Betriebsbedingte Kündigung in der Insolvenz – und die Vermutungswirkung der Namensliste

Ist eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG geplant und schließen der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat darüber einen Interessenausgleich mit Namensliste, wird nach § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO vermutet, dass die Kündigung des in der Namensliste aufgeführten Arbeitnehmers durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist. Im Zeitpunkt des Abschlusses des Interessenausgleichs muss sich die Betriebsänderung noch in der Planungsphase befinden, damit dem Betriebsrat entsprechend dem Zweck des § 111 BetrVG eine Einflussnahme auf die unternehmerische Entscheidung möglich ist.

Betriebsbedingte Kündigung in der Insolvenz – und die Vermutungswirkung der Namensliste

Der klagende Arbeitnehmer in dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Streitfall war seit 2011 bei der insolventen Arbeitgeberin, einem Unternehmen der Herstellung und des Vertriebs von Spezialprofilen aus Stahl und Stahlerzeugnissen mit ca. 400 Arbeitnehmern, tätig. Der beklagte Insolvenzverwalter schloss vor dem Hintergrund einer geplanten Betriebsstilllegung mit dem bei der Arbeitgeberin gebildeten Betriebsrat am 29. Juni 2020 einen Interessenausgleich mit drei verschiedenen, insgesamt sämtliche Arbeitnehmer aufführenden Namenslisten. Der Arbeitnehmer war auf der zweiten Liste namentlich genannt. Nach Unterzeichnung des Interessenausgleichs kündigte der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers betriebsbedingt mit Schreiben vom 29. Juni 2020 zum 31. Mai 2021 und wegen einer behaupteten Schwerbehinderung vorsorglich ein weiteres Mal mit Schreiben vom 20. August 2020 zum selben Kündigungstermin.

Das in der Vorinstanz mit der Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers befasste Landesarbeitsgericht Hamm hat die Kündigungen als unwirksam angesehen1. Die hiergegen gerichtete Revision des Insolvenzverwalters hatte vor dem Bundesarbeitsgericht Erfolg:

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Rückwirkung der Klagezustellung

Die Kündigung vom 20. August 2020 hat das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers, der rechtskräftig festgestellt keinen besonderen Kündigungsschutz infolge einer Schwerbehinderung genießt, wirksam zum 31. Mai 2021 beendet. Die Kündigung ist jedenfalls aufgrund der Vermutung des § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO, dass sie durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, wirksam.

Der Insolvenzverwalter hat – entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts – hinreichend dargelegt, dass die der Kündigung zugrunde liegende Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG gem. § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO geplant war. Die diesbezügliche Vermutungswirkung hat der Arbeitnehmer nicht widerlegt.

Auf die Wirksamkeit der zum selben Beendigungstermin ausgesprochenen Kündigung vom 29. Juni 2020 und die im Lauf des Verfahrens von den Parteien erörterten prozessualen Probleme kam es für die Entscheidung des Senats daher nicht an.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17. August 2023 – 6 AZR 56/23

  1. LAG Hamm 13.01.2023 – 16 Sa 485/21[]

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