Befristungen bei wissenschaftlichem Personal – und die Zeiten der Kinderbetreuung

Nach § 2 Abs. 1 Satz 3 des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes in der bis zum 16.03.2016 geltenden Fassung (WissZeitVG aF) verlängert sich bei Betreuung eines oder mehrerer Kinder unter 18 Jahren die nach § 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 WissZeitVG insgesamt zulässige Befristungsdauer um zwei Jahre je Kind. Auch wenn die Kinderbetreuung ausschließlich nach der Promotion erfolgt, verlängert sich nicht allein die zulässige Befristungsdauer in der sog. Postdoc-Phase nach § 2 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG, sondern die Höchstdauer der gesamten aus der Promotions- und Postdoc-Phase bestehenden Qualifizierungsphase.

Befristungen bei wissenschaftlichem Personal – und die Zeiten der Kinderbetreuung

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG ist die Befristung von Arbeitsverträgen mit wissenschaftlichem Personal an staatlichen Hochschulen, das nicht promoviert ist, bis zu einer Dauer von sechs Jahren zulässig. Nach abgeschlossener Promotion ist nach § 2 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG eine Befristung bis zu einer Dauer von sechs Jahren, im Bereich der Medizin bis zu einer Dauer von neun Jahren zulässig (sog. Postdoc-Phase); die zulässige Befristungsdauer in der Postdoc-Phase verlängert sich in dem Umfang, in dem Zeiten einer befristeten Beschäftigung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG und Promotionszeiten ohne Beschäftigung nach Satz 1 zusammen weniger als sechs Jahre betragen haben. Die nach den Sätzen 1 und 2 insgesamt zulässige Befristungsdauer verlängert sich nach § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG bei Betreuung eines oder mehrerer Kinder unter 18 Jahren um zwei Jahre je Kind. Auf die nach § 2 Abs. 1 WissZeitVG zulässige Befristungsdauer sind nach § 2 Abs. 3 Satz 1 WissZeitVG alle befristeten Arbeitsverhältnisse mit mehr als einem Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit, die mit einer deutschen Hochschule oder einer Forschungseinrichtung iSv. § 5 WissZeitVG abgeschlossen wurden, anzurechnen.

Danach wurde in dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen durch den zuletzt abgeschlossenen befristeten Arbeitsvertrag vom 17.09.2015 die zulässige Höchstbefristungsdauer überschritten. Der Mitarbeiter war bei Abschluss des Vertrags im September 2015 länger als sechs Jahre seit seiner Promotion im September 2006 befristet bei der Hochschule beschäftigt. Eine Verlängerung der Befristungsdauer nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WissZeitVG ist nicht eingetreten, da die Promotionsphase des Mitarbeiters länger als sechs Jahre gedauert hatte. Darüber besteht zwischen den Parteien kein Streit. Zwar betreute der Mitarbeiter nach Abschluss seiner Promotion zwei Kinder unter 18 Jahren. Entgegen der Ansicht der Hochschule führte dies jedoch nach § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG nicht zu einer Verlängerung der Postdoc-Phase von sechs auf zehn Jahre, sondern zu einer Verlängerung der nach § 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 WissZeitVG insgesamt zulässigen Befristungsdauer von zwölf auf 16 Jahre, die durch den zuletzt geschlossenen Vertrag überschritten wird. Das ergibt die Auslegung der Vorschrift.

Weiterlesen:
Bildung eines Konzernbetriebsrats

Für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Der Wortlaut gibt nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers. Unter Umständen wird erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte; vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich. Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, kommt den Gesetzesmaterialien und der Systematik des Gesetzes eine Indizwirkung zu1.

Danach betrifft die in § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG geregelte Verlängerung nicht entweder die in Satz 1 normierte Befristungsdauer vor der Promotion oder die in Satz 2 bestimmte Befristungsdauer nach der Promotion, sondern die Gesamtdauer beider Zeiträume.

