Liegt der rechtlichen Beziehung zwischen Organ und Gesellschaft ein Arbeitsverhältnis zugrunde, geht bei einem Betriebsübergang gemäß § 613a BGB zwar das Arbeitsverhältnis, nicht aber die Organstellung auf den Erwerber über.

Damit widerspricht das Bundesarbeitsgericht dem Landesarbeitsgericht Hamm1, dass die Auffassung vertreten hat, § 613a Abs. 4 BGB sei dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass er auf Organmitglieder juristischer Personen auch dann nicht anwendbar ist, wenn der Organstellung ein Arbeitsvertrag zugrunde liegt.
§ 613a BGB, der in seiner jetzigen Fassung auf Unionsrecht beruht und deshalb unionskonform anzuwenden und auszulegen ist, findet nach seinem Abs. 1 Satz 1 auf im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehende Arbeitsverhältnisse und damit auf Arbeitnehmer Anwendung. Gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2001/23/EG2 gilt – anders als im Anwendungsbereich etwa der Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG3 oder der Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG4 – der nationale Arbeitnehmerbegriff. Danach ist im Sinne der Richtlinie 2001/23/EWG jede Person als Arbeitnehmer anzusehen, die aufgrund des mitgliedstaatlichen Arbeitsrechts als ein solcher geschützt ist5.
Der angestellte Geschäftsführer unterfällt aufgrund des seiner Geschäftsführertätigkeit zugrunde liegenden Arbeitsvertrags dem deutschen Arbeitsrecht. Deshalb ist er auch im Anwendungsbereich des § 613a Abs. 4 BGB Arbeitnehmer6.
Die Voraussetzungen für eine dem entgegenstehende teleologische Reduktion des § 613a Abs. 4 BGB liegen nicht vor.
Mit der teleologischen Reduktion, die zu den von Verfassungs wegen anerkannten Auslegungsgrundsätzen gehört, wird der ausgehend vom Gesetzeszweck zu weit gefasste Wortlaut einer Norm auf den Anwendungsbereich reduziert, welcher ihrer ratio legis entspricht7. Sie ist jedoch nur dann zulässig, wenn sich eine planwidrige Regelungslücke feststellen lässt. Dies setzt voraus, dass sich die betreffende Vorschrift, gemessen an ihrer zugrunde liegenden Regelungsabsicht, in dem Sinn als unvollständig erweisen würde, dass sie einen erforderlichen Ausnahmetatbestand nicht aufweist. Ihre Anwendung müsste demnach zu zweckwidrigen Ergebnissen führen8.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. § 613a Abs. 4 BGB weist hinsichtlich der aufgrund von Arbeitsverträgen tätigen Organmitglieder juristischer Personen keine planwidrige Lücke auf.
Nach dem klaren Wortlaut des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB erstreckt sich sein Schutzbereich auf Arbeitsverhältnisse und damit auf alle Arbeitnehmer. Das gilt auch für das Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 BGB. Konkrete Umstände, die auf eine unbeabsichtigte Lücke des Inhalts schließen lassen, dass einzelne Kategorien von Beschäftigten, die aufgrund von Arbeitsverträgen tätig sind, aus dem Anwendungsbereich der Norm herausgenommen werden sollten, sind nicht positiv feststellbar. Das bloße Schweigen des Gesetzgebers genügt hierfür nicht9, zumal der durch Gesetz vom 15.01.197210 eingefügte § 613a BGB in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Frage, ob die Norm nach ihrem Schutzbereich auf Organe juristischer Personen Anwendung findet11, mehrfach geändert wurde12, ohne dass der persönliche Anwendungsbereich oder der Wortlaut des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB „im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen“ und des 1980 angefügten Abs. 413 „Kündigung des Arbeitsverhältnisses“ geändert bzw. konkretisiert worden sind.
Für das Bundesarbeitsgericht sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Anwendung des § 613a BGB auf GmbH-Geschäftsführer, die ihre Geschäftsführertätigkeit auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags ausüben, zu zweckwidrigen Ergebnissen führt.
