Ein tätigkeitsbezogenes generelles Beschäftigungsverbot nach § 4 MuSchG verhindert den zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs nach § 362 Abs. 1 BGB erforderlichen Leistungserfolg auch dann, wenn der Urlaubszeitraum bereits vor Eintritt des Beschäftigungsverbots festgelegt war und der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin keine zumutbare Ersatztätigkeit zugewiesen hat.

§ 17 Satz 2 MuSchG regelt die Unvereinbarkeit von Urlaub und einer (vollständigen) Arbeitsbefreiung infolge mutterschutzrechtlicher Beschäftigungsverbote mit der Folge, dass das Risiko der Leistungsstörung durch ein in den festgelegten Urlaubszeitraum fallendes Beschäftigungsverbot dem Arbeitgeber zugewiesen wird.
Der Urlaubsanspruch ist daher nicht durch Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 BGB untergegangen, soweit für die Arbeitnehmerin infolge des mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots gemäß § 4 Abs. 1 und Abs. 4 Nr. 1 MuSchG iVm. § 4 Abs. 1 Satz 1 MuSchArbV keine Arbeitspflicht besteht.
Zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs bedarf es einer Freistellungserklärung des Arbeitgebers. Diese ist nur geeignet, das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu bewirken, wenn der Arbeitnehmer erkennen muss, dass der Arbeitgeber ihn zur Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub von der Arbeitspflicht freistellen will1. Eine Freistellungserklärung des Arbeitgebers kann nach § 362 Abs. 1 BGB das Erlöschen des Urlaubsanspruchs nur bewirken, soweit für den Freistellungszeitraum eine Arbeitspflicht des Arbeitnehmers besteht2.
Für die Arbeitnehmerin bestand im fraglichen Zeitraum keine Arbeitspflicht. Die Arbeitnehmerin durfte gemäß § 4 Abs. 1 und Abs. 4 Nr. 1 MuSchG iVm. § 4 Abs. 1 Satz 1 MuSchArbV die geschuldete Tätigkeit nicht mehr erbringen. Die Beschäftigungsverbote des § 4 MuSchG treten unmittelbar kraft Gesetzes ein3. Eine Ersatztätigkeit, zu deren Aufnahme die Arbeitnehmerin verpflichtet gewesen wäre4, hat die Arbeitgeberin im hier entschiedenen Fall nicht zugewiesen. Danach war die Arbeitnehmerin weder vertraglich verpflichtet noch tatsächlich in der Lage, andere, nicht vom mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbot erfasste Tätigkeiten auszuüben. Der nach § 362 Abs. 1 BGB erforderliche Leistungserfolg konnte mithin nicht eintreten5. Es ist unerheblich, dass unabhängig davon bei der Arbeitnehmerin der Zweck der Urlaubsgewährung eintreten kann. Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin ist es daher ohne Bedeutung, ob sich die Arbeitnehmerin trotz des tätigkeitsbezogenen generellen Beschäftigungsverbots hätte erholen können6.
Der Urlaubsanspruch der Arbeitnehmerin ist nicht durch Eintritt nachträglicher Unmöglichkeit gemäß § 275 Abs. 1 BGB untergegangen. § 17 Satz 2 MuSchG verhindert den Untergang des Urlaubsanspruchs, der nach Festlegung des Urlaubszeitraums infolge eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots nicht genommen werden kann.
Nach § 17 Satz 2 MuSchG kann die Arbeitnehmerin den vor Beginn der Beschäftigungsverbote nicht oder nicht vollständig erhaltenen Erholungsurlaub auch noch nach Ablauf der Fristen im laufenden Jahr oder im Folgejahr in Anspruch nehmen. Die Bestimmung regelt nicht nur das für das Fristenregime des § 7 Abs. 3 BUrlG maßgebliche Urlaubsjahr7, sondern auch die Unvereinbarkeit von Urlaub und einer (vollständigen) Arbeitsbefreiung infolge mutterschutzrechtlicher Beschäftigungsverbote mit der Folge, dass das Risiko der Leistungsstörung durch ein in den zuvor festgelegten Urlaubszeitraum fallendes Beschäftigungsverbot dem Arbeitgeber zugewiesen wird8.
Eine Arbeitnehmerin hat auch dann iSv. § 17 Satz 2 MuSchG ihren Urlaub vor Beginn der Beschäftigungsverbote nicht oder nicht vollständig erhalten, wenn der Arbeitgeber den Urlaubszeitraum bereits vor Eintritt des mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots festgelegt hatte. Die Arbeitnehmerin „erhält“ ihren Urlaub, wenn die mit der Festlegung des Urlaubszeitraums bezweckte Erfüllungswirkung eintritt. Damit die Verpflichtung zur Urlaubserteilung nach § 362 Abs. 1 BGB erlischt, genügt nicht allein die Vornahme der erforderlichen Leistungshandlung, sondern es muss auch der Leistungserfolg eintreten9. Kann die Arbeitnehmerin nach dem Wortlaut des § 17 Satz 2 MuSchG den vor den Beschäftigungsverboten nicht erhaltenen Urlaub danach ungekürzt in Anspruch nehmen, folgt daraus die gesetzgeberische Wertung, dass Urlaub während der mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote nicht erlöschen kann. § 17 Satz 2 MuSchG enthält eine insoweit den Rechtswirkungen des § 9 BUrlG entsprechende Ausnahme von den Rechtsfolgen des § 275 Abs. 1 BGB10. Ohne die Regelung in § 17 Satz 2 MuSchG würde die Arbeitnehmerin ihren Urlaubsanspruch gemäß § 275 Abs. 1 BGB ersatzlos verlieren, wenn ihr vor Eintritt der mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote Urlaub für diesen Zeitraum bewilligt worden wäre. Der Arbeitgeber würde von der Leistungspflicht frei, weil er mit der Festlegung des Urlaubszeitraums als Schuldner des Urlaubsanspruchs das nach § 7 Abs. 1 BUrlG Erforderliche getan hätte. Würde die Freistellung durch den späteren Eintritt der mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote nachträglich unmöglich, ohne dass der Arbeitgeber diese Unmöglichkeit zu vertreten hätte, würde er nach § 275 Abs. 1 BGB von der Verpflichtung zur Freistellung frei11. Diese Rechtsfolge verhindert § 17 Satz 2 MuSchG zugunsten der schwangeren Arbeitnehmerin12.
