Berufungsbegründung bei voneinander abhängigen prozessualen Ansprüchen – und die Verzugspauschale

Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge sind diejenigen Umstände bestimmt zu bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt.

Berufungsbegründung bei voneinander abhängigen prozessualen Ansprüchen – und die Verzugspauschale

Die Revisionsbegründung muss den angenommenen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Das erfordert eine Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung und die genaue Darlegung der Gesichtspunkte, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll1. Dadurch soll sichergestellt werden, dass der Prozessbevollmächtigte des Revisionsklägers das angefochtene Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel überprüft und mit Blickrichtung auf die Rechtslage genau durchdacht hat. Außerdem soll die Revisionsbegründung durch ihre Kritik des angefochtenen Urteils zur richtigen Rechtsfindung durch das Revisionsgericht beitragen. Die bloße Darstellung anderer Rechtsansichten ohne jede Auseinandersetzung mit den Gründen des Berufungsurteils genügt den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung nicht2.

Danach war die Revision der Arbeitgeberin in dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall ausreichend iSv. § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO begründet:

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hatte in der Vorinstanz angenommen, dem klagenden Arbeitnehmer stehe die geltend gemachte Pauschale wegen Verzugs der Arbeitgeberin mit der Zahlung restlicher Vergütung für den Monat Oktober 2017 zu3. Der Anspruch folge aus § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB. Diese Bestimmung sei mangels einer Bereichsausnahme auch im Arbeitsrecht anwendbar. Die Regelung des § 12a ArbGG schränke nicht den Geltungsbereich von § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB ein, sondern allenfalls umgekehrt.  Die Arbeitgeberin hat in der Revisionsbegründung gerügt, das Landesarbeitsgericht habe die Bestimmung des § 288 Abs. 5 BGB verkannt. Zwar finde diese Vorschrift grundsätzlich auch in den Fällen Anwendung, in denen der Arbeitgeber sich mit der Zahlung von Arbeitsentgelt in Verzug befinde, allerdings schließe § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG als spezielle arbeitsrechtliche Regelung nicht nur einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch wegen erstinstanzlich entstandener Beitreibungskosten, sondern auch einen entsprechenden materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch und damit auch einen Anspruch auf Pauschalen nach § 288 Abs. 5 BGB aus. 

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Damit enthält die Revisionsbegründung der Arbeitgeberin eine ausreichende Auseinandersetzung mit den vom Landesarbeitsgericht in der angefochtenen Entscheidung gegebenen Gründen und legt die Gesichtspunkte hinreichend dar, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll. Zwar genügt ein pauschaler Verweis auf die Entscheidung eines anderen Gerichts4 oder auf eine Pressemitteilung über die Entscheidung eines anderen Gerichts5 allein für eine ordnungsgemäße Begründung der Revision nicht. Allerdings beschränkt sich die Arbeitgeberin in ihrer Revisionsbegründung nicht auf einen pauschalen Hinweis auf die Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 25.09.20186, sondern rügt ausdrücklich, dass das Landesarbeitsgericht die Bestimmung des § 288 Abs. 5 BGB verkannt habe und nimmt die Pressemitteilung durch ihre inhaltliche Wiedergabe in ihre Begründung auf. Die Arbeitgeberin negiert daher nicht nur den vom Landesarbeitsgericht eingenommenen Rechtsstandpunkt, sondern gibt die Argumente des Berufungsgerichts ausdrücklich wieder und setzt sich dann – wenn auch kurz – mit diesen auseinander. 

Die Revision der Arbeitgeberin war darüber hinaus auch begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Arbeitgeberin insoweit zu Unrecht zurückgewiesen, als diese ihre Verurteilung zur Zahlung einer Pauschale nach § 288 Abs. 5 BGB angegriffen hat. Die Klage ist insoweit unbegründet. Der Arbeitnehmer hat gegen die Arbeitgeberin keinen Anspruch auf Zahlung der Pauschale.

Gegen die Zulässigkeit der Berufung bestehen insoweit keine Bedenken, insbesondere wurde die Berufung insoweit ordnungsgemäß iSv. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO begründet.

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Die Zulässigkeit der Berufung ist Prozessfortsetzungsvoraussetzung für das gesamte weitere Verfahren nach Einlegung der Berufung. Sie ist deshalb vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen7.

Nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Die Berufungsbegründung muss erkennen lassen, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art das angefochtene Urteil nach Ansicht des Berufungsklägers unrichtig ist und auf welchen Gründen diese Ansicht im Einzelnen beruht8. Sie muss auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will9.

