Der Arbeitnehmer hat im bestehenden Arbeitsverhältnis grundsätzlich einen Anspruch auf vertragsgemäße tatsächliche Beschäftigung.

Rechtsgrundlage des durch die Rechtsprechung im Wege der Rechtsfortbildung entwickelten allgemeinen Beschäftigungsanspruchs des Arbeitnehmers sind §§ 611a, 613 BGB iVm. der Generalklausel des § 242 BGB, die durch die Wertentscheidungen der Art. 1 und Art. 2 GG zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht ausgefüllt wird (vgl. zu §§ 611, 613 iVm. § 242 BGB: BAG 27.02.1985 – GS 1/84, zu C I 2 der Gründe, BAGE 48, 122; seither st. Rspr. vgl. nur BAG 25.01.2018 – 8 AZR 524/16, Rn. 70; 21.02.2017 – 1 AZR 367/15, Rn.19 mwN, BAGE 158, 148; 9.04.2014 – 10 AZR 637/13, Rn. 14 mwN, BAGE 148, 16; zum Weiterbeschäftigungsanspruch vgl. BAG 27.05.2020 – 5 AZR 247/19, Rn. 23, BAGE 170, 311). Der Arbeitnehmer soll – als Ausdruck und in Achtung seiner Persönlichkeit und seines Entfaltungsrechts – tatsächlich arbeiten können1. Korrespondierend mit dem Beschäftigungsanspruch ist der Arbeitgeber zur vertragsgemäßen Beschäftigung verpflichtet, wenn der Arbeitnehmer diese verlangt2.
Der allgemeine Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses gemäß §§ 611a, 613 iVm. § 242 BGB ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur mit Begrenzungen anzuerkennen. Er setzt neben einer arbeitsvertraglichen Verbindung der Parteien voraus, dass das Interesse des Arbeitnehmers an seiner Beschäftigung das des Arbeitgebers an seiner Nichtbeschäftigung überwiegt3. Treu und Glauben verpflichteten den Arbeitgeber nicht, die Interessen des Arbeitnehmers ohne Rücksicht auf eigene überwiegende und schutzwerte Interessen zu fördern. Andererseits kann sich auf Seiten des Arbeitnehmers das allgemeine ideelle Beschäftigungsinteresse im Einzelfalle noch durch besondere Interessen ideeller und/oder materieller Art verstärken4. Lehnt der Arbeitgeber wegen entgegenstehender eigener Interessen die Beschäftigung des Arbeitnehmers ab, bedarf es einer Interessenabwägung, in die alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen sind: Bestehen danach keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers, kann der Arbeitnehmer grundsätzlich eine vertragsgemäße Beschäftigung verlangen. Stehen überwiegende schutzwerte Interessen der Beschäftigung entgegen, ist der Arbeitgeber nicht zur Beschäftigung des Arbeitnehmers verpflichtet5.
Der Beschäftigungsanspruch kann ausgeschlossen sein, wenn eine Beschäftigung des Arbeitnehmers, zB wegen Auftragsmangels6 oder einer Umorganisation, die auf einer rechtmäßigen unternehmerischen Entscheidung beruht7, nicht (mehr) möglich ist.
§§ 611a, 613 BGB iVm. des § 242 BGB begründen einen Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers, geben ihm aber keine Beschäftigungsgarantie8. Der Arbeitgeber ist regelmäßig nicht gehindert, eine Organisationsentscheidung zu treffen, die zum Wegfall des Arbeitsplatzes führt. Ist eine vertragsgemäße Beschäftigung auf dem bisherigen oder einem anderen freien Arbeitsplatz nicht möglich, ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, für den von der Organisationsmaßnahme betroffenen Arbeitnehmer einen zusätzlichen Arbeitsplatz einzurichten9. Vom Arbeitgeber kann weder verlangt werden, auf die beschlossene Organisationsmaßnahme zu verzichten, wenn diese rechtlich nicht zu beanstanden ist, noch kann er gezwungen werden, seine Organisationsentscheidung mit dem Ziel zu „modifizieren“, eine Beschäftigungsmöglichkeit zu erhalten. Hierdurch würde die unternehmerische Entscheidung nicht nur kontrolliert, sondern ihr ggf. eine andere Gestalt gegeben. Dem Arbeitgeber kann auch unter Beachtung der jeweils aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden, gegenläufigen Grundrechtspositionen der Arbeitsvertragsparteien nicht vorgegeben werden, welche und wie viele Arbeitsplätze er in seinem Betrieb weiter vorzuhalten hat (vgl. zu § 626 Abs. 1 BGB BAG 24.09.2015 – 2 AZR 562/14, Rn. 34, BAGE 152, 345).
