Eine suspendierende Betriebsstilllegung während eines Arbeitskampfes muss gegenüber Arbeitnehmern erklärt werden. Hierfür genügt die Bekanntgabe der Stilllegungsentscheidung in betriebsüblicher Weise. Einer individuellen Benachrichtigung der betroffenen Arbeitnehmer bedarf es nicht.

Dies gilt nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts auch gegenüber einem erkrankten Arbeitnehmer: Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG). Ein Entgeltfortzahlungsanspruch besteht nur, wenn die Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache für den Ausfall der Arbeitsleistung ist. Der Anspruch auf Arbeitsentgelt darf nicht bereits aufgrund anderer Ursachen entfallen. Demzufolge setzt der Entgeltfortzahlungsanspruch voraus, dass der erkrankte Arbeitnehmer ohne die Arbeitsunfähigkeit einen Vergütungsanspruch gehabt hätte1.
Für den Vergütungsanspruch während eines Arbeitskampfes gelten Besonderheiten.
Grundsätzlich trägt der Arbeitgeber das sog. Betriebs- oder Wirtschaftsrisiko. Er ist zur Zahlung der Vergütung auch dann verpflichtet, wenn er den Arbeitnehmer ohne sein Verschulden aus betriebstechnischen Gründen nicht beschäftigen kann (Betriebsrisiko) oder wenn die Fortsetzung des Betriebes wegen Auftrags- oder Absatzmangels wirtschaftlich sinnlos wird (Wirtschaftsrisiko).
Diese Risikoverteilung gilt nicht bei einer Betriebsstörung durch einen rechtmäßigen Arbeitskampf (Arbeitskampfrisiko).
Können Arbeitnehmer während eines Arbeitskampfs nicht beschäftigt werden, beurteilt sich die Vergütungspflicht des Arbeitgebers nach den Grundsätzen der arbeitskampfrechtlichen Parität. Störungen des Betriebsablaufs, die auf Streiks oder Aussperrungen beruhen und die Fortsetzung des Betriebs ganz oder teilweise unmöglich oder für den Arbeitgeber wirtschaftlich unzumutbar machen, führen dazu, dass jede Seite das auf sie entfallende Kampfrisiko zu tragen hat. Die vom Arbeitskampf betroffenen Arbeitnehmer verlieren unter diesen Voraussetzungen für die Dauer der arbeitskampfbedingten Störung ihre Beschäftigungs- und Vergütungsansprüche2. Diese grundsätzliche Risikoverteilung gilt nicht nur bei Auftreten von Betriebsstörungen aufgrund der Fernwirkung in einem am unmittelbaren Kampfgeschehen nicht beteiligten Betrieb, sondern auch bei einer Betriebsstörung, die auf einem Arbeitskampf im selben Betrieb beruht3. Andernfalls hätte der unmittelbar kampfbetroffene Arbeitgeber nicht nur das Risiko der arbeitskampfbedingten Betriebsstörung durch den gegen ihn gerichteten Streik, sondern zusätzlich das Risiko der Lohnfortzahlung an die nicht am Streik beteiligten Arbeitnehmer zu tragen, die infolge der Streikauswirkungen nicht beschäftigt werden können. Durch eine solche Risikoverteilung der gewerkschaftlichen Kampfmaßnahme würde das Kräfteverhältnis der kampfführenden Parteien gestört4.
Nach das Bundesarbeitsgerichtsrechtsprechung muss der Arbeitgeber allerdings die Folgen einer gegen ihn gerichteten streikbedingten Arbeitsniederlegung nicht widerstandslos hinzunehmen. Er kann vielmehr – abgesehen von Aussperrungsmaßnahmen – versuchen, durch betriebsorganisatorische Gegenmaßnahmen die Folgen der streikbedingten Betriebsstörung zu begrenzen. Solche Maßnahmen sind durch die Arbeitsniederlegung bedingt und Teil des Systems von Druck und Gegendruck, das den Arbeitskampf kennzeichnet. Dass in derartigen Fällen die Nichtbeschäftigung der Arbeitnehmer des bestreikten Betriebs durch Gegenmaßnahmen des Arbeitgebers mitverursacht ist, steht einer Anwendung der Grundsätze des Arbeitskampfrisikos nicht entgegen5. Die arbeitswilligen Arbeitnehmer behalten ihren Vergütungsanspruch, wenn deren Beschäftigung dem Arbeitgeber rechtlich möglich und wirtschaftlich zumutbar ist6.
