Bewährungsaufstieg – und die Unterbrechung durch Elternzeit

§ 23a Satz 2 Nr. 4 Satz 2 Buchst. d BAT verletzte das Benachteiligungsverbot des § 15 Abs. 2 Satz 6 BEEG als höherrangiges nationales Gesetzesrecht, , soweit danach die Inanspruchnahme von von Erziehungsurlaub bzw. Elternzeit nur bis zu einer Gesamtdauer von fünf Jahren als unschädlich angesehen wurde und längere Unterbrechungszeiträume zum Verlust der gesamten bis dahin zurückgelegten Bewährungszeit führten.

Bewährungsaufstieg – und die Unterbrechung durch Elternzeit

Das hat zur Folge, dass das Vergleichsentgelt gemäß § 8 Abs. 2 TVÜ-Länder/Berlin zu dem Zeitpunkt, zu dem ansonsten der Bewährungsaufstieg erfolgt wäre, neu zu berechnen ist.

Auf die zwischen den Parteien streitige Frage einer mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung durch § 23a Satz 2 Nr. 4 Satz 2 Buchst. d BAT sowie der Vereinbarkeit dieser Bestimmung mit Paragraph 2 Nr. 6 der Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub im Anhang zur Richtlinie 96/34/EG des Rates vom 03.06.1996 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Elternurlaub (jetzt Paragraph 5 Nr. 2 der überarbeiteten Fassung der Rahmenvereinbarung vom 18.06.2009 im Anhang zur Richtlinie 2010/18/EU des Rates vom 08.03.2010 zur Durchführung der von BUSINESSEUROPE, UEAPME, CEEP und EGB geschlossenen überarbeiteten Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub und zur Aufhebung der Richtlinie 96/34/EG) kommt es darum nicht an.

§ 23a Satz 2 Nr. 4 Satz 2 Buchst. d BAT verstieß gegen das gesetzliche Benachteiligungsverbot in § 15 Abs. 2 Satz 6 BEEG und war deshalb unwirksam.

§ 23a Satz 2 Nr. 4 Satz 2 Buchst. d BAT schloss eine Neuberechnung des Vergleichsentgelts der Arbeitnehmerin nach § 8 Abs. 2 TVÜ-Länder/Berlin aus. Danach war nur ein Gesamtzeitraum von bis zu fünf Jahren der Elternzeit bzw. Kinderbetreuung unschädlich. Wurde durch eine oder mehrere1 Zeiten der Beurlaubung aus diesen Gründen eine Gesamtdauer von fünf Jahren überschritten, hatte dies den Verlust der gesamten bis dahin zurückgelegten Bewährungszeit zur Folge. Nach Ende der letzten Beurlaubung begann die Bewährungszeit in ihrer gesamten Länge neu zu laufen2. Nach § 23a Satz 2 Nr. 4 Satz 2 Buchst. d BAT war zwar die erste Unterbrechung der Bewährungszeit der Arbeitnehmerin durch den ersten Erziehungsurlaub bis zum 26.05.2000 unschädlich. Nach dem Ende der zweiten Unterbrechung am 22.10.2003 war jedoch die gesamte bis dahin zurückgelegte Bewährungszeit untergegangen und lief mit der Wiederaufnahme der Tätigkeit neu an, weil die Arbeitnehmerin zu diesem Zeitpunkt insgesamt fünf Jahre, fünf Monate und 30 Tage wegen Erziehungsurlaubs bzw. Elternzeit beurlaubt gewesen war. Die Bewährungszeit war damit erst im Oktober 2018, also außerhalb des von § 8 Abs. 2 (Bewährungsaufstieg bis spätestens 31.10.2012) bzw. § 8 Abs. 3 (Bewährungsaufstieg bis spätestens 31.12 2014) TVÜ-Länder/Berlin eröffneten Zeitfensters, abgelaufen.

Diese Rechtslage war jedoch mit § 15 Abs. 2 Satz 6 BEEG nicht zu vereinbaren.

