Betriebsratsarbeit ist keine Arbeitszeit

Betriebsratsarbeit ist keine Arbeitszeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 ArbZG.

Betriebsratsarbeit ist keine Arbeitszeit

Nimmt ein Betriebsratsmitglied an einer außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit stattfindenden Betriebsratssitzung teil und ist es ihm deswegen unmöglich oder unzumutbar, seine vor oder nach der Betriebsratssitzung liegende Arbeitszeit einzuhalten, so hat es insoweit gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG einen Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung1. Eine Unzumutbarkeit in diesem Sinne ist regelmäßig anzunehmen, wenn ansonsten bei Zusammenrechnung der für die Betriebsratstätigkeit aufgewendeten Zeiten mit den persönlichen Arbeitszeiten die werktägliche Höchstarbeitszeit nach § 3 ArbZG überschritten werden würde.

Die Frage, ob Zeiten der Betriebsratstätigkeit unmittelbar unter die Normen des Arbeitszeitgesetzes zu fassen sind, ist bislang von den Gerichten für Arbeitssachen höchstrichterlich nicht entschieden. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19.07.19772 befasst sich lediglich mit dem vergütungsrechtlichen und nicht mit dem arbeitsschutzrechtlichen Aspekt der Betriebsratsarbeit. Danach hat ein Betriebsratsmitglied, das aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Betriebszeit Betriebsratsarbeit durchführen muss nach § 37 Abs. 3 BetrVG nur Anspruch auf Arbeitsbefreiung, die der tatsächlich für die Betriebsratstätigkeit aufgewandten Zeit entspricht. Die außerhalb der Arbeitszeit durchgeführte Betriebsratstätigkeit gilt nicht als zusätzliche Arbeitszeit, die entsprechend den gesetzlichen oder tarifvertraglichen Vorschriften wie Mehrarbeit anzusehen wäre. Auch die Entscheidung des 7. Landessozialgerichts vom 19.03.20143 befasst sich nicht mit der arbeitsschutzrechtlichen Qualifizierung der Betriebsratsarbeit. In der dortigen Entscheidung wird klargestellt, dass die Gewährung von Freizeitausgleich nach § 37 Abs. 3 S. 1 BetrVG nur die persönliche Arbeitszeit des Betriebsratsmitgliedes erfasst. Sie hindert das Betriebsratsmitglied nicht, sein Ehrenamt als Betriebsrat außerhalb seiner individuellen Arbeitszeit wahrzunehmen. Findet diese Betriebsratstätigkeit wiederum betriebsbedingt außerhalb der individuellen Arbeitszeit statt, erwirbt das Betriebsratsmitglied erneut einen Anspruch auf Freizeitausgleich für diese Betriebsratstätigkeiten. Zu der Frage, ob diese Betriebsratstätigkeiten den Höchstgrenzen des § 3 ArbZG unterliegen, hat sich das Bundesarbeitsgericht bislang nicht explizit festgelegt. In einem Einzelfall hat der 7. Landessozialgericht4 angenommen, dass ein unmittelbarer Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung gegeben ist, wenn es einem Betriebsratsmitglied wegen der Teilnahme an einer Betriebsratssitzung unmöglich oder unzumutbar ist, seine vor oder nach der Betriebsratssitzung liegende Arbeitszeit einzuhalten. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat indes mit Urteil vom 10.05.20115 die Frage bejaht, dass die Teilnahme an Betriebsversammlungen i.S. von § 42 BetrVG Arbeitszeit i.S. von § 2 Abs. 1 ArbZG ist.

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In der Literatur wird die Frage, ob Zeiten der Ausübung der Betriebsratstätigkeit unmittelbar oder mittelbar den Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes unterliegen, uneinheitlich beantwortet.

