Betriebliche Altersversorgung mit Kapitalwahlrecht – und die Ersetzungsbefugnis des Arbeitgebers

Ein in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Versorgungsschuldners geregeltes Recht, nach seiner Entscheidung anstelle der Zahlung laufender Renten eine mindestens barwertgleiche, einmalige Kapitalzahlung zu leisten, ist mit § 308 Nr. 4 BGB vereinbar. Die konkrete Ausübung der Ersetzungsbefugnis muss jedoch die Grenzen billigen Ermessens im Sinne von § 315 BGB wahren.

Betriebliche Altersversorgung mit Kapitalwahlrecht – und die Ersetzungsbefugnis des Arbeitgebers

In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall stellen die in der Versorgungszusage getroffenen Abreden stellen zumindest Einmalbedingungen im Sinne von § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB dar, deren Auslegung nach den Grundsätzen für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen erfolgt1. Allgemeine Geschäftsbedingungen und Einmalbedingungen im Sinne von § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB sind – ausgehend vom Vertragswortlaut – nach ihrem objektiven Inhalt und typischem Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von rechtsunkundigen, verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind2. Die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen durch das Berufungsgericht unterliegt der uneingeschränkten Prüfung durch das Revisionsgericht3.

Ausgehend davon haben die Arbeitsvertragsparteien in der vorliegenden Versorgungszusage keine Wahlschuld im Sinne von § 262 BGB vereinbart, sondern eine Ersetzungsbefugnis.

Nach der Versorgungszusageist es der Arbeitgeberin vorbehalten, anstelle der Renten eine wertgleiche, einmalige Kapitalabfindung zu zahlen, wodurch sämtliche Ansprüche aus dieser Versorgungszusage erlöschen. Die Höhe der einmaligen Kapitalzahlung entspricht danach dem Barwert der künftigen Versorgungsansprüche und Versorgungsanwartschaften, ermittelt nach den Rechnungsgrundlagen des versicherungsmathematischen Gutachtens über die Höhe der ertragssteuerlich zulässigen Pensionsrückstellung gemäß § 6a EStG zum letzten Bilanztermin vor der Abfindung. Damit haben die Parteien vereinbart, dass die Arbeitgeberin zu einer wertgleichen Ersetzung der monatlichen Rentenzahlungen durch eine einmalige Kapitalleistung in Höhe des versicherungsmathematisch ermittelten Barwerts der Rentenleistung berechtigt ist. Dies stellt keine Wahlschuld, sondern eine Ersetzungsbefugnis dar.

Eine Wahlschuld liegt vor, wenn mehrere verschiedene Leistungen, die als spezifizierte Einzelleistungen gedacht sind, in der Weise geschuldet werden, dass nach späterer Wahl des Schuldners oder Gläubigers nur eine, die gewählte, zu bewirken ist. Der Schuldner ist nur zu einer Leistung verpflichtet, der Gläubiger hat nur eine Forderung. Die schuldrechtliche Bindung umfasst zunächst alle Einzelleistungen, zu erbringen ist jedoch nur die gewählte; diese gilt nach der Wahl als die von Anfang an allein geschuldete, § 263 Abs. 2 BGB4. Das Wahlschuldverhältnis ist daher ein einheitliches Schuldverhältnis mit zunächst relativ unbestimmtem, aber bestimmbarem Inhalt. Die Wahlschuld konkretisiert sich auf eine der geschuldeten Leistungen erst nach der Ausübung dieses Wahlrechts5.

Die Arbeitgeberin schuldet nach der Versorgungszusage nicht „mehrere Leistungen“ im Sinne von § 262 BGB. Die Versorgungszusageräumt ihr vielmehr das Recht ein, die eigentlich geschuldete Zahlung laufender Renten durch die einmalige Zahlung einer Kapitalabfindung zu ersetzen und dadurch ihre Verpflichtungen aus der Versorgungszusage zum Erlöschen zu bringen. Dabei handelt es sich um eine sog. Ersetzungsbefugnis (facultas alternativa), die im Gesetz nicht geregelt, als Rechtsfigur indes anerkannt ist. Dogmatisch bedeutet die Ersetzungsbefugnis das Recht, ein bestimmtes Schuldverhältnis nachträglich inhaltlich zu ändern6. Im Unterschied zur Wahlschuld ist bei der Ersetzungsbefugnis das Schuldverhältnis von Anfang an bestimmt. Die Leistungspflicht des Schuldners ist konkret festgelegt; nur eine Leistung wird geschuldet, nicht mehrere dem Schuldner zur Wahl gestellte Leistungen. Allerdings ist dem Schuldner – durch Vertrag oder Gesetz – das Recht eingeräumt, die geschuldete Leistung durch eine andere zu ersetzen und sich so von seiner Verbindlichkeit zu befreien7. So liegt es auch hier. Es sind nicht von vornherein zwei alternative Versorgungsleistungen zugesagt, sondern eine Rentenzahlung, deren Ersetzung durch eine einmalige wertgleiche Kapitalleistung sich die Arbeitgeberin vorbehielt.

