Bodenmarkierungsarbeiten – und die Beitragspflicht im Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft

Bodenmarkierungsarbeiten fallen nicht unter den betrieblichen Geltungsbereich der Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV).

Bodenmarkierungsarbeiten – und die Beitragspflicht im Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft

Zwar hat die Arbeitgeberin mit ihren Bodenmarkierungsarbeiten, die arbeitszeitlich überwiegend durchgeführt wurden, baugewerbliche Tätigkeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV erbracht. Allerdings handelt es sich dabei um Tätigkeiten, die auch unter den Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk vom 30.03.1992 idF vom 31.10.2011 (RTV Maler-Lackierer) fallen und nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 6 Halbs. 1 VTV grundsätzlich nicht vom betrieblichen Geltungsbereich der VTV erfasst werden. Die Rückausnahme nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 6 Halbs. 2 VTV ist – entgegen der Ansicht des Hessischen Landesarbeitsgerichts1 – nicht erfüllt, da keine Arbeiten der in § 1 Abs. 2 Abschn. IV oder V VTV genannten Art ausgeführt wurden, auch keine Straßenbauarbeiten (Fahrbahnmarkierungsarbeiten) nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 32 VTV.

Die von der Arbeitgeberin arbeitszeitlich überwiegend erbrachten Bodenmarkierungsarbeiten fallen unter § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV; es handelt sich um bauliche Leistungen im Tarifsinn.

Die Arbeitgeberin erbrachte im streitgegenständlichen Zeitraum „nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung bauliche Leistungen“ iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV. Dieses Tarifmerkmal erfüllen Betriebe, wenn sie arbeitszeitlich überwiegend Arbeiten ausführen, die irgendwie – wenn auch nur auf einem kleinen und speziellen Gebiet – der Errichtung und Vollendung von Bauwerken oder auch der Instandsetzung oder -haltung von Bauwerken zu dienen bestimmt sind, sodass diese in vollem Umfang ihre bestimmungsgemäßen Zwecke erfüllen können2. Die von der Arbeitgeberin arbeitszeitlich überwiegend erbrachten Markierungsarbeiten in Industriehallen dienen auf einem kleinen und speziellen Gebiet der Erstellung, wozu auch der Ausbau gehört, oder der Instandhaltung bzw. -setzung von Bauwerken. Nach Aufbringen der geforderten Markierungen kann die Halle in vollem Umfang der bestimmungsgemäßen Nutzung dienen. Fehlten sie, wüssten Fußgänger und Fahrer von Transportfahrzeugen nicht, wo sie sich im Gebäude bewegen sollen, ohne andere zu stören oder in Gefahr zu bringen. Entsprechendes gilt für die Stellflächenmarkierungen für Lagerhaltung, Warenmarkierungen und Symbole zur Kennzeichnung von Gefahren.

Die Arbeitgeberin erbrachte auch „nach ihrer betrieblichen Einrichtung bauliche Leistungen“. Dieses Tarifmerkmal des § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV erfüllen Betriebe, wenn sie Leistungen mit Werkstoffen, Arbeitsmitteln und -methoden des Baugewerbes ausführen3. Das gilt auch dann, wenn ausschließlich Materialien, Werkzeuge und Arbeitsmethoden eines der in § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV genannten Gewerke verwendet werden4. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wurden die Markierungsarbeiten überwiegend auf flügelgeglätteten Betonböden erbracht. Dabei kamen Acrylfarben und -lacke zum Einsatz. In der Regel erfolgte als Untergrundvorbereitung eine Bearbeitung mittels eines Kugelstrahlers. Das Abkleben von Linien erfolgte mit Malerkrepp. Farbe wurde im maschinell unterstützten Spritzverfahren oder händisch mit Farbrolle aufgetragen. Bei Farben und Lacken handelt es sich um typische Werkstoffe des Baugewerbes5. Auch durch die Verwendung eines Kugelstrahlers6, das Abkleben mit Klebeband sowie durch den Einsatz von Farbrollen und Spritzpistolen zum Auftrag der Farben wurden mittels händischer Tätigkeit typische Mittel und Methoden des Baugewerbes eingesetzt und angewandt. Insoweit liegen jedenfalls Materialien und Werkstoffe des Maler- und Lackiererhandwerks (§ 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 6 VTV) vor.

