Weiterbeschäftigungsverlangen eines Auszubildendenvertreters – und der Annahmeverzug

Mit dem schriftlichen Verlangen der Weiterbeschäftigung macht ein Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung den Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs im Sinne einer einstufigen tariflichen Ausschlussfrist ausreichend geltend.

Weiterbeschäftigungsverlangen eines Auszubildendenvertreters – und der Annahmeverzug

Dabei konnte es das Bundesarbeitsgericht im hier entschiedenen Fall dahinstehen lassen, ob auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Ausschlussfrist nach § 37 TV-Forst überhaupt Anwendung findet. Denn der TV-Forst gilt nach seinem § 1 Abs. 1 Satz 1 nur für Beschäftigte in forstwirtschaftlichen Verwaltungen, Einrichtungen und Betrieben, die Tätigkeiten in der Waldarbeit ausüben und die in einem Arbeitsverhältnis zu einem Arbeitgeber stehen, der Mitglied der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) oder eines Mitgliedsverbandes der TdL ist. Dabei sind nach Nr. 1 der Protokollerklärung zu § 1 Abs. 1 TV-Forst ua. erfasst Beschäftigte mit erfolgreich abgeschlossener Ausbildung zur Fortwirtin/zum Forstwirt mit entsprechender Tätigkeit.

Der ehemalige Auszubildende, damals Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung beim Staatsbetrieb S – Forstbezirk L, stand aufgrund seines schriftlichen Verlangens auf Weiterbeschäftigung nach bestandener Abschlussprüfung seit dem 24.02.2011 in einem gemäß § 9 Abs. 2 SächsPersVG begründeten unbefristeten Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber. Der TV-Forst enthält zwar an mehreren Stellen – etwa in § 2, § 3 Abs. 1 Satz 1, § 11 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 2 – Regelungen, die auf ein rechtsgeschäftlich begründetes Arbeitsverhältnis zugeschnitten sind. Gleichwohl differenziert § 1 Abs. 1 Satz 1 TV-Forst nicht danach, ob das den Geltungsbereich eröffnende Arbeitsverhältnis durch Vertrag oder kraft Gesetzes begründet worden ist.

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Fraglich ist, ob § 1 Abs. 1 Satz 1 TV-Forst für die Eröffnung des Geltungsbereichs neben dem Bestand eines Arbeitsverhältnisses mit der weiteren Voraussetzung „Beschäftigte (…), die Tätigkeiten in der Waldarbeit ausüben“, die tatsächliche Eingliederung des Arbeitnehmers in den forstwirtschaftlichen Betrieb bzw. die forstwirtschaftliche Verwaltung oder Einrichtung voraussetzt. An einer solchen mangelte es. Denn der Arbeitgeber hat – in Konsequenz seiner Annahme, ein Arbeitsverhältnis sei nicht begründet worden – weder die vom Arbeitnehmer geschuldete Arbeitsleistung aufgrund des Direktionsrechts nach § 106 Satz 1 GewO näher konkretisiert1, noch ihm eine Tätigkeit in der Waldarbeit als auszuübende zugewiesen, obwohl die nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit die Eingruppierung (§ 12 Abs. 1 TV-Forst) und damit die Höhe des Tabellenentgelts (§ 15 Abs. 1 TV-Forst) bestimmt. Damit könnte es auch an einer „entsprechenden Tätigkeit“ iSd. Protokollerklärung Nr. 1 zu § 1 Abs. 1 TV-Forst fehlen.

Das Bundesarbeitsgericht braucht jedoch die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 TV-Forst nicht abschließend zu klären. Denn: War der Arbeitnehmer gehalten, die tarifliche Ausschlussfrist zu beachten, so hat er diese mit dem schriftlichen Verlangen nach § 9 Abs. 2 SächsPersVG gewahrt.

