Der Anspruch des Arbeitnehmers auf den gesetzlichen Mindesturlaub unterliegt gemäß § 194 Abs. 1 BGB der Verjährung.

Bei der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung der § 199 Abs. 1 BGB, §§ 1, 3 Abs. 1, § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BUrlG beginnt die Verjährung allerdings nicht zwangsläufig mit dem Schluss des Jahres, in dem der Urlaubsanspruch entstanden ist und der Arbeitnehmer über die in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB beschriebene Kenntnis verfügt. Zusätzlich ist erforderlich, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen. Die Vorgaben des Unionsrechts, die der Gerichtshof der Europäischen Union in seiner Entscheidung vom 22.09.20221 präzisiert hat, bedingen einen „anderen Verjährungsbeginn“ im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB.
Nach § 7 Abs. 4 BUrlG ist Urlaub abzugelten, der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann.
Die aus den einzelnen Urlaubsjahren resultierenden Urlaubsansprüche sind nicht am Ende des jeweiligen Kalenderjahres verfallen. Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub unterlag keiner Befristung nach § 7 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 BUrlG. Der Arbeitgeber ist den ihn bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs treffenden Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachgekommen. Dies gilt sowohl für die Ansprüche der Arbeitnehmerin auf den gesetzlichen Mindesturlaub nach §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG als auch für die arbeitsvertraglichen Ansprüche auf Mehrurlaub.
Für den gesetzlichen Mindesturlaub iSd. §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG schreibt § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG vor, dass der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erlischt der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub (§§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG) bei einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG im Einklang stehenden Auslegung von § 7 BUrlG nur dann am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 2 und Satz 4 BUrlG), wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Der Arbeitgeber muss daher konkret und in völliger Transparenz dafür sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Er muss ihn – erforderlichenfalls förmlich – dazu auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub verfällt, wenn er ihn nicht nimmt. Die Erfüllung dieser Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers ist grundsätzlich Voraussetzung für das Eingreifen der urlaubsrechtlichen Fristenregelung des § 7 Abs. 3 BUrlG2.
Im hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall hat der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin weder darauf hingewiesen, dass ihr Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub grundsätzlich auf das Urlaubsjahr befristet ist und nur unter den in § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG bezeichneten Voraussetzungen über das Kalenderjahr hinaus besteht, noch hat er sie aufgefordert, den Urlaub tatsächlich zu nehmen, um einen Verfall des Urlaubs zu vermeiden.
Soweit der Arbeitgeber geltend macht, im Streitfall träfen ihn keine Mitwirkungsobliegenheiten, da die Arbeitnehmerin um die Befristung ihrer Urlaubsansprüche gewusst habe, verkennt er, dass die Initiativlast für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG nicht den Arbeitnehmer – im Streitfall die Arbeitnehmerin – traf, sondern allein ihn als Arbeitgeber3. Diese Risikoverteilung, die der unionsrechtkonformen Auslegung der Befristungsregelungen zugrunde liegt, gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer von den gesetzlichen Befristungsregelungen Kenntnis hat.
Die für den gesetzlichen Mindesturlaub geltenden Grundsätze finden auch auf den arbeitsvertraglichen Urlaub Anwendung.
Während der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub arbeitsvertraglichen Dispositionen entzogen ist, die sich zuungunsten des Arbeitnehmers auswirken (§ 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG), können die Arbeitsvertragsparteien Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Ihre Regelungsbefugnis ist nicht durch die für gesetzliche Urlaubsansprüche erforderliche unionsrechtskonforme Auslegung des Gesetzesrechts beschränkt. Für einen Regelungswillen der Arbeitsvertragsparteien, dass der vertragliche Mehrurlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder am Ende des Übertragungszeitraums unabhängig davon verfallen soll, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten entsprochen hat, müssen deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen solche, ist von einem diesbezüglichen Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf vertraglichen Mehrurlaub auszugehen4.
Die urlaubsrechtlichen Regelungen im Arbeitsvertrag betreffen allein den Umfang des der Arbeitnehmerin zustehenden Jahresurlaubs. Die Parteien haben weder die Initiativlast noch die Mitwirkungsobliegenheiten abweichend von den gesetzlichen Bestimmungen ausgestaltet.
Der Einwand des Arbeitgebers, er habe von seinen Mitwirkungsobliegenheiten zum damaligen Zeitpunkt keine Kenntnis haben können und genieße deshalb Vertrauensschutz, verhilft der Revision nicht zum Erfolg.