Werden mehrere selbständige prozessuale Ansprüche zu- oder aberkannt, so muss das Rechtsmittel grundsätzlich hinsichtlich jedes Anspruchs, über den zu Lasten des Rechtsmittelführers entschieden worden ist, begründet werden. Eine eigenständige Begründung der Berufung ist jedoch entbehrlich, wenn mit der Begründung der Berufung über den einen Streitgegenstand zugleich dargelegt ist, dass die Entscheidung über den anderen unrichtig ist10. Das ist etwa der Fall, wenn die Begründetheit des einen Anspruchs denknotwendig von der des anderen abhängt11, so dass mit der Begründung des Rechtsmittels über den einen Streitgegenstand gleichzeitig auch dargelegt ist, worin die Entscheidung über den anderen Streitgegenstand unrichtig sein soll12.

Das Arbeitsgericht Karlsruhe hat erstinstanzlich ausgeführt, die Kündigungsschutzklage sei begründet13. Da das Arbeitsverhältnis aufgrund der fristlosen Kündigung der Arbeitgeberin mit Zugang am 5.10.2017 nicht geendet habe, habe der Arbeitnehmer aus §§ 615, 296 BGB Anspruch auf die eingeklagte Vergütung für den Monat Oktober 2017. Der Anspruch auf die Pauschale folge aus § 288 Abs. 5 BGB.

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Die Arbeitgeberin hat sich in der Berufungsbegründung zwar weder ausdrücklich mit den Ausführungen des Arbeitsgerichts zum Anspruch des Arbeitnehmers auf die Pauschale nach § 288 Abs. 5 BGB noch mit dem Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung der eingeklagten restlichen Vergütung für den Monat Oktober 2017 befasst. Vielmehr hat sie ausschließlich die Annahme des Arbeitsgerichts, die fristlose, vorsorglich ordentlich zum „nächstmöglichen Termin“ ausgesprochene Kündigung der Arbeitgeberin vom 02.10.2017 sei unwirksam, angegriffen. Da allerdings nach der vom Arbeitsgericht gegebenen Begründung das Bestehen des Anspruchs auf die Pauschale nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB unmittelbar vom Bestehen des Anspruchs auf Zahlung restlicher Vergütung für den Monat Oktober 2017, und dieser Anspruch wiederum unmittelbar ausschließlich von der Frage des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses über den 5.10.2017 hinaus und damit von der Frage der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung der Arbeitgeberin abhing, hat die Arbeitgeberin mit ihrem Vorbringen in der Berufungsbegründung zugleich die Annahme des Arbeitsgerichts, der Arbeitnehmer habe nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB Anspruch auf Zahlung einer Pauschale iHv. 40, 00 Euro für den Monat Oktober 2017, ausreichend angegriffen.

Die Revision ist auch begründet. Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch gegen die Arbeitgeberin auf Zahlung einer Pauschale nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB wegen Verzugs der Arbeitgeberin mit der Zahlung der Vergütung für den Monat Oktober 2017.

Zwar ist der Arbeitnehmer, dem die Arbeitgeberin rückständige Vergütung für den Monat Oktober 2017 schuldet, Gläubiger einer Entgeltforderung iSv. § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB14. Die Arbeitgeberin befand sich – wie das Berufungsgericht angenommen hat – mit der Zahlung der Vergütung für den Monat Oktober 2017 auch in Verzug. Hierüber streiten die Parteien nicht mehr.

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Dem Anspruch des Arbeitnehmers aus § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB steht aber § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG entgegen. Diese Bestimmung schließt – wie das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 25.09.201815 entschieden und ausführlich begründet hat – als spezielle arbeitsrechtliche Regelung nicht nur einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch, sondern auch einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Erstattung von bis zum Schluss einer eventuellen ersten Instanz entstandenen Beitreibungskosten und damit insoweit auch einen Anspruch auf Pauschalen nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB aus. Dieser Rechtsprechung haben sich der Fünfte, der Neunte und der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts angeschlossen16.

Das Bundesarbeitsgericht hat es in der Entscheidung vom 25.09.201817 noch dahinstehen lassen, ob die in § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB bestimmte Pauschale auch der Pauschalierung externer Beitreibungskosten dient oder ob § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB im Hinblick auf die Vorgaben der Richtlinie 2011/7/EU unionsrechtskonform dahin auszulegen ist, dass er einen Anspruch auf Zahlung der Pauschale nur für interne Beitreibungskosten vorsieht, und welche Konsequenzen sich daraus ggf. für die in § 288 Abs. 5 Satz 3 BGB vorgesehene Anrechnung der Pauschale auf externe Beitreibungskosten ergeben.