Nach § 37 Abs. 1 TV-Forst verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit von den Beschäftigten oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden, wobei für denselben Sachverhalt die einmalige Geltendmachung des Anspruchs auch für später fällige Leistungen ausreicht.

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Der Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs ist ein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis. Denn § 615 Satz 1 BGB erhält dem Arbeitnehmer trotz Nichtleistung der Arbeit den Vergütungsanspruch aufrecht, unabhängig davon, ob sich dieser aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung aus § 611 Abs. 1 BGB oder – bei Fehlen einer Vergütungsabrede – aus § 612 Abs. 1 BGB ergibt2.

Wie § 1 Abs. 1 Satz 1 TV-Forst differenziert § 37 Abs. 1 TV-Forst nicht danach, ob der Anspruch einem vertraglich vereinbarten oder gesetzlich begründeten Arbeitsverhältnis entspringt.

Im Ergebnis zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, der Arbeitnehmer habe die Ausschlussfrist des § 37 Abs. 1 TV-Forst auch für den in die Revisionsinstanz gelangten Teil des Anspruchs auf Vergütung wegen Annahmeverzugs gewahrt. Mit dem schriftlichen Verlangen der Weiterbeschäftigung nach Personalvertretungs- oder Betriebsverfassungsrecht (§ 9 Abs. 2 BPersVG bzw. entsprechender Bestimmungen der Länder, § 78a Abs. 2 BetrVG) macht ein Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung den Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs im Sinne einer einstufigen tariflichen Ausschlussfrist ausreichend geltend, sofern der Arbeitgeber die gesetzliche Begründung des Arbeitsverhältnisses leugnet3.

Zur Geltendmachung im Sinne tariflicher Ausschlussfristen gehört im Regelfall, die andere Seite zur Erfüllung des Anspruchs aufzufordern. Der Anspruchsinhaber muss unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass er Inhaber einer bestimmten Forderung ist und auf deren Erfüllung besteht. Dabei ist der Anspruch seinem Grunde nach hinreichend deutlich zu bezeichnen und die Höhe des Anspruchs sowie der Zeitraum, für den er verfolgt wird, mit der für den Schuldner notwendigen Deutlichkeit ersichtlich zu machen; die Art des Anspruchs sowie die Tatsachen, auf die der Anspruch gestützt wird, muss zu erkennen sein, während eine Bezifferung nicht stets erforderlich ist4.

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Diesen Regelanforderungen genügen weder das Schreiben des Arbeitnehmers vom 22.02.2011 noch das schriftliche Angebot der Arbeitsleistung durch die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt vom 11.03.2011, sondern erst das Geltendmachungsschreiben vom 02.03.2012. Käme es auf letzteres an, wären die von § 615 Satz 1 BGB aufrechterhaltenen Vergütungsansprüche, die gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 TV-Forst nach Monaten bemessen sind und jeweils nach Ablauf des Monats fällig wurden (§ 614 Satz 2 BGB), bis einschließlich August 2011 verfallen.

Für den Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs nach einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung lässt aber die Rechtsprechung seit Jahrzehnten eine Ausnahme zu. Mit der Kündigungsschutzklage wahrt der Arbeitnehmer eine einstufige bzw. die erste Stufe einer zweistufigen tariflichen Ausschlussfristenreglung für alle vom Ausgang dieses Rechtsstreits abhängigen Ansprüche. Denn mit der Kündigungsschutzklage erstrebt der Arbeitnehmer nicht nur die Erhaltung seines Arbeitsplatzes, sondern bezweckt darüber hinaus, sich die Vergütungsansprüche wegen Annahmeverzugs zu erhalten. Die Ansprüche müssen weder ausdrücklich bezeichnet noch beziffert werden5.

Eine vergleichbare, an den Beginn des Arbeitsverhältnisses verlagerte Situation besteht, wenn der Arbeitgeber einem Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung nach bestandener Abschlussprüfung Beschäftigung und Vergütung verweigert in der Annahme, ein Arbeitsverhältnis sei nicht begründet worden.

