Befristete Arbeitsverhältnisse an der Hochschule – und die angemessene Befristungsdauer

Nach § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG in der seit dem 17.03.2016 geltenden Fassung muss die Befristungsdauer der angestrebten Qualifizierung angemessen sein. Die angemessene Befristungsdauer ist einzelfallbezogen, insbesondere unter Berücksichtigung der Verhältnisse im jeweiligen Fach, des angestrebten Qualifizierungsziels und des Qualifizierungsstands des Arbeitnehmers zu ermitteln.

Befristete Arbeitsverhältnisse an der Hochschule – und die angemessene Befristungsdauer

Für die Wirksamkeit der Befristung ist die im Zeitpunkt ihrer Vereinbarung geltende Rechtslage maßgeblich1. In dem hier vom Bundesarbeitsgerichts entschiedenen Fall fällt die arbeitsvertragliche Befristungsabrede daher bereits in den zeitlichen Geltungsbereich des WissZeitVG in der mit dem „Ersten Gesetz zur Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes“ vom 11.03.20162 beschlossenen und am 17.03.2016 in Kraft getretenen Fassung (im Folgenden: WissZeitVG).

Nach § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG muss die vereinbarte Befristungsdauer jeweils so bemessen sein, dass sie der angestrebten Qualifizierung angemessen ist.

Der Gesetzgeber hat bewusst darauf verzichtet, (Mindest-)Vertragslaufzeiten für den Erstvertrag und für Verlängerungsverträge festzulegen3; die Anregung des Bundesrats, eine Mindestbefristungsdauer von 24 Monaten vorzusehen, hat er nicht aufgenommen4, sondern auf den Begriff der Angemessenheit verwiesen. Die Angemessenheit der Vertragslaufzeit soll sich zwar laut Gesetzesbegründung nach den von den Wissenschaftseinrichtungen jeweils erstellten Leitlinien für die Qualifizierung ihrer Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler beurteilen5. Solche Leitlinien sind aber – sofern überhaupt vorhanden – für die Gerichte für Arbeitssachen nicht bindend, weil sie letztlich vom Arbeitgeber vorgegeben sind6. Die angemessene Befristungsdauer ist daher einzelfallbezogen („jeweils“) unter Berücksichtigung der Verhältnisse bei Vertragsschluss zu ermitteln. Dabei kommt es insbesondere auf die Verhältnisse im jeweiligen Fach, das angestrebte Qualifizierungsziel und den Stand der individuellen Qualifizierung des Arbeitnehmers an7. Dies schließt die Annahme aus, eine Vertragslaufzeit von einem oder zwei Jahren sei regelmäßig als angemessen anzusehen8.

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Eine Vertragslaufzeit, mit der die Höchstbefristungsdauer nach § 2 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG ausgeschöpft wird, ist stets angemessen iSv. § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG. Dies folgt zwar nicht aus dem Gesetzeswortlaut, aber aus dem Gesamtzusammenhang und dem Zweck der Regelung. § 2 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG lässt die Befristung von Arbeitsverträgen des nicht promovierten wissenschaftlichen Personals bis zu einer Dauer von sechs Jahren zu. Ein Zeitvertrag während der Promotionsphase muss nicht von vornherein für die Dauer von sechs Jahren vereinbart werden. Das Gesetz lässt innerhalb der Grenze des § 2 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG auch den Abschluss kürzerer Verträge zu. § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG soll bei solchen Verträgen eine unangemessen kurze Befristungsdauer verhindern. Die Regelung betrifft damit nur Verträge, die sich im Rahmen der Höchstbefristungsdauer halten. Wird die zulässige Befristungsdauer – sei es durch den Erstvertrag oder durch einen Verlängerungsvertrag – erreicht, ist die Vertragslaufzeit nach der Wertung des Gesetzgebers angemessen. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass ein Zeitraum von sechs Jahren ausreichend ist, um hinreichenden Spielraum sowohl für die Hinführung zur Promotion als auch für den Abschluss des Verfahrens zu ermöglichen9.

Die Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit der vereinbarten Befristungsdauer obliegt in erster Linie dem Gericht der Tatsacheninstanz und kann in der Revision nur eingeschränkt darauf überprüft werden, ob der Rechtsbegriff selbst verkannt, bei der Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter den Rechtsbegriff Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt oder wesentliche Umstände außer Acht gelassen worden sind10.

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Dieser eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts im Ergebnis stand. Zwar kann die Angemessenheit der Vertragslaufzeit entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts nicht damit begründet werden, dass eine Vertragslaufzeit von zwei Jahren zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen Qualifizierung ausreichend erscheine. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit verkannt, dass die Beurteilung, ob die Vertragslaufzeit der angestrebten Qualifizierung angemessen ist, unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls, insbesondere der Verhältnisse im jeweiligen Fach, des angestrebten Qualifizierungsziels und des Stands der individuellen Qualifizierung des Arbeitnehmers vorzunehmen ist. Aus diesem Grund kann die Angemessenheit auch nicht allein mit der Vertragslaufzeit von zwei Jahren und der dreijährigen Vorbeschäftigung der wiss. Mitarbeiterin als wissenschaftliche Mitarbeiterin begründet werden. Dagegen hat das Landesarbeitsgericht zu Recht die Angemessenheit der Befristungsdauer darauf gestützt, dass die zulässige Befristungsdauer nach § 2 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG mit der vereinbarten Vertragslaufzeit ausgeschöpft wurde.

