Betriebliche Übung und die Schriftformklausel des TVöD

Die Schriftformklausel des § 2 Abs. 3 TVöD verhindert die Entstehung einer betrieblichen Übung auf Zahlung einer pauschalierten Gefahren-/Schmutzzulage. Bei der Zahlung einer Gefahren-/Schmutzzulage als solcher handelt es sich um keine Nebenabrede sondern eine Hauptabrede, weshalb § 2 Abs. 3 TVöD nicht greift. Eine Pauschalierungsvereinbarung nach § 4 des Tarifvertrags über Lohnzuschläge gemäß § 29 MTB II/MTArb (Lohnzuschlag TV) dagegen stellt eine Nebenabrede dar.

Betriebliche Übung und die Schriftformklausel des TVöD

Dabei enthebt sich das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg ausdrücklich der Beantwortung der von den Parteien gestellten Frage, ob die Grundsätze der betrieblichen Übung auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien umfassend oder aber nur eingeschränkt Anwendung finden im Hinblick darauf, dass der Beklagte, unstreitig nicht dem öffentlichen Dienst zugehörig, deshalb wie ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes behandelt werden müsste, weil er seine Tätigkeit überwiegend durch Zuwendungen der öffentlichen Hand finanziert. Auch wenn für Letzteres sprechen könnte, dass der Beklagte durch die jährlichen Zuwendungsbescheide der Bundes- und Landesministerien an den Grundsatz des Normvollzugs und damit zugleich an das Besserstellungsverbot zumindest durch Nebenbestimmungen gebunden sein dürfte, so ist andererseits nicht zu verkennen, dass der Beklagte nicht ausschließlich von Mitteln der öffentlichen Hand, die er im Übrigen selbst beantragt, lebt, sondern eben auch Drittmittel von privater Seite anwirbt, für die irgendwelche Haushaltsvorgaben keine Rolle spielen. Letztlich ist die Beantwortung der Frage für die Entscheidung des Rechtsstreits aber deshalb nicht erforderlich, weil schon bei uneingeschränkter Anwendbarkeit der Grundsätze einer betrieblichen Übung deren tatsächliche Voraussetzungen zumindest zweifelhaft erscheinen, jedenfalls aber ihre Anwendbarkeit am Schriftformerfordernis des § 2 Abs. 3 TVöD scheitert.

Die betriebliche Übung ist ein gleichförmiges und wiederholtes Verhalten des Arbeitgebers, das geeignet ist, vertragliche Ansprüche auf eine Leistung zu begründen, wenn die Leistungsempfänger aus dem Verhalten des Arbeitgebers schließen dürfen, ihnen würde die Leistung auch künftig gewährt1. Dem Verhalten des Arbeitgebers wird eine konkludente Willenserklärung entnommen, die vom Arbeitnehmer gemäß § 151 BGB angenommen werden kann. Ob eine für den Arbeitgeber bindende betriebliche Übung aufgrund der Gewährung von Leistungen an seine Arbeitnehmer entstanden ist, muss deshalb danach beurteilt werden, inwieweit die Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers unter Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte gemäß § 242 BGB unter Begleitumständen auf einen Bindungswillen des Arbeitgebers schließen durften2.

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Die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich eine betriebliche Übung ergeben soll, trägt der Arbeitnehmer3. Zur Darlegung der Anspruchsvoraussetzung gehört dabei auch die Darlegung, dass das Verhalten des Arbeitgebers aus Sicht des Empfängers ausreichende Anhaltspunkte dafür bot, der Arbeitgeber wolle Zahlungen erbringen, ohne hierzu bereits aus anderen Gründen, etwa aufgrund eines Tarifvertrags oder einer Betriebsvereinbarung, verpflichtet zu sein4.

Die Entstehung einer betrieblichen Übung ist aber nicht nur dann ausgeschlossen, wenn für die vom Arbeitgeber erbrachten Leistungen tatsächlich eine anderweitige Rechtsgrundlage besteht sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber aufgrund einer vermeintlichen Verpflichtung die Leistung erbringt und die Arbeitnehmer den Irrtum des Arbeitgebers teilen5.

