Betriebliche Altersversorgung – und das höhere Witwengeld

Eine im Rahmen einer betrieblichen Altersversorgung getroffene Bestimmung zum Ruhen eines eigenen Ruhegeldes bei Bezug einer betragsmäßig höheren Hinterbliebenenversorgung – hier: nach § 20 des Hamburgische Zusatzversorgungsgesetzes idF vom 01.10.2013 (im Folgenden HmbZVG) – kann eine Entgeltdiskriminierung im Sinne des Art. 157 AEUV darstellen.

Betriebliche Altersversorgung – und das höhere Witwengeld

In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall stand der Arbeitnehmerin – vorbehaltlich der Regelung in § 20 HmbZVG – ab dem 1.02.2014 ein Anspruch gegen die Arbeitgeberin auf Gewährung eines monatlichen Ruhegeldes nach dem Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetz zu. Die Arbeitnehmerin unterfällt den Bestimmungen des Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetzes (§ 1 Abs. 1 HmbZVG). Hiervon gehen auch die Parteien übereinstimmend aus. Sie war vom 01.06.1986 bis zum 31.01.2014 bei der Arbeitgeberin als Wissenschaftliche Angestellte und damit als Arbeitnehmerin beschäftigt. Da sie am 31.07.2003 unter das Erste Ruhegeldgesetz (1. RGG) idF vom 30.05.1995, zuletzt geändert am 2.07.2003, fiel und nach dem 31.07.1948 geboren ist (§ 31 Abs. 1 HmbZVG), gilt das Hamburgische Zusatzversorgungsgesetz für die Arbeitnehmerin mit den in den §§ 29 und 31 bestimmten – vorliegend jedoch nicht relevanten – Abweichungen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 HmbZVG). Anhaltspunkte dafür, dass die Arbeitnehmerin nach § 1 Abs. 2 HmbZVG aus dem Geltungsbereich des Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetzes ausgenommen sein könnte, bestehen nicht.

Ob § 20 HmbZVG dem Anspruch der Arbeitnehmerin auf ein Ruhegeld entgegensteht, kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden. Die Regelung sieht vor, dass wenn einer oder einem Versorgten sowohl eine Ruhegeldversorgung als auch eine Hinterbliebenenversorgung nach dem Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetz zusteht, die niedrigere Versorgung ruht. Diese Voraussetzungen sind zwar im Fall der Arbeitnehmerin erfüllt. Sie hat infolge des Todes ihres Ehemannes einen Anspruch gegen die Arbeitgeberin auf Gewährung eines Witwengeldes und damit eine Hinterbliebenenversorgung nach dem Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetz iHv. monatlich 707, 00 Euro erworben. Der Anspruch der Arbeitnehmerin auf Witwengeld ist damit höher als ihr eigener Ruhegeldanspruch iHv. monatlich 662, 61 Euro. Ob dieser Umstand jedoch dazu führt, dass der Anspruch der Arbeitnehmerin auf Gewährung eines Ruhegeldes ruht, kann das Bundesarbeitsgericht nicht abschließend beurteilen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass § 20 HmbZVG gegen das Entgeltgleichheitsgebot in Art. 157 AEUV verstößt und deshalb unanwendbar ist. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann ein solcher Verstoß nicht verneint werden.

Art. 157 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV (zuvor Art. 141 EG, davor Art. 119 EG-Vertrag, Art. 119 EWG-Vertrag) enthält den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit. Danach ist es verboten, wegen des Geschlechts Unterschiede in der Vergütung zu machen und dadurch zu benachteiligen. Art. 157 AEUV schützt nicht nur vor unmittelbarer Diskriminierung, sondern auch vor mittelbarer Diskriminierung. Treffen die nachteiligen Folgen einer Regelung erheblich mehr Angehörige des einen als des anderen Geschlechts, ist eine solche Regelung geschlechtsdiskriminierend, wenn sie nicht durch objektive Gründe gerechtfertigt ist, die nichts mit der Geschlechtszugehörigkeit der benachteiligten Arbeitnehmer zu tun haben1. Dabei untersagt der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Bezug auf sämtliche Entgeltbestandteile. Im Rahmen des Vergleichs des den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen gewährten Entgelts ist er nicht lediglich im Wege einer Gesamtbewertung der gewährten Vergütungen anzuwenden, sondern gilt für jeden einzelnen gezahlten Entgeltbestandteil2.