Im hier entschiedenen Fall ist die Befristung des Arbeitsvertrags ist auch nicht wegen der später vereinbarten Befristung der Arbeitszeitaufstockung unwirksam. Eine etwaige Unwirksamkeit der Befristung der Arbeitszeiterhöhung wirkt sich auf die Wirksamkeit der Befristung des Arbeitsvertrags nicht aus, zumal für die Wirksamkeit einer Befristung grundsätzlich die Umstände im Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgebend sind11.

Ein Arbeitnehmer hat nach dem WissZeitVG keinen Anspruch auf Abschluss eines Verlängerungsvertrags iSv. § 2 Abs. 1 Satz 7 WissZeitVG12. Auch die Vereinbarung einer unangemessen kurzen Vertragslaufzeit führt nicht zu einem Anspruch auf Abschluss eines Verlängerungsvertrags, sondern zur Unwirksamkeit der Befristung.

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Die wiss. Mitarbeiterin konnte im hier entschiedenen Fall den Abschluss eines Verlängerungsvertrags auch nicht nach den Grundsätzen der Selbstbindung der Verwaltung13 in Verbindung mit der behaupteten von der Hochschule geübten Praxis der Ausschöpfung der Höchstbefristungsdauer verlangen. Dabei kann unentschieden bleiben, ob die Grundsätze der Selbstbindung der Verwaltung auf die vorliegende Sachverhaltskonstellation überhaupt anwendbar sind. Jedenfalls besteht der geltend gemachte Anspruch schon deshalb nicht, weil die Höchstbefristungsdauer mit dem letzten befristeten Arbeitsvertrag ausgeschöpft wurde.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. Januar 2021 – 7 AZR 193/20

  1. vgl. BAG 20.05.2020 – 7 AZR 72/19, Rn. 13; 25.04.2018 – 7 AZR 181/16, Rn.20; 30.08.2017 – 7 AZR 524/15, Rn. 14, BAGE 160, 117; 2.09.2009 – 7 AZR 291/08, Rn. 10, BAGE 132, 54[]
  2. BGBl. I S. 442[]
  3. BT-Drs. 18/6489 S. 10[]
  4. BT-Drs. 18/6489 S.20[]
  5. BT-Drs. 18/6489 S. 10 f.[]
  6. Kiel JbArbR 54, 61; Kroll ZTR 2016, 235, 238; Maschmann/Konertz NZA 2016, 257, 263; ErfK/Müller-Glöge 21. Aufl. WissZeitVG § 2 Rn. 4; Staudinger/Preis [2019] § 620 Rn. 282a; APS/Schmidt 6. Aufl. WZVG § 2 Rn. 11; KR/Treber 12. Aufl. § 2 WissZeitVG Rn.19; Preis/Ulber WissZeitVG 2. Aufl. § 2 Rn. 33[]
  7. vgl. Kiel JbArbR 54, 61; ErfK/Müller-Glöge 21. Aufl. WissZeitVG § 2 Rn. 4; Staudinger/Preis [2019] § 620 Rn. 282a; APS/Schmidt 6. Aufl. WZVG § 2 Rn. 11; KR/Treber 12. Aufl. § 2 WissZeitVG Rn.20[]
  8. aA Preis/Ulber WissZeitVG 2. Aufl. § 2 Rn. 36[]
  9. BT-Drs. 16/3438 S. 11[]
  10. vgl. etwa BAG 19.03.2019 – 3 AZR 201/17, Rn. 55, BAGE 166, 136[]
  11. BAG 14.06.2017 – 7 AZR 597/15, Rn.20, BAGE 159, 237; 8.06.2016 – 7 AZR 259/14, Rn. 21, BAGE 155, 227[]
  12. Krause in Geis Hochschulrecht in Bund und Ländern Stand Oktober 2020 § 2 WissZeitVG Rn.12; ErfK/Müller-Glöge 21. Aufl. WissZeitVG § 2 Rn. 2a; Preis/Ulber WissZeitVG 2. Aufl. § 2 Rn. 24; APS/Schmidt 6. Aufl. WZVG § 2 Rn. 12[]
  13. vgl. dazu etwa BAG 24.10.2018 – 10 AZR 19/18, Rn.20; 19.02.2003 – 7 AZR 67/02, zu III 2 c aa der Gründe, BAGE 105, 161; 17.12.1997 – 5 AZR 332/96, zu IV 3 der Gründe, BAGE 87, 311; 11.10.1995 – 5 AZR 1009/94, zu I 2 der Gründe[]
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