Ob, und wenn ja, welche für den Arbeitgeber zur Entscheidung befugten Personen tastsächlich einem Irrtum, also einer subjektiven Fehlvorstellung, unterlegen sind, ist für sich genommen nicht maßgeblich, es kommt nicht auf das Vorhandensein solcher Fehlvorstellungen an, sondern darauf, ob aus Sicht der Arbeitnehmer eine solche Fehlvorstellung vorlag und die Zahlung aus ihrer Sicht zur Erfüllung tariflicher bzw. aus der Betriebsvereinbarung folgende Ansprüche erfolgte6.

Die Entstehung einer betrieblichen Übung scheitert an der Nichtbeachtung des Schriftformerfordernisses des § 2 Abs. 3 TVöD. Danach sind Nebenabreden nur wirksam, wenn sie schriftlich getroffen wurden.

Schriftformklauseln können das Entstehen einer betrieblichen Übung verhindern. Eine tarifliche Schriftformklausel stellt ein gesetzliches Schriftformerfordernis im Sinne des § 126 BGB dar. Die Nichtbeachtung der Formvorschrift führt zur Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts, eine betriebliche Übung kann nicht entstehen7. Dies gilt auch dann, wenn der Tarifvertrag kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung findet. Ein -gesetzliches oder gewillkürtes – konstitutives Schriftformerfordernis für Vertragsänderungen oder -ergänzungen verhindert auch das Entstehen einer betrieblichen Übung. Ein gewillkürtes Schriftformerfordernis kann zwar auch durch eine betriebliche Übung formlos abbedungen werden. Ein dahingehender objektiver Erklärungswert der Betriebsübung ist jedoch nicht anzunehmen, wenn es gerade Sinn des Schriftformerfordernisses war, auch das Entstehen abweichender betrieblicher Übungen zu verhindern. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der einschlägige Tarifvertrag ein konstitutives Schriftformerfordernis vorsieht und das einzelvertraglich vereinbarte Schriftformerfordernis auch den Sinn hatte, eine unterschiedliche Rechtsstellung der tarifgebundenen und der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer zu verhindern8.

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Die Vorschrift des § 2 Abs. 3 TVöD, die auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien Anwendung findet, verhindert die Entstehung einer betrieblichen Übung deshalb, weil es sich bei der Pauschalierung der Gefahren-/Schmutzzulage um eine Nebenabrede zum Arbeitsvertrag handelt.

Die Verpflichtung zur Zahlung einer Gefahren-/Schmutzzulage als solche zählt zu den Hauptpflichten des Arbeitgebers zählt. Diese Hauptpflicht ist tarifvertraglich geregelt. Nebenabrede ist dagegen die Pauschalierungsabrede, die schon nach den früheren tarifvertraglichen Regelungen vorgesehen, aber nicht verpflichtend war. Dabei handelt es sich um die Modalität der Zahlung, nicht aber um die Zahlung an sich. Die neuere tarifliche Regelung dagegen sieht eine Pauschalierung einseitig bestimmbar durch den Tarifvertrag nicht mehr vor, vielmehr ist nunmehr eine Einzelvereinbarung erforderlich.

Den Begriff der Nebenabrede haben die Tarifvertragsparteien in § 2 TVöD nicht definiert. Auch die Vorgängerregelungen den § 4 BAT, § 4 MTArb und § 4 BMTG II enthielten keine Definition. Die Abgrenzung von Hauptpflichten/Hauptrechten einerseits und Nebenabreden erfolgt daher durch die Rechtsprechung. Ausgangspunkt ist, dass zu den Hauptpflichten/Hauptrechten insbesondere die Arbeitsleistung und das Arbeitsentgelt gehören.

Zwar hat das Bundesarbeitsgericht im Jahr 1982 jede Zusage außertariflicher Leistungen als Nebenabrede angesehen9. Von diesem Verständnis hat sich die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in der Folge gelöst. Vereinbarungen, die die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers oder die Gegenleistung des Arbeitgebers unmittelbar betreffen, sind nicht als Nebenabrede anzusehen10. In der von dem Klägerin zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 04.06.200811 ist dieses davon ausgegangen, dass alle Leistungen mit Entgeltcharakter die Hauptleistungspflicht betreffen, da jede Zusage eines höheren als des unmittelbar tariflich vorgesehenen Entgelts eine synallagmatische Verpflichtung aus dem Arbeitsvertrag betrifft. Die Entscheidung betraf jedoch einen Fall, in dem die betroffenen Arbeitnehmer dem Grunde nach überhaupt keinen Anspruch auf eine entsprechende Zulage hatten, vielmehr durch eine Gesamtzusage Arbeitnehmern eine Leistung gewährt wurde, die tariflich nicht vorgesehen war. Im Übrigen hat auch das Bundesarbeitsgericht in einer Entscheidung vom 15.03.201112 die vertragliche Abrede über eine übertarifliche, dem Arbeitnehmer günstigere Berechnung der Urlaubsdauer als Nebenabrede qualifiziert. Auch wenn dabei das Bundesarbeitsgericht darauf abgestellt hat, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch keine Gegenleistung für erbrachte oder zu erbringende Arbeitsleistungen sei, handelt es sich um eine Hauptleistungspflicht aus dem Arbeitsverhältnis, denn der Urlaubsanspruch knüpft an das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses an.