Gemäß § 15 Abs. 2 Satz 6 BEEG kann der Anspruch auf Elternzeit nicht durch Vertrag ausgeschlossen oder beschränkt werden. Wortgleiche Regelungen enthielten § 15 Abs. 3 BErzGG idF vom 20.12 1996 und § 15 Abs. 2 Satz 4 BErzGG in der seit dem 1.01.2001 geltenden Fassung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes. Dieses gesetzliche Benachteiligungsverbot bindet als zwingendes Recht mangels einer Tariföffnungsklausel auch die Tarifvertragsparteien3. Es zwingt diese zwar nicht dazu, für einen Ausgleich der Nachteile zu sorgen, die sich aus der gesetzlichen Ausgestaltung des Erziehungsurlaubs für die Arbeitnehmer ergeben4. Es verbietet aber nicht nur Regelungen, die den Anspruch auf Elternzeit unmittelbar einschränken, sondern auch solche, die sich auf die arbeitsrechtliche Stellung der Arbeitnehmer vor oder nach der Elternzeit, sei es auch nur mittelbar, nachteilig auswirken. Dabei sind § 15 Abs. 2 Satz 6 BEEG bzw. seine Vorgängerbestimmungen unter Berücksichtigung der Grundentscheidungen („im Lichte“) des Art. 6 Abs. 1 GG, denen das gesetzliche Benachteiligungsverbot Rechnung trägt, auszulegen5. § 15 Abs. 2 Satz 6 BEEG und seine Vorgängerbestimmungen stehen bzw. standen darum Regelungen entgegen, die die von Art. 6 GG geschützte Freiheit, sich für die Elternzeit zu entscheiden, um Familie und Beruf vereinbaren zu können, beeinträchtigen, sofern sich der Nachteil nicht allein aus der gesetzlichen Ausgestaltung der Elternzeit als ruhendes Arbeitsverhältnis ergibt.

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§ 23a Satz 2 Nr. 4 Satz 2 Buchst. d BAT zeichnete nicht nur die Nachteile nach, die daraus folgten, dass die Elternzeit zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses führt. Vielmehr hatte die tarifliche Bestimmung Nachteile für die arbeitsrechtliche Stellung der Angestellten, die Elternzeit beanspruchten, zur Folge, die mit § 15 Abs. 2 Satz 6 BEEG bei der im Lichte des Art. 6 Abs. 1 GG gebotenen Auslegung dieses Benachteiligungsverbots nicht mehr vereinbar waren.

In der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist nicht endgültig geklärt, welchen Zweck der Bewährungsaufstieg verfolgte.

Der Bewährungsaufstieg als (automatische) Höhergruppierung von Angestellten, die in bestimmten Vergütungsgruppen eingruppiert waren, in die nächst höhere Vergütungsgruppe ohne Änderung der auszuübenden Tätigkeit nach Ableistung einer bestimmten Bewährungszeit wurde im Jahr 1966 in den BAT für den Bereich des Bundes und der Länder als Reaktion der Tarifvertragsparteien auf die im Lauf des Jahres 1965 für die Beamten der Länder eingeführte Regelbeförderung aus den Eingangsämtern der vier Laufbahnen in das jeweils erste Beförderungsamt eingefügt6.

Seit der Entscheidung vom 28.11.19847 hat das Bundesarbeitsgericht angenommen, die Tarifvertragsparteien seien davon ausgegangen, dass ein Angestellter im Laufe der Zeit innerhalb seines Aufgabengebiets Fähigkeiten und Fertigkeiten durch seine Tätigkeit hinzugewinne, die seine persönliche Qualifikation erhöhe und eine Höhergruppierung rechtfertige. Damit honorierten die Tarifvertragsparteien ein gewisses Erfahrungswissen. Nur so werde die für den BAT kennzeichnende Verbindung zwischen der jeweils geleisteten Arbeit und der Eingruppierung gewahrt und eine dem BAT fremde Entkoppelung von Arbeitsleistung und dafür zu zahlender Vergütung vermieden8.

Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht im Hinblick auf die an der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts geübte Kritik auch ausdrücklich offengelassen, ob für die Bewährungszeit erhöhtes Erfahrungswissen eine Rolle spielen solle8. Tatsächlich könnte die Entstehungsgeschichte der Einfügung eines Bewährungsaufstiegs in den BAT dafür sprechen, dass dieser Aufstieg allein die Angleichung der Beschäftigungsbedingungen der Angestellten des öffentlichen Dienstes an die der Beamten bezwecken, also auch den Angestellten bei beanstandungsfreier Arbeitsleistung über einen bestimmten Zeitraum hinweg die Möglichkeit einer „Regelbeförderung“ gewähren sollte9. Nach diesem Zweck genügte der Nachweis der Eignung für eine bestimmte Tätigkeit durch die praktische Ausübung dieser Tätigkeit10, ohne dass dafür „besondere Leistungen“ erforderlich gewesen wären. Dafür spricht auch die von den Tarifvertragsparteien in § 23a Satz 2 Nr. 1 BAT gewählte Formulierung, der Angestellte müsse sich „den in der ihm übertragenen Tätigkeit auftretenden Anforderungen gewachsen gezeigt“ haben. Das lässt darauf schließen, dass keine Steigerung der Leistung im Sinne einer „besonderen Bewährung“ verlangt wurde, sondern nur die Erwartungen an die Arbeitsleistung leistungsmäßig erfüllt werden mussten11. Für eine reine Regelbeförderung könnte schließlich auch die rechtliche Ausgestaltung des Bewährungsaufstiegs als bloße, rein tatsächliche Aussicht, bei kumulativer Erfüllung aller Tatbestandsmerkmale am Bewährungsaufstieg teilzuhaben12, sprechen.

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Letztlich kann offenbleiben, welchem Zweck der Bewährungsaufstieg diente. Die Begrenzung der Unschädlichkeit der Unterbrechung der Tätigkeit wegen Elternzeit auf fünf Jahre war auch dann nicht mit § 15 Abs. 2 Satz 6 BEEG zu vereinbaren, wenn der Bewährungsaufstieg den Zugewinn an Erfahrungswissen honorieren sollte.

Das Institut der Elternzeit soll die Ausübung des Erziehungsrechts ohne Verlust des Arbeitsplatzes erleichtern. Es dient der Förderung der Betreuung und Erziehung des Kindes in den ersten Lebensjahren durch die Eltern und der besseren Vereinbarung von Familie und Beruf. Mit der Schaffung dieses Instituts hat der Gesetzgeber der aus Art. 6 Abs. 1 GG erwachsenen Verpflichtung des Staates, die Kinderbetreuung in der jeweils von den Eltern gewählten Form in ihren tatsächlichen Voraussetzungen zu ermöglichen und zu fördern, Rechnung getragen13. Die Schutzpflicht des Art. 6 Abs. 1 GG verpflichtet den Staat, es Eltern gleichermaßen zu ermöglichen, teilweise und/oder zeitweise auf eine eigene Erwerbstätigkeit zugunsten der persönlichen Betreuung ihrer Kinder zu verzichten, wie auch Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit miteinander zu verbinden. Darüber hinaus muss der Staat dafür Sorge tragen, dass die Wahrnehmung der familiären Erziehungsaufgabe nicht zu beruflichen Nachteilen führt sowie dafür, dass eine Rückkehr in die Berufstätigkeit ebenso wie ein Nebeneinander von Erziehung und Erwerbstätigkeit für beide Elternteile einschließlich eines beruflichen Aufstiegs während und nach den Zeiten der Kindererziehung ermöglicht wird14.

Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund des Instituts der Elternzeit schützt § 15 Abs. 2 Satz 6 BEEG die Entscheidungsfreiheit der Arbeitnehmer, Elternzeit in Anspruch zu nehmen, nicht nur hinsichtlich der Grundentscheidung, ob Elternzeit genommen werden soll, sondern auch hinsichtlich der Folgeentscheidung, für welchen Zeitraum dies geschehen soll. Darum steht § 15 Abs. 2 Satz 6 BEEG unter anderem sämtlichen Regelungen entgegen, die zu Nachteilen beim weiteren beruflichen Aufstieg der Arbeitnehmer infolge der Inanspruchnahme von Elternzeit führen, soweit sich diese Nachteile nicht allein daraus ergeben, dass das Arbeitsverhältnis während der Elternzeit ruht15.

