Eine Arbeitnehmerin kann dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die Betriebserwerberin jedenfalls dann nicht mehr wirksam widersprechen, wenn das Widerspruchsrecht bei seiner Ausübung bereits verwirkt ist.

Eine normierte zeitliche Höchstgrenze für die Ausübung des Widerspruchrechts besteht allerdings nicht1. Der Gesetzgeber hat entsprechende Vorschläge im Gesetzgebungsverfahren nicht aufgegriffen2. Ebenso stünde der Wirksamkeit des Widerspruchs nicht entgegen, dass das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich beendet ist3.
Das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers nach § 613a Abs. 6 BGB kann aber, wie jedes Recht, nur unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ausgeübt und deshalb verwirkt werden4.
Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB). Mit ihr wird die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen. Sie beruht auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes und trägt dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit Rechnung. Die Verwirkung verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner bereits dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn dessen Gläubiger seine Rechte längere Zeit nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment). Der Berechtigte muss vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist5.
Zeit- und Umstandsmoment beeinflussen sich wechselseitig. Je stärker das gesetzte Vertrauen oder die Umstände sind, die eine Geltendmachung eines Anspruchs oder eines Rechts für den Gegner unzumutbar machen, desto schneller können diese verwirken6. Bezogen auf die Ausübung des Rechts aus § 613a Abs. 6 BGB gilt umgekehrt, je mehr Zeit seit dem Betriebsübergang verstrichen ist und je länger der Arbeitnehmer bereits für den neuen Inhaber gearbeitet hat, desto geringer sind die Anforderungen an das Umstandsmoment7. Es müssen letztlich besondere Verhaltensweisen sowohl des Berechtigten als auch des Verpflichteten vorliegen, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen8. Die Frage nach einer Verwirkung ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu beantworten9.
Die Beurteilung der Frage, ob ein Anspruch oder ein Recht verwirkt ist, obliegt grundsätzlich den Tatsachengerichten. Das Revisionsgericht prüft lediglich, ob die Vorinstanz die von der Rechtsprechung entwickelten rechtlichen Voraussetzungen der Verwirkung beachtet sowie alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat und ob die Bewertung dieser Gesichtspunkte von den getroffenen tatsächlichen Feststellungen getragen wird10.
Nach diesem Maßstab war im hier entschiedenen Fall für das Bundesarbeitsgericht die Annahme des vorinstanzlich tätigen Landesarbeitsgerichts Düsseldorf11, das Widerspruchsrecht der Arbeitnehmerin sei bei seiner Ausübung im Juni 2019 bereits verwirkt gewesen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden:
Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Arbeitnehmerin zum Zeitpunkt ihres Widerspruchs noch nicht über ihr Arbeitsverhältnis disponiert hatte12. Der Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses erfolgte in der ersten Junihälfte 2019. Ein Auflösungsvergleich mit der Betriebserwerberin wurde erst danach abgeschlossen.
Die weitere Annahme des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf, in der vorliegenden Situation seien Zeit- und Umstandsmoment für eine Verwirkung des Widerspruchsrechts gegeben, lässt keinen revisiblen Rechtsfehler erkennen. Es hat – im Einklang mit den vom Achten Bundesarbeitsgericht des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten Rechtssätzen, zunächst berücksichtigt, dass – wie vorliegend – bei einer Unterrichtung über die „grundlegenden Informationen“ zum Betriebsübergang und einer widerspruchslosen Weiterarbeit des Arbeitnehmers beim Erwerber über einen Zeitraum von sieben Jahren der Widerspruch sich allein aufgrund des Zeitablaufs als mit Treu und Glauben unvereinbar erweisen kann13. Das Landesarbeitsgericht hat aber darüber hinausgehend eine eigenständige Verwirkungsprüfung durchgeführt und im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums rechtsfehlerfrei die Ausübung des Widerspruchsrechts als verwirkt angesehen.
Dabei ist das Landesarbeitsgericht Düsseldorf zu Recht davon ausgegangen, dass es keine Höchst- oder Mindestfrist für die Verwirkung gibt, sondern es hat den von ihm festgestellten Sachverhalt den Merkmalen „Zeitmoment“ und „Umstandsmoment“ zugeordnet und nach einer abschließenden Bewertung angenommen, das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Betriebsveräußerers überwiege im vorliegenden Fall das Interesse der Arbeitnehmerin an einer Ausübung des Widerspruchsrechts. Es hat die verstrichene Zeitdauer von rund acht Jahren in den Blick genommen und als besonders starkes Zeitmoment angesehen. Hinsichtlich des Umstandsmoments – der widerspruchslosen Weiterarbeit nach den „grundlegenden Informationen“ über den Betriebsübergang – hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, dass ihm zwar nur ein geringes Gewicht zukomme, was aber durch das besonders starke Zeitmoment ausgeglichen werde. Dies lässt im Ergebnis keinen revisiblen Rechtsfehler erkennen.
Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat sich auch ausführlich mit der – von der Arbeitnehmerin in den Vordergrund gestellten – Frage des Rückkehrrechts nach § 6 ÜTV befasst, unbeschadet dessen, dass ein Geltungsgrund des ÜTV für das Arbeitsverhältnis der Parteien weder festgestellt noch ersichtlich ist14. Es ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die tarifliche Regelung weder etwas an der Bewertung des Zeitmoments ändere, noch, dass sie zum Entfallen des Umstandsmoments führe. Dabei hat es die von der Rechtsprechung entwickelten rechtlichen Voraussetzungen der Verwirkung beachtet sowie alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt. Deren Bewertung wird von den getroffenen tatsächlichen Feststellungen getragen. Auch die Arbeitnehmerin zeigt mit ihrer Revision keine diesbezüglichen Rechtsfehler auf.
Zwischen dem bei einer betriebsbedingten Kündigung durch die Betriebserwerberin bestehenden Rückkehrrecht – die Geltung des ÜTV zugunsten der Arbeitnehmerin unterstellt – und dem Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 BGB besteht kein Zusammenhang. Die Tarifnorm des § 6 ÜTV hat weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht Einfluss auf das durch die widerspruchslose Weiterarbeit in Kenntnis der „grundlegenden Informationen“ über den Betriebsübergang begründete Umstandsmoment. Beide Regelungen unterscheiden sich in den tatbestandlichen Voraussetzungen und den Rechtsfolgen. Das tarifliche Rückkehrrecht besteht nur aus besonderen Gründen, während die Ausübung des Widerspruchsrechts an keine normierten Bedingungen geknüpft ist. Rechtsfolge des Rückkehrrechts wäre nach § 6 Abs. 2 Unterabs. 2 ÜTV eine Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Betriebsveräußerer, während ein wirksamer Widerspruch nach § 613a Abs. 6 BGB das „alte“ Arbeitsverhältnis ex tunc weiterbestehen ließe15. Die tarifliche und die gesetzliche Regelung betreffen jeweils unterschiedliche Interessenlagen. Mit dem Widerspruchsrecht soll der Arbeitnehmer davor geschützt werden, dass er einen Arbeitgeber bekommt, den er nicht will. Das Rückkehrrecht ist hingegen eine Sicherheit insbesondere für den Fall, dass der neue Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus betrieblichen Erfordernissen beendet. Die darauf gestützte Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Betriebsveräußerer habe bereits seit dem 9.06.2011 aufgrund der widerspruchslosen Weiterarbeit der Arbeitnehmerin bei der Betriebserwerberin auf eine künftige Nichtausübung des Widerspruchsrechts vertrauen können, ist daher rechtlich nicht zu beanstanden.
Gegen ein „Hinausschieben“ des Zeitmoments aufgrund der Tarifregelung in § 6 ÜTV spricht zudem, dass die Arbeitnehmerin dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses schon während der Dauer des Rückkehrrechts begründungslos hätte widersprechen können. Insofern trifft ihre mit der Revision vertiefte Ansicht nicht zu, dass die Frage des Bestehens eines Widerspruchsrechts eine schwierig zu klärende Frage sei, so dass vorrangig das Rückkehrrecht ausgeübt werden würde und deshalb abgelaufen sein müsse, bevor das Zeitmoment für eine Verwirkung des Widerspruchsrechts zu laufen beginne. Während das Widerspruchsrecht an keine weiteren Bedingungen geknüpft ist, war für die betroffenen Arbeitnehmer ungewiss, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für das Rückkehrrecht eintreten werden. Im Übrigen ist das Bestehen eines Widerspruchsrechts nicht schwieriger zu beurteilen als die Frage, ob eine Kündigung – in Wahrheit – auf „betrieblichen Erfordernissen“ beruht und ob mit der tariflichen Regelung – die sich ausdrücklich auf § 1 KSchG bezieht – auch außerordentliche Kündigungen tariflich „unkündbarer“ Arbeitnehmer nach § 626 BGB mit Auslauffrist erfasst werden.