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Aus dem Wortlaut und der Gesamtschau der Regelungen im Dienstvertrag und dem hierzu beigefügten Anhang ergibt sich im vorliegenden Fall, dass die zugesagten Leistungen der betrieblichen Altersversorgung durch den Dienstvertrag und insbesondere dessen Anhang nicht geändert werden sollten. Vielmehr dient der Anhang erkennbar der kurz gefassten Wiedergabe dessen, was aufgrund bereits bestehender Vereinbarungen gilt. Insbesondere der Teil des Anhangs betreffend die weitere und vorliegend streitige betriebliche Altersversorgung enthält keine eigenständige Regelung. Er geht lediglich unzutreffend davon aus, dass bei der VOLBAGWOHL BUND Lebensversicherung a.G. eine betriebliche Altersversorgung bestehe, zu der der Arbeitgeber die Beiträge vollständig trage. Die Versorgungszusage vom 01.10.1997 hat jedoch keine Direktversicherung im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG iVm. § 1b Abs. 2 BetrAVG zum Gegenstand, sondern eine Direktzusage des Arbeitgebers nach § 1 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG. Die angesprochene Versicherung vom 01.10.1997 ist die zeitgleich abgeschlossene Rückdeckungsversicherung der Arbeitgeberin mit der VOLBAGWOHL BUND Lebensversicherung a.G., bei der die Arbeitgeberin Versicherungsnehmerin und Bezugsberechtigte ist, der Arbeitnehmer lediglich versicherte Person. Diese Rückdeckungsversicherung ist an den Arbeitnehmer und seine Ehefrau verpfändet worden. Es ist fernliegend, dass die Parteien der Versorgungszusage und des Dienstvertrags durch die Formulierung im Anhang des Dienstvertrags die Rückdeckungsversicherung in eine Direktversicherung umwandeln8 und damit dem Arbeitnehmer das Bezugsrecht aus der Rückdeckungsversicherung hätten zukommen lassen wollen. Bei diesem Verständnis wäre die VOLBAGWOHL BUND Lebensversicherung a.G. Schuldnerin der Leistungen der betrieblichen Altersversorgung geworden und die Arbeitgeberin würde lediglich im Wege der Einstandspflicht nach § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG haften. Diese Annahme wäre nicht vom Parteiwillen getragen. Der Arbeitnehmer selbst geht erkennbar hiervon nicht aus. Vielmehr meint er, dass die ursprüngliche Versorgungszusage der Arbeitgeberin vom 01.10.1997 durch den Anhang nur insoweit geändert wurde, dass die bisher vorhandene Ersetzungsbefugnis der Arbeitgeberin aufgehoben worden sei. Für eine Absicht, die ursprüngliche Zusage in dieser Weise isoliert zu ändern, gibt es indes im Dienstvertrag und seinem Anhang keine Anhaltspunkte.

Die Ersetzungsbefugnis verstößt weder gegen das Verzichtsverbot aus § 3 BetrAVG noch stehen ihr betriebsrentenrechtliche Wertungen entgegen.

Die Ersetzungsbefugnis stellt keine unzulässige Abfindung einer Anwartschaft bzw. laufender Rentenleistungen im Sinne von § 3 Abs. 1 BetrAVG dar. Mit ihr wird nicht auf eine Anwartschaft oder eine laufende Leistung verzichtet, vielmehr wird mit der Kapitalleistung der Anspruch aus der Versorgungszusage erfüllt9. Das Kapitalwahlrecht kann allerdings nur bis zum Beginn des Leistungszeitraums ausgeübt werden. Ansonsten müssten, da es sich dann um eine Abfindung bereits laufender Rentenleistungen handeln würde, die Voraussetzungen von § 3 BetrAVG erfüllt sein. Ein durch die Versorgungsregelung vorgesehenes Kapitalwahlrecht des Arbeitgebers ist in § 3 BetrAVG nicht privilegiert10.