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Nach diesen Grundsätzen war zwar § 23a Satz 2 Nr. 4 Satz 3 BAT, wonach die Zeit der Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses nicht auf den Bewährungsaufstieg angerechnet werden musste, mit § 15 Abs. 2 Satz 6 BEEG vereinbar. Die Tarifvertragsparteien mussten die Hemmung der Bewährungszeit, die sich allein daraus ergab, dass das Arbeitsverhältnis während des Erziehungsurlaubs bzw. der Elternzeit der Arbeitnehmerin ruhte, nicht ausgleichen. Diese Zeit musste deshalb nicht als Zeit der Bewährung berücksichtigt werden16. Die Arbeitnehmerin hat das erkannt und begehrt nicht die Berücksichtigung der Unterbrechungszeiten für den Bewährungsaufstieg.

§ 23a Satz 2 Nr. 4 Satz 2 Buchst. d BAT war dagegen nach § 15 Abs. 2 Satz 6 BEEG nichtig, soweit danach die Zeit der Bewährung im aktiven Arbeitsverhältnis verloren ging, wenn dieses durch Elternzeit länger als fünf Jahre unterbrochen war. Das gilt unabhängig davon, ob der Bewährungsaufstieg allein die beanstandungsfreie Arbeitsleistung mit einer „Regelbeförderung“ belohnen oder zumindest auch den Zugewinn an Erfahrungswissen honorieren sollte.

Sollte die Tarifnorm allein eine „Regelbeförderung“ sicherstellen, ist kein aus der Rechtsnatur der Elternzeit erwachsender Grund ersichtlich, die vor bzw. zwischen den Elternzeiten zurückgelegte Bewährungszeit nach Rückkehr ins aktive Arbeitsverhältnis bei Überschreiten bestimmter Zeiträume untergehen zu lassen und damit Einfluss auf die Entscheidung für oder gegen die Inanspruchnahme von Elternzeit bzw. deren Dauer zu nehmen. Zeigten sich die Angestellten nach Wiederaufnahme des aktiven Arbeitsverhältnisses weiterhin bis zum Ende der Bewährungszeit den Anforderungen des Arbeitsplatzes gewachsen, war es geboten, den Bewährungsaufstieg zu dem Zeitpunkt zu vollziehen, in dem – unter Außerachtlassen der Elternzeit selbst – die Bewährungszeit vollendet war. Auf die Länge der Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses durch Elternzeiten kam es bei einem solchen Zweck des Bewährungsaufstiegs nicht an, sondern allein darauf, dass sich die Angestellten während des aktiven Arbeitsverhältnisses über einen bestimmten Zeitraum hinweg bewährt hatten.

Selbst wenn der Bewährungsaufstieg zumindest auch das Ziel verfolgt hätte, einen Zugewinn an Erfahrungswissen zu honorieren, war die Ausgestaltung des § 23a Satz 2 Nr. 4 Satz 2 Buchst. d BAT nicht geeignet, einem etwaigen Verlust an Erfahrungswissen infolge des Ruhens des Arbeitsverhältnisses wegen der Inanspruchnahme von Elternzeit Rechnung zu tragen. Darum ließ sich auch bei einem solchen Zweck der tariflichen Bestimmung der durch den Verlust der Bewährungszeit bei Inanspruchnahme von Elternzeit über mehr als fünf Jahre ergebende Nachteil nicht mehr mit der Rechtsnatur des Erziehungsurlaubs rechtfertigen.

Allerdings führt die Inanspruchnahme von Elternzeit zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses und damit zur Unterbrechung des aktiven Arbeitsverhältnisses. Dies kann den Verlust von Erfahrungswissen nach sich ziehen17.

§ 23a Satz 2 Nr. 4 Satz 2 Buchst. d BAT war jedoch nicht geeignet, einen Verlust an Erfahrungswissen aufgrund von Inanspruchnahme von Elternzeit abzubilden und damit einen etwaigen Zweck, den Verlust an Erfahrungswissen zu sanktionieren, zu erreichen.

