Das Prozessverhalten des Arbeitnehmeranwalts

Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG hat das Gericht nach erfolgreicher Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Ein Auflösungsgrund für den Arbeitgeber nach § 9 KSchG kann auch in einem Verhalten seines Prozessbevollmächtigten liegen, das der Arbeitnehmer nicht veranlasst hat.

Das Prozessverhalten des Arbeitnehmeranwalts

Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses kommt nach der Konzeption des Gesetzgebers nur ausnahmsweise in Betracht. Dass allerdings auch die während des Kündigungsschutzprozesses auftretenden Spannungen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sinnlos erscheinen lassen können, ist dem Gesetz nicht fremd1.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erwarten ist, ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz2. Der Auflösungsantrag ist trotz seiner nach § 9 Abs. 2 KSchG gesetzlich angeordneten Rückwirkung auf den Kündigungszeitpunkt in die Zukunft gerichtet. Das Gericht hat eine Vorausschau anzustellen.

Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG kommen solche Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Es kommt darauf an, ob die objektive Lage beim Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist3. Als Auflösungsgrund geeignet sind danach etwa Beleidigungen, sonstige ehrverletzende Äußerungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen.

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Auch das Verhalten des Prozessbevollmächtigten des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Dies gilt für vom Arbeitnehmer nicht veranlasste Erklärungen des Prozessbevollmächtigten jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer sich diese zu eigen macht und sich auch nachträglich nicht von ihnen distanziert4. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass gerade Erklärungen im laufenden Kündigungsschutzverfahren durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können5.

Die vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz6 vertretene und auch in der arbeitsrechtlichen Literatur gelegentlich geäußerte Auffassung, nur ein vom Arbeitnehmer veranlasstes Verhalten seines Prozessbevollmächtigten könne als Auflösungsgrund herangezogen werden7, stimmt nicht ausreichend mit den gesetzlichen Vorgaben überein.

Die Auffassung beruht offenbar auf dem Gedanken, den Arbeitnehmer dürfe ein Rechtsnachteil – Verlust des Arbeitsplatzes – grundsätzlich nur dann treffen, wenn er selbst hierzu bewusst eine Ursache gesetzt habe. Das trifft jedoch schon für die Regelung des Gesetzes über die Kündigungsgründe nicht zu. Bei betriebsbedingten Kündigungen liegt der Kündigungsgrund in aller Regel außerhalb des Einflussbereichs des Arbeitnehmers. Dasselbe kann auch bei personenbedingten Kündigungen der Fall sein. Damit kann es auch bei der Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht entscheidend darauf ankommen, ob der Arbeitnehmer den Fortfall der Vertrauensgrundlage selbst verursacht hat.

Allerdings ist sorgfältig zu prüfen, ob das jeweils konkrete Verhalten Dritter geeignet ist, die Vertrauensgrundlage für weitere Zusammenarbeit der Vertragsparteien entfallen zu lassen. Das ist im Allgemeinen nur dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer dieses Verhalten entscheidend veranlasst hat8. Beim Verhalten des Prozessbevollmächtigten des Arbeitnehmers ist dies deshalb anders, weil der Arbeitnehmer sich seiner im Verhältnis zum Arbeitgeber bewusst bedient und Prozessverhalten des Bevollmächtigten dem Arbeitnehmer schon wegen des § 85 ZPO zugerechnet wird. Prozessvortrag des Bevollmächtigten gilt von vornherein als Vortrag der Partei. Tatsächliche Erklärungen des Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung sind für die miterschienene Partei „verpflichtend“, wenn sie die Erklärungen nicht sofort widerruft oder berichtigt (§ 85 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Diese gesetzliche Regelung steht der Annahme entgegen, Prozessvortrag des Arbeitnehmers könne nur dann als Auflösungsgrund berücksichtigt werden, wenn der Arbeitgeber nachweise, dass ein bestimmter – etwa beleidigender – Teil des Prozessvortrags vom Arbeitnehmer entscheidend veranlasst worden sei. Da es um das persönliche Verhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber geht, kann dies auch dadurch belastet werden, dass ein Arbeitnehmer sich seines Bevollmächtigten im Prozess bedient, um den Arbeitgeber durch unfaire und herabsetzende Erklärungen anzugreifen und sich gleichzeitig hinter ihm zu verstecken. Es kommt deshalb darauf an, ob der Arbeitnehmer sich die betreffenden Äußerungen seines Prozessbevollmächtigten zu eigen gemacht und sich auch nachträglich nicht von ihnen distanziert hat.

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 297/09
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  1. BAG 10.07.2008 – 2 AZR 1111/06, Rn. 42 m.w.N., AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163[]
  2. BAG 23.02.2010 – 2 AZR 554/08, Rn. 23 m.w.N., EzA KSchG § 9 nF Nr. 58; 07.03.2002 – 2 AZR 158/01, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 42 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 45[]
  3. BAG 08.10.2009 – 2 AZR 682/08, Rn. 15 m.w.N., EzA KSchG § 9 nF Nr. 57; 07.03.2002 – 2 AZR 158/01, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 42 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 45[]
  4. BAG 10.07.2008 – 2 AZR 1111/06, Rn. 45 m.w.N., AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 9 Rn. 73; Löwisch/Spinner KSchG 9. Aufl. § 9 Rn. 59; HWK/Thies 3. Aufl. § 9 KSchG Rn. 21; HaKo/Fiebig Kündigungsschutzrecht 3. Aufl. § 9 Rn. 68; TLL/Arnold KSchG § 9 Rn. 37; ErfK/Kiel 10. Aufl. § 9 KSchG Rn. 14[]
  5. BAG 23.02.2010 – 2 AZR 554/08, Rn. 31 mwN, EzA KSchG § 9 nF Nr. 58; 10.07.2008 – 2 AZR 1111/06, Rn. 45 m.w.N., aaO[]
  6. LAG Rheinland-Pfalz 03.02.2009 – 3 Sa 643/08[]
  7. vgl. APS/Biebl 3. Aufl. § 9 KSchG Rn. 66; KR/Spilger 9. Aufl. § 9 KSchG Rn. 56; KDZ/Zwanziger 7. Aufl. § 9 KSchG Rn. 21; wohl auch MünchKommBGB/Hergenröder 5. Aufl. § 9 KSchG Rn. 51[]
  8. BAG 14.05.1987 – 2 AZR 294/86, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 18 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 20[]
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