Für die Aussetzungsentscheidung gemäß § 149 ZPO ist es nicht von Belang, ob sich der Verdacht einer Straftat erst im Laufe des Rechtsstreits ergibt oder bereits davor bestand. Bei Sachverhaltsidentität ist die Aussetzung nicht unzulässig, sondern regelmäßig geboten1. Die Vorschriften über die besondere Prozessförderung in Kündigungsverfahren kommen nicht zur Anwendung, wenn nur über den Bestand des Arbeitsverhältnisses in der Vergangenheit gestritten wird.

Entgegen dem Wortlaut der Norm ist es nicht von Belang, ob sich der Verdacht einer Straftat erst im Laufe des Rechtsstreits ergibt oder – wie möglicherweise hier – bereits davor bestand2. Die Norm richtet sich an das Zivilgericht und ermächtigt es, nach eigenständiger Prüfung das Verfahren unter den näher beschriebenen Voraussetzungen auszusetzen. Die Wendung „im Laufe des Rechtsstreits“ ist daher im Kontext mit dem Adressaten der Norm so zu verstehen, dass es auf den – naturgemäß erst nach Beginn des Zivilverfahrens – entstehenden Verdacht seitens des mit der Sache befassten Zivilgerichts ankommt.
Dem entspricht der Normzweck. Er besteht darin, es dem Zivilgericht zu ermöglichen, die Ermittlungen und den Ausgang eines Strafverfahrens abzuwarten, um abweichende Entscheidungen und nicht prozessökonomische Mehrarbeit zu vermeiden; diese Gesichtspunkte greifen unabhängig davon Platz, ob der Verdacht einer Straftat vor oder erst nach Beginn eines Zivilrechtsstreits entsteht3.
Die behauptete Straftat im Sinne von § 149 Abs. 1 ZPO kann zugleich Grundlage des zivilrechtlichen Anspruchs sein; mithin ist der Auffassung, ein Aussetzungsgrund bestehe nicht, wenn es sich in Straf- und Zivilverfahren um denselben Sachverhalt handele4 nicht zu folgen: Das Gesetz geht davon aus, dass die Ermittlungen im Strafverfahren auf die Entscheidung des Zivilrechtsstreits von Einfluss sein können. Der Gesetzgeber hat mit den Vorschriften der §§ 149, 411a, 581 ZPO bewusst weitere Verzahnungen zwischen den Verfahren geschaffen. Gerade mit dem im Jahre 2006 ergänzten § 411a ZPO sollen Ergebnisse des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens in Form von Sachverständigengutachten im Zivilverfahren verwertet werden können; daher ist bei Sachverhaltsidentität eine Aussetzung nicht unzulässig, sondern regelmäßig geboten5.
Im Kündigungsverfahren darf das Arbeitsgericht die Vorschriften über die besondere Prozessförderung in Kündigungsverfahren (§§ 61a, 64 Abs. 8 ArbGG) nicht in seine Ermessensentscheidung einstellen, wenn das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich aus anderen Gründen (hier: durch den Renteneintritt des Arbeitnehmers) beendet wurde.
Zwar wird die Beschleunigungspflicht nach § 9 Abs. 1 ArbGG durch § 61a ArbGG für Bestandsstreitigkeiten nochmals verschärft6. Dies liegt darin begründet, dass Streitigkeiten über die berufliche Situation einer Person mit besonderer Schnelligkeit erledigt werden müssen7. Daraus folgt grundsätzlich, dass ein Arbeitgeber, der – wie vorliegend die Arbeitgeberin – sich aus einem Strafverfahren Erkenntnisse für die Begründung eines Schadensersatzanspruchs erhofft, den er im Wege der Widerklage in den Kündigungsschutzprozess eingeführt hat, das Risiko trägt, dass aufgrund der besonderen Prozessförderungspflichten eine Aussetzung nicht erfolgt8.
