Gegen die Geltungserstreckung der Verfahrenstarifverträge durch das Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (SokaSIG) auf einen nicht originär tarifgebundenen Bauunternehmer durch § 7 Abs. 3 bis Abs. 7 iVm. Anlagen 28 bis 32 SokaSiG bestehen aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts keine verfassungsrechtlichen Bedenken [1].

§ 7 SokaSiG ist mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar [2].
Etwaige Eingriffe in die Tarifautonomie wären jedenfalls gerechtfertigt. Sie erwiesen sich als verhältnismäßig. Dem Gesetzgeber steht ein Prognose- und Beurteilungsspielraum zu. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts hat der Gesetzgeber mit den Erwägungen, die dem SokaSiG zugrunde liegen, den ihm eröffneten Spielraum nicht überschritten [3].
Der Bauunternehmer kann sich insbesondere nicht mit Erfolg darauf berufen, § 7 SokaSiG sei nicht erforderlich gewesen, weil die Vorschrift nicht notwendig gewesen sei, um ein bedeutendes soziales Sicherungssystem aufrechtzuerhalten, und nur eine vergleichsweise geringe Zahl von Arbeitnehmern betroffen sei. Der Beurteilungs- und Prognosespielraum umfasst auch die Einschätzung, ob ein Gesetz erforderlich ist [4]. Die Entscheidung des Gesetzgebers, den Fortbestand der Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft zu sichern, hält sich in den Grenzen, die ihm für die Beurteilung der Erforderlichkeit eröffnet sind.
§ 7 SokaSiG verletzt nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts nicht das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art.20 Abs. 3 GG geschützte Vertrauen tariffreier Arbeitgeber, von rückwirkenden Gesetzen nicht in unzulässiger Weise belastet zu werden [5].
Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Vortrag des Bauunternehmers, er habe nicht erkannt, dass die Tarifverträge der Bauwirtschaft auf ihn anwendbar seien. Ihm könne daher nicht vorgehalten werden, dass er keinen Vertrauensschutz genieße, weil er jahrelang den Verfahrenstarifverträgen der Bauwirtschaft unterlegen sei und Sozialkassenbeiträge gezahlt habe. Die subjektive Sicht des einzelnen Bauunternehmers ist nicht maßgebend. Für die Frage, ob mit einer rückwirkenden Änderung der Rechtslage zu rechnen war, ist von Bedeutung, ob die bisherige Regelung bei objektiver Betrachtung geeignet war, ein Vertrauen der betroffenen Personengruppe auf ihren Fortbestand zu begründen [6].
Der Bauunternehmer berief sich ohne Erfolg darauf, die „Ersetzung“ der unwirksamen Allgemeinverbindlicherklärung durch eine gesetzliche Regelung sei nicht vorhersehbar gewesen. Dem Gesetzgeber steht die Wahl einer anderen Rechtsform als der in § 5 TVG geregelten Allgemeinverbindlicherklärung für die Erstreckung eines Tarifvertrags auf Außenseiter frei. Die Rechtsform ändert nichts an Inhalt und Ergebnis der Erwägungen zu der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen. Ein Vertrauen darauf, nur aufgrund einer wirksamen Allgemeinverbindlicherklärung in Anspruch genommen zu werden, ist nicht schutzwürdig [7].
Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ist § 7 SokaSiG kein nach Art.19 Abs. 1 GG unzulässiges Einzelfallgesetz. Die Bestimmung greift nicht aus einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle einen einzelnen Fall oder eine bestimmte Gruppe heraus [8].
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30. Oktober 2019 – 10 AZR 371/18
- BAG 24.09.2019 – 10 AZR 562/18, Rn.20 ff.; 28.08.2019 – 10 AZR 549/18, Rn. 84 ff.; 28.08.2019 – 10 AZR 550/18, Rn. 23 ff.; 3.07.2019 – 10 AZR 498/17, Rn. 39 ff.; 3.07.2019 – 10 AZR 499/17, Rn. 81 ff.; 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 29 ff.; 27.03.2019 – 10 AZR 512/17, Rn. 32 ff.; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 42 ff., BAGE 164, 201[↩]
- BAG 24.09.2019 – 10 AZR 562/18, Rn. 21 mwN[↩]
- BAG 3.07.2019 – 10 AZR 498/17, Rn. 41 mwN[↩]
- vgl. BVerfG 11.07.2017 – 1 BvR 1571/15, 1 BvR 1588/15, 1 BvR 2883/15, 1 BvR 1043/16, 1 BvR 1477/16, Rn. 162, BVerfGE 146, 71; BAG 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 40[↩]
- BAG 24.09.2019 – 10 AZR 562/18, Rn. 23 ff. mwN[↩]
- BVerfG 17.12 2013 – 1 BvL 5/08, Rn. 64, BVerfGE 135, 1; BAG 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 47[↩]
- BAG 3.07.2019 – 10 AZR 498/17, Rn. 47 mwN[↩]
- BAG 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 64; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 105 ff., BAGE 164, 201[↩]