Sowohl das Ruhegeld nach §§ 3 bis 10 HmbZVG als auch das dem Arbeitnehmer für den Fall seines Todes zugesagte Witwen- bzw. Witwergeld nach §§ 12 bis 15 HmbZVG sind Entgelt iSd. Art. 157 AEUV.

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Leistungen der betrieblichen Altersversorgung, die erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewährt werden, sind eine Gegenleistung, die der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber für im Arbeitsverhältnis erbrachte Betriebszugehörigkeit erhält. Insoweit besteht ein gegenseitiges Austauschverhältnis von Leistung und Gegenleistung. Betriebliche Altersversorgung ist daher auch Entgelt des Arbeitnehmers3. Soweit dem Arbeitnehmer eine Hinterbliebenenversorgung zusteht, handelt es sich ebenfalls um Arbeitsentgelt des Arbeitnehmers, auch wenn die Leistung seinen Hinterbliebenen zugutekommt4.

Dies gilt für alle Leistungen, die ein Arbeitnehmer im Rahmen eines Betriebsrentensystems erhält, gleichgültig ob es sich um ein beitragsgebundenes oder ein beitragsfreies System handelt. Ob die Beiträge dem Arbeitgeber oder den Arbeitnehmern zuzurechnen sind, hat somit keinen Einfluss auf den für Betriebsrenten geltenden Entgeltbegriff. Diese müssen in ihrer Gesamtheit und unabhängig davon, wodurch sie finanziert werden, dem Grundsatz der Gleichbehandlung entsprechen5. Etwas anderes gilt für Beiträge, die die Arbeitnehmer freiwillig zahlen, um zusätzliche Leistungen wie eine feste Zusatzrente für sich oder ihre anspruchsberechtigten Angehörigen, einen steuerfreien Kapitalbetrag oder zusätzliche Kapitalleistungen im Todesfall zu erlangen6. Letzteres trifft vorliegend nicht zu.

Etwas anderes folgt im Streitfall auch nicht daraus, dass die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung durch ein Landesgesetz geregelt sind.

Zwar fallen nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union unmittelbar durch Gesetz geregelte Systeme oder Leistungen der sozialen Sicherheit, insbesondere Altersrenten, nicht unter den Begriff des Entgelts iSv. Art. 157 AEUV7. Leistungen eines Versorgungssystems, das – wie vorliegend – im Wesentlichen von der ehemaligen Beschäftigung des Betroffenen abhängt, gehören hingegen zu seinem früheren Entgelt und fallen unter Art. 157 AEUV8.

Die Arbeitnehmerin kann sich auf Art. 157 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV auch als unmittelbar anwendbares Recht berufen (vgl. für Art. 119 EG-Vertrag EuGH 8.04.1976 – C-43/75 – [Defrenne] Rn. 40, Slg. 1976, 455; 17.05.1990 – C-262/88 – [Barber] Rn. 39, Slg. 1990, I-1889; vgl. auch BAG 7.09.2004 – 3 AZR 550/03, BAGE 112, 1; 18.10.2005 – 3 AZR 506/04, Rn. 12, BAGE 116, 152; 9.10.2012 – 3 AZR 477/10, Rn. 23).

Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann das Bundesarbeitsgericht nicht selbst beurteilen, ob § 20 HmbZVG mit dem unionsrechtlichen Entgeltgleichheitsgebot in Einklang steht. Zwar enthält die Bestimmung keine unmittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts, da sie gleichermaßen für Männer und Frauen gilt9 und für das Ruhen der jeweils betragsmäßig niedrigeren Versorgung nicht an geschlechtsbezogene Merkmale, sondern an einen Anspruch auf ein Ruhegeld und eine Hinterbliebenenversorgung nach dem Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetz für denselben Zeitraum anknüpft. Allerdings könnte § 20 HmbZVG zu einer mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung führen. Dies hat das Landesarbeitsgericht verkannt.