Beruht die Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einer unternehmerischen Entscheidung, führt dies nicht dazu, dass die Abwägung mit Interessen des Arbeitnehmers von vornherein ausgeschlossen wäre und sich die Belange des Arbeitnehmers nur in dem vom Arbeitgeber durch die unternehmerische Entscheidung gesetzten Rahmen durchsetzen könnten. Die unternehmerische Entscheidung ist ein zwar wichtiger, aber nicht der alleinige Abwägungsgesichtspunkt. Im Einzelfall können besonders schwerwiegende, insbesondere verfassungsrechtlich geschützte Belange des Arbeitnehmers entgegenstehen. Es kommt darauf an, ob das Interesse des Arbeitgebers an der Durchsetzung seiner Organisationsentscheidung auch im Einzelfall die Nichtbeschäftigung rechtfertigt10. Das kann auch der Fall sein, wenn ein die Beschäftigungsmöglichkeit ausschließender Rückgang des Arbeitskräftebedarfs – wie im Streitfall – aus einer organisatorischen Maßnahme des Arbeitgebers folgt, die ökonomisch nicht zwingend geboten war. Eine solche unternehmerische Entscheidung ist gerichtlich nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur daraufhin, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Ohne Einschränkung nachzuprüfen ist hingegen, ob die fragliche Entscheidung getroffen und faktisch umgesetzt wurde, und ob dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist11, oder ob auch auf der Basis der – nicht missbräuchlich oder willkürlich – getroffenen unternehmerischen Entscheidung noch eine Möglichkeit besteht, den Arbeitnehmer vertragsgemäß sinnvoll zu beschäftigen12.
Der Arbeitgeber trägt nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich das Überwiegen der von ihm geltend gemachten schutzwürdigen Interessen ergeben soll, weil er hieraus für sich günstige Rechtsfolgen ableitet. Er hat die tatsächlichen Grundlagen für den Wegfall des Beschäftigungsbedarfs schlüssig vorzutragen und im Fall des Bestreitens zu beweisen.
In Fällen, in denen die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und die Streichung der vom Arbeitnehmer bisher innegehabte Stelle praktisch deckungsgleich sind, besteht eine gesteigerte Darlegungslast des Arbeitgebers. Er muss seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen. Hierzu muss er konkret erläutern, in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher vom Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen13. Wie substantiiert der Vortrag zu erfolgen hat, hängt von der Einlassung des Arbeitnehmers ab14.
Für eine beschlossene und durchgeführte unternehmerische Organisationsentscheidung spricht die Vermutung, dass sie aus sachlichen – nicht zuletzt wirtschaftlichen – Gründen getroffen wurde und nicht auf Rechtsmissbrauch beruht. Im Prozess hat der Arbeitnehmer die Umstände darzulegen und ggf. zu beweisen, aus denen sich ergeben soll, dass die getroffenen Organisationsmaßnahmen offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sind. Trägt er entsprechende Indizien vor, ist in den Tatsacheninstanzen zunächst zu prüfen, ob diese in ihrer Gesamtschau, ggf. im Zusammenhang mit dem übrigen Prozessstoff auf das Vorliegen von Rechtsmissbrauch schließen lassen. Ist dem so, sind die vom Arbeitnehmer angetretenen Beweise zu erheben, soweit der Arbeitgeber die Indiztatsachen ausreichend bestritten hat (§ 138 ZPO). Die Ergebnisse der Beweisaufnahme sind unter Beachtung der den Arbeitnehmer treffenden objektiven Beweislast zu würdigen (§ 286 Abs. 1 ZPO). Bei alledem ist das Gericht grundsätzlich frei darin, welche Beweiskraft es den – unstreitigen oder bewiesenen – Indizien im Einzelnen und in der Gesamtschau für seine Überzeugungsbildung beimisst15.
Die Prüfung, ob dem Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers überwiegende schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen, ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dem Berufungsgericht kommt dabei ein gewisser Beurteilungsspielraum zu, der die revisionsrechtliche Überprüfung einschränkt16. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung17. Fehlt es an einer Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts, ist dem Revisionsgericht eine eigene Interessenabwägung möglich, wenn alle relevanten Tatsachen festgestellt sind. In diesem Fall ist es nicht erforderlich, die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen um diesem Gelegenheit zu geben, zunächst eine eigene Abwägung vorzunehmen18.
Die nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewonnene tatrichterliche Überzeugung des Landesarbeitsgerichts, der Arbeitgeberin sei die Beschäftigung der Arbeitnehmerin unmöglich geworden, ist nur beschränkt revisibel. Sie kann revisionsrechtlich nur darauf überprüft werden, ob sich das Landesarbeitsgericht entsprechend den Vorgaben des Prozessrechts mit dem Prozessstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, seine Würdigung vollständig und rechtlich möglich ist, nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt19 und die Revision zulässige und begründete Verfahrensrügen erhoben hat (§ 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst b, § 557 Abs. 3 Satz 2 ZPO; BAG 26.10.2016 – 7 AZR 535/14, Rn. 26; 24.09.2015 – 2 AZR 562/14, Rn. 48 f., BAGE 152, 345).