Inzwischen hat der Gerichtshof der Europäischen Union diese Fragen durch zwei Entscheidungen dahin geklärt, dass nach der Richtlinie 2011/7/EU mit dem Betrag von 40, 00 Euro nicht nur die internen, sondern auch die externen Beitreibungskosten pauschaliert werden sollen18. Insoweit spricht der Gerichtshof der Europäischen Union zum einen von einem angemessenen Ersatz für „Beitreibungskosten jedweder Art“19. Zudem führt er aus, dass der von der Richtlinie geforderte wirksame Schutz des Gläubigers gegen Zahlungsverzug bedeute, dem Gläubiger einen möglichst umfassenden Ersatz der ihm entstandenen Beitreibungskosten zu bieten, so dass von solchem Zahlungsverzug abgeschreckt wird20. Insbesondere ergebe sich aus den – nicht verbindlichen – Erwägungsgründen 19 und 20 der Richtlinie 2011/7/EU nicht, dass nur die internen Beitreibungskosten durch den Pauschalbetrag von 40, 00 Euro ersetzt werden könnten und die übrigen Beitreibungskosten einen eigenständigen Schadensersatzanspruch begründeten21.

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Aus den Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 11.04.201922 und vom 13.09.201823 folgt nicht nur, dass § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB keiner unionsrechtskonformen einschränkenden Auslegung dahin bedarf, dass er einen Anspruch auf Zahlung der Pauschale nur für interne Beitreibungskosten vorsieht; die Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union verdeutlichen zudem, dass die Pauschale nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB auch und zentral der Kompensation eines Verzugsschadens dient24, und dass sie keinen Strafschadensersatz beinhaltet25.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. Oktober 2019 – 8 AZR 528/19

  1. vgl. etwa BAG 28.02.2019 – 8 AZR 201/18, Rn. 14 mwN[]
  2. st. Rspr., BAG 31.01.2019 – 2 AZR 426/18, Rn. 13, BAGE 165, 255; 6.07.2016 – 4 AZR 966/13, Rn. 16[]
  3. LAG Baden-Württemberg 15.08.2018 – 21 Sa 28/18[]
  4. vgl. BAG 19.02.2013 – 9 AZR 543/11, Rn. 15[]
  5. vgl. hierzu BAG 31.01.2019 – 2 AZR 426/18, Rn. 15, BAGE 165, 255[]
  6. BAG 25.09.2018 – 8 AZR 26/18[]
  7. st. Rspr., vgl. etwa BAG 3.07.2019 – 10 AZR 499/17, Rn. 12[]
  8. vgl. etwa BAG 24.10.2017 – 1 AZR 166/16, Rn. 11[]
  9. vgl. BAG 14.05.2019 – 3 AZR 274/18, Rn. 18[]
  10. vgl. BAG 30.01.2019 – 5 AZR 450/17, Rn.20, BAGE 165, 168; 20.02.2018 – 1 AZR 531/15, Rn. 13[]
  11. vgl. BAG 16.04.1997 – 4 AZR 653/95; 9.04.1991 – 1 AZR 488/90, zu I der Gründe, BAGE 68, 1; 24.03.1977 – 3 AZR 232/76, zu III 1 der Gründe[]
  12. BAG 9.04.1991 – 1 AZR 488/90 – aaO[]
  13. ArbG Karlsruhe 23.02.2018 – 1 Ca 314/17[]
  14. zum Begriff der Entgeltforderung sowie dazu, dass der Arbeitnehmer „Gläubiger einer Entgeltforderung“ iSv. § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB sein kann, vgl. BAG 25.09.2018 – 8 AZR 26/18, Rn. 12 ff., BAGE 163, 309[]
  15. BAG 25.09.2018 – 8 AZR 26/18, BAGE 163, 309[]
  16. BAG 12.12.2018 – 5 AZR 588/17, Rn. 46 f.; 23.07.2019 – 9 AZN 252/19, Rn. 26; 19.12.2018 – 10 AZR 231/18, Rn. 75, BAGE 165, 1; 30.01.2019 – 10 AZR 596/17, Rn. 40[]
  17. BAG 25.09.2018 – 8 AZR 26/18, Rn. 49, BAGE 163, 309[]
  18. EuGH 11.04.2019 – C-131/18 – [Gambietz]; 13.09.2018 – C-287/17 – [Ceská pojištovna][]
  19. EuGH 11.04.2019 – C-131/18 – [Gambietz] Rn. 17, 18[]
  20. EuGH 11.04.2019 – C-131/18 – [Gambietz] Rn. 21; 13.09.2018 – C-287/17 – [Ceská pojištovna] Rn. 26[]
  21. EuGH 11.04.2019 – C-131/18 – [Gambietz] Rn. 26, 27[]
  22. EuGH 11.04.2019 – C-131/18 – [Gambietz][]
  23. EuGH 13.09.2018 – C-287/17 – [Ceská pojištovna][]
  24. vgl. BT-Drs. 18/1309 S.19[]
  25. BAG 25.09.2018 – 8 AZR 26/18, Rn. 44 ff., BAGE 163, 309[]
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