Nach § 23a Satz 2 Nr. 4 Satz 2 Buchst. d BAT ging die zurückgelegte Bewährungszeit unter anderem immer dann vollständig verloren, wenn das Arbeitsverhältnis durch mehrere Elternzeiten für insgesamt mehr als fünf Jahre unterbrochen war. Auf die Länge der einzelnen Unterbrechungen sowie die Dauer der zwischen den Elternzeiten liegenden Zeiträume, in denen Erfahrungswissen wieder aufgefrischt und weiter erworben werden konnte, kam es nach der tariflichen Regelung in diesem Fall nicht an. Die Tarifvertragsparteien gingen also – sofern es ihnen auf die Bewahrung von Erfahrungswissen angekommen sein sollte – offensichtlich davon aus, dass bei Unterbrechungen unabhängig von ihrer Länge und Häufigkeit kein für den Bewährungsaufstieg relevanter Verlust an Erfahrungswissen eintrat, sofern nur die Unterbrechungszeit insgesamt weniger als fünf Jahre betrug. Dagegen war ein solcher Verlust unwiderlegbar zu vermuten, sobald die Unterbrechungen in ihrer Summe fünf Jahre überstiegen. Dies führte auch bei typisierender Betrachtung dazu, dass in einer Vielzahl von Fallgestaltungen zurückgelegte Bewährungszeiten unwiderruflich verloren gingen, obwohl nach der Grundannahme der Tarifvertragsparteien, eine kürzer als fünf Jahre andauernde Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses sei für den Verlust des Erfahrungswissens unschädlich, ein solcher Verlust nicht vorlag. Darauf weist die Arbeitnehmerin zu Recht hin.

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Die Inkohärenz der tariflichen Regelung belegt folgendes Beispiel: § 16 Abs. 1 Satz 2 BErzGG idF vom 06.12 1991 ließ ebenso wie aktuell § 16 Abs. 1 Satz 6 BEEG die Verteilung der Elternzeit auf mehrere Zeitabschnitte zu. Seit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes vom 12.10.200018 sah § 15 Abs. 2 Satz 1 BErzGG die Möglichkeit vor, zwölf Monate des Erziehungsurlaubs mit Zustimmung des Arbeitgebers auf die Zeit bis zur Vollendung des 8. Lebensjahres des Kindes zu übertragen (so auch § 15 Abs. 2 Satz 4 Halbs. 1 BEEG in der bis zum 31.12 2014 geltenden Fassung). Nahm eine Angestellte diese Rechte für drei Kinder in Anspruch, konnte sie die Elternzeit von insgesamt maximal neun Jahren bei entsprechender Zustimmung des Arbeitgebers auf mehrere Zeiträume verteilen, zwischen denen erhebliche Zeiten des aktiven Arbeitsverhältnisses liegen konnten. War sie in eine Vergütungsgruppe mit 15-jährigem Bewährungsaufstieg eingruppiert, konnte es zu folgender Verteilung von Elternzeit und aktiver Tätigkeit kommen: An eine aktive Tätigkeit vom 01.01.1990 bis zum 31.12 1992 schloss sich ein Erziehungsurlaub für das erste Kind vom 01.01.1993 bis zum 31.12 1994 an. Darauf folgte eine Phase der aktiven Tätigkeit vom 01.01.1995 bis zum 31.12 1997. Wegen der inzwischen erfolgten Geburt eines zweiten Kindes wurde zum zweiten Mal Erziehungsurlaub genommen, diesmal vom 01.01.1998 bis zum 31.12 1999. Danach arbeitete die Angestellte vom 01.01.2000 bis zum 30.09.2008. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden die Zeiten ihrer aktiven Tätigkeit für den Bewährungsaufstieg berücksichtigt. Nahm sie jetzt jedoch eine weitere Elternzeit für ein drittes Kind vom 01.10.2008 bis zum 31.12 2009, so dass insgesamt Elternzeiten von fünf Jahren und drei Monaten genommen waren, gingen die gesamten 14 Jahre und neun Monate aktiver Tätigkeit als Bewährungszeit verloren, obwohl zwischen den Elternzeiten elf Jahre und neun Monate aktiver Tätigkeit lagen. Damit überwog die aktive Zeit, in der Erfahrungswissen erworben und erhalten werden konnte, sowohl hinsichtlich ihrer Gesamtdauer als auch bezüglich der Zeit zwischen den einzelnen Unterbrechungen die Dauer der Unterbrechung. Gleichwohl führte die tarifliche Regelung zum Verlust der gesamten 14 Jahre und neun Monate betragenden Bewährungszeit, die vor dem 31.12 2009 zurückgelegt worden war. Ein Verlust von Erfahrungswissen war dadurch nicht abgebildet.

