Das Verlangen des Arbeitnehmers nach vollständiger Erfüllung des ihm gegebenen Versorgungsversprechens ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens dem Einwand der unzulässigen Rechtsausübung nach § 242 BGB ausgesetzt.
Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens als Ausprägung der Grundsätze von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung1. Wer durch seine Erklärung oder durch sein Verhalten bewusst oder unbewusst eine Sach- oder Rechtslage geschaffen hat, auf die sich der andere Teil verlassen durfte und verlassen hat, darf den anderen Teil in seinem Vertrauen nicht enttäuschen2.
Allerdings ist nicht jedes widersprüchliche Verhalten rechtsmissbräuchlich. Die Rechtsordnung lässt widersprüchliches Verhalten grundsätzlich zu. Widersprüchliches Verhalten ist erst dann rechtsmissbräuchlich, wenn die andere Seite auf ein Verhalten vertrauen durfte und ihre Interessen vorrangig schutzwürdig erscheinen. Maßgeblich ist, ob für den anderen Teil ein schützenswerter Vertrauenstatbestand geschaffen wurde oder andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen3.
Danach konnte die Arbeitgeberin im hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen FAll aufgrund des Verhaltens des Arbeitnehmers nicht schutzwürdig darauf vertrauen, dass er nicht die Erfüllung des ihm erteilten Versorgungsversprechens verlangen würde:
Dem Umstand, dass der Arbeitnehmer gegen den Strafbefehl keinen Einspruch eingelegt und die Kündigungsschutzklage gegen die fristlose Kündigung zurückgenommen hat, kommt insoweit keine Aussagekraft zu. Aus diesem Verhalten konnte die Arbeitgeberin nur schließen, dass der Arbeitnehmer sowohl die außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses als auch seine strafgerichtliche Verurteilung akzeptieren wollte. Auch aus der Tatsache, dass der Arbeitnehmer gegen den im Jahr 2005 erfolgten Widerruf seiner Versorgungszusage – seine zumindest zeitnahe Kenntnisnahme zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt – in der Folgezeit nicht gerichtlich vorgegangen ist, kann die Arbeitgeberin nichts Weitergehendes ableiten. Da der Arbeitnehmer nicht verpflichtet ist, den Bestand oder die Höhe seiner Versorgungsansprüche vor Eintritt eines Versorgungsfalls gerichtlich klären zu lassen, kommt dem Umstand, dass der Arbeitnehmer nach Kenntnis des Widerrufs keine Klage erhoben hat, kein Erklärungswert zu.
Dass der Arbeitnehmer der von der Arbeitgeberin im Rahmen des Versorgungsausgleichsverfahrens erteilten Auskunft, wonach ihm keine Anrechte auf betriebliche Altersversorgung zustünden, nicht widersprochen hat, führt ebenfalls zu keiner anderen Bewertung. Da im Versorgungsausgleichsverfahren der Bestand einer Versorgungsanwartschaft des Arbeitnehmers nicht mit rechtlicher Bindungswirkung für die Arbeitgeberin geklärt werden konnte, war dieses Verhalten des Arbeitnehmers nicht geeignet, bei der Arbeitgeberin als Trägerin der Versorgung ein schutzwürdiges Vertrauen darauf zu begründen, insoweit nicht mehr in Anspruch genommen zu werden.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26. April 2018 – 3 AZR 738/16