Dafür spricht bereits der Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG. Danach verlängert sich die „nach den Sätzen 1 und 2 insgesamt zulässige Befristungsdauer“. Aus dem Wort „insgesamt“ ergibt sich, dass im Rahmen des Satzes 3 – anders als bei Satz 1 und Satz 2 – die Promotionsphase und die Postdoc-Phase nicht getrennt zu betrachten sind, sondern dass eine Gesamtbetrachtung der beiden Zeiträume vorzunehmen ist. Dies lässt sich auch einem gesetzessystematischen Textvergleich mit § 2 Abs. 3 Satz 1 WissZeitVG entnehmen. Dort ist die Anrechnung befristeter Arbeitsverträge „auf die … geregelte zulässige Befristungsdauer“ bestimmt, während in § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG für die Verlängerung der Höchstdauer der Befristung die Formulierung „insgesamt zulässige Befristungsdauer“ gebraucht wird. Im Gesetz ist mithin unterschieden zwischen „zulässiger Befristungsdauer“ und „insgesamt zulässiger Befristungsdauer“2.

Weiterlesen:
Abschiebungsbedingtes Einreise- und Aufenthaltsverbot - und seine Bemessung

Auch aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass die Betreuung eines Kindes unter 18 Jahren nach dem Willen des Gesetzgebers nicht zu einer Verlängerung der Promotions- oder der Postdoc-Phase, sondern zu einer Verlängerung der gesamten aus Promotions- und Postdoc-Phase bestehenden Qualifizierungsphase führen soll3. Das Landesarbeitsgericht Bremen hat in der Vorinstanz4 zu Recht auf die Ausführungen in der Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung arbeitsrechtlicher Vorschriften in der Wissenschaft5 hingewiesen:

„Mit dem Abstellen auf die ‚insgesamt zulässige Befristungsdauer‘ wird zum Ausdruck gebracht, dass sich nicht der jeweilige Befristungsrahmen vor der Promotion und nach der Promotion verlängert, sondern der in der Summe verfügbare Befristungsrahmen. Für ein vor und nach der Promotion erzogenes Kind verlängert sich der Gesamtbefristungsrahmen deshalb nur einmal um zwei Jahre.

Die Verlängerung der Gesamtdauer der nach den Sätzen 1 und 2 zulässigen Befristungsdauer nach dem neuen Satz 3 gilt unabhängig von den in Absatz 5 … vorgesehenen Verlängerungstatbeständen. …“

Damit hat der Gesetzgeber seine Regelungskonzeption klar formuliert. Der mit der Regelung bezweckte Ausgleich für die Dreifachbelastung (Dienstleistung im Arbeitsverhältnis zur Hochschule, Arbeit an einer Promotion oder einer weiteren wissenschaftlichen Qualifikation und Kinderbetreuung)6 des wissenschaftlichen Personals – sog. familienfreundliche Komponente – wird nicht dadurch geschaffen, dass eine der beiden Qualifizierungsphasen verlängert wird, sondern dadurch, dass sich die nach § 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 WissZeitVG insgesamt zulässige Befristungsdauer verlängert.

Weiterlesen:
Leiharbeitnehmer - und die tarifvertragliche Abweichung vom Equal-Pay-Grundsatz

Zwar ließe sich das vom Gesetzgeber mit der Regelungskonzeption verfolgte Ziel, dass sich für ein vor und nach der Promotion betreutes Kind der Befristungsrahmen nur einmal um zwei Jahre verlängert, auch dadurch erreichen, dass sich entweder nur die Höchstbefristungsdauer der Promotionsphase oder die Höchstbefristungsdauer der Postdoc-Phase verlängert7. Der Gesetzgeber hat sich aber ausweislich der Gesetzesbegründung für eine andere, ebenso geeignete Regelungskonzeption entschieden.

Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten kein anderes Auslegungsergebnis. Dabei kann offenbleiben, ob im Hinblick auf den klaren im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers überhaupt eine diesem widersprechende teleologische Auslegung in Betracht käme. Mit der sog. familienfreundlichen Komponente soll der deutlich höheren Kinderlosigkeit des wissenschaftlichen Nachwuchses gegenüber der Vergleichsgruppe der Gesamtheit der akademisch gebildeten weiblichen Bevölkerung entgegengewirkt werden8. Dieses Ziel wird durch die Verlängerung der Gesamtdauer der nach Satz 1 und Satz 2 des § 2 Abs. 1 WissZeitVG zulässigen Befristungsdauer gefördert. Zwar kann es nach dieser Regelungskonzeption in Einzelfällen dazu kommen, dass bei einer Überschreitung der sechsjährigen Höchstbefristungsdauer in der Promotionsphase die Gesamtdauer der Befristung mehr als zwölf Jahre beträgt, so dass sich die familienfreundliche Komponente nach § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG kaum oder gar nicht verlängernd auswirkt. Dies ist aber im Hinblick auf den Zweck des WissZeitVG, eine zügige Qualifizierung zu fördern und eine Fluktuation im Wissenschafts- und Forschungsbereich sicherzustellen9, rechtlich nicht zu beanstanden.

Weiterlesen:
Die in der Dissertation nicht gekennzeichneten Zitate

Die wortlautorientierte Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG führt auch nicht zu einer Schlechterstellung von wissenschaftlichem Personal, das Kinder betreut, gegenüber wissenschaftlichem Personal ohne Kinder. Bei wissenschaftlichem Personal, das keine minderjährigen Kinder betreut, richtet sich die Höchstdauer der Befristung ausschließlich nach § 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 WissZeitVG. Danach steht die sechsjährige (im Bereich der Medizin: neunjährige) Höchstbefristungsdauer in der Postdoc-Phase auch dann zur Verfügung, wenn die sechsjährige Höchstbefristungsdauer in der Promotionsphase überschritten war10. Dies gilt für wissenschaftliches Personal, das ausschließlich in der Postdoc-Phase minderjährige Kinder betreut, gleichermaßen. § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG kann entgegen der Auffassung der Hochschule nicht zu einer Verkürzung der nach § 2 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG vorgesehenen Höchstbefristungsdauer in der Postdoc-Phase führen. § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG sieht bei der Betreuung minderjähriger Kinder nur eine Verlängerung, nicht aber eine Verkürzung der Höchstbefristungsdauer vor. Die Höchstbefristungsdauer in der Postdoc-Phase vermindert sich daher nicht um die Zeit, um welche die sechsjährige Höchstdauer in der Promotionsphase überschritten war. Die Überschreitung der Höchstbefristungsdauer in der Promotionsphase hat in einem solchen Fall lediglich zur Folge, dass die nach § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG vorgesehene Verlängerung der Höchstbefristungsdauer um zwei Jahre pro Kind nicht oder nicht in vollem Umfang eintritt. Damit steht wissenschaftliches Personal, das in der Postdoc-Phase Kinder betreut, nicht schlechter als wissenschaftliches Personal ohne Kinder.

Weiterlesen:
Der nicht gezahlte Arbeitslohn - und die Verzugspauschale

Das Abstellen auf die gesamte aus Promotionsphase und Postdoc-Phase bestehende Qualifizierungsphase führt entgegen der Auffassung der Hochschule auch nicht zu einem Widerspruch dazu, dass nur die zuletzt vereinbarte Befristung der gerichtlichen Kontrolle nach § 17 Satz 1 und Satz 2 TzBfG unterliegt. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung bleibt allein die letzte Befristungsvereinbarung11. Wurden mit dem Arbeitnehmer während der Promotionphase über den nach § 2 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG zulässigen Zeitraum hinaus befristete Arbeitsverträge abgeschlossen und hat der Arbeitnehmer die Rechtsunwirksamkeit der Befristung nicht fristgemäß gerichtlich geltend gemacht, so kann diese nach dem Abschluss weiterer befristeter Arbeitsverträge in der Postdoc-Phase nicht mehr festgestellt werden. Gleichwohl ist bei einer Befristungskontrollklage, die sich gegen eine spätere, in der Postdoc-Phase vereinbarte Befristung richtet, zu prüfen, ob die Voraussetzungen von § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG vorliegen. Dazu gehört die Prüfung, ob die insgesamt zulässige Höchstbefristungsdauer überschritten wurde. Gegenstand der Befristungskontrollklage bleibt gleichwohl die zuletzt vereinbarte Befristung.