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Die im Betrieb der Arbeitgeberin arbeitszeitlich überwiegend ausgeübten Tätigkeiten waren aber auch solche des Maler- und Lackiererhandwerks. Betriebe des Maler- und Lackiererhandwerks sind nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 6 VTV grundsätzlich vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV ausgenommen.

Ein Betrieb im Sinn der Ausnahmetatbestände setzt voraus, dass in ihm arbeitszeitlich zu mehr als der Hälfte der Gesamtarbeitszeit Tätigkeiten ausgeübt werden, die einem der Tatbestände des Ausnahmekatalogs zuzuordnen sind7. Dabei müssen nicht arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeübt werden, die das gesamte Spektrum dieses Gewerbes abbilden, um – hier – nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 6 Halbs. 1 VTV aus dem betrieblichen Geltungsbereich ausgenommen zu sein. Ausreichend ist grundsätzlich, dass einzelne diesem Gewerbe zuzuordnende Tätigkeiten arbeitszeitlich überwiegend verrichtet werden8.

Die Arbeitgeberin verrichtete im streitgegenständlichen Zeitraum zu mehr als der Hälfte ihrer Gesamtarbeitszeit Tätigkeiten, die auch dem Maler- und Lackiererhandwerk zuzuordnen sind. Vom betrieblichen Geltungsbereich des RTV Maler-Lackierer werden nach § 1 Nr. 2 Abs. 1 Satz 1 alle Betriebe des Maler- und Lackiererhandwerks erfasst. Das sind nach § 1 Nr. 2 Abs. 1 Satz 2 RTV Maler-Lackierer Betriebe, die unter anderem Maler, Lackierer- und Fahrbahnmarkierungsarbeiten ausführen. Bodenmarkierungen – insbesondere wie vorliegend Markierungen von Fahr- und Fußwegen – in Industriehallen zählen dazu9. Solche hat die Arbeitgeberin überwiegend und damit zu mehr als 50 % der betrieblichen Arbeitszeit im streitgegenständlichen Zeitraum erbracht. Diese Tätigkeiten gehören zum Berufsbild von Malern und Lackierern, wie die maßgeblichen Ausbildungsverordnungen zeigen (vgl. etwa § 2 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. k der Verordnung über das Meisterprüfungsberufsbild und über die Prüfungsanforderungen in den Teilen I und II der Meisterprüfung im Maler- und Lackierer-Handwerk vom 13.06.2005, BGBl. I S. 1659; § 4 Abs. 6 Nr. 6 der Verordnung über die Berufsausbildung zum Maler und Lackierer und zur Malerin und Lackiererin vom 29.06.2021, BGBl. I S. 2300). Die Arbeitnehmer der Arbeitgeberin haben die Arbeiten auch handwerklich und nicht industriell erbracht10.

Das Aufbringen von Boden- bzw. Fahrbahnmarkierungen ist damit sowohl eine baugewerbliche Leistung iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV als auch eine Tätigkeit des Maler- und Lackiererhandwerks iSv. § 1 Nr. 2 Abs. 1 Satz 2 RTV Maler-Lackierer.

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Führen Arbeitnehmer Tätigkeiten aus, die sowohl baulicher Natur als auch einem der ausgenommenen Gewerke des § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV zuzuordnen sind, kommt es darauf an, welches Gepräge diese „Sowohl-als-auch-Tätigkeiten“ dem Betrieb geben. Entscheidend ist in erster Linie der Charakter der überwiegend ausgeführten Tätigkeiten. Die Abgrenzung richtet sich insbesondere danach, ob die „Sowohl-als-auch-Tätigkeiten“ von Fachleuten des ausgenommenen Gewerks angeleitet oder verrichtet werden. Werden sie von Fachleuten eines Baugewerbes oder von ungelernten Arbeitskräften angeleitet bzw. durchgeführt, ist regelmäßig eine Ausnahme vom Geltungsbereich der VTV abzulehnen. Nicht entscheidend ist dagegen, dass die arbeitszeitlich überwiegend ausgeübte Tätigkeit – hier – der Bodenmarkierungen in Industriehallen lediglich nur einen kleinen Ausschnitt aus dem gesamten Spektrum der zum Maler- und Lackiererhandwerk gehörenden Tätigkeiten darstellt11.