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So wie es in dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall um die Höhe und Berechnung eines bestehenden Anspruches ging, geht es auch hier nicht um den Anspruch als solches. Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass bei der Tätigkeit der Klägerin und der weiteren Tierpfleger in der Versuchstieranstalt Arbeiten anfallen, die zulagepflichtig sind. Streitig und nicht geklärt ist nur, in welchem Umfang und mit welchem jeweiligem Satz. Es geht nicht um den Anspruch dem Grunde nach, vielmehr der Höhe nach.

Im Streit steht daher nicht die Frage der Vergütungspflicht, vielmehr die Frage, ob die Pauschalierung zulässig ist. Nach § 24 Abs. 6 TVöD erfordert die Zahlung einer neben dem Tabellenentgelt zustehenden Entgeltbestandteile (hier Erschwerniszuschläge) einer einzelvertraglichen Vereinbarung. Bei der Pauschalierungsvereinbarung handelt es sich, da diese nicht die Hauptleistungspflicht als solche betrifft, um eine Nebenabrede, und zwar unabhängig davon, ob diese im Einzelfall für die Arbeitnehmer günstiger oder ungünstiger ist.

In den Lohnabrechnungen wurde die Leistung als Entgeltbestandteil “ Schmutz/Gef.zul.pau.“ ausgewiesen. Zuzugeben ist, dass, auch wenn dies nicht unmittelbares Tatbestandsmerkmal ist, sachliche Voraussetzung einer Pauschalierung ist, dass die nicht in Monatsbeträgen festgelegten Entgeltbestandteile während des Pauschalierungszeitraums voraussichtlich im Durchschnitt regelmäßig anfallen müssen13. Für die Bewertung als Nebenabrede spielt jedoch keine Rolle, ob die Berechnung der Höhe nach zutreffend ist, wobei im vorliegenden Fall insbesondere auch von Bedeutung ist, dass je nach Tätigkeit nicht nur die Anzahl der Stunden, vielmehr auch der Stundensatz entscheidend ist.

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Die Pauschalierung soll nicht zu übertariflichen Leistungen führen. Die im Tarifvertrag vorgesehene Pauschalierung betrifft tarifliche Ansprüche und deren Vergütung. Dies gilt auch dann, wenn die Pauschalierung zu hoch oder zu niedrig ist und eine konkrete Abrechnung zu höheren oder geringeren Zuschlägen führen würde.

Bis zum Inkrafttreten des TVöD war, soweit ersichtlich, nicht umstritten, dass es sich bei den tariflichen Pauschalierungsregelungen im öffentlichen Dienst um eine Nebenabrede handelt. Die Änderung der tarifvertraglichen Regelungen ändert hieran nichts.14. Soweit Dick15. aus der Tatsache, dass die Regelung in § 35 Abs. 4 BAT, die eine Nebenabrede für bestimmte Zuschläge voraussetzte, nicht mehr in den TVöD übernommen wurde, ableitet, dass es sich bei der Pauschalierung um keine Nebenabrede im Sinne des § 2 Abs. 43 TVöD mehr handelt, verkennt dieser, dass in der Regelung in § 35 Abs. 4 BAT nicht die Pauschalierung als Nebenabrede definiert wurde. Vielmehr wurde in der Regelung nur klargestellt, dass die grundsätzliche Regelung im Arbeitsvertrag durch Nebenabrede zu erfolgen hat, aber im Bereich der VKA eine Pauschalierung auch durch bezirkliche oder betriebliche Vereinbarung möglich ist. Diese Differenzierung wurde im TVöD aufgegeben und ändert nichts am Verständnis der Pauschalierung als Nebenabrede.

