Nach § 149 Abs. 1 ZPO kann das Gericht die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung eines Strafverfahrens anordnen, wenn sich im Laufe des Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlungen auf die Entscheidung von Einfluss sind.

Diese Norm löst den Widerstreit zwischen dem allgemeinen Interesse an Rechtssicherheit und Verfahrensbeschleunigung einerseits und dem subjektiven Interesse der Rechtssuchenden an einem möglichst uneingeschränkten Rechtsschutz andererseits in Zivilverfahren auf, in denen die Entscheidung von einem Verdacht einer Straftat beeinflusst wird1.
Sinn der Aussetzung nach dieser Norm ist die Nutzung der im Strafverfahren häufig umfassenderen Erkenntnisquellen2. Im Rahmen des dem Arbeitsgericht obliegenden Ermessens sind der Gesichtspunkt des dadurch ermöglichten Erkenntnisgewinns mit dem Beschleunigungsgebot des § 9 Abs. 1, 56 ArbGG abzuwägen3.
Voraussetzung für eine Aussetzung ist das Vorliegen des Verdachts einer Straftat. Ein vager Verdacht oder die bloße Behauptung einer Partei reichen nicht. Es bedarf tatsächlicher Anhaltspunkte, die diesen Verdacht stützen. Es müssen zumindest die Voraussetzungen des § 152 Abs. 2 StPO vorliegen4. Es muss also zumindest ein durch konkrete Tatsachen begründeter Anfangsverdacht bestehen, der es als möglich erscheinen lässt, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt. Bloße Vermutungen reichen nicht. Der Verdacht muss jedoch weder dringend noch hinreichend sein5.
Dies sah das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hier als nicht hinreichend vorgetragen an: Vorliegend begründet die Klägerin ihren Verdacht ausschließlich mit der Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft eine Durchsuchung der Geschäftsräume der F. angeordnet hat, was gem. § 102 StPO nur zulässig ist, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen6. Tatsächliche Anhaltspunkte für einen solchen Verdacht trägt sie aber nicht vor. Letztlich handelt es sich um einen Aussetzungsantrag ins Blaue, in der Hoffnung, dass die Staatsanwaltschaft zu einem Erkenntnisgewinn kommt, den sie als neue Tatsache in der Berufungsinstanz einführen könnte. Letztlich vermag die Klägerin derzeit weiterhin über ein strafbares Verhalten der Beklagten nur zu mutmaßen.
Jedenfalls aber war hier für das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg nicht erkennbar, dass die Strafermittlungen Einfluss auf die hier begehrte Entscheidung haben könnten.
Für eine Aussetzung gem. § 149 Abs. 1 ZPO muss hinreichend feststehen, dass der Rechtsstreit nicht aus anderen; vom Ausgang des Strafverfahrens unabhängigen Gründen entscheidungsreif ist. Es muss in ausreichendem Maß abgewogen werden können, mit welchen konkreten für die Entscheidung des Rechtsstreits relevanten Erkenntnisgewinnen durch das Strafverfahren zu rechnen ist3.
Vorliegend kann ein Einfluss erst abgeschätzt werden, wenn überhaupt klar ist, ob die Berufung zulässig ist, zumal das Arbeitsgericht seine Entscheidung auf zwei Begründungen gestützt hat, zum einen auf eine Unzulässigkeit der Klage mangels Bestimmtheit, zum anderen auf eine Unbegründetheit mangels Verstoß gegen § 17 Abs. 2 UWG. Die Klägerin will vorliegend durch die Aussetzung hauptsächlich eine fristgerechte Berufungsbegründung vermeiden, weil sie neue Tatsachen vortragen möchte, die sie derzeit noch nicht kennt. Letztlich will sie also nicht die besseren Erkenntnismöglichkeiten des Strafverfahrens ausnützen, sondern das strenge Fristenregime des § 66 Abs. 1 ArbGG umgehen. Die Aussetzungsvorschrift des § 149 ZPO dient aber nicht der Zielsetzung, eine verfrüht ohne Kenntnis der maßgeblichen Tatbestandsvoraussetzungen erhobene Klage über die Zeitschiene „zu retten“.
Auch materiell gilt: Erst wenn klar ist, auf welche Tatbegehungshandlungen die Klägerin ihr Unterlassungsbegehren stützen möchte, kann auch die Erheblichkeit des Einflusses der strafrechtlichen Ermittlungen hierauf beurteilt werden. Eine Aussetzung nach § 149 Abs. 1 ZPO erfolgt nämlich in der Regel wegen des Einflusses der strafrechtlichen Ermittlungen auf die Beweiswürdigung7. Beweise können aber erst gewürdigt werden, wenn man überhaupt den maßgeblichen Tatsachenvortrag kennt. Bereits daran fehlt es vorliegend bislang.
Landesarbeitsgericht Baden -Württemberg, Beschluss vom 22. Mai 2017 – 4 Sa 27/17
- BVerfG 30.06.2003 – 1 BvR 2022/02[↩]
- BVerfG 30.06.2003 – 1 BvR 2022/02; Hess. LAG 25.09.2013 – 4 Ta 352/13[↩]
- Hess. LAG 25.09.2013 – 4 Ta 352/13[↩][↩]
- Roth in Stein/Jonas ZPO 23. Aufl. § 149 Rn. 3[↩]
- Meyer-Goßner StPO 55. Aufl. § 152 Rn. 4[↩]
- Meyer-Goßner StPO 55. Aufl. § 102 Rn. 2[↩]
- Roth in Stein/Jonas ZPO 23. Aufl. § 149 Rn. 8[↩]