Das Verbot mittelbarer Diskriminierung ist eine besondere Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes, wonach gleiche Sachverhalte nicht ohne sachlichen Grund ungleich behandelt werden dürfen. Eine mittelbare Diskriminierung kann daher nur vorliegen, wenn die benachteiligten und die begünstigten Personen vergleichbar sind10.

Zur Feststellung, ob eine mittelbare Benachteiligung gegeben ist, sind Vergleichsgruppen zu bilden, die dem persönlichen Geltungsbereich der Differenzierungsregel entsprechend zusammengesetzt sind. Dabei ist auf den gesamten Kreis der von der fraglichen Bestimmung erfassten Normunterworfenen abzustellen. Der Gesamtheit der Personen, die von der Regelung erfasst werden, ist die Gesamtheit der Personen gegenüberzustellen, die durch die Regelung benachteiligt werden. Im Vergleich dieser Gruppen ist zu prüfen, ob die Träger des verpönten Merkmals besonders benachteiligt sind11. Dies erfordert nicht zwingend einen statistischen Nachweis, dass die Träger eines verpönten Merkmals zahlenmäßig wesentlich stärker von einer Regelung benachteiligt werden als Personen, bei denen dieses Merkmal nicht vorliegt. Mittelbare Diskriminierungen können zwar statistisch nachgewiesen werden12. Sie können sich aber auch aus anderen Umständen ergeben13.

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Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer geschlechtsspezifischen Diskriminierung beim Entgelt obliegt dem Arbeitnehmer, der sich zur Begründung seines geltend gemachten Anspruchs auf die Diskriminierung beruft14. Spricht jedoch der erste Anschein für eine Diskriminierung, hat der Arbeitgeber nachzuweisen, dass es sachliche Gründe für den festgestellten Unterschied beim Entgelt gibt15.

Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts Hamburg16 bestehen im Streitfall Anhaltspunkte dafür, dass mehr Frauen durch die Ruhensanordnung in § 20 HmbZVG eine ungünstigere Behandlung erfahren könnten als Männer.

Diese ergeben sich jedoch nicht aus einem Vergleich zwischen den Versorgten, die einen Anspruch auf Ruhegeld und Hinterbliebenenversorgung nach dem Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetz haben und damit unter § 20 HmbZVG fallen, mit denjenigen, bei denen einer der beiden Versorgungsansprüche auf einer anderen Regelung beruht und die deshalb nicht von der Ruhensanordnung betroffen sind.

Zwar befinden sich die Versorgungsempfänger beider Gruppen in einer vergleichbaren Lage. Sie haben alle einen Anspruch auf eine betriebliche Altersversorgung aus Anlass eines Arbeitsverhältnisses und zusätzlich auf eine Hinterbliebenenversorgung aufgrund einer Beschäftigung eines verstorbenen Angehörigen mit einer entsprechenden Zusage. Allerdings hat das Landesarbeitsgericht keine Umstände festgestellt, die darauf schließen lassen könnten, dass in der Gruppe der Versorgten, die Ansprüche auf ein Ruhegeld und auf eine Hinterbliebenenversorgung nach dem Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetz haben, erheblich mehr Frauen sind als in der Gruppe, in der die Versorgungsempfänger nur eine der beiden Versorgungsleistungen auf der Grundlage des Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetzes beziehen. Anhaltspunkte, dass sich in der ersten Gruppe mehr Frauen als Männer befinden, sind auch nicht offenkundig.

