Das missbräuchliche AGG-Entschädigungsverlangen eines Stellenbewerbers

Das Entschädigungsverlangen eines Stellenbewerbers nach § 15 Abs. 2 AGG ist einem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt, sofern dieser sich nicht beworben haben sollte, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihm darum gegangen sein sollte, nur den formalen Status als Bewerber iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, eine Entschädigung geltend zu machen.

Das missbräuchliche AGG-Entschädigungsverlangen eines Stellenbewerbers

Nach § 242 BGB sind durch unredliches Verhalten begründete oder erworbene Rechte oder Rechtsstellungen grundsätzlich nicht schutzwürdig. Der Ausnutzung einer rechtsmissbräuchlich erworbenen Rechtsposition kann demnach der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenstehen1. Allerdings führt nicht jedes rechts- oder pflichtwidrige Verhalten stets oder auch nur regelmäßig zur Unzulässigkeit der Ausübung der hierdurch erlangten Rechtsstellung. Hat der Anspruchsteller sich die günstige Rechtsposition aber gerade durch ein treuwidriges Verhalten verschafft, liegt eine unzulässige Rechtsausübung iSv. § 242 BGB vor2.

Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen, die den – rechtshindernden – Einwand des Rechtsmissbrauchs begründen, trägt nach den allgemeinen Regeln der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast derjenige, der diesen Einwand geltend macht3.

Danach hätte der Stellenbewerber seine Rechtsstellung im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG treuwidrig erworben mit der Folge, dass die Ausnutzung dieser Rechtsposition rechtsmissbräuchlich ist, wäre, wenn er sich nicht beworben haben sollte, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihm darum gegangen sein sollte, nur den formalen Status als Bewerber iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, eine Entschädigung geltend zu machen4.

Nach § 1 AGG ist es das Ziel des AGG, in seinem Anwendungsbereich Benachteiligungen aus den in dieser Bestimmung genannten Gründen zu verhindern oder zu beseitigen. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG wird auch der Zugang zur Beschäftigung vom sachlichen Anwendungsbereich des AGG erfasst. Nach dieser Bestimmung sind Benachteiligungen aus einem in § 1 AGG genannten Grund nach Maßgabe des Gesetzes ua. unzulässig in Bezug auf die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit. Aus diesem Grund fallen nicht nur Beschäftigte iSv. § 6 Abs. 1 Satz 1 AGG, sondern auch Bewerber/innen für ein Beschäftigungsverhältnis gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG unter den persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes, sie gelten danach als Beschäftigte iSv. § 6 Abs. 1 Satz 1 AGG.

Bereits mit diesen Bestimmungen des AGG hat der nationale Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass nur derjenige den Schutz des AGG vor Diskriminierung einschließlich der in § 15 AGG geregelten Ersatzleistungen für sich beanspruchen kann, der auch tatsächlich Schutz vor Diskriminierung beim Zugang zur Erwerbstätigkeit sucht und dass hingegen eine Person, die mit ihrer Bewerbung nicht die betreffende Stelle erhalten, sondern nur die formale Position eines Bewerbers iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG erlangen will mit dem alleinigen Ziel, eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend zu machen, sich nicht auf den durch das AGG vermittelten Schutz berufen kann; sie kann nicht Opfer einer verbotenen Diskriminierung sein mit der Folge, dass ihr die in § 15 AGG vorgesehenen Sanktionen mit abschreckender Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber5 zugutekommen müssten. Eine Person, die ihre Position als Bewerber iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG treuwidrig herbeiführt, missbraucht vielmehr den vom AGG gewährten Schutz vor Diskriminierung.

Unter diesen engen Voraussetzungen begegnet der Rechtsmissbrauchseinwand nach § 242 BGB auch keinen unionsrechtlichen Bedenken6.

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Das Verbot des Rechtsmissbrauchs ist ein anerkannter Grundsatz des Unionsrechts7. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Unionsrecht nicht gestattet8.

Dabei ergeben sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu den Voraussetzungen, unter denen Rechtsmissbrauch angenommen werden kann, vergleichbar strenge Anforderungen wie nach deutschem Recht.