Buschmann/Ulber6 gehen davon aus, dass Arbeitszeit i.S. des Arbeitszeitgesetzes auch die Tätigkeit von Betriebsratsmitgliedern ist. Ob und inwieweit Entgeltansprüche bestehen, sei arbeitsschutzrechtlich unerheblich. Begründet wird dies wesentlich mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG, die auch für Betriebsratsmitglieder in ihrer Amtstätigkeit gelte. Würde Betriebsratsarbeit nicht als Arbeitszeit gewertet, könnten Betriebsratsmitglieder z.B. nach ganztägigen Betriebsratssitzungen unmittelbar zu Vollschichten eingeteilt werden, wodurch die Höchstgrenzen des Arbeitszeitgesetzes überschritten würden und notwendige Ruhezeiten nicht zur Anwendung kämen. Die Betriebsratstätigkeit sei eine berufliche Anforderung, die das Betriebsratsmitglied daran hindere, seinen persönlichen Verpflichtungen nachzugehen. Damit sei der Arbeitszeitbegriff i.S. des Arbeitszeitgesetzes erfüllt. Diese Auffassung vertritt auch Schulze7 mit dem Argument, dass Arbeitszeit i.S. der Richtlinie 2003/88/EG jede Zeitspanne sei, während der ein Arbeitnehmer gem. den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Zwar könne der Arbeitgeber im Rahmen seines Direktionsrechts (§ 105 S. 1 GewO) nicht unmittelbar auf den Betriebsrat während der Betriebsratstätigkeit einwirken. Dennoch verbleibe es bei seiner arbeitgeberlichen Fürsorgepflicht und der Verpflichtung, die Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes zu überwachen. Auch wenn Kollisionen mit einer unabhängigen – vom Arbeitgeber nicht beeinflussten – Betriebsratstätigkeit denkbar seien, so überwögen doch die Vorteile eines Schutzes durch das ArbZG. Jedes Betriebsratsmitglied könne sich voll und ganz auf seine Betriebsratstätigkeit konzentrieren und müsse keine verkürzten Ruhezeiten oder überlange Tagesarbeitszeiten befürchten.

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Die Mehrzahl der Kommentare zum ArbZG vermeidet eine Stellungnahme zu dieser Streitfrage8.

Im Schaub Arbeitsrechtshandbuch9 wird die Frage verneint. Zwar leiste das Betriebsratsmitglied in diesem Zeitraum Arbeit i.S. der allgemeinen Definition. Seine Tätigkeit diene auch der Befriedigung des Bedürfnisses eines Anderen. Trotz eines Interessengegensatzes im Verhältnis zum Arbeitgeber und des Fehlens eines Weisungsrechts wegen der Betriebsratstätigkeit erfolge die Tätigkeit nicht dem eigenen Interesse, sondern dem Interesse des Betriebs und der Belegschaft. Das Gesetz regele aber die Tätigkeit des Betriebsrates in § 37 Abs. 1 BetrVG ausdrücklich als Ehrenamt, für das gleichzeitig ein Anspruch auf bezahlte Freistellung gem. §§ 37, 38 BetrVG begründet werde. Der arbeitszeitrechtliche Überforderungsschutz lasse sich durch die Ansprüche nach § 37 Abs. 2 BetrVG gewährleisten. Ebenso verneint auch Wiebauer10 die Anwendbarkeit des Arbeitszeitgesetzes auf die Betriebsratstätigkeit. Normadressat des Arbeitszeitgesetzes sei der Arbeitgeber. Dieser aber könne dem Betriebsrat in Bezug auf die Betriebsratstätigkeit keine Weisungen geben. Als notwendige Konsequenz dieser Überlegung ergebe sich, dass Betriebsratsarbeit keine Arbeitszeit i.S. des Art. 2 Nr. 1 der Arbeitszeitrichtlinie sowie i.S. des § 2 Abs. 1 S. 1 ArbZG sei. Es obliege den Betriebsratsmitgliedern selbst, die ihnen zustehende Arbeitsbefreiung in Anspruch zu nehmen, um eine überobligationsmäßige Belastung zu verhindern.

