Berufungseinlegung per beA – und die gerichtliche Papierakte

Durchsuchbarkeit und Kopierbarkeit stellten bis zum 31.12.2021 jedenfalls dann keine Voraussetzung für die Wirksamkeit der Einreichung eines elektronischen Dokuments dar, wenn das Gericht weiterhin die Papierakte führte und der Schriftsatz druckbar war sowie ausgedruckt zur Papierakte genommen wurde.

Berufungseinlegung per beA – und die gerichtliche Papierakte

Gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG ist die Berufung binnen einer Frist von einem Monat ab Zustellung des vollständig abgefassten Urteils einzulegen. Nach § 64 Abs. 6, § 46c Abs. 1 ArbGG in der vom 12.10.2021 bis 31.12.2021 geltenden Fassung (nachfolgend: ArbGG aF) konnte die Berufungsschrift als elektronisches Dokument bei Gericht eingereicht werden, sofern dieses für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet war (§ 64 Abs. 6, § 46c Abs. 2 Satz 1 ArbGG aF).

Gemäß § 46c Abs. 2 Satz 2 ArbGG aF bestimmte die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die für die Übermittlung und Bearbeitung geeigneten technischen Rahmenbedingungen. Nach § 2 Abs. 1 Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung vom 24.11.20171 war das elektronische Dokument in druckbarer, kopierbarer und – soweit technisch möglich – durchsuchbarer Form im Dateiformat PDF zu übermitteln, unter bestimmten Voraussetzungen war auch eine Übermittlung im Format TIFF zulässig. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 ERVV aF mussten die Formate den nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV aF von der Bundesregierung bekanntgemachten Versionen entsprechen. Nach Nr. 1 Satz 1 Elektronischer-Rechtsverkehr-Bekanntmachung 20192 mussten alle für die Darstellung des Dokuments notwendigen Inhalte, insbesondere Grafiken und Schriftarten, in der Datei enthalten sein.

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Die Bestimmungen über die Anforderungen an elektronische Dokumente sind durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 05.10.20213 (nachfolgend: Ausbaugesetz) mit Wirkung ab dem 1.01.2022 geändert worden. In der dazu ergangenen Gesetzesbegründung hat der Gesetzgeber nach seiner Ansicht „klargestellt“, dass der Eingang eines elektronischen Dokuments nur unwirksam sei, wenn es konkret nicht zu bearbeiten sei, es komme auf die „konkrete Eignung zur Bearbeitung durch das Gericht an“4. Das Gericht müsse das Dokument, soweit es konkret bearbeitet werden könne, zulassen, auch wenn die Standards nicht eingehalten seien5.

In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall hatte der Kläger daher am 22.11.2021 frist- und formgerecht Berufung eingelegt, ohne dass es auf die Heilungsmöglichkeit nach § 64 Abs. 6, § 46c Abs. 6 Satz 2 ArbGG aF oder § 64 Abs. 6, § 46c Abs. 6 Satz 2 ArbGG in der ab dem 1.01.2022 geltenden Fassung ankommt. Die am 22.11.2021 als PDF-Datei aus dem beA des Prozessbevollmächtigten des Klägers eingegangene Berufungsschrift ist zwar, anders als nach den bis zum 31.12.2021 geregelten technischen Rahmenbedingungen, weder durchsuchbar noch kopierbar gewesen, zudem sind die verwendeten Schriftarten nicht im elektronischen Dokument eingebettet gewesen. Diese von § 46c Abs. 2 Satz 2 ArbGG aF iVm. § 2 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV aF, Nr. 1 Satz 1 ERVB 2019 verlangten technischen Anforderungen stellten aber bereits vor dem 1.01.2022 jedenfalls dann keine Voraussetzung für die Wirksamkeit der Einreichung eines elektronischen Dokuments dar, wenn – wie im Streitfall – weiterhin die Papierakte führte und der Schriftsatz druckbar war sowie ausgedruckt zur Papierakte genommen wurde. Dies gilt unabhängig davon, ob die Begründung des Ausbaugesetzes entsprechende Rückschlüsse auf die Rechtslage bereits vor dem 1.01.2022 erlaubt6.

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Bei führender Papierakte ist ein elektronisch eingereichtes Dokument auch schon iSv. § 46c Abs. 2 Satz 1 ArbGG aF zur Bearbeitung durch das Gericht geeignet gewesen, wenn es druckbar war und gem. § 298 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur Papierakte genommen wurde. Soweit nach § 46c Abs. 2 Satz 2 ArbGG aF iVm. § 2 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV aF, Nr. 1 Satz 1 ERVB 2019 darüber hinaus verlangt war, dass es durchsuchbar und kopierbar sein musste sowie die verwendeten Schriftarten im Dokument eingebettet, handelte es sich nach Sinn und Zweck der Ermächtigung in § 46c Abs. 2 Satz 2 ArbGG aF, die Lesbarkeit und Bearbeitungsfähigkeit elektronisch eingereichter Dokumente für das Gericht zu gewährleisten7, jedenfalls dann nicht um zwingende Wirksamkeitsvoraussetzungen, wenn weiterhin die Papierakte führte und das Dokument druckbar war und gem. § 298 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur Papierakte genommen wurde. Die Eignung zur Bearbeitung durch das Gericht ist in diesem Fall ausreichend dadurch gewährleistet, dass das Dokument in Form eines Papierausdrucks unveränderlicher Aktenbestandteil ist. Das elektronische Dokument kann dann nach Ablauf von sechs Monaten gelöscht werden (§ 298 Abs. 4 ZPO). Es stellte in dieser Konstellation eine reine Förmelei dar, die Formwirksamkeit des elektronisch eingereichten Schriftsatzes von seiner Durchsuchbarkeit und Kopierbarkeit sowie der Einbettung der verwendeten Schriftarten im elektronischen Dokument abhängig zu machen8. Dies bestätigt auch vorliegend der Umstand, dass die Erstbearbeitung der Berufung durch den Kammervorsitzenden ohne Weiteres anhand der Papierakte möglich war.

