Bei der in § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG bestimmten vierwöchigen Kündigungsfrist handelt es sich um eine Mindestkündigungsfrist und keine zwingende Vorgabe, die vom Auszubildenden nicht überschritten werden darf.

Das ergibt für das Landesarbeitsgericht Niedersachsen die Auslegung des § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG. Für eine im Berufsausbildungsvertrag vereinbarte Kündigungsfrist gilt nichts anderes, zumindest wenn dieser die gemäß § 25 BBiG ohnehin nicht abdingbaren Bestimmungen des Berufsbildungsgesetzes wortwörtlich übernommen hat.
Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektive Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den er hineingestellt ist. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Die Eindeutigkeit der im Wege der Auslegung gewonnenen gesetzgeberischen Grundentscheidung wird nicht notwendig dadurch relativiert, dass der Wortlaut der einschlägigen Norm auch andere Deutungsmöglichkeiten eröffnet, soweit diese Deutungen offensichtlich eher fernliegen. Anderenfalls wäre es für den Gesetzgeber angesichts der Schwierigkeit, textliche Eindeutigkeit herzustellen, nahezu unmöglich, sein Regelungsanliegen gegenüber der Rechtsprechung über einen längeren Zeitraum durchzusetzen [1].
Nach diesen Grundsätzen ergibt die Auslegung von § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG, dass es sich bei der vom Auszubildenden im Falle einer Berufswechselkündigung einzuhaltenden vierwöchigen Frist um eine Mindestkündigungsfrist handelt.
Insoweit ist zunächst auf den Wortlaut des § 22 Abs. 2 BBiG abzustellen. Danach kann nach der Probezeit das Berufsausbildungsverhältnis „nur“ gekündigt werden entweder aus einem wichtigen Grund ohne Einhalten einer Kündigungsfrist oder von Auszubildenden mit einer Kündigungsfrist von vier Wochen, wenn sie die Berufsausbildung aufgeben oder sich für eine andere Berufstätigkeit ausbilden lassen wollen. Das Wort „nur“ in § 22 Abs. 2 BBiG bezieht sich erkennbar auf die in Ziffern 1. und 2. abschließend aufgeführten Kündigungsmöglichkeiten für das Berufsausbildungsverhältnis nach Ablauf der Probezeit. Dabei handelt es sich zum einen um eine fristlose Kündigung, die beiden Parteien des Berufsausbildungsverhältnisses offensteht, sofern ein wichtiger Grund vorliegt, und zum anderen um die ausschließlich dem Auszubildenden eröffnete ordentliche Kündigungsmöglichkeit nach Ziffer 2. im Fall des Berufsausbildungswechsels. Das Wort „nur“ bezieht sich nicht auch auf die in § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG genannte vierwöchige Kündigungsfrist. Dagegen spricht die Position des Wortes „nur“ im Satzaufbau des § 22 Abs. 2 BBiG.
Des Weiteren sind Sinn und Zweck der eingeschränkten Kündigungsmöglichkeit im Berufsausbildungsverhältnis nach Ablauf der Probezeit zu berücksichtigen. Zwar unterscheidet sich ein Berufsausbildungsverhältnis wesentlich von einem Arbeitsverhältnis, weil nicht die Leistung von Arbeit durch den Auszubildenden, sondern seine Ausbildung im Vordergrund steht. Mit dem grundsätzlichen Ausschluss der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit nach Ablauf der Probezeit wird jedoch vom Gesetz den besonderen Interessen beider Parteien im Ausbildungsverhältnis Rechnung getragen; der Auszubildende kann sich während der Ausbildungszeit voll seiner Ausbildung widmen, ohne sich um den Bestand des Ausbildungsverhältnisses sorgen zu müssen; der Ausbildende kann sich darauf verlassen, dass der Auszubildende mit fortschreitender Ausbildungsdauer seine erlernten Fähigkeiten nutzbringend im Betrieb einsetzt [2]. Auf dieser Grundlage erlaubt das Gesetz in § 22 BBiG nach Ablauf der Probezeit lediglich in zwei Konstellationen die vorzeitige Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses. Zum einen, wenn ein wichtiger Grund es entweder für den Auszubildenden oder den Ausbildenden unzumutbar macht, das Ausbildungsverhältnis fortzusetzen. Zum anderen, wenn der Auszubildende die Berufsausbildung beenden bzw. wechseln möchte. Die Ausnahmevorschrift in § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG dient erkennbar in erster Linie dem Schutz und der Gewährleistung der Berufsfreiheit der Auszubildenden aus Art. 12 GG. Diese sollen nicht zur Beendigung einer begonnenen Berufsausbildung gezwungen werden, wenn sie sich für einen anderen Beruf oder Lebensweg entscheiden [3].
Dementsprechend wird auch in den Gesetzesmaterialien zu § 15 BBiG a. F., der inhaltlich übereinstimmt mit § 22 BBiG, ausgeführt, darin werde der Grundsatz statuiert, nach dem Ablauf der Probezeit solle eine ordentliche Kündigung, die keines besonderen Grundes bedarf, ausscheiden. Dies wird damit begründet, dass die Erfüllung der Berufsausbildungsaufgabe eine besonders starke Bindung der Vertragsparteien verlange. Dass eine ordentliche Kündigungsmöglichkeit allein dem Auszubildenden ausnahmsweise eröffnet werde, beruhe auf dem Gedanken, dass dieser auch noch nach Ablauf der Probezeit die Möglichkeit haben solle, den Beruf oder die Tätigkeit, in dem oder in der er ausgebildet werde, zu wechseln [4]. Hieraus wird ersichtlich, dass es sich bei der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit in § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG um eine Ausnahmeregelung handelt, die die verfassungsmäßige Berufsfreiheit des Auszubildenden gewährleistet.