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Es gibt auch keine betriebsrentenrechtlichen Wertungen, die einer Ersetzungsbefugnis grundsätzlich entgegenstünden. Sowohl die Zahlung lebenslänglicher Renten als auch die Zahlung einmaliger Kapitalbeträge erfüllen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG. Das Betriebsrentengesetz anerkennt beide Formen der Versorgung.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG liegt betriebliche Altersversorgung vor, wenn dem Arbeitnehmer aus Anlass seines Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber Leistungen der Alters, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung zugesagt sind. Die Zusage muss einem Versorgungszweck dienen und die Leistungspflicht muss nach dem Inhalt der Zusage durch ein im Gesetz genanntes biologisches Ereignis, nämlich Alter, Invalidität oder Tod ausgelöst werden. Erforderlich und ausreichend ist, dass durch die vorgesehene Leistung ein im Betriebsrentengesetz genanntes biometrisches Risiko teilweise übernommen wird. Die Altersversorgung deckt einen Teil der „Langlebigkeitsrisiken“, die Hinterbliebenenversorgung einen Teil der Todesfallrisiken und die Invaliditätssicherung einen Teil der Invaliditätsrisiken ab. Die Risikoübernahme muss in einer Versorgung bestehen. Dabei ist der Begriff der Versorgung weit auszulegen. Versorgung sind alle Leistungen, die den Lebensstandard des Arbeitnehmers oder seiner Hinterbliebenen im Versorgungsfall verbessern sollen11. Außer Zusagen auf rentenförmige Leistungen können auch einmalige Kapitalzuwendungen die Merkmale der betrieblichen Altersversorgung erfüllen12. Es genügt, dass der Versorgungszweck die Leistung und deren Regelung prägt13.

Bei der Klausel in der Versorgungszusage, mit der der Arbeitgeberin vorbehalten ist, die zugesagten lebenslangen Renten durch eine einmalige, wertgleiche Kapitalleistung zu ersetzen, handelt es sich um einen Änderungsvorbehalt, der einer Kontrolle am Maßstab von § 308 Nr. 4 BGB standhält.

Nach § 308 Nr. 4 BGB ist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Vereinbarung eines Rechts des Verwenders, die versprochene Leistung zu ändern oder von ihr abzuweichen, unwirksam, wenn nicht die Vereinbarung der Änderung oder Abweichung unter Berücksichtigung der Interessen des Verwenders für den anderen Vertragsteil zumutbar ist. § 308 Nr. 4 BGB findet gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB auch auf sog. Einmalbedingungen Anwendung. Die Bestimmung erfasst Leistungsänderungs- und Leistungsabweichungsvorbehalte des Verwenders und damit nur Vorbehalte des Arbeitgebers, die sich auf eine Änderung oder Abweichung, nicht aber eine bloße Konkretisierung der Leistung beziehen14. Der Begriff der Zumutbarkeit in § 308 Nr. 4 BGB verlangt eine Abwägung zwischen den Interessen des Klauselverwenders an der Möglichkeit einer Änderung seiner Leistung und denen des anderen Vertragsteils an deren Unveränderlichkeit. Die Zumutbarkeit einer Leistungsänderungsklausel ist zu bejahen, wenn die Interessen des Verwenders die für das jeweilige Geschäft typischen Interessen des anderen Vertragsteils überwiegen oder ihnen zumindest gleichwertig sind15.

Der Arbeitgeber – als der die Versorgung Versprechende – hat ein legitimes Interesse daran, sich im Zeitpunkt der Versorgungszusage vorzubehalten, die versprochene Zahlung laufender Renten durch eine wertgleiche einmalige Kapitalleistung zu ersetzen. Bei einer Versorgungszusage handelt es sich um eine typischerweise auf Jahrzehnte angelegte Leistungsverpflichtung, die wegen ihrer Langfristigkeit in besonderem Maße Unsicherheiten und Unwägbarkeiten unterworfen ist. Sowohl die wirtschaftlichen als auch die rechtlichen Rahmenbedingungen können sich, ohne dass dies im Zeitpunkt der Zusage absehbar wäre, bis zum Eintritt des Versorgungsfalls erheblich ändern. Daraus kann ein nachvollziehbares Interesse entstehen, durch eine Kapitalisierung das Versorgungsverhältnis kurzfristig zu beenden und hierdurch die betriebliche Altersversorgung kalkulierbarer zu gestalten16.