Die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis verlangt das Vorliegen eines objektiven und eines subjektiven Elements. Hinsichtlich des objektiven Elements muss sich aus einer Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergeben, dass trotz formaler Einhaltung der in der betreffenden Unionsregelung vorgesehenen Bedingungen das Ziel dieser Regelung nicht erreicht wurde. In Bezug auf das subjektive Element muss aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte9 die Absicht ersichtlich sein, sich einen ungerechtfertigten Vorteil aus der Unionsregelung dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden10. Das Missbrauchsverbot ist allerdings nicht relevant, wenn das fragliche Verhalten eine andere Erklärung haben kann als nur die Erlangung eines Vorteils11. Die Prüfung, ob die Tatbestandsvoraussetzungen einer missbräuchlichen Praxis erfüllt sind, hat gemäß den Beweisregeln des nationalen Rechts zu erfolgen. Diese Regeln dürfen jedoch die Wirksamkeit des Unionsrechts nicht beeinträchtigen12.

Sowohl aus dem Titel, als auch aus den Erwägungsgründen und dem Inhalt und der Zielsetzung der Richtlinie 2000/78/EG folgt, dass diese einen allgemeinen Rahmen schaffen soll, der gewährleistet, dass jeder „in Beschäftigung und Beruf“ gleichbehandelt wird, indem dem Betroffenen ein wirksamer Schutz vor Diskriminierungen aus einem der in ihrem Art. 1 genannten Gründe – darunter das Alter – geboten wird13. Ferner ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG – ebenso wie aus Art. 1 Satz 2 Buchst. a und Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/54/EG, dass diese Richtlinie für eine Person gilt, die eine Beschäftigung sucht und dies auch in Bezug auf die Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen für diese Beschäftigung14.

Damit handelt eine Person, die mit ihrer Bewerbung nicht die betreffende Stelle erhalten, sondern nur die formale Position eines Bewerbers iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG erlangen will mit dem alleinigen Ziel, eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend zu machen, auch nach Unionsrecht rechtsmissbräuchlich6.

Auf Rechtsmissbrauch kann nicht bereits daraus geschlossen werden, dass eine Person eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen versandt und mehrere Entschädigungsprozesse geführt hat oder führt15. Ein solches Verhalten für sich betrachtet lässt sich ebenso damit erklären, dass ein ernsthaftes Interesse an dem Erhalt der jeweiligen Stelle bestand und dass der/die Bewerber/in, weil er/sie sich entgegen den Vorgaben des AGG bei der Auswahl- und Besetzungsentscheidung diskriminiert sieht, mit der Entschädigungsklage zulässigerweise seine/ihre Rechte nach dem AGG wahrnimmt.

Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Person sich häufig auf solche Stellenausschreibungen beworben hat, die Formulierungen, insb. Anforderungen enthalten, die mittelbar oder unmittelbar an einen der in § 1 AGG genannten Gründe anknüpfen und deshalb „auf den ersten Blick“ den Anschein erwecken, der Arbeitgeber habe die Stelle entgegen § 11 AGG, wonach ein Arbeitsplatz nicht unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG ausgeschrieben werden darf, ausgeschrieben. Dies folgt bereits daraus, dass der/die Bewerber/in auch in einem solchen Fall mit einer Entschädigungsklage grundsätzlich ein nicht unerhebliches Risiko eingeht, den Prozess zu verlieren und damit nicht nur keine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu erlangen, sondern auch mit den Kosten des Rechtsstreits belastet zu werden.

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Der Arbeitgeber schuldet einem/einer abgelehnten Bewerber/in eine Entschädigung nicht bereits deshalb, weil die Stelle unter Verstoß gegen § 11 AGG ausgeschrieben wurde und damit erst recht nicht allein deshalb, weil die Stellenausschreibung Formulierungen, insb. Anforderungen enthält, die „auf den ersten Blick“ den Anschein erwecken, der Arbeitgeber habe den Arbeitsplatz unter Verstoß gegen § 11 AGG ausgeschrieben. Das Gesetz knüpft an einen Verstoß gegen § 11 AGG keine unmittelbaren Rechtsfolgen.

Voraussetzung für den Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG ist vielmehr, dass der/die abgelehnte Bewerber/in entgegen § 7 Abs. 1 AGG wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt wurde.

Das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG untersagt im Anwendungsbereich des AGG eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, ua. wegen des Alters. § 7 Abs. 1 AGG verbietet sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, ua. wegen ihres Alters, eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Nach § 3 Abs. 2 AGG liegt eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

Das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfasst allerdings nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes. Zwischen der benachteiligenden Behandlung und einem in § 1 AGG genannten Grund muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen. Dafür ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund iSv. § 1 AGG das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist; es muss nicht – gewissermaßen als vorherrschender Beweggrund, Hauptmotiv oder „Triebfeder“ des Verhaltens – handlungsleitend oder bewusstseinsdominant gewesen sein; vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen Grund iSv. § 1 AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei die bloße Mitursächlichkeit genügt16.

