Berufsschulbesuch während Arbeitsunfähigkeit – und die Fortzahlung der Ausbildungsvergütung

Der Anspruch auf Fortzahlung der Ausbildungsvergütung nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 BBiG setzt voraus, dass der Auszubildende für die Teilnahme am Berufsschulunterricht freigestellt wird. Nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 BBiG wird die Ausbildungsvergütung gemäß § 17 BBiG fortgezahlt. Es besteht kein eigenständiger Zahlungsanspruch gegen den Ausbilder allein wegen der Teilnahme am Berufsschulunterricht.

Berufsschulbesuch während Arbeitsunfähigkeit – und die Fortzahlung der Ausbildungsvergütung

Eine Freistellung für die Teilnahme am Berufsschulunterricht nach § 15 BBiG kommt nur in Betracht, wenn der Auszubildende anderenfalls verpflichtet wäre, im Betrieb des Ausbildenden zu erscheinen. Besteht ein solche Pflicht nicht, etwa weil der Auszubildende arbeitunfähig erkrankt ist, kann er nicht nach § 15 BBiG für die Teilnahme am Berufsschulunterricht freigestellt werden.

Nimmt ein arbeitsunfähig erkrankter Auszubildender nach Ablauf der Sechs-Wochen-Frist des § 3 Abs. 1 Satz 1 EntgeltfortzahlungsG trotz fortbestehender Arbeitsunfähigkeit am Berufsschulunterricht teil, kann er mangels Freistellung nach § 15 BBiG für diese Tage keine Fortzahlung nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 BBiG vom Ausbilder verlangen.

Dabei ist klarzustellen, dass die Klägerin vom Ausbildungsbetrieb nicht Vergütung „für den Besuch der Berufsschule“ verlangen kann. Vielmehr behält die Klägerin nach der gesetzlichen Systematik des § 19 Abs. 1 Nr. 1 BBiG ihren Vergütungsanspruch gegen den Ausbildungsbetrieb („Fortzahlung“), der nach § 17 Abs. 1 BBiG für die Ausbildung im Betrieb zu gewähren ist, auch im Falle einer Freistellung nach § 15 BBiG. Dies bedeutet, dass die Vergütungspflicht nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 BBiG nur so weit geht, wie die Ausbildungspflicht des Ausbildenden1. Eine Freistellung im Sinne von § 15 BBiG kann nur erfolgen, soweit für den Auszubildenden am betreffenden Tag eine Arbeitspflicht im Betrieb bestanden hätte2.

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Vorliegend konnte die Klägerin vom Ausbildungsbetrieb nicht nach § 15 BBiG für die Teilnahme am Berufsschulunterricht freigestellt werden. Die Klägerin war arbeitsunfähig erkrankt, so dass sie von vornherein keine Arbeitspflicht gegenüber dem Ausbildungsbetrieb hatte, von welcher dieser sie hätte freistellen können. Die Klägerin war seit dem 15.05.2013 durchgehend bis zum Ende des Ausbildungsverhältnisses am 21.01.2014 arbeitsunfähig erkrankt und hat dies gegenüber dem Ausbildungsbetrieb auch jeweils mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachgewiesen. Dabei spielt es keine Rolle, wenn die Klägerin meint zwar arbeitsunfähig aber „schulfähig“ gewesen zu sein. Für die Tätigkeit im Ausbildungsbetrieb war die Klägerin nicht nur nach den ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, sondern auch nach ihrem eigenen Vortrag im Prozess arbeitsunfähig. Dabei ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass eine „Teilarbeitsunfähigkeit“ dem geltenden Arbeits- und Sozialrecht unbekannt ist; der Arbeitgeber ist nach § 266 BGB grundsätzlich nicht verpflichtet, eine nur eingeschränkt angebotene Arbeitsleistung anzunehmen3. Es liegt auch kein Fall vor, in welchem die Klägerin gegenüber dem Ausbildungsbetrieb die volle Arbeitsleistung erbringen könnte, allerdings nicht in der vollen Bandbreite der ihr vertraglich zuweisbaren Tätigkeiten4. Vielmehr hat die Klägerin erklärt, dass sie im fraglichen Zeitraum gänzlich außer Stande gewesen sei, bei dem Ausbildungsbetrieb ihre Tätigkeit aufzunehmen, zumal die Erkrankung ihre Ursache in der Ausbildungssituation im Betrieb habe. Wenn aber die Klägerin gegenüber demAusbildungsbetrieb krankheitsbedingt außer Stande war, die vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen, war sie im Sinne von § 3 Abs. 1 EFZG verhindert, ihre Arbeitsleistung zu erbringen. Eine Freistellung der Auszubildenden nach § 15 BBiG zum Besuch der Berufsschule konnte der Ausbildungsbetrieb nicht vornehmen, da ihm gegenüber wegen erkrankungsbedingter Arbeitsunfähigkeit keine Leistungspflicht bestand. Der Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 BBiG setzt aber voraus, dass eine Freistellung nach § 15 BBiG erfolgt.

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Soweit die Klägerin vorliegend erwähnt, dass die Teilnahme am Berufsschulunterricht „schon aus therapeutischen“ Gründen erfolgt sei, ändert dies an der in diesem Zeitraum bestehenden Arbeitsunfähigkeit in Bezug auf die gegenüber dem Ausbildungsbetrieb vertraglich geschuldete Tätigkeit. Es käme im weitesten Sinne allenfalls eine Art „Wiedereingliederungsmaßnahme“ (§ 74 SGB V) in Betracht. Allerdings würde auch eine Wiedereingliederungsmaßnahme nichts an der weiter bestehenden Arbeitsunfähigkeit ändern. Ein Vergütungsanspruch im Rahmen einer Wiedereingliederungsmaßnahme bestünde im Übrigen nur im Rahmen einer gesonderten Vereinbarung der Parteien. Ohne ausdrückliche Zusage steht dem Arbeitnehmer weder aus einem Wiedereingliederungsvertrag noch aus Gesetz ein Vergütungsanspruch zu5. Eine solche gesonderte Vereinbarung über die Zahlung einer Vergütung für die Zeiten des Besuchs der Berufsschule während andauernder Arbeitsunfähigkeit behauptet auch die Klägerin nicht.

Landesarbeitsgericht Baden -Württemberg, Urteil vom 14. Januar 2015 – 13 Sa 73/14

  1. vgl. Leinemann /Taubert, BBiG, 2. Auflage 2008, § 19 Rn. 7[]
  2. vgl. Leinemann /Taubert, aaO, Rn. 9, mwN[]
  3. vgl. BAG 13.06.2006 – 9 AZR 229/05, Rn. 23, BAGE 118, 252 ff., NZA 2007, 91 ff.[]
  4. vgl. hierzu BAG 9.04.2014 – 10 AZR 637/13 – NZA 2014, 719 ff.[]
  5. vgl. BAG 29.01.1992 – 5 AZR 37/91 – BAGE 69, 272 ff., NZA 1992, 643 f.; BSG 21.03.2007 – B 11a AL 31/06 R – NZS 2008, 160 ff.[]
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