Die mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote des § 4 MuSchG sind nicht vom Anwendungsbereich des § 17 Satz 2 MuSchG ausgeschlossen. Unter diese Regelung fallen Urlaubsansprüche, die infolge von generellen oder individuellen Beschäftigungsverboten nicht erfüllt werden konnten. Der in § 17 MuSchG genannte Begriff „mutterschutzrechtliche Beschäftigungsverbote“ macht deutlich, dass die Regelung nicht nur für die generellen Beschäftigungsverbote nach § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 MuSchG gilt, sondern auch für die weiteren mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote13. Hierzu zählen die individuellen mutterschutz-rechtlichen Beschäftigungsverbote wie beispielsweise § 3 Abs. 1 MuSchG14. Für die Nichtanwendung des § 17 Satz 2 MuSchG auf die tätigkeitsbezogenen generellen Beschäftigungsverbote des § 4 Abs. 1 und Abs. 2 MuSchG in Fällen, in denen der Arbeitgeber – wie vorliegend die Arbeitgeberin – der Arbeitnehmerin keine zumutbare Ersatztätigkeit zuweist, findet sich im Gesetz keine Stütze. § 17 Satz 2 MuSchG unterscheidet nicht zwischen den verschiedenen Arten von Beschäftigungsverboten. Auch nach dem Inhalt der Beschäftigungsverbote ist keine Differenzierung geboten. Durch ein tätigkeitsbezogenes generelles Beschäftigungsverbot ist die konkrete Beschäftigung mit der verbotenen Arbeit untersagt. Weist der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin zur Vermeidung eines Arbeitsausfalls keinen Ersatzarbeitsplatz zu, ist die Arbeitnehmerin – wie bei sonstigen Beschäftigungsverboten – insgesamt von ihrer Leistungspflicht entbunden.
Im hier entschiedenen Fall verfiel der Resturlaub aus dem Jahr 2013 weder mit Ablauf des 31.12 2013 noch des 31.03.2014. Die Arbeitnehmerin konnte infolge der mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote nach § 4 Abs. 1, § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 MuSchG ihren Urlaub aus dem Jahr 2013 nicht in diesem Urlaubsjahr nehmen. Nach Ablauf der Verbote im Jahr 2014 bestand dieser Urlaub gemäß § 17 Satz 2 MuSchG noch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses15. Er war deshalb aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 9. August 2016 – 9 AZR 575/15
- st. Rspr., zB BAG 10.02.2015 – 9 AZR 455/13, Rn.19, BAGE 150, 355; 19.05.2009 – 9 AZR 433/08, Rn. 16, BAGE 131, 30[↩]
- st. Rspr., zB BAG 10.02.2015 – 9 AZR 455/13 – aaO; 18.03.2014 – 9 AZR 669/12, Rn. 16[↩]
- BVerwG 27.05.1993 – 5 C 42.89[↩]
- vgl. hierzu BAG 15.11.2000 – 5 AZR 365/99, zu II 1 der Gründe, BAGE 96, 228[↩]
- vgl. BAG 9.08.1994 – 9 AZR 384/92, zu 2 a der Gründe, BAGE 77, 296[↩]
- vgl. für den Fall der Flugdienstuntauglichkeit eines Flugzeugführers BAG 18.03.2014 – 9 AZR 669/12, Rn. 26; aA für das Beschäftigungsverbot nach § 4 MuSchG, weil nur die zulässige Beschäftigung, nicht aber die Arbeitspflicht als solche beschränkt sei: HWK/Hergenröder 7. Aufl. § 17 MuSchG Rn. 2; Buchner/Becker MuSchG/BEEG 8. Aufl. Vor §§ 3 bis 8 MuSchG Rn. 50; Hk-MuSchG/BEEG/Pepping 4. Aufl. § 17 MuSchG Rn. 18; wohl auch Friese NZA 2003, 597, 601[↩]
- vgl. BAG 15.12 2015 – 9 AZR 52/15, Rn.19[↩]
- Düwell in jurisPK-Vereinbarkeit von Familie und Beruf Kap.05.23 Rn. 12[↩]
- BAG 9.08.1994 – 9 AZR 384/92, zu 2 a der Gründe, BAGE 77, 296[↩]
- vgl. hierzu BAG 18.03.2014 – 9 AZR 669/12, Rn. 23[↩]
- so ausdrücklich zur Rechtslage vor Inkrafttreten des § 17 Satz 2 MuSchG BAG 9.08.1994 – 9 AZR 384/92, zu 2 b der Gründe, aaO[↩]
- AnwK-ArbR/Düwell 2. Aufl. Bd. 2 § 7 BUrlG Rn. 82 f.; ders. in jurisPK-Vereinbarkeit von Familie und Beruf Kap.05.23 Rn. 12; Graue AiB 2002, 589, 592[↩]
- vgl. BAG 15.12 2015 – 9 AZR 52/15, Rn. 14[↩]
- so ausdrücklich BAG 15.12 2015 – 9 AZR 52/15 – aaO[↩]
- vgl. BAG 15.12 2015 – 9 AZR 52/15, Rn. 13 ff.[↩]