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Der hier Zweite Senat setzt sich mit dieser Auffassung nicht in Widerspruch zur Entscheidung des Sechsten Senats vom 12.03.20209. Zwar betrifft die dort erfolgte Auslegung von § 130a Abs. 2 ZPO eine mit § 46c Abs. 2 ArbGG aF wortgleiche Bestimmung. Der Sechste Bundesarbeitsgericht hat angenommen, ein elektronisches Dokument, das nicht iSv. § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV aF durchsuchbar sei, sei nicht iSd. § 130a Abs. 1 Satz 1 ZPO zur Bearbeitung durch das Gericht geeignet. Im entschiedenen Fall war aber nicht festgestellt, dass die fraglichen elektronischen Dokumente druckbar und zur Papierakte genommen worden waren. Daher kann dahinstehen, ob und ggf. mit welchen rechtlichen Folgen die vom Gesetzgeber im Ausbaugesetz vorgenommene „Klarstellung“, wonach „rein formale Verstöße gegen die ERVV dann nicht zur Formunwirksamkeit des Eingangs [führen], wenn das Gericht das elektronische Dokument gleichwohl bearbeiten kann“10 bereits für den Zeitraum nach Inkrafttreten des Gesetzes am 12.10.2021 zu einer geänderten Rechtslage geführt hat, nach der eine auf § 45 Abs. 2 ArbGG gestützte Vorlage an den Großen Senat als unzulässig anzusehen wäre.

Danach hat der Kläger im vorliegenden Fall die Berufung form- und fristgerecht eingelegt:

In der hessischen Arbeitsgerichtsbarkeit wurden und werden die Akten bislang nicht nach § 298a Abs. 1 ZPO elektronisch, sondern weiterhin als Papierakten geführt. Gemäß § 31 Nr. 1 Hessische Justizdelegationsverordnung vom 21.12.2015 wurde dem Minister/der Ministerin zwar die Ermächtigung übertragen, die Rechtsverordnung nach § 298a Abs. 1 Satz 2 ZPO zu erlassen11. In der Anlage zu der auf dieser Grundlage erlassenen Justiz-Informationstechnik-VO vom 29.11.201712 ist das Hessische Landesarbeitsgericht aber nicht aufgeführt13.

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Berufung per beA - nicht ohne (einfache) Signatur

Die im PDF-Format über das beA seines Prozessbevollmächtigen am 22.11.2021 eingereichte Berufungsschrift des Klägers war iSv. § 64 Abs. 6, § 46c Abs. 2 Satz 1 ArbGG aF zur Bearbeitung durch das Landesarbeitsgericht geeignet. Sie ist druckbar gewesen, ausgedruckt zur Papierakte genommen und anhand der Papierakte vom Kammervorsitzenden bearbeitet worden.

Die Einhaltung der weiteren technischen Rahmenbedingungen gem. § 64 Abs. 6, § 46c Abs. 2 Satz 2 ArbGG aF iVm. § 2 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV aF, Nr. 1 Satz 1 ERVB 2019 ist unter diesen Umständen keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die elektronisch eingereichte Berufungsschrift gewesen. Ob und inwiefern für sie überhaupt wirksame Rechtsgrundlagen bestanden14, bedarf daher keiner Entscheidung.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 1. August 2022 – 2 AZB 6/22

  1. BGBl. I S. 3803, geändert durch Verordnung vom 09.02.2018, BGBl. I S.200; nachfolgend: ERVV aF[]
  2. BAnz. AT 31.12.2018 B3; nachfolgend: ERVB 2019[]
  3. BGBl. I S. 4607[]
  4. BT-Drs.19/28399 S. 33 f.[]
  5. BT-Drs.19/28399 S. 40[]
  6. vgl. dazu BAG 25.04.2022 – 3 AZB 2/22, Rn. 22 ff.[]
  7. BT-Drs. 17/12634 S. 25, 37[]
  8. zu § 130a ZPO vgl. BAG 25.04.2022 – 3 AZB 2/22, Rn.20 f.[]
  9. BAG 12.03.2020 – 6 AZM 1/20[]
  10. BT-Drs.19/28399 S. 33[]
  11. GVBl.2016 S. 2[]
  12. GVBl. S. 415[]
  13. vgl. auch BAG 25.04.2022 – 3 AZB 2/22, Rn. 17[]
  14. für die ERVB 2019 verneinend BAG 25.04.2022 – 3 AZB 2/22, Rn. 29 ff.[]
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