Betriebsbedingte Kündigung – und die Sozialauswahl

Nach § 1 Absatz 3 LSGchG sind die sozialen Gesichtspunkte „ausreichend“ zu berücksichtigen. Dem Arbeitgeber kommt damit bei der Gewichtung der Sozialkriterien ein Wertungsspielraum zu. Die Auswahlentscheidung muss sozial vertretbar sein, muss aber nicht unbedingt der Entscheidung entsprechen, die das Gericht getroffen hätte, wenn es eigenverantwortlich soziale Erwägungen hätte anstellen sollen.

Betriebsbedingte Kündigung – und die Sozialauswahl

Der dem Arbeitgeber vom Gesetz eingeräumte Wertungsspielraum führt dazu, dass nur deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer mit Erfolg die Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl rügen können1. Bei einer ähnlich hohen sozialen Schutzbedürftigkeit mehrerer vergleichbarer Arbeitnehmer kann es daher mehrere unterschiedliche Entscheidungen im Rahmen der Sozialauswahl geben, die alle den gesetzlichen Anforderungen genügen.

Nach § 1 Absatz 3 LSGchG fehlt einer Kündigung auch dann die soziale Rechtfertigung, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat (Sozialauswahl).

Nach dem Gesetzeswortlaut sind die sozialen Gesichtspunkte „ausreichend“ zu berücksichtigen. Dem Arbeitgeber kommt damit bei der Gewichtung der Sozialkriterien ein Wertungsspielraum zu. Die Auswahlentscheidung muss sozial vertretbar sein, muss aber nicht unbedingt der Entscheidung entsprechen, die das Gericht getroffen hätte, wenn es eigenverantwortlich soziale Erwägungen hätte anstellen sollen. Der dem Arbeitgeber vom Gesetz eingeräumte Wertungsspielraum führt dazu, dass nur deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer mit Erfolg die Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl rügen können2. Gerade bei einer ähnlich hohen sozialen Schutzbedürftigkeit verschiedener vergleichbarer Arbeitnehmer kann es daher mehrere unterschiedliche Entscheidungen im Rahmen der Sozialauswahl geben, die alle den gesetzlichen Anforderungen genügen.

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Die Fehlerhaftigkeit der Auswahlentscheidung ergibt sich auch nicht schon allein aus dem Umstand, dass die Arbeitgeberin eine Auswahlentscheidung getroffen hat, die von der nach dem Punktesystem sich ergebenden Rangfolge abweicht. Insoweit trifft es zwar zu, dass das Bundesarbeitsgericht zu der jetzt gültigen Gesetzesfassung von § 1 Absatz 3 LSGchG mehrfach entschieden hat, dass eine abschließende umfassende Einzelfallbetrachtung nicht mehr notwendig sei, der Arbeitgeber also berechtigt ist, seine Auswahl allein nach der Rangfolge aufgrund des Punktestands vorzunehmen3. Daraus kann aber nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, es sei nach der heutigen Gesetzeslage gar nicht mehr erlaubt, im Grenzbereich bei vergleichbar hoher sozialer Schutzbedürftigkeit im Einzelfall eine Entscheidung zu treffen, die vom reinen Punktewert abweicht.

Eine deutlich höhere Schutzbedürftigkeit des gekündigten Arbeitnehmers ergibt sich im hier entschiedenen Fall auch nicht bei Betrachtung der Faktoren, die hier die Schutzbedürftigkeit der beiden Arbeitnehmer begründen. Die soziale Schutzbedürftigkeit des gekündigten Arbeitnehmers resultiert insbesondere aus seinen beiden unterhaltsbedürftigen Kindern und seiner langen Betriebszugehörigkeit. Die Schutzbedürftigkeit von anderen, nicht gekündigten Arbeitnehmers ergibt sich aus seinem hohen Lebensalter. Keiner dieser drei Gesichtspunkte hat einen eindeutigen Vorrang vor den anderen. Die Rechtsprechung verlangt vielmehr nur, dass diese drei Gesichtspunkte wie alle gesetzlich genannten Gesichtspunkte überhaupt berücksichtigt werden. Dabei hat der Arbeitgeber einen Spielraum, wie er die Gesichtspunkte im Verhältnis zueinander gewichtet. Unter diesem Blickwinkel ist die starke Betonung des hohen Lebensalters und damit der schlechten Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt durch die Arbeitgeberin zumindest noch vertretbar. Jedenfalls sieht sich das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern außer Stande, den gekündigten Arbeitnehmer angesichts seiner sozialen Situation als deutlich schutzbedürftiger anzusehen.

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Landesarbeitsgericht Mecklenburg -Vorpommern, Urteil vom 18. November 2014 – 2 Sa 123/14

  1. BAG 22.03.2012 – 2 AZR 167/11 – NZA 2012, 1040, AP Nr. 99 zu § 1 LSGchG 1969 Soziale Auswahl; BAG 31.05.2007 – 2 AZR 276/06 – BAGE 123, 1, AP Nr. 94 zu § 1 LSGchG 1969 Soziale Auswahl, DB 2008, 1106; BAG 18.01.2007 – 2 AZR 796/05 – AP Nr. 89 zu § 1 LSGchG 1969 Soziale Auswahl, DB 2007, 2097[]
  2. BAG 22.03.2012 – 2 AZR 167/11 – NZA 2012, 1040, AP Nr. 99 zu § 1 LSGchG 1969 Soziale Auswahl; BAG 31.05.2007 – 2 AZR 276/06 – BAGE 123, 1, AP Nr. 94 zu § 1 LSGchG 1969 Soziale Auswahl, DB 2008, 1106; BAG 18.01.2007 – 2 AZR 796/05 – AP Nr. 89 zu § 1 LSGchG 1969 Soziale Auswahl, DB 2007, 2097[]
  3. BAG 24.10.2013 – 6 AZR 854/11 – BAGE 146, 234, AP Nr. 12 zu § 125 InsO, DB 2014, 66; BAG 9.11.2006 – 2 AZR 812/05 – BAGE 120, 137, AP Nr. 87 zu § 1 LSGchG 1969 Soziale Auswahl, DB 2007, 1087[]