Auch die Bewertung des Berufungsgerichts, ob ein Rechtsmissbrauch oder Willkür vorliegt, unterliegt nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht, weil es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt20. Dabei kann ohne Rechtsfehler davon ausgegangen werden, dass für die von der Arbeitgeberin beschlossene und durchgeführte unternehmerische Organisationsentscheidung die Vermutung spreche, sie sei aus sachlichen – nicht zuletzt wirtschaftlichen – Gründen getroffen worden und beruhe nicht auf Rechtsmissbrauch. Der Einwand der Arbeitnehmerin, die Arbeitgeberin habe die Organisationsänderung durch eine Rückübertragung von Arbeitsaufgaben rückgängig zu machen oder einen auf die Arbeitnehmerin zugeschnittenen Arbeitsplatz zu schaffen, ist daher unbeachtlich.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15. Juni 2021 – 9 AZR 217/20
- vgl. BAG 21.02.2017 – 1 AZR 367/15, Rn.19 mwN, BAGE 158, 148[↩]
- vgl. BAG 24.06.2015 – 5 AZR 225/14, Rn. 35, BAGE 152, 65[↩]
- BAG 27.02.1985 – GS 1/84, zu C I 2 c der Gründe, BAGE 48, 122[↩]
- BAG 27.02.1985 – GS 1/84, zu C I 3 der Gründe, aaO[↩]
- vgl. BAG 27.02.1985 – GS 1/84 – aaO; vgl. auch 25.01.2018 – 8 AZR 524/16, Rn. 71; 9.04.2014 – 10 AZR 637/13, Rn. 14 mwN, BAGE 148, 16[↩]
- BAG 27.02.1985 – GS 1/84, zu C I 3 der Gründe, BAGE 48, 122[↩]
- vgl. BAG 21.03.2018 – 10 AZR 560/16, Rn.19 mwN, BAGE 162, 221; 25.01.2018 – 8 AZR 524/16, Rn. 71[↩]
- vgl. BAG 16.05.2019 – 6 AZR 329/18, Rn. 36, BAGE 166, 363[↩]
- vgl. zum Beschäftigungsanspruch schwerbehinderter Menschen: BAG 16.05.2019 – 6 AZR 329/18 – aaO[↩]
- vgl. zur Billigkeit einer Versetzung: BAG 30.11.2016 – 10 AZR 11/16, Rn. 30; 28.08.2013 – 10 AZR 569/12, Rn. 41 f.[↩]
- vgl. BAG 22.10.2015 – 2 AZR 650/14, Rn. 32 f.[↩]
- vgl. BAG 16.05.2019 – 6 AZR 329/18, Rn. 36, BAGE 166, 363; 24.09.2015 – 2 AZR 562/14, Rn. 34, BAGE 152, 345[↩]
- vgl. BAG 16.05.2019 – 6 AZR 329/18, Rn. 43, BAGE 166, 363; 22.10.2015 – 2 AZR 650/14, Rn. 34 mwN; 24.05.2012 – 2 AZR 124/11, Rn. 23[↩]
- vgl. BAG 31.07.2014 – 2 AZR 422/13, Rn. 36, BAGE 149, 18[↩]
- vgl. BAG 24.09.2015 – 2 AZR 562/14, Rn. 48, BAGE 152, 345; 18.06.2015 – 2 AZR 480/14, Rn. 35 mwN, BAGE 152, 47[↩]
- vgl. BAG 11.04.2019 – 6 AZR 104/18, Rn. 40, BAGE 166, 285; 15.07.2009 – 5 AZR 867/08, Rn. 31 mwN, BAGE 131, 215; 30.08.2017 – 7 AZR 864/15, Rn. 41, BAGE 160, 133; 22.10.2015 – 2 AZR 569/14, Rn. 47, BAGE 153, 111[↩]
- zur Interessenabwägung iRv. § 626 Abs. 1 BGB vgl. BAG 27.01.2011 – 2 AZR 825/09, Rn. 38, BAGE 137, 54[↩]
- zur Interessenabwägung iRv. § 626 Abs. 1 BGB vgl. BAG 27.01.2011 – 2 AZR 825/09 – aaO[↩]
- vgl. BAG 19.02.2015 – 8 AZR 1011/13, Rn. 27; 20.08.2014 – 7 AZR 924/12, Rn. 35[↩]
- st. Rspr., zum Prüfungsmaßstab vgl. zB BAG 11.04.2019 – 6 AZR 104/18, Rn. 40, BAGE 166, 285; 15.07.2009 – 5 AZR 867/08, Rn. 31 mwN, BAGE 131, 215[↩]