Die besondere Prozessförderungspflicht des § 61a ArbGG kommt jedoch vorliegend aufgrund einer teleologischen Reduktion nicht zur Anwendung. Zwar bildet unter anderem eine außerordentliche Kündigung den Gegenstand des Rechtsstreits. Hier besteht aber die Besonderheit, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien, falls es durch die streitbefangene außerordentliche Kündigung der Arbeitgeberin nicht aufgelöst worden sein sollte, inzwischen durch den Renteneintritt des Arbeitnehmers geendet hätte. Wird nur über den Bestand des Arbeitsverhältnisses in der Vergangenheit gestritten, so besteht kein Anlass zur Annahme einer besonderen Beschleunigungspflicht9. Dies ergibt sich aus dem Normzweck. Wird der Sache nach ausschließlich noch um Geldansprüche gestritten, so tritt der in §§ 9 Abs. 1, 61a Abs. 1 ArbGG niedergelegte Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit des Zuwartens in Bestandsstreitigkeiten zurück10. So liegt es hier.
Dass der Arbeitnehmer anführt, er verfolge mit seinem Feststellungsantrag zugleich die Wiederherstellung seiner Reputation, eröffnet gleichfalls nicht die Anwendung der Vorschrift des § 61a Abs. 1 ArbGG. Hauptziel der Norm ist es, eine längere Unsicherheit über die berufliche Lebensgrundlage des Arbeitnehmers zu vermeiden. Streitigkeiten um die Wirksamkeit einer Kündigung dienen nicht in erster Linie zur Beantwortung der Frage, ob sich der Arbeitnehmer zu Recht strafrechtlichen oder moralischen Vorwürfen ausgesetzt sieht. Dies folgt bereits daraus, dass sich die Unwirksamkeit einer Kündigung stets auch aus Gründen ergeben kann, die mit der Berechtigung des Kündigungsvorwurfs nicht im Zusammenhang stehen, zum Beispiel aus der Nichteinhaltung der Kündigungserklärungsfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB, fehlender Beachtung der Schriftform gemäß § 623 BGB oder aus Fehlern bei der Anhörung des Betriebsrats bzw. des Sprecherausschusses. Ob die strafrechtlichen Vorwürfe zutreffen, ist wiederum im Rahmen des gegen den Arbeitnehmer anhängigen Strafverfahrens zu klären. Zu Recht weist die Arbeitgeberin dar-auf hin, dass vor dem Hintergrund jenes Strafverfahrens allein ein Obsiegen des Arbeitnehmers im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht geeignet wäre, die von ihm (pauschal) vorgetragene Schädigung seines Rufes rückgängig zu machen.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Beschluss vom 24. September 2020 – 10 Ta 114/20
- BGH 24.04.2018 – VI ZB 52/16[↩]
- Zöller/Greger, ZPO, 33. Auflage 2020, § 149 Rn. 1[↩]
- BGH 24.04.2018 – VI ZB 52/16, Rn. 15 f. mwN[↩]
- so LAG Berlin 12.10.1981 – 9 Ta 3/81; OLG Celle 12.11.1968 – 7 W 69/89 – NJW 1969, 280; Kloppenburg, in: Düwell/Lipke ArbGG, 5. Auflage 2019, § 55 Rn. 30[↩]
- BGH 24.04.2018 – VI ZB 52/16, Rn. 16 mwN[↩]
- Kloppenburg, in: Düwell/Lipke aaO Rn. 1[↩]
- vgl. EGMR 18.10.2001 – 42505/98 [Mianowicz/Deutschland]; Maul-Sartori in Düwell/Lipke, 5. Auflage 2019, § 64 Rn. 124 mwN[↩]
- LAG Köln 5.07.2017 – 7 Ta 71/17, Rn. 6[↩]
- Kloppenburg, in: Düwell/Lipke, ArbGG, 5. Auflage 2019, § 61a Rn. 3 mwN[↩]
- BVerfG 30.06.2003 – 1 BVR 2022/02 [Kammerbeschluss], Rn.20[↩]
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