Als Folge der seit 1. Oktober 2005 geforderten Vereinbarung einer Pauschalierung besteht angesichts des konstitutiven Schriftformerfordernis kein Anspruch, der auf eine betriebliche Übung gestützt werden kann. Daher spielt im Rahmen der Klage und Klagbegründung keine Rolle, dass dem Grunde nach Ansprüche in unterschiedlicher Höhe für die ausgeübte Tätigkeit bestehen. Der Klägerin ist auch zuzugeben, dass angesichts der vorgetragenen Arbeitsorganisation im Team und der höchst unterschiedlichen Arten der Tätigkeiten eine Pauschalierung nicht nur Sinn macht, vielmehr auch aus Arbeitgebersicht geboten sein sollte. Es dürfte weder im Interesse der Arbeitnehmer noch der Arbeitgeberseite sein, wenn alle Arbeitnehmer unter Arbeitszeitaufschrieben in Individualstreitigkeiten unter Beweisaufnahme Monat für Monat abklären, welcher Anspruch besteht. Insoweit ist zu bedauern, dass der von Klägerseite ausdrücklich zum Ausdruck gebrachte Wille, eine Regelung zur Pauschalierung auch auf geringerer Basis zu treffen, aus grundsätzlichen Erwägungen von der Beklagten abgelehnt wurde. Ein Anspruch auf eine Pauschalierung besteht nicht.

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Der beklagten Arbeitgeberin ist es auch nicht verwehrt, sich auf die fehlende Schriftform zu berufen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht liegt im Berufen auf eine Formabrede nur ausnahmsweise eine unzulässige Rechtsausübung. Sieht eine gesetzliche oder tarifliche Vorschrift vor, dass die Wirksamkeit eines Vertrags oder einer Nebenabrede zu einem Vertrag von der Einhaltung einer bestimmten Form abhängig ist, gebietet es die Rechtssicherheit, diese Vorschrift nicht ohne zwingenden Grund zu missachten. Etwas anderes kommt nur dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber gegenüber der Klägerin oder Dritten zum Ausdruck gebracht hat, für die Wirksamkeit der Nebenabrede komme es auf die Einhaltung der Formvorschrift nicht an16.

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg – Urteil vom 7. Oktober 2013 – 10 Sa 10/13

  1. BAG 16.02.2010 – 3 AZR 118/08 – AP BetrAVG § 1 b Nr. 11[]
  2. BAG 30.07.2008 – 10 AZR 606/07 – BAGE 127, 185[]
  3. BAG 21.06.2005 – 9 AZR 200/04 – NZA 2006, 232[]
  4. BAG 29.08.2012 – 10 AZR 571/11 – AP Nr. 93 zu § 242 BGB – Betriebliche Übung[]
  5. BAG 17.03.2010 – 5 AZR 317/09 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Brotindustrie Nr. 9[]
  6. BAG 29.08.2012 – 10 AZR 571/11[]
  7. BAG 18.09.2002 – 1 AZR 477/01, EzA § 242 BGB – Betriebliche Übung Nr. 48[]
  8. vgl. bereits BAG v. 27.03.1987 -7 AZR 527/85, AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 29[]
  9. vgl. BAG, Urteil vom 07.09.1982 – 3 AZR 5/80, AP Nr. 1 zu § 3 TV Arbeiter Bundespost[]
  10. zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes kritisch Picker, Die betriebliche Übung im Öffentlichen Dienst, ZTR 2012, S.195 ff., 204[]
  11. BGA 04.06.2008 – 4 AZR 421/07, NZA 2008, 1360[]
  12. BAG 15.03.2011 – 9 AZR 799/09, AP TVöD § 26 Nr. 1 TVöD[]
  13. vgl. Bohner/Steinherr TVöD, § 24 Rz. 76[]
  14. vgl. z.B. Spohner/Steinherr, TVöD § 24 Rz. 79; Clemens/Scheuring, TV-L § 24 Rz. 68 ff.; Bremecker/Hock, TVöD Lexikon Stichwort Zuschläge, Ausgleich für Sonderformen der Arbeit Ziffer 3.4[]
  15. Burger/Dick, TVöD-TV-L, § 24 Rz. 21[]
  16. vgl. beispielsweise BAG vom 18.09.2002 – 1 AZR 477/01, NZA 2003, 337[]
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