Die weitere Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Berufung des Betriebsveräußerers auf die Verwirkung des Widerspruchsrechts sei nicht treuwidrig, hält ebenso einer revisionsrechtlichen Prüfung stand. Dabei bedarf es vorliegend keiner vertieften Betrachtung, ob diese Frage eine – erneute – eigenständige Prüfung von § 242 BGB veranlasst oder vom Landesarbeitsgericht Düsseldorf im Rahmen der von ihm durchgeführten Zumutbarkeitsprüfung bei der Verwirkung zu behandeln gewesen wäre.
Die Würdigung der Tatsachengerichte, ob bei einer bestimmten Sachlage ein Verstoß gegen § 242 BGB und damit eine unzulässige Rechtsausübung vorliegt, ist in der Revisionsinstanz als Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs nur eingeschränkt überprüfbar16.
Das Landesarbeitsgericht hat sich umfassend mit dem Einwand der Arbeitnehmerin auseinandergesetzt, der Betriebsveräußerer habe von Anfang an geplant, die Betriebserwerberin nach Ablauf von acht Jahren in die Insolvenz zu treiben, um sich so teurer und tariflich unkündbarer Arbeitnehmer zu entledigen. Seine Annahme, das Verhalten des Betriebsveräußerers sei nicht treuwidrig, lässt erneut keinen revisiblen Rechtsfehler erkennen. Ein solcher wird auch von der Arbeitnehmerin nicht aufgezeigt.
Der in der Revisionsinstanz gehaltene Vortrag, das Unterrichtungsschreiben enthalte bewusste und gezielte Fehlinformationen in Bezug auf eine Insolvenzgefährdung der Betriebserwerberin, um die Arbeitnehmer von der Ausübung ihres Widerspruchsrechts abzuhalten, wird nicht von den für das Bundesarbeitsgericht nach § 559 Abs. 2 ZPO bindenden Feststellungen im Berufungsurteil gestützt. Im Übrigen hat sich das Landesarbeitsgericht ausführlich mit dem Einwand der Arbeitnehmerin auseinandergesetzt, der Betriebsveräußerer habe von Anfang an eine Insolvenz der Betriebserwerberin geplant, ohne allerdings hierfür Anzeichen zu sehen. Damit hat es jedenfalls inzident eine bewusste Fehlinformation der Arbeitnehmer in Bezug auf eine beabsichtigte Insolvenz verneint.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22. Juli 2021 – 1 AZR 591/20
- vgl. BAG 28.06.2018 – 8 AZR 100/17, Rn. 31[↩]
- vgl. BT-Drs. 14/8128 S. 4; BR-Drs. 831/1/01 S. 2[↩]
- BAG 21.01.2010 – 8 AZR 870/07, Rn. 17; 20.03.2008 – 8 AZR 1016/06, Rn. 37[↩]
- st. Rspr., zuletzt BAG 28.02.2019 – 8 AZR 201/18, Rn. 66 ff., BAGE 166, 54[↩]
- vgl. BAG 28.06.2018 – 8 AZR 100/17, Rn. 16[↩]
- BAG 24.07.2008 – 8 AZR 175/07, Rn. 27[↩]
- BAG 22.06.2011 – 8 AZR 752/09, Rn. 30[↩]
- vgl. BAG 28.06.2018 – 8 AZR 100/17, Rn. 17; 17.10.2013 – 8 AZR 974/12, Rn. 27[↩]
- vgl. BAG 17.10.2013 – 8 AZR 974/12, Rn. 29; 22.06.2011 – 8 AZR 752/09, Rn. 33[↩]
- vgl. BAG 28.02.2019 – 8 AZR 201/18, Rn. 69, BAGE 166, 54[↩]
- LAG Düsseldorf 18.11.2020 – 4 Sa 397/20[↩]
- vgl. hierzu BAG 28.02.2019 – 8 AZR 201/18, Rn. 84 f., BAGE 166, 54; 17.10.2013 – 8 AZR 974/12, Rn. 31 ff.[↩]
- vgl. BAG 28.02.2019 – 8 AZR 201/18, Rn. 81 f., BAGE 166, 54; 28.06.2018 – 8 AZR 100/17, Rn.19 ff.; grundlegend BAG 24.08.2017 – 8 AZR 265/16, Rn. 24 ff., BAGE 160, 70[↩]
- vgl. zu dem Erfordernis einer Feststellung des Geltungsgrundes für den Tarifvertrag BAG 24.10.2019 – 2 AZR 158/18, Rn. 10 ff., BAGE 168, 238[↩]
- vgl. BAG 11.12.2014 – 8 AZR 943/13, Rn. 34; 16.04.2013 – 9 AZR 731/11, Rn. 26, BAGE 145, 8[↩]
- vgl. BAG 10.09.2020 – 6 AZR 94/19 (A), Rn.20; 19.03.2019 – 9 AZR 881/16, Rn.20[↩]