfrist einzuhalten. Die Würdigung hält im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
Dem Arbeitnehmer ist es aufgrund der dem Arbeitsvertrag immanenten Pflicht zur Rücksichtnahme verwehrt, sich ohne Einverständnis des Arbeitgebers betriebliche Unterlagen oder Daten anzueignen oder diese für betriebsfremde Zwecke zu vervielfältigen. Betreffen die Unterlagen ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis, ist die Herstellung einer verkörperten Wiedergabe gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b) UWG sogar strafbewehrt, wenn dies zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht geschieht, dem Inhaber des Unternehmens Schaden zuzufügen. Verstößt der Arbeitnehmer rechtswidrig und schuldhaft gegen diese Vorgaben, kann darin ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB liegen. Ob eine außerordentliche Kündigung berechtigt ist, hängt insbesondere von der Motivation des Arbeitnehmers und möglichen nachteiligen Folgen für den Arbeitgeber ab [22].
Im Streitfall hat der Arbeitnehmer ohne Einverständnis der Arbeitgeberin Fotokopien verschiedener, den Geschäftsbetrieb der Arbeitgeberin betreffender Rechnungen und Schecks hergestellt, ohne dass hierfür ein dienstliches Bedürfnis bestanden hätte. Selbst wenn er die Kopien ausschließlich zu seiner Rechtsverteidigung hat verwenden wollen und verwandt hat, durfte das Landesarbeitsgericht daraus nicht ohne Weiteres auf eine Wahrnehmung berechtigter Interessen schließen. Dem Rechtsschutzinteresse einer Partei, die sich nicht im Besitz prozessrelevanter Urkunden befindet, trägt das Gesetz mit den Regelungen zur Vorlagepflicht in § 142 ZPO und § 424 ZPO Rechnung. Besondere Umstände, aufgrund derer der Arbeitnehmer hätte annehmen dürfen, ein entsprechendes prozessuales Vorgehen sei von vorneherein aussichtslos, sind nicht festgestellt.
Es kann dahinstehen, ob sich der Arbeitnehmer für die Rechtfertigung seines Verhaltens auf eine Beweisnot berufen könnte [23]. Sein Verhalten wiegt den Umständen nach jedenfalls nicht so schwer, dass der Arbeitgeberin – auch unter Berücksichtigung ihrer eigenen Interessen – ein Festhalten am Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen wäre.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. Mai 2014 – 2 AZR 249/13
- BAG 21.11.2013 – 2 AZR 797/11, Rn. 15; 10.06.2010 – 2 AZR 541/09, Rn. 16, BAGE 134, 349[↩]
- BAG 21.11.2013 – 2 AZR 797/11, Rn. 17; 19.04.2012 – 2 AZR 258/11, Rn. 14 mwN[↩]
- BAG 21.11.2013 – 2 AZR 797/11 – aaO; 10.06.2010 – 2 AZR 541/09, Rn. 34, BAGE 134, 349[↩]
- BAG 9.06.2011 – 2 AZR 323/10, Rn. 27; 16.12 2010 – 2 AZR 485/08, Rn. 24[↩]
- vgl. BAG 21.11.2013 – 2 AZR 797/11 – aaO; 10.06.2010 – 2 AZR 541/09, Rn. 35, aaO[↩]
- vgl. BAG 27.01.2011 – 2 AZR 825/09, Rn. 29, BAGE 137, 54; 12.03.2009 – 2 ABR 24/08, Rn. 30[↩]
- vgl. BAG 28.10.2010 – 2 AZR 293/09, Rn.19; 10.09.2009 – 2 AZR 257/08, Rn.20, BAGE 132, 72[↩]
- vgl. KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 408[↩]
- ähnlich BAG 11.03.1999 – 2 AZR 507/98, zu II 1 b aa der Gründe; 30.03.1984 – 2 AZR 362/82, zu B I der Gründe; jeweils zur Androhung von Presseveröffentlichungen[↩]
- BAG 21.06.2012 – 2 AZR 694/11, Rn. 21 mwN, BAGE 142, 188[↩]
- zur Problematik vgl. BAG 10.06.2010 – 2 AZR 297/09, Rn. 13 ff.; 28.03.1963 – 2 AZR 379/62, BAGE 14, 147; Zöller/Vollkommer ZPO 30. Aufl. § 85 Rn. 7[↩]
- BAG 9.06.2011 – 2 AZR 418/10, Rn. 14[↩]
- vgl. BAG 9.03.1995 – 2 AZR 644/94, zu 2 der Gründe; BGH 22.11.1995 – XII ZR 227/94, zu 2 der Gründe[↩]
- vgl. BAG 22.10.1998 – 8 AZR 457/97, zu I 4 d bb der Gründe[↩]
- BVerfG 11.04.1991 – 2 BvR 963/90, zu C II 3 der Gründe; BAG 29.08.2013 – 2 AZR 419/12, Rn. 37 mwN[↩]
- vgl. BAG 24.03.2011 – 2 AZR 674/09, Rn. 22; 9.09.2010 – 2 AZR 482/09, Rn. 12[↩]
- zur Eignung solcher Verstöße als wichtiger Grund vgl. BAG 18.03.1982 – 2 AZR 940/79, zu A IV 1 der Gründe[↩]
- zur Problematik vgl. Schaub/Linck ArbR-Hdb 15. Aufl. § 53 Rn. 55[↩]
- vgl. BAG 20.11.1969 – 2 AZR 51/69, zu I der Gründe[↩]
- vgl. BGH 19.04.2005 – X ZR 15/04, zu II 5 a der Gründe[↩]
- so schon RG 11.12 1925 – VI 406/25 – RGZ 112, 226[↩]
- vgl. BAG 18.03.1982 – 2 AZR 940/79, zu A IV 1 der Gründe[↩]
- zur Eignung eines solchen Sachverhalts als Rechtfertigungsgrund vgl. Haller BB 1997, 202, 203[↩]
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