Betriebsübergang

Ein Betriebsübergang nach § 613a Abs. 1 BGB setzt die Wahrung der Identität der betreffenden wirtschaftlichen Einheit voraus. Eine solche besteht aus einer organisatorischen Gesamtheit von Personen und/oder Sachen zur auf Dauer angelegten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Ob ein im Wesentlichen unveränderter Fortbestand der organisierten Gesamtheit „Betrieb“ bei einem neuen Inhaber anzunehmen ist, richtet sich nach den Umständen des konkreten Falls. Als Teilaspekte der Gesamtwürdigung zählen insbesondere die Art des betreffenden Betriebes, der Übergang materieller Betriebsmittel wie beweglicher Güter und Gebäude, der Wert immaterieller Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die Übernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber, der Übergang von Kundschaft und Lieferantenbeziehungen, der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer Unterbrechung dieser Tätigkeit. Die Identität der Einheit kann sich auch aus anderen Merkmalen ergeben, wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und ggf. den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln. Den für das Vorliegen eines Übergangs maßgeblichen Kriterien kommt je nach der ausgeübten Tätigkeit und je nach den Produktions- oder Betriebsmethoden unterschiedliches Gewicht zu1.

Betriebsübergang

In Branchen, in denen es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, kann auch eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden ist, eine wirtschaftliche Einheit darstellen. Die Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit ist in diesem Fall anzunehmen, wenn der neue Betriebsinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger gezielt bei dieser Tätigkeit eingesetzt hatte. Hingegen stellt die bloße Fortführung der Tätigkeit durch einen anderen (Funktionsnachfolge) ebenso wenig einen Betriebsübergang dar wie die reine Auftragsnachfolge2. Eine Einheit darf nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden3.

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In betriebsmittelgeprägten Betrieben kann ein Betriebsübergang auch ohne Übernahme von Personal vorliegen4. Sächliche Betriebsmittel sind im Rahmen einer Auftragsneuvergabe wesentlich, wenn bei wertender Betrachtungsweise ihr Einsatz den eigentlichen Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhangs ausmacht5. Kriterien hierfür können sein, dass die Betriebsmittel unverzichtbar zur auftragsgemäßen Verrichtung der Tätigkeiten sind6, auf dem freien Markt nicht erhältlich sind oder ihr Gebrauch vom Auftraggeber zwingend vorgeschrieben ist7. Der Umstand, dass die von dem neuen Unternehmer übernommenen Betriebsmittel nicht seinem Vorgänger gehörten, sondern vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt wurden, schließt den Betriebsübergang nicht aus. Auch ist im Fall einer Auftragsneuvergabe die Überlassung der Betriebsmittel zur eigenwirtschaftlichen Nutzung keine notwendige Voraussetzung für die Feststellung eines Betriebsübergangs vom ursprünglichen Auftragnehmer auf den neuen Auftragnehmer8.

Wesentliche Änderungen in der Organisation, der Struktur oder im Konzept der betrieblichen Tätigkeit können einer Identitätswahrung entgegenstehen9. So spricht eine Änderung des Betriebszwecks gegen eine im Wesentlichen unveränderte Fortführung des Betriebes und damit gegen die für einen Betriebsübergang erforderliche Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit10.

Ein Betriebsübergang scheidet auch aus, wenn die funktionelle Verknüpfung der Wechselbeziehung und gegenseitigen Ergänzung zwischen den Produktionsfaktoren beim anderen Unternehmer verloren geht. Bei einer Eingliederung der übertragenen Einheit in die Struktur des Erwerbers fällt der Zusammenhang dieser funktionellen Verknüpfung der Wechselbeziehung und gegenseitigen Ergänzung zwischen den für einen Betriebsübergang maßgeblichen Faktoren nicht zwangsläufig weg. Die Beibehaltung der „organisatorischen Selbstständigkeit“ ist nicht erforderlich, wohl aber die Beibehaltung des Funktions- und Zweckzusammenhangs zwischen den verschiedenen übertragenen Faktoren, der es dem Erwerber erlaubt, diese Faktoren, auch wenn sie in eine andere Organisationsstruktur eingegliedert werden, zur Verfolgung einer bestimmten wirtschaftlichen Tätigkeit zu nutzen11.