Hinsichtlich der Rechtsverhältnisse von GmbH-Geschäftsführern ist strikt zwischen der Bestellung zum Organ der Gesellschaft und dem zugrunde liegenden schuldrechtlichen Anstellungsverhältnis – vorliegend dem Arbeitsverhältnis, zu unterscheiden. Durch die Bestellung als solche wird noch keine schuldrechtliche Beziehung zwischen der Gesellschaft und dem Geschäftsführer begründet. Die Organstellung des GmbH-Geschäftsführers hat ihren Rechtsgrund folglich nicht im Anstellungsverhältnis, sondern gründet auf einem besonderen (körperschaftlichen) Bestellungsakt14. Bei der Organstellung und dem Anstellungsverhältnis handelt es sich deshalb um selbständige, nebeneinanderstehende Rechtsverhältnisse mit einem jeweils eigenen rechtlichen Schicksal15. Beide Rechtsverhältnisse werden grundsätzlich unabhängig voneinander nach den jeweiligen für sie geltenden Vorschriften beendet16.
Da nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nur Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsverhältnis übergehen, die Organstellung selbst aber ihren Rechtsgrund gerade nicht im zugrunde liegenden Arbeitsverhältnis hat, geht sie im Fall des Betriebsübergangs nicht mit über17. Ein Anspruch, beim Erwerber zum Organ bestellt zu werden, kann aus § 613a BGB deshalb ebenso wenig folgen. Demzufolge wird dem Erwerber durch § 613a BGB entgegen einiger Annahmen im Schrifttum18 auch kein Arbeitnehmer aufgezwungen, der eine mit besonderen Rechten ausgestattete; vom Vertrauen der sie bestellenden Personen abhängige (Organ-)Stellung innehat. Der Geschäftsführer hätte im Fall des Übergangs seines Arbeitsverhältnisses deshalb nur einen Anspruch auf eine Beschäftigung mit den Tätigkeiten, die er als Geschäftsführer aufgrund seines Arbeitsvertrags ausgeübt hat. Eine andere Tätigkeit könnte ihm ohne Änderung – einvernehmlich oder durch Änderungskündigung – des Arbeitsvertrags nur übertragen werden, wenn die Parteien vereinbart hätten, dass mit dem Ende der Organstellung nach Ablauf der Kündigungsfrist wieder die ursprüngliche oder eine im Einzelnen festgelegte anderweitige Tätigkeit zum Vertragsinhalt wird19.
Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts Hamm1 gebietet auch das Unionsrecht keine teleologische Reduktion des § 613a BGB. Nach dem dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/23/EG dienen die Bestimmungen dem Schutz der Arbeitnehmer bei einem Inhaberwechsel. Insbesondere soll die Wahrung ihrer Ansprüche gewährleistet werden. Die Arbeitnehmer sollen ihr Arbeitsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber zu den Bedingungen fortsetzen können, die mit dem Veräußerer vereinbart waren20. Dies gilt auch für Geschäftsführer, die ihre Tätigkeit im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erbringen. Sie unterfallen ebenfalls dem Schutz der Richtlinie und somit den Bestimmungen der Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23/EG, weil sie nach dem anzuwendenden nationalen Arbeitnehmerbegriff (Art. 2 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2001/23/EG; sh. Rn. 32) Arbeitnehmer sind. Da die Organstellung nicht Inhalt des Arbeitsverhältnisses ist, gehört sie auch nicht zu den übergehenden Rechten und Pflichten iSd. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2001/23/EG aus dem Arbeitsverhältnis bzw. Arbeitsvertrag.