Auf dieser Grundlage ist davon auszugehen, dass die vierwöchige Kündigungsfrist im Wesentlichen eine geordnete Abwicklung des Berufsausbildungsverhältnisses ermöglichen soll. Diesem Sinn und Zweck steht deren Verlängerung über vier Wochen hinaus nicht entgegen. Ein Übereilungsschutz kann damit nicht beabsichtigt sein. Dagegen spricht, dass die Kündigung des Auszubildenden mit Zugang des Kündigungsschreibens wirksam wird und von ihm anschließend nicht mehr einseitig zurückgenommen werden kann [5]. Der Auszubildende muss sich also bereits vor Abgabe der Kündigungserklärung darüber im Klaren werden, ob er das Berufsausbildungsverhältnis beenden will oder nicht. Dieser Wechsel soll nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers geordnet in einem dafür auskömmlichen zeitlichen Rahmen erfolgen. Diesen sieht das Gesetz grundsätzlich mit vier Wochen als ausreichend bestimmt. Dem steht nicht entgegen ihn zu überschreiten, z. B. um einen nahtlosen Übergang in ein neues Ausbildungsverhältnis zu ermöglichen. Das liegt im Interesse des Auszubildenden, dessen Schutz § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG gerade dient. Dem stehen keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen des Ausbildenden entgegen. Soweit in diesem Zusammenhang auf einen nutzlosen Ausbildungsaufwand verwiesen wird, ist das unbehelflich. Während der Dauer der Kündigungsfrist ist der Ausbildende zwar verpflichtet, den Auszubildenden weiter geordnet auszubilden. Der Auszubildende selbst ist aber seinerseits gehalten, sich mit Fortschreiten der Ausbildung in die praktische Arbeit des Ausbildungsbetriebes zunehmend gewinnbringender einzubringen. Diese grundsätzliche Konstellation wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Auszubildende bei einer Berufswechselkündigung eine über vier Wochen hinausgehende Kündigungsfrist wählt. Der vom Auszubildenden bis zum Ende des Ausbildungsverhältnisses zu leistende Einsatz wird für den Ausbildenden nicht deshalb nutzlos, weil dieser die Ausbildung aufgeben möchte. Dabei ist hervorzuheben, dass der Ausbildende auch keinen Anspruch darauf hat, dass der Auszubildende nach Abschluss seiner Ausbildung den vom Ausbildenden im Zuge der Berufsausbildung getätigten erhöhten Aufwand dadurch quasi zurückzahlt, dass er im Betrieb des Ausbildenden verbleibt und seine erworbenen Kenntnisse für diesen – dann als Fachkraft – einbringt. Das ergibt sich eindeutig aus der Regelung in § 12 BBiG, wonach Vereinbarungen, die Auszubildende für die Zeit nach Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses in der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit beschränken, nichtig sind. Nach dem Gesetz behält der Auszubildende trotz des ohne Frage nicht unerheblichen Aufwandes, den der Ausbildende zur Erfüllung seiner Ausbildungsverpflichtung tätigt, mit Rücksicht auf sein Grundrecht auf Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG die volle Entschlussfreiheit im Hinblick auf die Wahl seines zukünftigen Arbeitgebers. Die für den Ausbildenden mit der Ausbildung verbundenen Belastungen stehen nach der gesetzlichen Konstellation dahinter zurück. Dementsprechend ist es nicht als unzumutbare Überforderung des Ausbildenden zu qualifizieren, wenn der Auszubildende eine über die gesetzliche Mindestfrist hinausgehende Kündigungsfrist für die Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses wählt. Ohnehin ist der Auszubildende nicht verpflichtet, eine Berufswechselkündigung innerhalb eines bestimmten zeitlichen Rahmens auszusprechen. Vielmehr steht es ihm in zeitlicher Hinsicht frei, wann er seinen Entschluss zur Aufgabe der Berufsausbildung in verbindlicher Art und Weise nach außen dem Ausbildenden gegenüber durch Ausspruch einer schriftlichen Kündigungserklärung manifestiert. Dazu werden dem Auszubildenden vom Gesetz anders als bei der fristlosen Kündigung keine Vorgaben gemacht. Insgesamt ist deshalb davon auszugehen, dass die vom Auszubildenden bei einer ordentlichen Berufswechselkündigung einzuhaltende Frist von vier Wochen als Mindestkündigungsfrist zu qualifizieren ist und keine zwingende Vorgabe beinhaltet.
Der Auszubildende hat schließlich im vorliegenden Fall auch nicht unter Verstoß gegen § 242 BGB in treuwidriger Weise von seinem Recht auf ordentliche Kündigung unter Überschreitung der gesetzlichen Mindestkündigungsfrist Gebrauch gemacht. Er hat diese lediglich um knapp vier Wochen überschritten, um nahtlos zu seiner neuen Berufsausbildung wechseln zu können. Das ist noch nicht als unzulässige Ausübung einer formalen Rechtsposition zu qualifizieren.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 15. Dezember 2016 – 6 Sa 808/16 [6]