Die unmittelbare Anwendbarkeit des Arbeitszeitgesetzes auf die Betriebsratsarbeit ist nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen zu verneinen. BetrVG und ArbZG nehmen mit ihren Normen bezüglich der Betriebsratstätigkeit nicht aufeinander Bezug. Das Amt des Betriebsrats ist ein Ehrenamt. Die dafür aufgewendete Zeit ist keine Arbeitszeit i.S. des § 2 Abs. 1 S. 1 ArbZG. Eine hiervon abweichende Lösung verbietet sich auch deshalb, weil ansonsten die alleinige Verantwortung des Arbeitgebers gegenüber der zur Durchführung des Arbeitszeitgesetzes berufenen Aufsichtsbehörden einerseits und der Autonomie des Betriebsrats bei der eigenen Wahrnehmung seiner Aufgaben anderseits zu schwer auflösbaren Konfliktsituationen führen würden. Zu besorgen wäre, dass der Arbeitgeber bei dem Versuch, die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes auch gegenüber dem Betriebsrat durchzusetzen, in dessen autonome Arbeitsorganisation eingreift. Im Rahmen zugespitzter innerbetrieblicher Konfliktsituationen (beispielsweise bei den Verhandlungen über eine Betriebsänderung) ist es im Einzelfall nicht immer zu gewährleisten, dass der Betriebsrat bei einem solchen „Verhandlungsmarathon“ alle Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes eins zu eins einhält. Es liegt dann aber im Rahmen des ihm übertragenen Ehrenamtes in seiner eigenen Verantwortung, welche Anstrengungen er sich noch zumutet und ab welchem Punkt er dem Erholungsbedürfnis seiner Mitglieder Vorrang gewährt. Es griffe in die Unabhängigkeit der Amtsführung des Betriebsrates ein, wenn dem Arbeitgeber zugestanden würde, den Betriebsrat in der heißen Phase einer Verhandlung „quasi ins Bett zu schicken“. Auf der anderen Seite könnte auch der Arbeitgeber in eine schwer auflösbare Konfliktsituation geraten, wenn ein selbstbewusster und kampfstarker Betriebsrat sehenden Auges die Grenzen des Arbeitszeitgesetzes überschreitet, ohne dabei auf die fürsorglichen Hinweise des Arbeitgebers zur Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes zu achten. Adressat der Bußgeld- und Strafvorschriften in §§ 22, 23 ArbZG ist ausschließlich der Arbeitgeber. Wenn Betriebsratsarbeit umstandslos als Arbeitszeit i.S. des Arbeitszeitgesetzes zu bewerten wäre, geriete der Arbeitgeber hier in die Haftung, ohne dass er etwaige Verstöße gegen das ArbZG im Angesicht der eigenständigen Amtsführung durch den Betriebsrat verhindern könnte.

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Zu präferieren ist daher im Anschluss an die Entscheidung des BAG vom 07.06.198911 eine vermittelnde Lösung, nach der die Maßstäbe des Arbeitszeitgesetzes bei der Ausübung des Direktionsrechtes durch den Arbeitgeber in Zusammenschau der Betriebsratstätigkeit und der dienstlichen Verpflichtungen mittelbar zu beachten sind. Nimmt ein Betriebsratsmitglied an einer außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit stattfindenden Betriebsratssitzung teil und ist es ihm deswegen unmöglich oder unzumutbar, seine vor oder nach der Betriebsratssitzung liegende Arbeitszeit einzuhalten, so hat er gem. § 37 Abs. 2 BetrVG einen Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung. Eine Unzumutbarkeit liegt in der Regel dann vor, wenn bei Zusammenrechnung der für die Betriebsratstätigkeit aufgewendeten Zeiten mit den persönlichen Arbeitszeiten die werktägliche Höchstarbeitszeit nach § 3 ArbZG überschritten werden würde.

Tätigkeiten der Betriebsratstätigkeit und betrieblich veranlasste Tätigkeiten im Rahmen der Erfüllung des Arbeitsvertrages sind nicht eins zu eins zusammenzurechnen. Es sind im Einzelfall Konstellationen denkbar, bei denen es den Betriebsratsmitgliedern durchaus zuzumuten wäre, auch bei Zusammenrechnung der Zeiten der Betriebsratstätigkeit und der arbeitsvertraglich übertragenen Tätigkeit die Grenzen des § 3 ArbZG geringfügig zu überschreiten. Eine solche Konstellation kann beispielsweise vorliegen, wenn entweder die Zeiten der Betriebsratstätigkeit von geringer Intensität oder von erheblichen Beratungspausen unterbrochen sind oder aber wenn die im Anschluss noch zu erbringende betriebliche Tätigkeit aufgrund einer Notlage des Arbeitgebers – z.B. Personalengpass aufgrund eines unerwartet hohen Krankenstandes – noch dringend erforderlich ist.

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Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Beschluss vom 20. April 2015 – 12 TaBV 76/14

  1. im Anschluss an BAG 07.06.1989, 7 AZR 500/88[]
  2. BAG 19.07.1977 – 1 AZR 376/74[]
  3. BAG 19.03.2014 – 7 AZR 480/12[]
  4. BAG 07.06.1989 – 7 ARZ 500/88[]
  5. OVG NRW 10.05.2011 – 4 A 1403/08[]
  6. Buschmann/Ulber, ArbZG 8. Aufl.2015, § 2 Rn 39[]
  7. Schulze, ArbRAktuell 2012, 475 ff.[]
  8. so z.B. Schliemann ArbZG, 2. Aufl.2013, § 2; Neumann/Biebel ArbZG 16. Aufl.2013, § 2; Baeck/Deutsch ArbZG 3. Aufl.2014, § 2 und Anzinger/Koberski ArbZG 4. Aufl.2014, § 2[]
  9. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 15. Aufl.2013, § 156 Rn 14[]
  10. Wiebauer, NZA 2013, 540 – 545[]
  11. BAG 07.06.1989 – 7 AZR 500/88[]