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Dem Interesse des Arbeitnehmers, dass ihm nicht bereits erdientes Entgelt im Nachhinein – unmittelbar vor Eintritt des Versorgungsfalls – auch nur teilweise wieder entzogen wird, obwohl er seine Gegenleistungen während des bestehenden Arbeitsverhältnisses bereits vollständig erbracht hat, ist in der Klausel dadurch Rechnung getragen, dass die zugesagte Rentenzahlung nur durch eine wertgleiche Kapitalleistung ersetzt werden kann. Anderenfalls wäre sie dem Arbeitnehmer nicht zumutbar im Sinne von § 308 Nr. 4 BGB. Betriebliche Altersversorgung hat Versorgungs, aber auch Entgeltcharakter, sie stellt eine Gegenleistung für die Beschäftigungszeit dar und damit auch für die während der Beschäftigung erbrachte Tätigkeit des Arbeitnehmers17. Bei bestehender Gleichwertigkeit erhält der Arbeitnehmer jedoch die volle Gegenleistung, nur in einer anderen Form. Laufende Rentenzahlungen und einmalige Kapitalleistungen sind nach dem Betriebsrentengesetz grundsätzlich gleichwertige Formen der betrieblichen Altersversorgung18.

Zwar hat der Arbeitnehmer typischerweise auch gewichtige Interessen an der Beibehaltung der zugesagten Rentenzahlungen anstelle einer wertgleichen Kapitalleistung. Mit der Zusage einer lebenslangen Rente übernimmt der Arbeitgeber letztlich das sog. Langlebigkeitsrisiko unter Beachtung der Anpassungsprüfungs- und -entscheidungspflicht nach § 16 BetrAVG. Zudem birgt der Wechsel von laufenden Rentenleistungen hin zu einer Kapitalleistung die Gefahr, dass es aufgrund der Progressionswirkung zu einer höheren Steuerlast des Versorgungsempfängers kommt. Dies gilt auch bei Leistung des Kapitalbetrags in Teilbeträgen, die dem Versorgungsberechtigten in mehreren Jahren zufließen. Im Hinblick auf eine mögliche Zwangsvollstreckung führt der Übergang von laufenden Rentenleistungen zu einer Kapitalleistung ebenfalls zu Veränderungen. Während laufende Rentenleistungen dem Pfändungsschutz des § 850c ZPO unterliegen, unterfallen Kapitalleistungen dem Pfändungsschutz nach § 850i ZPO, wobei zur Bewirkung des Pfändungsschutzes ein Antrag, dh. ein Tätigwerden des Schuldners nötig ist19.

Diese Interessen des Arbeitnehmers an der Beibehaltung monatlicher Rentenzahlungen vermögen jedoch nicht grundsätzlich das Interesse des Arbeitgebers an der Möglichkeit einer Ersetzung der Rentenzahlungen durch eine gleichwertige Kapitalleistung zu überwiegen16. Sie stehen daher nicht bereits der Zumutbarkeit einer entsprechenden Ersetzungsklausel im Sinne von § 308 Nr. 4 BGB entgegen. Die Abwägung der konkreten wechselseitigen Interessen erfolgt jedoch nach den bei der Ausübung der Ersetzungsbefugnis durch den Arbeitgeber gegebenen Umständen. Die Ausübung eines Änderungsvorbehalts durch den Arbeitgeber muss gemäß § 315 Abs. 1 BGB im Zweifel billigem Ermessen entsprechen20. Da die hier streitige Ersetzungsklausel dazu nichts Abweichendes bestimmt, ist sie dem Arbeitnehmer auch insofern nicht unzumutbar im Sinne von § 308 Nr. 4 BGB.