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Dem Übergang eines gesamten Betriebes steht der Übergang eines Betriebsteils gleich. Auch beim Erwerb eines Betriebsteils ist es erforderlich, dass die wirtschaftliche Einheit ihre Identität wahrt. Daher muss eine Teileinheit des Betriebes bereits beim früheren Betriebsinhaber die Qualität eines Betriebsteils gehabt haben12. Beim bisherigen Betriebsinhaber musste also eine selbstständig abtrennbare organisatorische Einheit vorhanden sein, mit der innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks ein Teilzweck verfolgt wurde13. Das Merkmal des Teilzwecks dient zur Abgrenzung der organisatorischen Einheit. Im Teilbetrieb müssen keine andersartigen Zwecke als im übrigen Betrieb verfolgt werden. Ergibt die Gesamtbetrachtung eine identifizierbare wirtschaftliche und organisatorische Teileinheit, so muss diese beim Erwerber im Wesentlichen unverändert fortbestehen14, wobei der übertragene Betriebsteil seine organisatorische Selbstständigkeit beim Betriebserwerber nicht vollständig bewahren muss. Vielmehr genügt es, dass der Betriebs((teil))erwerber die funktionelle Verknüpfung zwischen den übertragenen Produktionsfaktoren beibehält und es ihm derart ermöglicht wird, diese Faktoren zu nutzen, um derselben oder einer gleichartigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen15.

Die Tatsache, dass der „alte“ und der „neue“ Betrieb einen vergleichbaren Betriebszweck verfolgten, stellt kein taugliches Indiz für einen Betriebsübergang dar. Die Ausübung der gleichen oder einer vergleichbaren Tätigkeit ist nur dann ein Indiz für einen Betriebsübergang, wenn der (potentielle) Betriebserwerber diese Tätigkeiten vor dem (potentiellen) Betriebsübergang nicht ausgeübt hat.

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Es hängt von der Struktur eines Betriebes ab, welcher nach Zahl und Sachkunde zu bestimmende Teil der Belegschaft übernommen werden muss, um die Rechtsfolgen des § 613a BGB auszulösen. Haben die Arbeitnehmer einen eher geringen Qualifikationsgrad, muss eine hohe Anzahl von ihnen weiterbeschäftigt werden, um auf einen Fortbestand der vom Konkurrenten geschaffenen Arbeitsorganisation schließen zu können16. Entscheidend ist auch hier, ob der weiterbeschäftigte Belegschaftsteil insbesondere aufgrund seiner Sachkunde, seiner Organisationsstruktur und nicht zuletzt auch seiner relativen Größe im Grundsatz funktionsfähig bleibt. Dies gilt auch im Falle von betriebsmittelgeprägten Betrieben, wobei die Weiterbeschäftigung eines wesentlichen Teils des Personals hier nur eingeschränkte indizielle Bedeutung kann.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22. August 2013 – 8 AZR 521/12

  1. vgl. EuGH 11.03.1997 – C-13/95 [Ayse Süzen], Rn. 13 – 18, Slg. 1997, I-1259; 15.12.2005 – C-232/04 und C-233/04 [Güney-Görres], Rn. 32 – 35, Slg. 2005, I-11237; BAG 13.12.2007 – 8 AZR 937/06, Rn. 12[]
  2. vgl. EuGH 20.01.2011 – C-463/09 [CLECE], Rn. 36, Slg. 2011, I-95; BAG 23.09.2010 – 8 AZR 567/09, Rn. 30[]
  3. vgl. EuGH 20.01.2011 – C-463/09 [CLECE], Rn. 41, aaO; 11.03.1997 – C-13/95 [Ayse Süzen], Rn. 15, Slg. 1997, I-1259[]
  4. vgl. EuGH 20.11.2003 – C-340/01 [Carlito Abler], Rn. 36, 37, Slg. 2003, I-14023; vgl. auch BAG 22.07.2004 – 8 AZR 350/03, zu B II 1 der Gründe, BAGE 111, 283[]
  5. vgl. BAG 15.02.2007 – 8 AZR 431/06, Rn. 17, BAGE 121, 289[]
  6. vgl. BAG 15.02.2007 – 8 AZR 431/06, Rn. 21, aaO[]
  7. vgl. BAG 13.06.2006 – 8 AZR 271/05[]
  8. vgl. BAG 15.12.2011 – 8 AZR 197/11, Rn. 50, 51[]
  9. vgl. BAG 4.05.2006 – 8 AZR 299/05, Rn. 34 mwN, BAGE 118, 168[]
  10. vgl. BAG 13.07.2006 – 8 AZR 331/05[]
  11. vgl. EuGH 12.02.2009 – C-466/07 [Klarenberg], Slg. 2009, I-803; BAG 27.01.2011 – 8 AZR 326/09, Rn. 27[]
  12. vgl. BAG 13.10.2011 – 8 AZR 455/10, Rn. 36, BAGE 139, 309; 27.01.2011 – 8 AZR 326/09, Rn. 23[]
  13. vgl. BAG 27.01.2011 – 8 AZR 326/09, Rn. 23[]
  14. vgl. BAG 24.08.2006 – 8 AZR 556/05[]
  15. vgl. EuGH 12.02.2009 – C-466/07 [Klarenberg], Rn. 48, Slg. 2009, I-803[]
  16. vgl. BAG 25.09.2008 – 8 AZR 607/07, Rn. 54[]
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