§ 22 AGG sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Danach genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist17. Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist18. Hierfür gilt jedoch das Beweismaß des sog. Vollbeweises19. Der Arbeitgeber muss demnach Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben20.

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Auch wenn eine Stellenausschreibung Formulierungen, insb. Anforderungen enthält, die „auf den ersten Blick“ den Anschein erwecken, der Arbeitgeber habe den Arbeitsplatz unter Verstoß gegen § 11 AGG ausgeschrieben, begründet dies nicht ohne Weiteres die Vermutung, der/die Bewerber/in sei im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt worden. Eine solche Vermutung kann vielmehr nur dann bestehen, wenn die Stellenausschreibung gegen § 11 AGG verstößt. Dies ist indes bei Formulierungen, insb. Anforderungen in Stellenausschreibungen, die eine unmittelbare Benachteiligung wegen eines § 1 AGG genannten Grundes bewirken, dann nicht der Fall, wenn die Diskriminierung nach §§ 8, 9 oder § 10 AGG zulässig ist. Und bei Formulierungen, insb. Anforderungen in Stellenausschreibungen, die eine mittelbare Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes bewirken können, scheidet nach § 3 Abs. 2 AGG ein Verstoß gegen § 11 AGG dann aus, wenn die Anforderung durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich ist. Obwohl § 11 AGG nach seinem Wortlaut nur auf § 7 Abs. 1 AGG verweist, muss die Bestimmung so ausgelegt werden, dass ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG nicht vorliegt, wenn die mögliche mittelbare Benachteiligung nach § 3 Abs. 2 AGG oder die unmittelbare Benachteiligung nach §§ 8, 9 oder § 10 AGG gerechtfertigt ist. Es ist kein Grund ersichtlich, warum Stellenausschreibungen strengeren Anforderungen unterliegen sollten, als dies bei allen anderen benachteiligenden Handlungen iSd. AGG der Fall ist.

Aber auch dann, wenn die Stelle unter Verstoß gegen § 11 AGG ausgeschrieben wurde und die Vermutung besteht, dass der/die erfolglose Bewerber/in im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt wurde, genügt dies nicht ohne Weiteres für eine erfolgreiche Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs. Dem Arbeitgeber bleibt es nämlich unbenommen, Tatsachen vorzutragen und ggf. zu beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben.

Obgleich nicht zu verkennen ist, dass eine erfolglose Bewerbung auf eine Stellenausschreibung, die Formulierungen, insb. Anforderungen enthält, die mittelbar oder unmittelbar an einen der in § 1 AGG genannten Gründe anknüpfen und deshalb „auf den ersten Blick“ den Anschein erwecken, der Arbeitgeber habe den Arbeitsplatz unter Verstoß gegen § 11 AGG ausgeschrieben, die Erfolgsaussichten einer späteren Entschädigungsklage erhöht, ist es keinesfalls ausgeschlossen, dass die Klage letztlich abgewiesen wird, weil der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen dem Grund iSv. § 1 AGG und der benachteiligenden Handlung nicht gegeben ist oder weil sich die mit der Ablehnung der Bewerbung verbundene unmittelbare Benachteiligung des Bewerbers/der Bewerberin iSv. § 3 Abs. 1 AGG nach §§ 8, 9 oder § 10 AGG als zulässig erweist.

Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des Umstands, dass selbst dann, wenn die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen aufgrund anderer erfolgloser Bewerbungen rechtsmissbräuchlich (gewesen) sein sollte, dies nicht ohne Weiteres auch für die jeweils streitgegenständliche Entschädigungsklage gelten muss, sind an die Annahme des durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwands hohe Anforderungen zu stellen. Es müssen im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, die ausnahmsweise den Schluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten rechtfertigen. Dies kann in diesem Zusammenhang nur angenommen werden, wenn sich ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen der Person feststellen lässt, das auf der Erwägung beruht, bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise werde letztlich ein auskömmlicher „Gewinn“ verbleiben, weil der Arbeitgeber – sei es bereits unter dem Druck einer angekündigten Entschädigungsklage oder im Verlaufe eines Entschädigungsprozesses – freiwillig die Forderung erfüllt oder sich vergleichsweise auf eine Entschädigungszahlung einlässt.

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Selbst wenn der Stellenbewerber sich häufig oder stets auf Stellen mit sehr unterschiedlichen Schwerpunkten beworben hat und bewirbt, rechtfertigt dies nicht den Schluss auf ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen des Stellenbewerbers im oben beschriebenen Sinne. Ein solches Verhalten kann ebenso dafür sprechen, dass es dem Stellenbewerber mit seiner Bewerbung bei der Arbeitgeberin ernst war, weil er aus seiner Tätigkeit als Einzelanwalt keine hinreichenden Einkünfte erzielen konnte und deshalb eine berufliche Veränderung in eine Festanstellung anstrebte oder dass er schlicht eine neue berufliche Herausforderung suchte.

Auch der Umstand, dass der Stellenbewerber in anderen Fällen nach der Ablehnung seiner Bewerbung stets 60.000, 00 Euro gefordert haben mag, stellt die Ernsthaftigkeit seiner Bewerbung bei der Arbeitgeberin nicht infrage. Zum einen ist die Annahme, der Stellenbewerber habe darauf spekuliert, die Arbeitgeberin sei nicht in der Lage, die Risiken eines Prozesses einzuschätzen und werde sich deshalb bereits durch das Geltendmachungsschreiben so sehr beeindrucken lassen, dass sie allein zur Vermeidung weiterer Kosten frühzeitig „klein beigibt“, in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem potentieller Arbeitgeber eine Rechtsanwaltskanzlei ist, fernliegend. Zudem hat der Stellenbewerber in seinem Geltendmachungsschreiben im vorliegenden Fall eine Entschädigung iHv. zwei geschätzten Bruttomonatsverdiensten à 5.000, 00 Euro, insgesamt mithin einen Betrag iHv. 10.000, 00 Euro gefordert, was sich im durchaus üblichen Rahmen hält.

Soweit die Arbeitgeberin den Rechtsmissbrauchseinwand darauf stützt, die mangelnde Ernsthaftigkeit der Bewerbung des Stellenbewerbers ergebe sich bereits daraus, dass seine Bewerbung weder habe erkennen lassen, auf welche der acht ausgeschriebenen Stellen noch für welchen Standort der Stellenbewerber sich beworben habe, verkennt sie, dass der Stellenbewerber sich erkennbar auf alle ausgeschriebenen Stellen beworben hatte. Der Stellenbewerber hatte in seiner Bewerbung ausdrücklich ausgeführt, die von der Arbeitgeberin „genannten Rechtsgebiete“ bereits aus seiner langjährigen beruflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt zu kennen und zT (IT, IP/Medien) auch schon darin gearbeitet zu haben.

Soweit die Arbeitgeberin sich darauf beruft, der Stellenbewerber habe, nachdem seine Bewerbung abgelehnt worden war, keinerlei Bemühungen entfaltet, ein Vorstellungsgespräch zu erhalten, er habe sich auch nicht nach den Gründen für die Ablehnung erkundigt, verkennt sie, dass für den Stellenbewerber, nachdem die Arbeitgeberin ihm eine klare Absage erteilt hatte, keine Veranlassung bestand, weitere Bemühungen zu entfalten, ein Vorstellungsgespräch führen zu können oder sich nach den Gründen für die Absage zu erkundigen und mit der Geltendmachung seiner Ansprüche zuzuwarten.

Soweit die Arbeitgeberin – erstmals in der Revision – geltend macht, ausweislich des in der Zeitschrift „J“ erschienenen Artikels bewerbe der Stellenbewerber sich unabhängig vom Rechtsgebiet, der Kanzlei oder dem Einsatzort ausschließlich auf Stellenanzeigen, mit denen unter Verstoß gegen § 11 AGG Berufseinsteiger/innen oder Rechtsanwälte/innen mit erster Berufserfahrung gesucht würden, und fordere nach der Ablehnung seiner Bewerbung mit gleichlautenden Geltendmachungsschreiben 60.000, 00 Euro, wobei er nach den Recherchen der Zeitschrift „J“ bundesweit allein im Kalenderjahr 2013 16 Entschädigungsklagen anhängig gemacht habe, kann dahinstehen, ob dieser Vortrag, soweit er neues Sachvorbringen enthält, in der Revisionsinstanz überhaupt berücksichtigt werden kann, § 559 ZPO. Das Vorbringen der Arbeitgeberin ist nicht ausreichend, um die Annahme des Rechtsmissbrauchs zu begründen. Die von der Arbeitgeberin insoweit vorgetragenen Umstände lassen nicht den Schluss auf ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen des Stellenbewerbers zu, das auf der Annahme beruht, letztlich werde ein auskömmlicher „Ertrag“ verbleiben, weil die Arbeitgeberin – sei es bereits unter dem Druck des Geltendmachungsschreibens oder im Verlaufe des Entschädigungsprozesses – freiwillig die Forderung erfüllt oder sich vergleichsweise auf eine Entschädigungszahlung einlässt.

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Zwar kann der Umstand, dass eine Person sich lediglich oder fast ausschließlich auf Stellenausschreibungen bewirbt, die „auf den ersten Blick“ den Anschein erwecken, die Stelle sei unter Verstoß gegen § 11 AGG ausgeschrieben worden, ein Indiz (Hilfstatsache) sein, das im jeweiligen Streitfall – ggf. zusammen mit weiteren Umständen – den Schluss darauf erlaubt, die Person habe mit ihrer Bewerbung nicht die betreffende Stelle erhalten wollen, sondern nur die formale Position eines Bewerbers iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG angestrebt mit dem alleinigen Ziel, eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend zu machen. Bewirbt sich eine Person lediglich oder fast ausschließlich auf derartige Stellenausschreibungen, kann die Annahme gerechtfertigt sein, ihr sei es nur darum gegangen, die Erfolgsaussichten eines Entschädigungsprozesses zu erhöhen. In einem solchen Fall könnte die Person ihrer Darlegungslast im Hinblick auf die Kausalität des Grundes iSv. § 1 AGG für die Benachteiligung nach § 3 Abs. 1 AGG allein mit dem Hinweis auf den Inhalt der Ausschreibung genügen, sodass es nun Sache des Arbeitgebers wäre, entweder darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, dass die Stelle nicht unter Verstoß gegen § 11 AGG ausgeschrieben wurde oder den Anforderungen des § 22 AGG entsprechend die Vermutung der Kausalität zu widerlegen oder die unmittelbare Benachteiligung, die die Person durch die Ablehnung ihrer Bewerbung erfahren hat, zu rechtfertigen. Allerdings hängt die Annahme, der Person sei es im konkreten Streitfall nur darum gegangen, die Voraussetzungen für einen möglichst erfolgversprechenden Entschädigungsprozess zu schaffen, nicht nur davon ab, auf wie viele Stellenausschreibungen, die „auf den ersten Blick“ den Anschein erwecken, die Stelle sei unter Verstoß gegen § 11 AGG ausgeschrieben worden, die Person sich im Übrigen beworben hat, sondern auch und insb. davon, ob sich das Vorgehen (auch) im Streitfall als Teil eines systematischen und zielgerichteten Vorgehens im Rahmen des unter Rn. 53 erläuterten Geschäftsmodells darstellt. Dies kann regelmäßig nur angenommen werden, wenn über die im Streitfall vom Arbeitgeber konkret ausgeschriebene Stelle hinaus in demselben Medium weitere Stellen ausgeschrieben waren, deren Inhalt keinen Anlass für die Annahme einer Diskriminierung wegen des von der Person geltend gemachten Grundes bot und auf die die Person sich ohne Weiteres hätte bewerben können, dies aber unterlassen hat. Vor diesem Hintergrund reicht es nicht aus, wenn der Arbeitgeber – wie hier die Arbeitgeberin – nur behauptet, der Stellenbewerber habe sich – auch im Übrigen – lediglich oder fast ausschließlich auf Stellenausschreibungen beworben, die „auf den ersten Blick“ den Anschein erwecken, die Stelle sei unter Verstoß gegen § 11 AGG ausgeschrieben worden; sie hätte zumindest auch substantiiert darlegen müssen, dass in der Ausgabe der Neuen Juristischen Wochenschrift, in der die bei ihr zu besetzenden Stellen ausgeschrieben waren, weitere Stellen ausgeschrieben waren, deren Inhalt keinen Anlass für die Annahme einer Diskriminierung wegen des Alters bot, und dass der Stellenbewerber sich auf diese Stellen hätte bewerben können.

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11. August 2016 – 8 AZR 809/14

  1. vgl. etwa BAG 17.03.2016 – 8 AZR 677/14, Rn. 44; 21.10.2014 – 3 AZR 866/12, Rn. 48; 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, Rn. 33; BGH 6.02.2002 – X ZR 215/00, zu I 2 c der Gründe; 6.10.1971 – VIII ZR 165/69, zu I der Gründe, BGHZ 57, 108[]
  2. etwa BGH 28.10.2009 – IV ZR 140/08, Rn. 21[]
  3. vgl. ua. BAG 18.06.2015 – 8 AZR 848/13 (A), Rn. 26; 23.08.2012 – 8 AZR 285/11, Rn. 37; 13.10.2011 – 8 AZR 608/10, Rn. 54[]
  4. vgl. etwa BAG 13.10.2011 – 8 AZR 608/10, Rn. 53 mwN; vgl. auch BVerwG 3.03.2011 – 5 C 16.10, Rn. 33, BVerwGE 139, 135[]
  5. vgl. etwa EuGH 25.04.2013 – C-81/12 – [Asociatia ACCEPT] Rn. 63[]
  6. vgl. EuGH 28.07.2016 – C-423/15 – [Kratzer] Rn. 35 ff.[][]
  7. vgl. ua. EuGH 28.07.2016 – C-423/15 – [Kratzer] Rn. 37; 28.01.2016 – C-50/14 – [CASTA ua.] Rn. 65[]
  8. etwa EuGH 28.01.2015 – C-417/13 – [Starjakob] Rn. 55 mwN; 9.03.1999 – C-212/97 – [Centros] Rn. 24, Slg. 1999, I-1459; 2.05.1996 – C-206/94 – [Paletta] Rn. 24, Slg. 1996, I-2357[]
  9. ua. EuGH 28.07.2016 – C-423/15 – [Kratzer] Rn. 40; 17.12 2015 – C-419/14 – [WebMindLicenses] Rn. 36 mwN[]
  10. zu der hier einschlägigen Richtlinie 2000/78/EG vgl. EuGH 28.01.2015 – C-417/13 – [Starjakob] Rn. 56 mwN; vgl. iÜ. etwa EuGH 13.03.2014 – C-155/13 – [SICES ua.] Rn. 31 ff.; 16.10.2012 – C-364/10 – [Ungarn/Slowakei] Rn. 58; 21.02.2006 – C-255/02 – [Halifax ua.] Rn. 74 ff., Slg. 2006, I-1609; 21.07.2005 – C-515/03 – [Eichsfelder Schlachtbetrieb] Rn. 39, Slg. 2005, I-7355; 14.12 2000 – C-110/99 – [Emsland-Stärke] Rn. 52 und 53, Slg. 2000, I-11569[]
  11. etwa EuGH 28.07.2016 – C-423/15 – [Kratzer] Rn. 40; 13.03.2014 – C-155/13 – [SICES ua.] Rn. 33; 21.02.2006 – C-255/02 – [Halifax ua.] Rn. 75, aaO[]
  12. ua. EuGH 17.12 2015 – C-419/14 – [WebMindLicenses] Rn. 65 mwN[]
  13. ua. EuGH 26.09.2013 – C-546/11 – [Dansk Jurist- og Økonomforbund] Rn. 23; 8.09.2011 – C-297/10 und – C-298/10 – [Hennigs und Mai] Rn. 49, Slg. 2011, I-7965[]
  14. vgl. EuGH 19.04.2012 – C-415/10 – [Meister] Rn. 33[]
  15. vgl. etwa BAG 18.06.2015 – 8 AZR 848/13 (A), Rn. 24; 24.01.2013 – 8 AZR 429/11, Rn. 63; 13.10.2011 – 8 AZR 608/10, Rn. 56 mwN; 21.07.2009 – 9 AZR 431/08, Rn. 52, BAGE 131, 232[]
  16. vgl. etwa BAG 26.06.2014 – 8 AZR 547/13, Rn. 34 mwN[]
  17. vgl. BAG 21.06.2012 – 8 AZR 364/11, Rn. 33, BAGE 142, 158; 15.03.2012 – 8 AZR 37/11, Rn. 65, BAGE 141, 48[]
  18. vgl. EuGH 25.04.2013 – C-81/12 – [Asociatia ACCEPT] Rn. 55 mwN; 10.07.2008 – C-54/07 – [Feryn] Rn. 32, Slg. 2008, I-5187; BAG 26.09.2013 – 8 AZR 650/12, Rn. 27[]
  19. vgl. etwa BAG 18.09.2014 – 8 AZR 753/13, Rn. 33[]
  20. vgl. etwa BAG 16.02.2012 – 8 AZR 697/10, Rn. 58; 17.08.2010 – 9 AZR 839/08, Rn. 45[]