Aus dem Vorbringen der Arbeitnehmerin folgt nichts anderes. Mit den von ihr vorgetragenen Daten hat die Arbeitnehmerin keine Tatsachen aufgezeigt, die eine Diskriminierung bezogen auf die Personen dieser beiden Vergleichsgruppen vermuten lassen. Aus dem vorgelegten Auszug aus dem Personalstrukturbericht 2014 der Freien und Hansestadt Hamburg mit den Personalwirtschaftlichen Kennzahlen für das Berichtsjahr 2013 im Vergleich zum Vorjahr 2012 ergibt sich, dass prozentual deutlich mehr Frauen als Männer eine Teilzeittätigkeit ausüben. Dem Datenmaterial lassen sich jedoch keine Angaben darüber entnehmen, wie hoch der jeweilige Anteil an männlichen und weiblichen Beschäftigten bzw. Versorgten ist, die unter das Hamburgische Zusatzversorgungsgesetz fallen und deren Ehepartner entweder auch nach diesem Gesetz versorgungsberechtigt sind oder nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 HmbZVG ausgenommen sind, in einem Beamtenverhältnis stehen oder bei einem privaten bzw. einem anderen öffentlichen Arbeitgeber beschäftigt sind und eine Zusage über die Gewährung von Hinterbliebenenversorgung nach anderen Regelungen als dem Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetz haben.

Anhaltspunkte für eine unzulässige Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts bestehen allerdings deshalb, weil unter den von § 20 HmbZVG erfassten Personen entweder erheblich mehr Frauen als Männer sein könnten, deren Anspruch auf ein Ruhegeld ruht, oder erheblich mehr Männer, deren – von ihren verstorbenen Ehefrauen erarbeiteter – Anspruch auf Witwergeld ruht.

Frauen haben aufgrund ihrer Erwerbsbiografien (Teilzeittätigkeit, Ausfallzeiten wegen familiärer Fürsorgepflichten, geringer vergütete Tätigkeiten) erfahrungsgemäß häufiger ein niedrigeres Einkommen und dementsprechend eine geringere betriebliche Altersversorgung als Männer. Dies könnte – selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Witwengeld nach § 13 Satz 1 HmbZVG lediglich 60 vH des vom verstorbenen Ehemanns bezogenen Ruhegeldes beträgt – den Schluss darauf zulassen, dass die Ansprüche von Frauen auf Ruhegeld wegen des Bezugs von Witwengeld häufiger ruhen als bei Männern, die Anspruch auf eine Witwerversorgung haben. Hätte die Regelung des § 20 HmbZVG zur Folge, dass unter den von ihr erfassten Personen erheblich mehr Frauen als Männer sind, deren Ruhegeld nach §§ 3 ff. HmbZVG ruht, weil ihre Hinterbliebenenversorgung nach §§ 12 ff. HmbZVG betragsmäßig höher ist, würde sie zu einer mittelbaren Benachteiligung wegen des Geschlechts führen.

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Gleiches würde gelten, wenn die Regelung des § 20 HmbZVG zur Folge hätte, dass aufgrund der typischen Erwerbsbiografien von Frauen ihr zugunsten ihrer Ehemänner erarbeiteter Anspruch auf Witwergeld nach § 15 HmbZVG üblicherweise geringer wäre als der von den Ehemännern selbst erarbeitete Anspruch auf ein Ruhegeld.

Soweit das Landesarbeitsgericht demgegenüber – ohne nähere Begründung – angenommen hat, eine größere Betroffenheit von Frauen liege nicht vor, da nicht erkennbar sei, dass bei der Arbeitgeberin beschäftigte Männer in der Regel längere Betriebszugehörigkeiten hätten und zugleich regelmäßig höhere Entgeltgruppen erreichten, hat es übersehen, dass die Höhe des Ruhegeldes nach den §§ 3 bis 10 HmbZVG nicht nur von der Dauer der Betriebszugehörigkeit und der Entgeltgruppe abhängt, sondern auch von der ruhegeldfähigen Beschäftigungszeit (§ 4 und § 8 HmbZVG) und dem Umfang der einzelvertraglich vereinbarten Arbeitszeit (§ 7 Abs. 7 Satz 1 HmbZVG). Auch der Vortrag der Arbeitgeberin – unterstellt er träfe zu – wonach der Anteil männlicher und weiblicher Arbeitnehmer in fast allen Entgeltgruppen relativ gleichmäßig verteilt ist, lässt keinen gegenteiligen Schluss zu. Denn die Höhe des ruhegeldfähigen Entgelts hängt noch von weiteren Faktoren – wie der Dauer der Betriebszugehörigkeit, dem Umfang der einzelvertraglichen Arbeitszeit und den nicht berücksichtigungsfähigen Zeiten, für die dem Arbeitnehmer keine Bezüge zustehen – ab. Der Umstand, dass nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 iVm. § 4 Abs. 6 Nr. 3 HmbZVG Zeiten der Kinderbetreuung bis zu drei Jahren für jedes Kind als ruhegeldfähige Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen sind und sich daher weniger nachteilig auf die Höhe der Versorgungsansprüche auswirken, schließt eine mittelbare Benachteiligung ebenfalls nicht aus. Hierbei bleibt unberücksichtigt, dass sich im Anschluss an Elternzeiten häufig eine Teilzeitbeschäftigung anschließt, die sich ihrerseits mindernd auf die Höhe des Ruhegeldes auswirkt und erfahrungsgemäß deutlich häufiger von Frauen als von Männern ausgeübt wird.