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Darüber hinaus zeigt vorstehendes Beispiel, dass insbesondere Angestellten in Vergütungsgruppen mit langen Bewährungszeiten die Entscheidung, ob sie mehr als ein Kind bekommen bzw. ob sie bei mehreren Kindern die individuell für erforderlich gehaltene Betreuungszeit tatsächlich in Anspruch nehmen wollten, durch § 23a Satz 2 Nr. 4 Satz 2 Buchst. d BAT strukturell erschwert wurde. Zudem benachteiligte die tarifliche Regelung strukturell Angestellte mit mehreren Kindern. Diese Angestellten wurden bei ihrer Entscheidung, ob und wie lange sie Elternzeit in Anspruch nehmen wollten, in besonderem Maße von der tariflichen Bestimmung nachteilig betroffen. Das belegt vorliegender Fall. Die Arbeitnehmerin macht ausdrücklich geltend, sie hätte, wenn sie die tarifliche Regelung gekannt hätte, die Länge der zweiten Elternzeit begrenzen können. § 15 Abs. 2 Satz 6 BEEG versagt auch aus diesem Grund § 23a Satz 2 Nr. 4 Satz 2 Buchst. d BAT die Wirksamkeit.

Die Tarifvertragsparteien des TV-L und des TV-L/Berlin tragen § 15 Abs. 2 Satz 6 BEEG nunmehr Rechnung. Nach § 17 Abs. 3 Satz 2 TV-L bzw. § 17 Abs. 3 Satz 2 TV-L/Berlin ist die Inanspruchnahme von Elternzeit unabhängig von ihrer Dauer unschädlich. Diese Zeit wird lediglich nicht auf die Stufenlaufzeit angerechnet19.

Es kann dahinstehen, ob sich der Anspruch der Arbeitnehmerin auf eine Neuberechnung des Vergleichsentgelts nach § 8 Abs. 2 TVÜ-Länder/Berlin auch aus § 8 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 LGG Berlin ergäbe. Nach dieser seit Inkrafttreten des Landesantidiskriminierungsgesetzes vom 31.12 199020 geltenden Bestimmung dürfen bei Einstellungen und Beförderungen unter anderem Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit aufgrund der Betreuung von Kindern nicht als Kriterium herangezogen werden. Gleichlautende Regelungen waren und sind im LGG Berlin idF vom 08.10.200121 sowie aktuell im LGG Berlin idF vom 06.09.2002 nach Maßgabe der Änderungen durch das Gesetz vom 18.11.201022 enthalten. Ob unter „Beförderungen“ auch die berufliche Entwicklung und damit auch die Höhergruppierung im Wege des Bewährungsaufstiegs zu verstehen ist23 und deshalb Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses wegen Elternzeit außer Betracht bleiben müssten24, ist höchstrichterlich ungeklärt und bedarf auch vorliegend keiner Entscheidung.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12. April 2016 – 6 AZR 731/13