Zu den Gegenmaßnahmen des Arbeitgebers gehört auch die Befugnis, die vom Streik betroffene betriebliche Einheit für die Dauer des Streiks ganz oder teilweise stillzulegen. Dies gilt auch, wenn ihm deren teilweise Aufrechterhaltung technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar wäre. Eine suspendierende Stilllegung hat zur Folge, dass auch arbeitswillige Arbeitnehmer ihren Lohnanspruch verlieren7. Zudem werden vom Streikaufruf erfasste, aber arbeitswillige Außenseiter in die Risikogemeinschaft der Arbeitnehmer im Streikgeschehen einbezogen8. Eine solche Maßnahme ist allerdings nur innerhalb des Rahmens möglich, den der Streikaufruf in gegenständlicher und zeitlicher Hinsicht gesetzt hat9. Die vorübergehende Betriebsstilllegung setzt voraus, dass die Geschäftstätigkeit des Arbeitgebers während des Arbeitskampfes weder von diesem selbst oder einem von ihm beauftragten Dritten ausgeführt wird.
Der Arbeitgeber kann sich gegenüber einem den gesamten Betrieb erfassenden Streikaufruf auch darauf beschränken, nicht den gesamten Betrieb, sondern organisatorisch abgegrenzte betriebliche Einheiten stillzulegen. Auch eine solche Entscheidung stellt sich wegen der Einbeziehung der davon betroffenen Außenseiter als Gegenmaßnahme gegenüber dem von der Gewerkschaft geführten Arbeitskampf dar. Dem entspricht es, dass auch deren Arbeitskampfmaßnahmen auf Teile eines Betriebs beschränkt werden können10.
Die Stilllegung des Betriebs oder einer organisatorisch abgrenzbaren betrieblichen Einheit setzt aus Gründen der Rechtsklarheit eine darauf gerichtete Erklärung des Arbeitgebers an die Arbeitnehmer voraus. Die Einstellung der Beschäftigung allein ist nicht eindeutig. Die Erklärung ist an die betroffenen Arbeitnehmer zu richten, deren Arbeitsverhältnisse dadurch suspendiert werden11. Sie muss in einer Form erfolgen, die nach dem gewöhnlichen Verlauf erwarten lässt, dass die vom Stilllegungsentschluss erfassten Arbeitnehmer von ihr Kenntnis erlangen. Dazu ist es ausreichend, wenn die Bekanntgabe in einer im Betrieb üblichen Kommunikationsform erfolgt. Der Arbeitgeber kann davon ausgehen, dass sich seine Stilllegungsabsicht unter den Arbeitnehmern des Betriebs herumspricht. Die Wirksamkeit der vorübergehenden Stilllegung ist nicht von einer individuellen Unterrichtung aller betriebsangehörigen Arbeitnehmer abhängig. Eine solche Informationspflicht würde die Eignung der vorübergehenden Betriebsstilllegung als Kampfmittel in Frage stellen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13. Dezember 2011 – 1 AZR 495/10
- BAG 24.03.2004 – 5 AZR 355/03 – zu I 3 a der Gründe, AP EntgeltFG § 3 Nr. 22[↩]
- BAG 12.11.1996 – 1 AZR 364/96 – zu II 2 b, c der Gründe, BAGE 84, 302[↩]
- BAG 15.12.1998 – 1 AZR 289/98 – zu I 2 a der Gründe, BAGE 90, 280; 27.06.1995 – 1 AZR 1016/94 – zu II der Gründe, BAGE 80, 213[↩]
- BAG 14.12.1993 – 1 AZR 550/93 – zu I 2 der Gründe, BAGE 75, 186[↩]
- BAG 12.11.1996 – 1 AZR 364/96 – zu II 3 b aa der Gründe, BAGE 84, 302[↩]
- BAG 11.07.1995 – 1 AZR 161/95 – zu III 1 der Gründe, BAGE 80, 277[↩]
- BAG 27.06.1995 – 1 AZR 1016/94 – zu III 1 der Gründe, BAGE 80, 213; 31.01.1995 – 1 AZR 142/94 – zu I 2 der Gründe, BAGE 79, 152; 22.03.1994 – 1 AZR 622/93 – zu II 3 b und c der Gründe, BAGE 76, 196[↩]
- BAG 22.09.2009 – 1 AZR 972/08, Rn. 60, BAGE 132, 140[↩]
- BAG 27.06.1995 – 1 AZR 1016/94 – aaO[↩]
- Wißmann JbArbR Bd. 35 S. 115, 120[↩]
- BAG 11.07.1995 – 1 AZR 161/95 – zu II 2 a der Gründe, BAGE 80, 277[↩]
- st. Rspr., BAG 16.02.2012 – 8 AZR 693/10, Rn. 39[↩]
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