Der Zumutbarkeit im Sinne von § 308 Nr. 4 BGB steht auch nicht entgegen, dass in der Klausel keine Gründe für die Ausübung der Ersetzungsbefugnis genannt sind. Soweit angenommen wird, dass zum Schutz des Klauselgegners regelmäßig neben den aus der Zumutbarkeit abgeleiteten materiellen auch formale Anforderungen erfüllt sein müssen, ein Änderungsvorbehalt nach § 308 Nr. 4 BGB also nicht nur als Instrument der Anpassung notwendig sei, sondern grundsätzlich auch den Anlass angeben müsse, aus dem das Änderungsrecht entstehen soll, sowie die Grenzen der Ausübung so konkret wie möglich festzulegen seien21, ist dies auf eine Ersetzungsklausel wie im Streitfall nicht übertragbar. Eine nähere Spezifizierung von Gründen für die Ausübung der Ersetzungsbefugnis ist dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Erteilung der Versorgungszusage typischerweise nicht möglich. Gerade weil die Entwicklung der wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen er die Versorgungszusage erteilt, bis zum Eintritt des Versorgungsfalls nicht absehbar ist, hat er ein legitimes Interesse daran, sich vorzubehalten, unter Wahrung billigen Ermessens im Sinne von § 315 Abs. 1 BGB die zugesagte Rentenzahlung durch eine wertgleiche Kapitalleistung zu ersetzen. Ein Verweis auf noch nicht absehbare Änderungen der wirtschaftlichen oder rechtlichen Rahmenbedingungen bedeutete keinen relevanten Mehrgewinn an Transparenz, sondern stellte letztlich eine bloße Leerformel dar. Die besonderen Umstände bei der Zusage von auf lange Frist eingegangenen Versorgungsverpflichtungen stellen insofern eine Besonderheit des Arbeitsrechts im Sinne von § 310 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1 BGB dar22, aufgrund derer für die Zumutbarkeit im Sinne von § 308 Nr. 4 BGB keine weitere Konkretisierung der Klausel erforderlich ist. Eine andere Sichtweise würde letztlich dazu führen, dass Arbeitgeber keine lebenslangen Renten, sondern nur noch einmalige Kapitalleistungen zusagen, um gegen künftige Unwägbarkeiten gewappnet zu sein, was nicht im Interesse der Versorgungsempfänger wäre. Anders als etwa bei Zinsanpassungsklauseln23 oder arbeitsvertraglichen Widerrufsvorbehalten24 geht es bei den in Versorgungszusagen verbreiteten wertgleichen Ersetzungsklauseln auch nicht darum, Gründe für eine Änderung des Gefüges von Leistung und Gegenleistung transparent zu machen. Es soll vielmehr nur die zugesagte Leistung durch eine andere wertgleiche Leistung, unter Wahrung billigen Ermessens, ersetzt werden können.

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Unionsrecht steht diesem Verständnis der Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen im Bereich der betrieblichen Altersversorgung nicht entgegen. Insbesondere ist die Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 05.04.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen25 nicht einschlägig. Sie betrifft gemäß ihrem Art. 1 Abs. 1 nur Verträge zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern. Verbraucher in diesem Sinne ist nach Art. 2 Buchst. b der Richtlinie nicht, wer zu einem Zweck handelt, der seiner beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Von der Richtlinie ausgenommen sind demnach gemäß Satz 3 ihres 10. Erwägungsgrundes „insbesondere Arbeitsverträge“. Darunter fallen auch Verträge über die Durchführung einer betrieblichen Altersversorgung, die – wie vorliegend – ihre rechtliche Wurzel im Arbeitsvertrag haben26.

Unerheblich ist, ob der nationale Gesetzgeber die Richtlinie insoweit überschießend umgesetzt hat, wie er in § 13 BGB und § 310 Abs. 3 BGB Arbeitnehmer als Verbraucher eingeordnet hat. Dies änderte nichts an der Anwendung von § 308 Nr. 4 BGB auf die hier in Rede stehende Ersetzungsklausel unter Beachtung der arbeitsrechtlichen Besonderheiten einer Versorgungszusage.