Ob die Regelung in § 20 HmbZVG tatsächlich zur Folge hat, dass bei erheblich mehr Frauen der Anspruch auf Ruhegeld ruht als bei Männern und die von Frauen erarbeitete Hinterbliebenenversorgung häufiger ihren Ehemännern nicht zugutekommt, kann das Bundesarbeitsgericht nicht abschließend entscheiden. Dazu fehlen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts. Dies wird es nachzuholen und den Parteien Gelegenheit zur ergänzenden Stellungnahme zu geben haben. Dabei wird die Arbeitnehmerin vorzutragen haben, ob die allgemeinen Erwägungen zu Erwerbsbiografien von Frauen auch für die Arbeitgeberin zutreffen und sich daraus ein erster Anschein für eine Diskriminierung wegen des Geschlechts ergibt. Der Arbeitgeberin obliegt es sodann, die Umstände auszuräumen, die für einen ersten Anschein sprechen.

Das Landesarbeitsgericht wird im Rahmen seiner erneuten Verhandlung und Entscheidung ggf. zu beachten haben, dass nach dem bisherigen Vortrag der Arbeitgeberin Gründe, die eine durch § 20 HmbZVG bewirkte mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts rechtfertigen könnten, nicht gegeben sind.

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Spricht aufgrund des Vorbringens des Arbeitnehmers ein erster Anschein für eine Diskriminierung, obliegt es dem Arbeitgeber, zu beweisen, dass nicht gegen den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen verstoßen wurde, indem er mit allen rechtlich vorgesehenen Mitteln insbesondere nachweist, dass die festgestellte unterschiedliche Entlohnung durch objektive Faktoren, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, gerechtfertigt ist17. Der Tatbestand einer mittelbaren Diskriminierung ist nicht erfüllt, wenn diejenigen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, die mittelbare Diskriminierungen bewirken können, durch ein rechtmäßiges Ziel gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind18.

Ein Mittel ist nur dann angemessen und erforderlich, wenn es erlaubt, das mit der unterschiedlichen Behandlung verfolgte Ziel zu erreichen und dieses Ziel nicht durch andere geeignete und weniger einschneidende Mittel erreicht werden kann. Falls es kein ebenso wirksames Mittel wie die streitige Maßnahme gibt, dürfen die durch die Maßnahme verursachten Nachteile im Hinblick auf das angestrebte Ziel nicht unverhältnismäßig sein. Die Maßnahme darf keine übermäßige Beeinträchtigung der legitimen Interessen der benachteiligten Personen bewirken19.

Das mit dem neutralen Kriterium verfolgte „rechtmäßige“ Ziel, das über das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung entscheidet, darf selbst nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Rechtmäßige Ziele in diesem Sinn können deshalb nur solche sein, die nicht ihrerseits diskriminierend und auch ansonsten legal sind20. Wird ein wirtschaftlicher Grund als objektives Ziel angeführt, kommt nur ein objektiv gerechtfertigter wirtschaftlicher Grund in Frage21. Der für die Ungleichbehandlung angeführte Grund muss einem wirklichen Bedürfnis des Arbeitgebers entsprechen22.

