Beschäftigungsanspruch eines freigestellten Betriebsratsmitglied

Ist ein Betriebsratsmitglied gemäß § 38 BetrVG vollständig von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellt und stellt der Arbeitgeber die Wirksamkeit der Freistellung nicht infrage, fehlt einer Klage, mit der das freigestellte Betriebsratsmitglied die Verurteilung des Arbeitgebers verlangt, ihn mit bestimmten Tätigkeiten zu beschäftigen bzw. nicht zu beschäftigen, grundsätzlich das berechtigte Interesse, die Gerichte für Arbeitssachen in Anspruch zu nehmen.

Beschäftigungsanspruch eines freigestellten Betriebsratsmitglied

Gemäß § 38 BetrVG sind von ihrer beruflichen Tätigkeit freigestellte Betriebsratsmitglieder von ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtung zur Leistung der versprochenen Dienste (§ 611 Abs. 1 BGB) befreit1. Sie unterliegen nicht mehr dem Direktionsrecht des Arbeitgebers2. In dieser Situation besteht deshalb kein schützenswertes Interesse des Betriebsratsmitglieds, den Arbeitgeber gerichtlich zu verpflichten, sein Direktionsrecht in einer bestimmten Art und Weise auszuüben. Das Bedürfnis nach der gutachterlichen Würdigung der den Kläger interessierenden Frage, mit welchen Tätigkeiten die Beklagte ihn ohne seine Freistellung zu beschäftigen hätte oder nicht beschäftigen dürfte, vermag ein Rechtsschutzinteresse nicht zu begründen. Entgegen der Ankündigung des Klägers hat der Betriebsrat nicht beschlossen, die vollständige Freistellung des Klägers von seiner beruflichen Tätigkeit in eine teilweise Freistellung zu ändern. Nach dem Vorbringen des Klägers in der Revisionsverhandlung stand dies zwar auf der Tagesordnung einer Sitzung des Betriebsrats, ein entsprechender Beschluss wurde jedoch nicht gefasst.

Die Möglichkeit, dass die vollständige Freistellung des Klägers von seiner beruflichen Tätigkeit irgendwann enden könnte, genügt schon deshalb nicht, ein gegenwärtiges Rechtsschutzbedürfnis für die Beschäftigungs- und Unterlassungsklage zu begründen, weil die vom Kläger verlangte Entscheidung bezüglich seiner behinderungsgerechten Beschäftigung gemäß § 81 Abs. 4 SGB IX die Beklagte im Falle einer Beendigung der Freistellung des Klägers nicht binden würde. Die Beklagte wäre durch eine stattgebende Entscheidung grundsätzlich nicht an der Ausübung ihres Weisungsrechts bezüglich der vom Kläger auszuübenden Tätigkeiten gehindert, sodass nicht rechtskräftig geklärt würde, welche Tätigkeiten die Beklagte dem Kläger zuweisen darf3.

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Im Übrigen ist es nicht möglich zu beurteilen, ob und gegebenenfalls welche behinderungsgerechten Beschäftigungsmöglichkeiten bei der Beklagten für den Kläger zu einem ungewissen zukünftigen Zeitpunkt bestehen und wie die Beklagte dann in Anbetracht der aktuellen betrieblichen Verhältnisse unter Berücksichtigung der Behinderung des Klägers von ihrem Weisungsrecht Gebrauch zu machen hat. Dies gilt auch für die Frage, ob eine an sich mögliche Beschäftigung des Klägers der Beklagten gemäß § 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX nicht zumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre.

Soweit der Kläger geltend gemacht hat, seine Situation sei identisch mit der Situation eines arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers, trifft dies nicht zu. Ist die Hauptleistungspflicht kraft Gesetzes suspendiert, kann der Gläubiger von seinem Schuldner die Erbringung der Leistung nicht mehr verlangen. Im Falle einer über den Entgeltfortzahlungszeitraum hinausgehenden Erkrankung ruht das Arbeitsverhältnis demgegenüber grundsätzlich nicht. Es liegt auf Seiten des Arbeitnehmers eine Leistungsstörung vor4.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. September 2014 – 9 AZR 1100/12

  1. Thüsing in Richardi BetrVG 14. Aufl. § 38 Rn. 48; WPK/Kreft BetrVG 4. Aufl. § 38 Rn. 36[]
  2. Fitting 27. Aufl. § 38 Rn. 77; DKKW/Wedde 14. Aufl. § 38 Rn. 66; Weber GK-BetrVG 10. Aufl. § 38 Rn. 82[]
  3. vgl. BAG 25.08.2010 – 10 AZR 275/09, Rn. 16, BAGE 135, 239; GMP/Germelmann 8. Aufl. § 46 Rn. 66[]
  4. vgl. BAG 25.09.2013 – 10 AZR 850/12, Rn. 14 mwN[]
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