Das Bundesarbeitsgericht kann nicht selbst entscheiden, ob die Ausübung der vorbehaltenen Ersetzungsbefugnis durch die Arbeitgeberin billigem Ermessen im Sinne von § 315 BGB entspricht. Dies wäre der Fall, wenn Interessen der Arbeitgeberin an einer Ersetzung der versprochenen Rentenzahlungen durch eine gleichwertige Kapitalleistung bestanden, die die Interessen des Arbeitnehmers an der Beibehaltung der Rentenzahlungen überwogen27. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Leistungsbestimmung der Billigkeit entspricht, trägt dabei der Bestimmungsberechtigte28. Das Landesarbeitsgericht, das von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequenterweise keine Kontrolle am Maßstab billigen Ermessens vorgenommen hat, wird den Parteien dazu im fortgesetzten Berufungsverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und die betreffende Würdigung nachzuholen haben. Ausgangspunkt der vorzunehmenden Interessenabwägung ist, dass es sich bei laufenden Rentenzahlungen und einmaligen Kapitalleistungen um nach dem Betriebsrentengesetz grundsätzlich gleichwertige Formen der betrieblichen Altersversorgung handelt18. Der Versorgungsempfänger hat allerdings im Grundsatz gewichtige Interessen an einer Beibehaltung der ursprünglich zugesagten Rentenzahlung.

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Für den Arbeitgeber als Versorgungsschuldner kann demgegenüber ein Interesse an der Umstellung auf eine Kapitalleistung erwachsen, um einen bei der Erteilung der ursprünglichen Zusage nicht vorhersehbar gestiegenen Verwaltungsaufwand zu reduzieren. Der Umstand, dass er seinen Betrieb einstellen, übergeben oder stilllegen und deshalb die bestehenden Versorgungszusagen früher erfüllen möchte, kann ebenfalls ein für die Ersetzung der zugesagten Rente durch eine Kapitalleistung sprechendes Interesse sein. Ebenso zugunsten des Arbeitgebers zu berücksichtigen wäre eine mit der Ersetzung einhergehende Erhöhung der Kapitalleistung gegenüber dem versicherungsmathematisch ermittelten Barwert der laufenden Leistung, mithin eine Leistungsverbesserung29. Aber auch wirtschaftliche Probleme des Arbeitgebers können im Zusammenhang mit einer durch die Ersetzung eintretenden Verbesserung bei der Bilanzierung und Finanzierung der Versorgungsleistung beachtlich sein30, ebenso wie eine gegenüber der Situation bei Erteilung der Versorgungszusage relevante Veränderung rechtlicher Rahmenbedingungen.

Das Landesarbeitsgericht wird sich für den Fall, dass es zur Annahme gelangt, die Arbeitgeberin habe bei ihrer Entscheidung zur Ersetzung der lebenslangen Rente durch eine einmalige wertgleiche Kapitalleistung die Grenzen billigen Ermessens verletzt und schulde dem Arbeitnehmer deshalb nach wie vor eine lebenslange Altersrente, mit der Anspruchshöhe auseinanderzusetzen haben. Der Arbeitnehmer ist vor dem Erreichen der in der Versorgungszusage bestimmten festen Altersgrenze der Vollendung des 65. Lebensjahres bzw. 65. Lebensjahres und weiterer neun Monate31 aus dem Arbeitsverhältnis mit der Arbeitgeberin ausgeschieden und hat wohl auch keine Leistungen der betrieblichen Altersversorgung in Anspruch genommen. Dann wäre er iSd. Versorgungszusage vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden und seine Altersrente wäre entsprechend der Vorgaben der Versorgungszusage nach den Regelungen des Betriebsrentengesetzes für vorzeitig ausgeschiedene Arbeitnehmer zu berechnen. Bei einem Leistungsbeginn zum 1.10.2020 handelte es sich in diesem Fall um einen vorgezogenen Leistungsbeginn iSd. Versorgungszusage, mit der Folge von Abschlägen iHv. 0, 5 vH pro Monat der vorgezogenen Inanspruchnahme vor dem Zeitpunkt der festen Altersgrenze.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17. Januar 2023 – 3 AZR 501/21