Danach ist bislang nicht hinreichend dargetan, dass eine durch § 20 HmbZVG bewirkte mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts gerechtfertigt wäre.

Die Arbeitgeberin hat bislang nicht ausreichend dargelegt, welches Ziel sie mit der Ruhensregelung nach § 20 HmbZVG verfolgt und ob hierfür ein wirkliches Bedürfnis besteht. Dabei kann der Zweck, die öffentlichen Ausgaben zu begrenzen, nicht mit Erfolg zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts angeführt werden. Würde man anerkennen, dass Haushaltserwägungen eine Ungleichbehandlung von Männern und Frauen rechtfertigen können, die andernfalls eine verbotene mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts wäre, hätte dies zur Folge, dass die Anwendung und die Tragweite einer so grundlegenden Regel des Unionsrechts wie die Gleichheit von Männern und Frauen zeitlich und räumlich je nach dem Zustand der Haushaltsfinanzen variieren könnte23.

Die Ruhensregelung in § 20 HmbZVG lässt sich auch nicht mit der Begründung rechtfertigen, durch den Bezug der jeweils höheren Versorgungsleistung werde dem Versorgungsbedarf des Versorgten Rechnung getragen und damit Doppelversorgungen vermieden. Zwar dürfen im Bereich der betrieblichen Altersversorgung Versorgungszusagen – anknüpfend an in der Versorgungsordnung geregelten Risiken – einen – auch typischerweise – unterschiedlichen Versorgungsbedarf des Versorgungsempfängers berücksichtigen, soweit dadurch keine unverhältnismäßige wirtschaftliche Entwertung eintritt24. Die Ruhensregelung in § 20 HmbZVG stellt aber nicht auf die den Versorgungsbedarf mindernde anderweitige Versorgungsleistung als solches ab, sondern auf die Quelle der Leistungen, also darauf, ob sowohl das Ruhegeld als auch die Hinterbliebenenversorgung von der Arbeitgeberin gewährt werden und ob sich beide Versorgungsleistungen nach dem Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetz richten. Das ist kein nachvollziehbares Unterscheidungskriterium. Auch eine Versorgungsleistung bei einem anderen Arbeitgeber oder eine Hinterbliebenenversorgung, die aus einem Beamtenverhältnis des verstorbenen Ehepartners abgeleitet ist, verringert so betrachtet den Versorgungsbedarf des Versorgten gegenüber der Arbeitgeberin25.

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Darüber hinaus ergibt sich aus dem Vortrag der Arbeitgeberin bisher auch nicht, dass die Ruhensanordnung in § 20 HmbZVG zur Erreichung ihres Ziels erforderlich ist und es kein anderes geeignetes jedoch weniger einschneidendes Mittel gibt, das genauso wirksam ist.

Sollte das Landesarbeitsgericht eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts verneinen, wird es sich erneut mit der Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu befassen haben, ob § 20 HmbZVG gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, weil nur Versorgungsleistungen nach dem Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetz zu einem Ruhen führen, nicht jedoch ein Zusammentreffen eines Ruhegeldes nach diesem Gesetz mit einer Hinterbliebenenversorgung nach anderen Versorgungsregelungen. Das Bundesarbeitsgericht hat dazu keine ausdrückliche Entscheidung getroffen, weil eine Bejahung dieser Frage eine Vorlagepflicht nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auslösen würde. Das setzt aber voraus, dass es für die Entscheidung ausschließlich auf die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes ankommt. Dies hängt vorliegend davon ab, ob die Arbeitnehmerin Rechte aus Art. 157 AEUV ableiten kann.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26. September 2017 – 3 AZR 733/15