Soweit das Bundesarbeitsgericht in der Vergangenheit formuliert hat, die gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG zulässige Höchstbefristungsdauer von sechs Jahren habe sich nach § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG verlängert12 und dies dahingehend verstanden werden konnte, dass sich die Verlängerung auf die Höchstdauer der Postdoc-Phase und nicht auf die zulässige Gesamtdauer nach § 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 WissZeitVG bezog, hält das Bundesarbeitsgericht daran nicht fest.

Danach hat sich vorliegend die nach § 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 WissZeitVG zulässige Höchstbefristungsdauer von zwölf Jahren wegen der Betreuung der beiden Kinder durch den Mitarbeiter auf insgesamt 16 Jahre verlängert. Diese Höchstdauer wurde durch den letzten Vertrag überschritten. Die Parteien schlossen den ersten befristeten Arbeitsvertrag mit Wirkung zum 1.05.1999, wonach der Mitarbeiter bis zum 31.12 1999 in einem befristeten Vollzeitarbeitsverhältnis zur Hochschule stand. In der Zeit vom 01.01.2000 bis zum 31.03.2007 war der Mitarbeiter bei dem BIBA und BIMAQ befristet beschäftigt. Bei diesen Instituten handelt es sich um Forschungseinrichtungen im Sinne von § 5 WissZeitVG. Vom 4.04.2007 bis zum 31.03.2016 war der Mitarbeiter wieder bei der Hochschule beschäftigt. Mithin stand der Mitarbeiter insgesamt 16 Jahre und knapp elf Monate in nach § 2 Abs. 3 Satz 1 WissZeitVG auf die Höchstbefristungsdauer anzurechnenden Arbeitsverhältnissen. Damit kann die streitgegenständliche Befristung nicht auf § 2 Abs. 1 WissZeitVG gestützt werden.

Weiterlesen:
Das nicht vor Urlaubsantritt ausgezahlte Urlaubsentgelt - und die arbeitsvertragliche Verfallklausel

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21. August 2019 – 7 AZR 21/18

  1. vgl. BVerfG 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10 ua., Rn. 66, BVerfGE 133, 168; BAG 21.12 2016 – 5 AZR 374/16, Rn.20 mwN, BAGE 157, 356[]
  2. BAG 24.08.2011 – 7 AZR 228/10, Rn. 27, BAGE 139, 109[]
  3. vgl. zur Bedeutung der Gesetzesmaterialien bei Ermittlung der gesetzlichen Regelungskonzeption BVerfG 6.06.2018 – 1 BvL 7/14 ua., Rn. 74, BVerfGE 149, 126[]
  4. LAG Bremen 07.11.2017 – 1 Sa 31/17[]
  5. BT-Drs. 16/3438 S. 13[]
  6. vgl. BT-Drs. 16/3438 S. 9[]
  7. in diesem Sinne wohl Preis/Ulber WissZeitVG 2. Aufl. § 2 Rn. 69[]
  8. BT-Drs. 16/3438 S. 8[]
  9. vgl. APS/Schmidt 5. Aufl. WZVG § 1 Rn. 5; KR/Treber 12. Aufl. § 1 WissZeitVG Rn. 12[]
  10. vgl. BAG 24.08.2011 – 7 AZR 228/10, Rn. 23, BAGE 139, 109[]
  11. zu diesem Grundsatz vgl. BAG 24.02.2016 – 7 AZR 182/14, Rn. 14 ff. mwN[]
  12. vgl. BAG 8.06.2016 – 7 AZR 568/14, Rn. 24[]

Bildnachweis: