Überstunden fallen für einen im Rettungsdienst beschäftigten Arbeitnehmer erst an, wenn dieser unter Berücksichtigung des tariflichen Faktors von 0, 5 für Bereitschaftszeiten unter Beachtung des Ausgleichszeitraums nach § 6 Abs. 2 TVöD (hier 2 Jahre) durchschnittlich mehr als 39 Wochenstunden gearbeitet hat. Für die Frage, ob Bereitschaftszeiten vorliegen ist auf die gesamte Tätigkeit des Arbeitnehmers in allen Schichten, nicht auf einzelne Schichten abzustellen.

In dem hier vom Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein entschiedenen Fall ist der Arbeitnehmer im Rettungsdienst in den Jahren 2014 und 2015 gemäß seinem Dienstplan regelmäßig 48 Stunden in der Woche für die Arbeitgeberin tätig gewesen ist. Er hat also die von ihm behaupteten Arbeitsstunden zwischen der 39. und 48. Wochenstunde tatsächlich geleistet. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein handelt es sich bei diesen Arbeitszeiten jedoch nicht um Überstunden i. S. des § 7 Abs. 7 TVöD.
§ 7 Abs. 7 TVöD lautet:
Überstunden sind die auf Anordnung des Arbeitgebers geleisteten Arbeitsstunden, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit von Vollbeschäftigten (§ 6 Abs. 1 S. 1) für die Woche dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen und nicht bis zum Ende der folgenden Kalenderwoche ausgeglichen werden.
Der Arbeitnehmer hat bis zur 48. Wochenstunde nicht über die regelmäßige Arbeitszeit von vollbeschäftigten Arbeitnehmern hinaus gearbeitet. Er war als vollbeschäftigter Arbeitnehmer ebenfalls zur Ableistung einer Wochenarbeitszeit von 48 Wochenstunden verpflichtet. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts haben die Parteien nicht vereinbart, dass der Arbeitnehmer 39 Wochenstunden zu arbeiten hat.
Die Parteien haben ein Vollzeitarbeitsverhältnis i. S. des TVöD vereinbart. Das ergibt sich aus dem zwischen ihnen geschlossen Arbeitsvertrag.
Nach § 1 S. 2 seines Arbeitsvertrags beträgt die regelmäßige Arbeitszeit des Arbeitnehmers 100 % der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit eines entsprechenden Vollbeschäftigten. Die Parteien haben also ein Vollzeitarbeitsverhältnis vereinbart. Dabei haben die Vertragsparteien in § 1 S. 2 des Arbeitsvertrags nicht vereinbart, dass die regelmäßige Arbeitszeit des Arbeitnehmers 48 Stunden beträgt. Eine dahingehende Formulierung enthält der Arbeitsvertrag nicht. Er spricht vielmehr von einem Vollzeitarbeitsverhältnis. Soweit das Arbeitsverhältnis auf den Klammerzusatz in § 1 S. 2 des Arbeitsvertrags abstellen will, heißt es dort nicht, dass mit dem Arbeitnehmer eine wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden vereinbart ist. Vielmehr steht dort nur, dass die regelmäßige Arbeitszeit zurzeit 48/48 Stunden entspricht. Dies kann sich, etwa wenn der Arbeitnehmer nicht mehr im Bereitschaftsdienst tätig sein sollte, ändern. Daraus erklärt sich auch S. 3 des § 1, wonach der Arbeitnehmer grundsätzlich auch zur Ableistung von Bereitschaftsdienst verpflichtet ist. Durch den Teiler 48 weist die Arbeitgeberin bereits im Arbeitsvertrag darauf hin, dass sie – wie im Rettungsdienst allgemein üblich und im Anhang zu § 9 Teil B TVöD ausdrücklich vorgesehen – von der Möglichkeit zur Faktorisierung der Arbeitszeit Gebrauch macht [1].
Mit diesem Inhalt wird der Vertrag auch der Interessenlage der Parteien gerecht. Für Mitarbeiter im Rettungsdienst fallen typischerweise Zeiten der Vollarbeit und Zeiten des Bereitschaftsdienst an. Dies haben auch die Tarifvertragsparteien gesehen, wie die Sonderregelung für Bereitschaftszeiten im Rettungsdienst im Anhang zu § 9 TVöD zeigt. Die Arbeitgeberin könnte ihre Mitarbeiter gar nicht effektiv einsetzen, wenn sie mit diesen eine volle Arbeitsleistung für 48 Stunden vereinbaren würde. Der Arbeitnehmer stünde dann für Bereitschaftsdienst gar nicht mehr zur Verfügung. Die Arbeitgeberin müsste ein völlig neues, wesentlich teureres Dienstplansystem einführen. Der Arbeitnehmer konnte diese Interessenlage der Arbeitgeberin auch ohne weiteres erkennen. Er hatte keine Anhaltspunkte dafür davon auszugehen, die Arbeitgeberin wolle ihn tarifwidrig regelmäßig 48 Wochenstunden in Vollarbeit heranziehen.
In diesem Vollzeitarbeitsverhältnis leistet der Arbeitnehmer tariflich zulässig Vollarbeit und Bereitschaftszeiten im Umfang von 48 Wochenstunden. Die Voraussetzungen des Anhangs zu § 9 Teil B I S. 1 TVöD liegen vor. Für die Beschäftigten bei der Arbeitgeberin, darunter den Arbeitnehmer, fallen regelmäßig und nicht in unerheblichem Umfang Bereitschaftszeiten an. Das ist zwischen den Parteien auch unstreitig. Diese Bereitschaftszeiten müssen vom Arbeitgeber nicht ausdrücklich angeordnet oder zwischen den Parteien vereinbart werden. Die Bereitschaftszeiten für den Personenkreis des Anhangs zu § 9 TVöD ergeben sich vielmehr aus der Art der Tätigkeit selbst. Diese spezielle Arbeitszeitregelung ist bereits dann anzuwenden, wenn Bereitschaftszeiten anfallen und ggf. aufgrund von Erfahrungswerten festgestellt oder bei Fehlen solcher Werte im Wege der Prognose geschätzt werden können [2].
Bei der Frage, ob regelmäßig und in nicht unerheblichem Umfang Bereitschaftszeiten anfallen, ist entgegen der Auffassung des Arbeitnehmers nicht zwischen den einzelnen Schichten zu differenzieren. Das folgt daraus, dass im Anhang zu § 9 Teil B Abs. 1 S. 1 ausdrücklich auf die Tätigkeit der Beschäftigten abgestellt wird. Da keine weitere Differenzierung im Tarif vorgesehen ist, ist damit die gesamte Tätigkeit des Mitarbeiters im Bereitschaftsdienst gemeint. Eine Differenzierung nach Tag- und Nachtschichten oder nach anderen Kriterien der Menge des Arbeitsanfalls ist tariflich nicht vorgesehen. Vielmehr ist für die Frage, ob die Mitarbeiter zulässigen Bereitschaftsdienst leisten oder unzulässig zur Vollarbeitszeit herangezogen werden und damit regelmäßig die gesetzlich zulässige Arbeitszeit von 48 Wochenstunden überschreiten, auf die Tätigkeit im Ausgleichszeitraum nach § 6 Abs. 2 TVöD abzustellen.
Dementsprechend verlangt das Bundesarbeitsgericht auch, dass ein im Bereitschaftsdienst tätiger Mitarbeiter, der Überstundenvergütung verlangt, darlegen muss, dass unter Berücksichtigung des festgelegten tariflichen Faktors von 0, 5 für Bereitschaftszeiten in der Summe von Vollarbeit und Bereitschaftszeit unter Beachtung des Ausgleichszeitraums des § 6 Abs. 2 TVöD durchschnittlich mehr als 39 Stunden wöchentlich gearbeitet worden ist [3].
Damit sind die Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers aus mehreren Gründen unbegründet. Die von ihm eingereichten Aufstellungen für einzelne Tage genügen diesen Darlegungen nicht. Der Arbeitnehmer legt keine wochenweisen Zusammenstellungen vor und legt insbesondere nicht dar, dass er in den Wochen mehr als 39 Wochenstunden in Vollarbeit geleistet hat.
Erst recht nicht dargelegt ist, dass eine etwaige Überschreitung der höchstzulässigen Wochenarbeitszeit von 39 Wochenstunden im Ausgleichszeitraum nicht ausgeglichen worden ist. Bei der Arbeitgeberin beträgt der Ausgleichszeitraum gemäß § 6 Abs. 2 S. 2 TVöD i. V. m. § 2 B der Betriebsvereinbarung „Arbeitszeit in der RKiSH“ zwei Jahre, innerhalb derer die zulässige Arbeitszeit erreicht werden muss. Auf diesen Ausgleichszeitraum ist für die Ermittlung, ob zuschlagspflichtige Mehrarbeit angefallen ist, abzustellen [4]. Entsprechende Darlegungen fehlen.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 28. Februar 2017 – 1 Sa 212/16
- vgl. Anhang zu § 9 Teil B, Abs. 1, S. 2 – 5 TVöD[↩]
- BAG, Urteil vom 17.12.2009 – 6 AZR 729/08, Rn 34[↩]
- BAG, a. a. O., Rn 38[↩]
- so auch LAG Schl.-Holst., Urteil vom 25.09.2008 – 4 Sa 382/07, Rn 31[↩]