  1. vgl. etwa EuGH 28.02.2013 – C-427/11 – [Kenny]; 31.05.1995 – C-400/93 – [Dansk Industri] Slg. 1995, I-1275[]
  2. vgl. etwa EuGH 27.05.2004 – C-285/02 – [Elsner-Lakeberg] Rn. 12 und 15 mwN, Slg. 2004, I-5861[]
  3. vgl. EuGH 22.11.2012 – C-385/11 – [Elbal Moreno] Rn.20; 1.04.2008 – C-267/06 – [Maruko] Rn. 44, Slg. 2008, I-1757; 23.10.2003 – C-4/02 und – C-5/02 – [Schönheit und Becker] Rn. 56 ff., Slg. 2003, I-12575; BVerfG 16.07.2012 – 1 BvR 2983/10, Rn. 33 mwN, BVerfGK 20, 9; vgl. zudem etwa BAG 4.08.2015 – 3 AZR 137/13, Rn. 69, BAGE 152, 164[]
  4. vgl. EuGH 9.10.2001 – C-379/99 – [Menauer] Rn. 18; vgl. dazu auch BAG 15.10.2013 – 3 AZR 707/11, Rn. 17 mwN[]
  5. vgl. etwa EuGH 28.09.1994 – C-200/91 – [Coloroll] Rn. 80 und 88, Slg. 1994, I-4389; 22.12 1993 – C-152/91 – [Neath] Rn. 31, Slg. 1993, I-6935; siehe auch BAG 7.09.2004 – 3 AZR 550/03, Rn. 33 ff. mwN, BAGE 112, 1[]
  6. vgl. EuGH 28.09.1994 – C-200/91 – [Coloroll] Rn. 90, aaO; vgl. auch BAG 7.09.2004 – 3 AZR 550/03, Rn. 34, aaO[]
  7. siehe zu Art. 119 EWG-Vertrag bzw. Art. 119 EG-Vertrag etwa EuGH 17.05.1990 – C-262/88 – [Barber] Rn. 22, Slg. 1990, I-1889; 28.09.1994 – C-7/93 – [Beune] Rn. 44, Slg. 1994, I-4471; 25.05.2000 – C-50/99 – [Podesta] Rn. 24, Slg. 2000, I-4039; 12.09.2002 – C-351/00 – [Niemi] Rn. 39, Slg. 2002, I-7007[]
  8. st. Rspr. des EuGH; vgl. – auch zu den Vorgängerregelungen des Art. 157 AEUV – etwa EuGH 13.05.1986 – C-170/84 – [Bilka-Kaufhaus] Rn. 22, Slg. 1986, 1607; 17.05.1990 – C-262/88 – [Barber] Rn. 28, aaO; 24.11.2016 – C-443/15 – [Parris] Rn. 34 f.[]
  9. vgl. zu diesem Aspekt EuGH 7.12 2000 – C-79/99 – [Schnorbus] Rn. 33, Slg. 2000, I-10997[]
  10. vgl. etwa EuGH 12.10.2004 – C-313/02 – [Wippel] Rn. 55 f., Slg. 2004, I-9483; vgl. 16.07.2009 – C-537/07 – [Gómez-Limón] Rn. 56, Slg. 2009, I-6525; 26.06.2001 – C-381/99 – [Brunnhofer] Rn. 39 mwN, Slg. 2001, I-4961; vgl. auch BAG 12.05.2016 – 6 AZR 365/15, Rn. 39, BAGE 155, 88[]
  11. vgl. EuGH 30.11.1993 – C-189/91 – [Kirsammer-Hack] Slg. 1993, I-6185; vgl. auch 28.02.2013 – C-427/11 – [Kenny] Rn. 24; zur mittelbaren Benachteiligung iSd. § 3 Abs. 2 AGG siehe etwa BAG 16.10.2014 – 6 AZR 661/12, Rn. 44, BAGE 149, 297; 12.12 2012 – 10 AZR 718/11, Rn. 22; 27.01.2011 – 6 AZR 526/09, Rn. 28 mwN, BAGE 137, 80[]
  12. vgl. EuGH 6.12 2007 – C-300/06 – [Voß] Rn. 41 f., Slg. 2007, I-10573; 9.02.1999 – C-167/97 – [Seymour-Smith und Perez] Rn. 59, Slg. 1999, I-623[]