  1. vgl. dazu BAG 15.11.2001 – 8 AZR 39/01, zu II 3 d und e der Gründe[]
  2. Fürst GKÖD Bd. IV Teil 2a BAT Stand Mai 2002 T § 23a Rn. 35, 37; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese BAT Stand September 2003 § 23a Erl.09.02.2 Buchst. e[]
  3. BAG 26.11.2003 – 4 AZR 693/02, zu I 4 der Gründe[]
  4. BAG 15.12 1998 – 3 AZR 251/97, zu II 1 der Gründe[]
  5. vgl. BAG 26.11.2003 – 4 AZR 693/02, zu I 4 der Gründe; Buchner/Becker MuSchG/BEEG 8. Aufl. § 15 BEEG Rn. 29; Göhle-Sander in jurisPK-Vereinbarkeit von Familie und Beruf Kapitel 6.15 Rn. 53[]
  6. zur Entstehungsgeschichte ausführlich Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr BAT Stand November 1989 § 23a Rn. 2 ff.; zur Zielrichtung des Bewährungsaufstiegs vgl. Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Dassau BAT Stand April 2005 § 23a Erl.01.1[]
  7. BAG 28.11.1984 – 4 AZR 35/83, BAGE 47, 253; zuletzt 4.05.2010 – 9 AZR 184/09, Rn. 45, BAGE 134, 202[]
  8. BAG 2.12 1992 – 4 AZR 152/92, zu IV 3 d gg der Gründe, BAGE 72, 64[][]
  9. in diesem Sinne Pfarr Anm. AP BAT § 23a Nr. 24 zu II 2 a; dies. Anm. AP BAT § 23a Nr. 16 zu II 2; Fürst GKÖD Bd. IV Teil 2a BAT Stand Februar 1993 T § 23a Rn. 2[]
  10. vgl. BAG 4.08.1960 – 4 AZR 541/58[]
  11. vgl. Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr BAT Stand Dezember 1993 § 23a Rn. 39 f.[]
  12. BAG 14.06.1995 – 4 AZR 225/94[]
  13. BAG 18.12 2008 – 6 AZR 287/07, Rn. 30, BAGE 129, 93[]
  14. BVerfG 10.11.1998 – 2 BvR 1057/91 ua., zu B I 4 der Gründe, BVerfGE 99, 216[]
  15. vgl. BAG 26.11.2003 – 4 AZR 693/02, zu I 4 der Gründe; 15.12 1998 – 3 AZR 251/97, zu II 1 der Gründe[]
  16. vgl. für die Hemmung der Stufenlaufzeit in § 17 Abs. 3 TVöD-AT BAG 27.01.2011 – 6 AZR 526/09, Rn. 69, BAGE 137, 80[]
  17. vgl. für die Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses durch eine langjährige Freiheitsstrafe BAG 22.10.2015 – 2 AZR 381/14, Rn. 14; Krasemann Das Eingruppierungsrecht des BAT/BAT-O 8. Aufl. 11. Kapitel Rn. 181[]
  18. BGBl. I S. 1426[]
  19. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TV-L Stand Mai 2015 § 17 Rn. 39; zu Zweifeln bzgl. der Wirksamkeit der Anordnung in § 17 Abs. 3 Satz 3 TVöD-AT, wonach bei Elternzeiten bei mehr als fünf Jahren eine Rückstufung erfolgt, vgl. BAG 27.01.2011 – 6 AZR 526/09, Rn. 42, BAGE 137, 80[]
  20. GVBl. Berlin 1991 S. 8[]
  21. GVBl. Berlin S. 530[]
  22. GVBl. Berlin 2002 S. 280 bzw. GVBl. Berlin 2010 S. 502[]
  23. Schiek in Schiek/Dieball/Horstkötter/Seidel/Vieten/Wankel Frauengleichstellungsgesetze des Bundes und der Länder 2. Aufl. Rn. 1381[]
  24. so für § 15 Abs. 4 BGleiG idF vom 30.11.2001, wonach die Beurlaubung sich nicht nachteilig auf eine Beförderungsreihenfolge und die Möglichkeit einer Höhergruppierung oder Höherreihung auswirken durfte, das Rundschreiben des BMI vom 05.02.2003 – D II 2 – 220 218/238 – [zitiert nach Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Dassau BAT Stand April 2005 § 23a nach Erl.06.7], sowie die Mitgliederversammlung der TdL für Landesgleichstellungsgesetze mit vergleichbarem Inhalt [zitiert nach Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Dassau aaO][]
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