  1. statt vieler BAG 10.11.2021 – 10 AZR 257/20, Rn. 60; 19.11.2019 – 7 AZR 582/17, Rn. 25[]
  2. st. Rspr., zB BAG 30.01.2019 – 5 AZR 43/18, Rn. 26 mwN, BAGE 165, 205; BGH 14.07.2004 – VIII ZR 339/03, Rn. 14[]
  3. vgl. BAG 9.02.2022 – 5 AZR 368/21, Rn. 14[]
  4. vgl. statt vieler nur MünchKomm-BGB/Krüger 9. Aufl. § 262 Rn. 2 mwN[]
  5. BAG 15.07.2020 – 10 AZR 123/19, Rn. 26, BAGE 171, 280[]
  6. vgl. MünchKomm-BGB/Krüger 9. Aufl. § 262 Rn. 8 mwN[]
  7. vgl. BAG 22.12.2009 – 3 AZR 814/07, Rn. 31, BAGE 133, 50; 17.01.1995 – 3 AZR 399/94, zu II 2 a der Gründe, BAGE 79, 104; MünchKomm-BGB/Krüger 9. Aufl. § 262 Rn. 8 f.; Grüneberg/Grüneberg 82. Aufl. § 262 Rn. 6 ff.; Staudinger/Bittner/Kolbe [2019] § 262 Rn. 11[]
  8. vgl. etwa Kisters-Kölkes/Berenz/Huber/Betz-Rehm 9. Aufl. BetrAVG § 1 Rn. 96[]
  9. vgl. BGH 28.09.2009 – II ZR 12/09, Rn. 3; Pakirnus in Schlewing/Henssler/Schipp/Schnitker Arbeitsrecht der betrieblichen Altersversorgung Stand August 2022 Teil 11 Rn. 36 mwN[]
  10. Wortmann in Tschöpe Arbeitsrecht 12. Aufl. Teil 2 E Rn. 389[]
  11. vgl. BAG 16.03.2010 – 3 AZR 594/09, Rn. 23 mwN, BAGE 133, 289[]
  12. BAG 20.09.2015 – 3 AZR 411/15, Rn. 15, BAGE 156, 196; 18.03.2003 – 3 AZR 315/02, zu I 3 a der Gründe; 30.09.1986 – 3 AZR 22/85, zu I 1 der Gründe, BAGE 53, 131[]
  13. BAG 25.06.2013 – 3 AZR 219/11, Rn. 13, BAGE 145, 314[]
  14. CKK/Roloff 2. Aufl. § 308 BGB Rn. 46[]
  15. BAG 18.05.2017 – 2 AZR 721/16, Rn. 27 mwN, BAGE 159, 148; BGH 21.09.2005 – VIII ZR 284/04, zu II 1 b der Gründe[]
  16. vgl. BAG 14.05.2019 – 3 AZR 150/17, Rn. 47[][]
  17. BAG 23.02.2021 – 3 AZR 618/19, Rn. 50, BAGE 174, 116[]
  18. vgl. BAG 15.05.2012 – 3 AZR 11/10, Rn. 79, BAGE 141, 259; 21.03.2000 – 3 AZR 127/99, zu II 2 b bb der Gründe[][]
  19. vgl. BAG 15.05.2012 – 3 AZR 11/10, Rn. 78 ff., BAGE 141, 259[]
  20. zur Ausübung eines Widerrufsvorbehalts vgl. BAG 21.03.2021 – 5 AZR 651/10, Rn. 22[]
  21. BAG 10.02.2009 – 10 AZR 222/08, Rn. 24 mwN; Däubler/Deinert/Walser/Bonin/Walser 5. Aufl. § 308 Nr. 4 Rn. 18; ErfK/Preis 23. Aufl. BGB §§ 305-310 Rn. 51[]
  22. vgl. BAG 2.12.2021 – 3 AZR 123/21, Rn. 72; 13.07.2021 – 3 AZR 298/20, Rn. 70[]
  23. vgl. dazu BGH 6.10.2021 – XI ZR 234/20 – BGHZ 231, 215[]
  24. vgl. dazu BAG 24.01.2017 – 1 AZR 774/14, Rn. 21 ff.[]
  25. ABl. EG L 95 vom 21.04.1993 S. 29, geändert durch Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011, ABl. EU L 304 vom 22.11.2011 S. 64; nachfolgend Richtlinie[]
  26. vgl. BAG 13.07.2021 – 3 AZR 298/20, Rn. 72[]
  27. vgl. BAG 14.05.2019 – 3 AZR 150/17, Rn. 43[]
  28. BAG 14.05.2019 – 3 AZR 150/17, Rn. 40[]
  29. vgl. BAG 15.05.2012 – 3 AZR 11/10, Rn. 84, BAGE 141, 259[]
  30. vgl. BAG 15.05.2012 – 3 AZR 11/10 – aaO[]
  31. vgl. BAG 15.05.2012 – 3 AZR 11/10, Rn. 47 ff., BAGE 141, 259[]
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Gesamtversorgung - und die Betriebsrentenanpassung

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