Nach diesen Grundsätzen liegt ein Betrieb des Maler- und Lackiererhandwerks iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 6 Halbs. 1 VTV vor. Davon geht das Hessische Landesarbeitsgericht zu Recht aus1 und auch die Sozialkasse stellt das nicht mehr in Frage. Die im Betrieb der Arbeitgeberin verrichteten „Sowohl-als-auch-Tätigkeiten“ werden von einem Fachmann des Maler- und Lackiererhandwerks angeleitet. Der Geschäftsführer der Arbeitgeberin ist als solcher anzusehen. Er hat die Gesellenprüfung im Maler- und Lackiererhandwerk bestanden und weist somit entsprechende Fertigkeiten und Kenntnisse auf. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kontrolliert der Geschäftsführer der Arbeitgeberin die Arbeitnehmer und überwacht sie, wenn sie Aufträge durchführen. Deshalb ist unerheblich, dass die Arbeitgeberin keine ausgebildeten Maler und Lackierer beschäftigt, die die Arbeiten verrichten12.

Die Rückausnahme nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 6 Halbs. 2 VTV ist entgegen der Ansicht des Hessischen Landesarbeitsgerichts nicht gegeben. Die Sozialkasse kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die Arbeitgeberin führe Straßenbauarbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 32 VTV aus. Dies kann das Bundesarbeitsgericht – da alle notwendigen Feststellungen getroffen sind – selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).

Nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 6 Halbs. 2 VTV werden Betriebe des Maler- und Lackiererhandwerks von den VTV – doch wieder – erfasst, wenn Arbeiten der in § 1 Abs. 2 Abschn. IV oder V VTV aufgeführten Art ausgeführt werden. In Betracht kommen hier Arbeiten nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 32 VTV. Hiernach unterfallen dem betrieblichen Geltungsbereich der VTV Betriebe, die unter anderem Straßenbauarbeiten ausführen. Mit der Erläuterung im Klammerzusatz haben die Tarifvertragsparteien zum Ausdruck gebracht, dass die dort genannten Arbeiten dieses Tätigkeitsbeispiel erfüllen13. Danach fallen unter anderem Fahrbahnmarkierungsarbeiten unter den Begriff der Straßenbauarbeiten.

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Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 32 VTV sind jedoch nicht erfüllt, weil die Arbeitgeberin im Streitzeitraum keine Fahrbahnmarkierungsarbeiten iSd. Tarifvorschrift ausgeführt hat. Bei den von der Arbeitgeberin nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erbrachten Bodenmarkierungsarbeiten in Gebäuden handelt es sich nicht um solche Arbeiten. Der Begriff „Fahrbahnmarkierungsarbeiten“ kann nur im Zusammenhang mit dem Oberbegriff „Straßenbauarbeiten“ verstanden werden. Das ergibt die Auslegung der VTV14.

Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch meint Straßenbauarbeiten das Bauen von Straßen15. Eine Straße wird beschrieben als ein „(besonders in Städten, Ortschaften gewöhnlich aus Fahrbahn und zwei Gehsteigen bestehender) befestigter Verkehrsweg für Fahrzeuge und (besonders in Städten, Ortschaften) Fußgänger“16. Straßen bilden als Verkehrsträger einen bedeutsamen Teil der Verkehrsinfrastruktur. Der Begriff „Straße“ bezieht sich insbesondere auf planmäßig mit Straßenbelag angelegte Verkehrsbauwerke, unabhängig von der Art der verkehrlichen Nutzung. Je nach Ausbauzustand wird vor allem unterschieden zwischen Landstraße, Bundesstraße, Spielstraße und Wohnstraße17. Straßen befinden sich regelmäßig nicht in Gebäuden, sondern werden auf das vorhandene Erdreich aufgebracht, bestehen aus mehreren Schichten, dem Untergrund, dem Unterbau und dem Oberbau, der wiederum aus bis zu drei Tragschichten und der Fahrbahndecke mit Randstreifen besteht18. Der notwendige Schichtaufbau hängt ab von der Verkehrsbelastung19 und wird beschrieben in den von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Arbeitsgruppe Infrastrukturmanagement herausgegebenen „Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen“ (Ausgabe 2012 – RStO 12). Straßenbau umfasst die Planung, den Bau und die Erhaltung von Straßen des für den Straßenverkehr benötigten Wegenetzes20.