Der Geschäftsführer erlangt durch die Anwendung von § 613a BGB auch keine inadäquate kündigungsschutzrechtliche Begünstigung. § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB schließt entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts Hamm keine Lücke im nationalen Kündigungsschutz. Diese Bestimmung enthält vielmehr ein eigenständiges; vom Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes gerade unabhängiges Kündigungsverbot iSv. § 13 Abs. 3 KSchG, § 134 BGB21. Es dient allein dem Schutz vor Kündigungen, deren Beweggrund der Betriebsübergang ist22. An diesem Schutz hat auch der Geschäftsführer als Arbeitnehmer teil. Hieraus folgt keine zu missbilligende Besserstellung des Geschäftsführers, weil ein Kündigungsschutz gewährt wird, der ihm aufgrund seiner Stellung als Geschäftsführer nicht zustünde.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. Juli 2023 – 6 AZR 228/22
- LAG Hamm 25.03.2022 – 16 Sa 522/21[↩][↩]
- ABl. L 82 S. 16[↩]
- EuGH 9.07.2015 – C-229/14 – [Balkaya][↩]
- EuGH 11.11.2010 – C-232/09 – [Danosa][↩]
- vgl. EuGH 13.06.2019 – C-317/18 – [Correia Moreira] Rn. 40 ff.; 20.07.2017 – C-416/16 – [Piscarreta Ricardo] Rn. 48 ff.; 15.09.2010 – C-386/09 – [Briot] Rn. 28; BAG 16.05.2012 – 5 AZR 268/11, Rn. 24, BAGE 141, 348[↩]
- vgl. bereits BAG 21.09.2017 – 2 AZR 865/16, Rn. 31 mwN[↩]
- vgl. zB BAG 25.08.2022 – 6 AZR 499/21, Rn. 56; 27.09.2017 – 7 AZR 629/15, Rn. 31; 22.10.2015 – 2 AZR 381/14, Rn. 34, BAGE 153, 102[↩]
- BAG 29.04.2021 – 8 AZR 276/20, Rn. 36 mwN, BAGE 175, 25[↩]
- st. Rspr., vgl. zB BAG 27.09.2022 – 2 AZR 92/22, Rn. 28 mwN[↩]
- BGBl. I S. 13, 40[↩]
- sh. vor allem BAG 13.02.2003 – 8 AZR 654/01, zu II 1 a bb der Gründe, BAGE 104, 358; 13.02.2003 – 8 AZR 59/02, zu II 4 der Gründe[↩]
- vgl. hierzu nur BAG 13.02.2003 – 8 AZR 654/01 – aaO mwN[↩]
- BGBl. I S. 1308, 1309[↩]
- MünchKomm-GmbHG/Stephan/Tieves 4. Aufl. § 35 Rn. 41; MünchKomm-GmbHG/Goette § 6 Rn. 57; Altmeppen GmbHG 11. Aufl. § 6 Rn. 47; Henssler/Strohn/Oetker Gesellschaftsrecht 5. Aufl. GmbHG § 6 Rn. 47 ff.; BeckOK GmbHG/Wisskirchen/Zoglowek § 6 Stand 1.06.2023 Rn. 35; zu Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften vgl. BSG 15.12.2020 – B 2 U 4/20 R, Rn. 13 mwN, BSGE 131, 144[↩]
- Altmeppen aaO[↩]
- BGH 11.10.2010 – II ZR 266/08, Rn. 7[↩]
- zum Umwandlungsgesetz vgl. BAG 13.02.2003 – 8 AZR 654/01, zu II 1 a aa und bb der Gründe mwN, BAGE 104, 358; BFH 12.12.2007 – XI B 23/07, Rn. 6 mwN[↩]
- ErfK/Preis 23. Aufl. BGB § 613a Rn. 67; APS/Steffan 6. Aufl. BGB § 613a Rn. 81, jeweils unter Bezug auf Seiter Betriebsinhaberwechsel S. 56; Erman/Edenfeld BGB 16. Aufl. § 613a Rn. 42[↩]
- vgl. für sog. Koppelungsklauseln BGH 20.08.2019 – II ZR 121/16, Rn. 32 ff.[↩]
- EuGH 6.03.2014 – C-458/12 – [Amatori ua.] Rn. 49; 2.12.1999 – C-234/98 – [Allen ua.] Rn.20[↩]
- vgl. BAG 22.05.1997 – 8 AZR 101/96, zu B II 1 der Gründe mwN, BAGE 86, 20; 9.02.1989 – 2 AZR 405/88, zu II 1 der Gründe mwN; KR/Treber/Schlünder 13. Aufl. § 613a BGB Rn. 102; ErfK/Preis 23. Aufl. BGB § 613a Rn. 153; APS/Steffan 6. Aufl. BGB § 613a Rn. 172; BeckOK ArbR/Gussen BGB § 613a Stand 1.03.2023 Rn. 115; aA Seiter Betriebsinhaberwechsel S. 110 ff.[↩]
- st. Rspr., vgl. zB BAG 24.05.2005 – 8 AZR 333/04, zu II 1 b der Gründe mwN[↩]