Besteht der Auszubildende die Abschlussprüfung, endet das Berufsausbildungsverhältnis mit der Bekanntgabe des Ergebnisses durch den Prüfungsausschuss, § 21 Abs. 2 BBiG. Das Recht, mit dem Verlangen auf Weiterbeschäftigung ein Arbeitsverhältnis zu begründen, erhält dem Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung nicht nur sein Amt bis zum regulären Ablauf der Amtszeit, sondern soll – neben anderen Zwecken6 – auch sicherstellen, dass die weitere Amtsausübung auf gesicherter wirtschaftlicher Grundlage erfolgen kann7. Das Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung muss auf einem der Ausbildung entsprechenden Arbeitsplatz beschäftigt und sowohl hinsichtlich der rechtlichen Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses als auch der Vergütung einem Beschäftigten gleichgestellt werden, den der Arbeitgeber für eine entsprechende Tätigkeit ausgewählt und eingestellt hat8. Abweichend von der Situation nach Ausspruch einer Kündigung durch den Arbeitgeber liegt sogar die Initiativlast für eine gerichtliche Klärung nicht beim Arbeitnehmer, sondern beim Arbeitgeber.

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Damit muss dem Arbeitgeber – auch wenn er die gesetzliche Begründung eines Arbeitsverhältnisses leugnet – klar sein, dass ein Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung mit dem schriftlichen Verlangen auf Weiterbeschäftigung regelmäßig die Begründung eines Arbeitsverhältnisses im erlernten Beruf nicht nur des Amtes willens, sondern auch und gerade deshalb erstrebt, um sich im erlernten Beruf eine Existenzgrundlage aufzubauen und Geld zu verdienen. Damit ist dem Zweck einer einstufigen tariflichen Ausschlussfristenregelung genüge getan, zumal der Arbeitgeber – unabhängig vom Benachteiligungsverbot (§ 8 SächsPersVG) – als tarifgebundener öffentlicher Arbeitgeber wusste, welches Entgelt er dem Arbeitnehmer für eine Tätigkeit im erlernten Beruf schuldet.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. August 2015 – 5 AZR 1000/13

  1. zur Konkretisierungspflicht des Arbeitgebers, vgl. BAG 9.04.2014 – 10 AZR 637/13, Rn. 15 mwN, BAGE 148, 16[]
  2. vgl. allg. zum Begriff des Anspruchs „aus dem Arbeitsverhältnis“ BAG 13.03.2013 – 5 AZR 954/11, Rn. 39 mwN, BAGE 144, 306[]
  3. im Ergebnis ebenso LAG Nürnberg 25.02.2000 – 8 Sa 128/99 31; APS/Künzl 4. Aufl. § 78a BetrVG Rn. 145; Fitting BetrVG 27. Aufl. § 78a Rn. 39[]
  4. vgl. BAG 16.01.2013 – 10 AZR 863/11, Rn. 24 mwN, BAGE 144, 210[]
  5. BAG 19.09.2012 – 5 AZR 627/11, Rn. 14, BAGE 143, 119; st. Rspr. seit BAG 10.04.1963 – 4 AZR 95/62, BAGE 14, 156[]
  6. zu diesen etwa BAG 8.09.2010 – 7 ABR 33/09, Rn. 18; BVerwG 1.10.2013 – 6 P 6/13, Rn. 26 f., BVerwGE 148, 89[]
  7. vgl. BAG 13.11.1987 – 7 AZR 246/87, zu III 3 der Gründe, BAGE 57, 21; Fitting BetrVG 27. Aufl. § 78a Rn. 30; Treber in Richardi/Dörner/Weber Personalvertretungsrecht 4. Aufl. § 9 BPersVG Rn. 46 – jeweils mwN[]
  8. vgl. BVerwG 26.05.2015 – 5 P 9/14, Rn. 11 mwN[]
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