Nach dem Berufsbild des Straßenbauers/der Straßenbauerin gehört zum Straßenbau allerdings nicht nur der Bau der Straße im engeren Sinn, sondern allgemein die Herstellung von Verkehrsflächen. Dies umfasst unter anderem die Herstellung der Unterlage für Decken und Beläge sowie die Herstellung der Oberfläche als Asphalt- oder Betondecke oder auch in Form von Pflasterdecken oder Plattenbelägen (§ 68 der Verordnung über die Berufsausbildung in der Bauwirtschaft vom 02.06.199921 [BauWiAusbV] idF vom 20.02.200922). Das stimmt überein mit der Begriffsdefinition der Straße, wonach es sich – wie ausgeführt – um planmäßig mit Straßenbelag angelegte Verkehrsbauwerke, unabhängig von der Art der verkehrlichen Nutzung, handelt, sodass Straßenbauwerke im weiteren Sinn erfasst werden.

Dieses Verständnis ist vorliegend bei der weiteren Auslegung zu berücksichtigen. Die Tarifvertragsparteien haben den Begriff „Straßenbau” nicht selbst definiert und damit mangels einer eigenen abweichenden Begriffsbestimmung erkennbar auf die Bedeutung des Begriffs nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und nach der Fachsprache im Bauwesen abgestellt23. Ausgehend davon zählen zum Straßenbau zunächst sämtliche Arbeiten, die unmittelbar der Herstellung, dem Ausbau, der Unterhaltung oder der Reparatur von Straßen und sonstigen Verkehrsflächen – wie zB Rad- und Fußwege oder auch Parkplätze – dienen, mithin diese Baukörper betreffen24. Auch Fahrbahnmarkierungsarbeiten auf Straßen sind wie die sonstigen Straßenbauarbeiten noch an der Straße als Baukörper zu leisten25. Dem Straßenbau können des Weiteren sonstige bauliche Leistungen zugeordnet werden, die zwar nicht unmittelbar diese Baukörper betreffen, aber dazu dienen, dass die Straße in vollem Umfang ihren bestimmungsgemäßen Zweck erfüllen kann26.

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Hiernach ist das Aufbringen von Fahrbahnmarkierungen dann den Straßenbauarbeiten zuzuordnen, wenn sie auf oder an einer solchen Straße oder ähnlichen Verkehrsfläche ausgeführt werden.

Eine Fahrbahn ist im allgemeinen Sprachgebrauch der für den Fahrzeugverkehr bestimmte Teil einer befestigten Straße27. Die Fahrbahn besteht aus Fahr- und Randstreifen28. Unter Fahrbahnmarkierung ist die für den Verkehrsteilnehmer bestimmte, der Regelung des Verkehrs dienende Markierung auf der Fahrbahn zB in Form von Linien oder Zeichen zu verstehen29. Diese allgemeine Wortbedeutung deutet bereits darauf hin, dass sich der Begriff der Fahrbahnmarkierung auf das Bauwerk Straße bezieht und nicht jedwede Markierungsarbeiten auf beliebigen Oberflächen – unabhängig von Ort und Zweck der Markierungen – dazu gehören. Nicht erkennbar ist, dass die Tarifvertragsparteien eine davon abweichende Begriffsbestimmung vorgenommen haben.

Für ein solches Verständnis spricht insbesondere die Tarifsystematik. Der Begriff „Fahrbahnmarkierungen“ in § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 32 VTV befindet sich im Klammerzusatz zu dem Tarifmerkmal Straßenbauarbeiten. Damit wird einerseits erläutert, welche Tätigkeiten unter den Oberbegriff der Straßenbauarbeiten zu fassen sind30. Andererseits wird durch die systematische Stellung des Begriffs „Fahrbahnmarkierungsarbeiten“ in der Klammer deutlich, dass dieser selbst wiederum nicht ohne Rückgriff auf den Obergriff „Straßenbauarbeiten“ verstanden werden kann. Fahrbahnmarkierungen im Tarifsinn liegen danach nur vor, sofern sie dem Bau, der Reparatur, der Instandhaltung oder -setzung einer Straße dienen. Durch die Fahrbahnmarkierungen wird eine Straße endgültig fertiggestellt und ihrem bestimmungsgemäßen Gebrauch zugeführt bzw. entsprechend erneuert, instandgehalten oder -gesetzt. Sie dienen der Straße – bzw. einer Verkehrsfläche – als Baukörper und ihren bestimmungsgemäßen Zwecken. Dazu gehört auch, dass der Verkehr möglichst sicher fließt31. Zu den Fahrbahnmarkierungsarbeiten iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 32 VTV zählen dabei sowohl das Aufbringen von Markierungsfarben als auch die notwendigen Vorbereitungs- und Nacharbeiten32.

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Dass Fahrbahnmarkierungsarbeiten nicht zur Berufsausbildung des Straßenbauers zählen, ist unschädlich33. Denn die Tarifvertragsparteien haben jedenfalls über den Klammerzusatz definiert, dass zu den Straßenbauarbeiten auch die Fahrbahnmarkierungen als Arbeiten an dem Bauwerk Straße zählen.

Werden Markierungen von Fahr- und Fußwegen hingegen in einem Gebäude aufgebracht, gehören sie nicht zu den Straßenbauarbeiten im Tarifsinn.

Zunächst ist bereits der Wortsinn überschritten, wollte man Fahr- und Fußwege in Industriehallen noch unter den Begriff der Straße fassen und insoweit Arbeiten hieran noch als Straßenbau begreifen.

Entscheidend ist aber, dass Bodenmarkierungen in Industriehallen, wie sie die Arbeitgeberin überwiegend erbracht hat, der Fertigstellung, Reparatur und Erhaltung eines Gebäudes und somit einem anderen Zweck als Fahrbahnmarkierungen auf Straßen dienen. Sie werden in und an diesem Bauwerk ausgeführt und nicht an oder auf einer Straße. Wesentlich ist – entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts – nicht, ob die Markierungen den Zweck der Verkehrslenkung haben, sondern ob sie dem Bauwerk „Straße“ oder dem Bauwerk „Gebäude“ – hier einer Industriehalle – dienen. Deshalb macht es nach dem Verständnis der VTV einen Unterschied, ob sich der markierte Fahrweg innerhalb eines Gebäudes befindet und Teil des Bauwerks „Gebäude“ ist oder ob es sich bei der Fahrbahn um eine Straße als eigenes Bauwerk handelt. Zwar weist die Sozialkasse zutreffend darauf hin, dass es auch Straßen innerhalb eines anderen Bauwerks gibt, wie zB innerhalb von Tunneln. Dies bedeutet aber umgekehrt nicht, dass die Herstellung jeder Fläche, die in einem Gebäude zu Zwecken des Fahr- oder Fußverkehrs genutzt wird, dem tariflichen Begriff der Straßenbauarbeiten unterfällt oder als Nebenarbeit diesen zuzuordnen wäre. Hätten die Tarifvertragsparteien der Tätigkeit der Fahrbahnmarkierungsarbeiten eine allgemeinere, breitere Bedeutung zukommen lassen wollen, hätte es im Übrigen nahegelegen, diese als eigenständiges Tätigkeitsbeispiel in den Katalog des § 1 Abs. 2 Abschn. V VTV aufzunehmen. Hieran fehlt es.

Dass die Berufsausbildung zum Straßenwärter, dessen Tätigkeiten einen Bezug zur Straße haben mag, auch Fahrbahnmarkierungen umfasst34, ändert an diesem Ergebnis nichts. Denn vorliegend erfolgen gerade keine Fahrbahnmarkierungen auf Straßen. Dass auch Fahrbahnmarkierungen in Gebäuden von der Ausbildungsverordnung erfasst sein sollen, ist nicht erkennbar.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30. März 2022 – 10 AZR 194/20