  13. vgl. für mittelbare Diskriminierungen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz [AGG] etwa BAG 9.12 2015 – 4 AZR 684/12, Rn. 27, BAGE 153, 348; 16.10.2014 – 6 AZR 661/12 – aaO; 18.09.2014 – 8 AZR 753/13, Rn. 37[]
  14. vgl. etwa EuGH 28.02.2013 – C-427/11 – [Kenny] Rn. 18; 26.06.2001 – C-381/99 – [Brunnhofer] Rn. 52 bis 55, Slg. 2001, I-4961; 27.10.1993 – C-127/92 – [Enderby] Rn. 13, Slg. 1993, I-5535[]
  15. vgl. EuGH 28.02.2013 – C-427/11 – [Kenny] Rn.20; 26.06.2001 – C-381/99 – [Brunnhofer] Rn. 60, aaO; 27.10.1993 – C-127/92 – [Enderby] Rn. 14, aaO; siehe hierzu auch Art.19 und Erwägungsgrund Nr. 30 der Richtlinie 2006/54/EG; für eine Benachteiligung nach dem AGG siehe etwa BAG 26.01.2017 – 8 AZR 73/16, Rn. 26 mwN; 26.01.2017 – 8 AZR 848/13, Rn. 44 f. mwN; 15.12 2016 – 8 AZR 454/15, Rn. 23 mwN, BAGE 157, 296[]
  16. LAG Hamburg, Urteil vom 12.10.2015 – 7 Sa 36/15[]
  17. vgl. EuGH 28.02.2013 – C-427/11 – [Kenny] Rn.20 mwN; 27.05.2004 – C-285/02 – [Elsner-Lakeberg] Rn. 12, Slg. 2004, I-5861; in diesem Sinne auch 26.06.2001 – C-381/99 – [Brunnhofer] Rn. 60 bis 62, Slg. 2001, I-4961[]
  18. vgl. EuGH 28.02.2013 – C-427/11 – [Kenny] Rn. 36 f. mwN; 3.10.2006 – C-17/05 – [Cadman] Rn. 32 mwN, Slg. 2006, I-9583; 26.06.2001 – C-381/99 – [Brunnhofer] Rn. 66 f. mwN, aaO[]
  19. vgl. zu den gleichlautenden Begriffen in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29.06.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft [ABl. EU L 180 vom 19.07.2000 S. 22] etwa EuGH 16.07.2015 – C-83/14 – [CHEZ Razpredelenie Bulgaria] Rn. 118 ff., 122 ff.; zu einer mittelbaren Benachteiligung iSd. § 3 Abs. 2 Halbs. 2 AGG vgl. BAG 15.12 2016 – 8 AZR 454/15, Rn. 39 mwN, BAGE 157, 296[]
  20. vgl. zur unmittelbaren Benachteiligung nach dem AGG etwa BAG 15.12 2016 – 8 AZR 454/15, Rn. 38 mwN, BAGE 157, 296[]
  21. vgl. BAG 15.12 2016 – 8 AZR 454/15 – aaO; EuGH 31.03.1981 – C-96/80 – [Jenkins] Rn. 12, Slg. 1981, 911[]
  22. vgl. EuGH 28.02.2013 – C-427/11 – [Kenny] Rn. 46; 26.06.2001 – C-381/99 – [Brunnhofer] Rn. 67, Slg. 2001, I-4961; 13.05.1986 – C-170/84 – [Bilka-Kaufhaus] Rn. 36, Slg. 1986, 1607[]
  23. vgl. hierzu etwa EuGH 23.10.2003 – C-4/02 und – C-5/02 – [Schönheit und Becker] Rn. 84 f. mwN und 97, Slg. 2003, I-12575[]
  24. vgl. hierzu BAG 19.07.2011 – 3 AZR 398/09, Rn. 33 mwN, BAGE 138, 332; 18.05.2010 – 3 AZR 97/08, Rn. 30 ff., BAGE 134, 254[]
  25. vgl. hierzu BAG 19.07.2011 – 3 AZR 398/09 – aaO[]
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Lebenspartnerschaft und betriebliche Altersversorgung