  1. Hess. LAG 17.01.2020 – 10 Sa 127/19 SK[][]
  2. BAG 28.04.2021 – 10 AZR 34/19, Rn. 13 mwN[]
  3. st. Rspr., vgl. BAG 28.04.2021 – 10 AZR 34/19, Rn. 14 mwN[]
  4. vgl. insoweit zu § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 12 VTV 2011 BAG 18.12.2019 – 10 AZR 424/18, Rn. 40 f.[]
  5. vgl. BAG 27.10.2010 – 10 AZR 351/09, Rn. 16[]
  6. vgl. insoweit BAG 14.01.2004 – 10 AZR 182/03[]
  7. BAG 28.04.2021 – 10 AZR 34/19, Rn. 17 mwN[]
  8. BAG 28.04.2021 – 10 AZR 34/19 – aaO[]
  9. vgl. auch BAG 18.01.1984 – 4 AZR 13/82[]
  10. vgl. hierzu BAG 27.01.2021 – 10 AZR 384/18, Rn. 39 mwN[]
  11. vgl. zum Lüftungsbauergewerbe BAG 28.04.2021 – 10 AZR 34/19, Rn.19 mwN[]
  12. vgl. BAG 28.04.2021 – 10 AZR 34/19, Rn. 27 mwN[]
  13. vgl. BAG 1.04.2009 – 10 AZR 593/08, Rn. 16[]
  14. vgl. zu den Auslegungsgrundsätzen zuletzt zB BAG 11.11.2020 – 4 AZR 210/20, Rn.20; 17.06.2015 – 10 AZR 518/14, Rn. 14 ff., 34 mwN[]
  15. vgl. Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl. Stichwort „Straßenbau“[]
  16. vgl. Duden aaO Stichwort „Straße“[]
  17. vgl. Wahrig Deutsches Wörterbuch 9. Aufl. Stichwort „Straße“[]
  18. vgl. Brockhaus Enzyklopädie 21. Aufl. Stichwort „Straßenbau“; Peter Lexikon Bautechnik 2. Aufl. Stichwort „Straßenaufbau“[]
  19. vgl. Irsigler Bau-Lexikon Stichwort „Straßendeckenaufbau“[]
  20. vgl. Brockhaus aaO[]
  21. BGBl. I S. 1102[]
  22. BGBl. I S. 399[]
  23. vgl. BAG 24.02.2021 – 10 AZR 130/19, Rn. 18 mwN[]
  24. vgl. zum sog. Bankettfräsen BAG 13.10.2020 – 10 AZR 103/19, Rn. 16 mwN; Abfräsen der Straße BAG 12.02.2003 – 10 AZR 294/02, zu II 2 der Gründe; 28.03.1990 – 4 AZR 615/89; anders hingegen Baustelleneinrichtungs- und Baustellensicherungsarbeiten BAG 25.02.1987 – 4 AZR 230/86, BAGE 55, 67, 72[]
  25. BAG 18.01.1984 – 4 AZR 13/82; 2.10.1973 – 4 AZR 611/72[]
  26. vgl. zur Leitplankenmontage BAG 15.11.2006 – 10 AZR 698/05, Rn. 18 ff., BAGE 120, 197[]
  27. vgl. Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache Stichwort „Fahrbahn“; Brockhaus Enzyklopädie Stichwort „Fahrbahn“[]
  28. vgl. Brockhaus aaO Stichwort „Straßenbau“[]
  29. vgl. Duden aaO Stichwort „Fahrbahnmarkierung“[]
  30. vgl. zur Bedeutung eines solchen Klammerzusatzes BAG 1.04.2009 – 10 AZR 593/08, Rn. 16[]
  31. vgl. BAG 15.11.2006 – 10 AZR 698/05, Rn.19 ff., BAGE 120, 197; 18.01.1984 – 4 AZR 13/82[]
  32. vgl. BAG 18.01.1984 – 4 AZR 13/82[]
  33. vgl. 3. Abschnitt des Zweiten Teils und 10. Abschnitt des Dritten Teils iVm. Anlage 3 [zu § 18] und Anlage 13 [zu § 69] BauWiAusbV[]
  34. vgl. Anlage [zu § 4] Nr. 16 der Verordnung über die Berufsausbildung zum Straßenwärter/zur Straßenwärterin vom 11.08.2002, BGBl. I S. 2604[]
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