Die Möglichkeiten der nationalen Gerichte zur Gewährung von Vertrauensschutz sind – im Anwendungsbereich des Unionsrechts – unionsrechtlich vorgeprägt und begrenzt. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat über die mit Beschluss vom 13.12.20165 gestellten Vorlagefragen des Bundesarbeitsgerichts mit Urteil vom 06.11.20186 entschieden. Er hat die Geltung der von ihm vorgenommenen Auslegung von Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG – wie von Art. 31 Abs. 2 GRC – nicht aus Gründen eines unionsrechtlichen Vertrauensschutzes in zeitlicher Hinsicht eingeschränkt und eine zeitliche Geltungsbeschränkung damit implizit abgelehnt. Eine richtlinienkonforme Auslegung von § 7 BUrlG kann das Bundesarbeitsgericht nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes nach nationalem Recht auf einen Zeitpunkt nach Inkrafttreten von Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG verschieben7.
Die unionsrechtlichen Begrenzungen der Gewährung von Vertrauensschutz betreffen zwar allein den gesetzlichen Urlaubsanspruch von vier Wochen. Sie sind jedoch auch für den arbeitsvertraglichen Urlaubsanspruch zu beachten, soweit der Arbeitsvertrag – wie im Streitfall der Arbeitsvertrag der Parteien – die Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers im Zusammenhang mit der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs nicht abweichend von den Bestimmungen für den gesetzlichen Urlaubsanspruch regelt.
Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht erkannt, dass der Arbeitgeber nicht nach § 214 Abs. 1 BGB berechtigt war, die Erfüllung der Urlaubsansprüche wegen Eintritts der Verjährung zu verweigern. Die Urlaubsansprüche aus den Zeiträumen vor dem Jahr 2015, deren Abgeltung die Arbeitnehmerin begehrt, sind nicht verjährt. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB war zu dem Zeitpunkt, in dem das Arbeitsverhältnis der Parteien endete, noch nicht abgelaufen. Nach der unionsrechtskonformen Auslegung des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB beginnt die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten im Zusammenhang mit der Gewährung und Inanspruchnahme des gesetzlichen Mindesturlaubs erfüllt hat. Dasselbe gilt für den arbeitsvertraglichen Mehrurlaub, wenn die Parteien – wie im Streitfall – nichts Abweichendes vereinbart haben.
Gemäß § 194 Abs. 1 BGB unterliegt das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen, der Verjährung. Soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist, die nach § 195 BGB drei Jahre beträgt, mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den Umständen, die den Anspruch begründen, und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).
Mit Beschluss vom 29.09.20208 hat das Bundesarbeitsgericht den EuGH um Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV über die Frage ersucht, ob das Unionsrecht die Verjährung des Urlaubsanspruchs nach Ablauf der regelmäßigen Verjährungsfrist gemäß § 194 Abs. 1, § 195 BGB gestattet, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht durch entsprechende Aufforderung und Hinweise tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch auszuüben. In diesem Zusammenhang hat das Bundesarbeitsgericht darauf hingewiesen, das Verjährungsrecht bezwecke den angemessenen Ausgleich zwischen dem Schutz des Schuldners vor einer drohenden Beweisnot und möglichem Verlust von Regressansprüchen gegen Dritte und der Notwendigkeit, den Gläubiger vor einem ungerechtfertigten Anspruchsverlust zu bewahren. Der Schuldner bzw. Nichtschuldner, der mit der Rechtsverteidigung regelmäßig warten müsse, bis der Gläubiger ihn in Anspruch nehme, trage für anspruchshemmende und anspruchsvernichtende Tatsachen in höherem Maße das Risiko zeitablaufbedingter Unaufklärbarkeit als der Gläubiger, der sich gegen Beweisnöte durch die rechtzeitige Geltendmachung des Anspruchs oder entsprechende Beweissicherung schützen könne. Die Anspruchsverjährung sei vor allem Ausdruck des vom Gesetzgeber verfolgten Ziels, Rechtsfrieden und Rechtssicherheit herzustellen. Das Gebot der Rechtssicherheit als wesentlicher Bestandteil des in Art.20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips und das Gebot des Vertrauensschutzes gewährleisteten im Zusammenwirken mit den Grundrechten die Verlässlichkeit der Rechtsordnung. Die Verjährungsvorschriften sollten nicht nur eine Inanspruchnahme aus unbekannten oder unerwarteten Forderungen vermeiden, sondern dienten gleichermaßen dem Schutz vor unbegründeten Forderungen und sicherten damit zugleich öffentliche Interessen.
Der EuGH hat durch Urteil vom 22.09.20229 entschieden, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, den ein Arbeitnehmer für einen Bezugszeitraum erworben hat, nach Ablauf einer Frist von drei Jahren verjährt, deren Lauf mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem dieser Anspruch entstanden ist, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht tatsächlich in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch wahrzunehmen. Der Zweck der Verjährungsvorschriften, die Gewährleistung von Rechtssicherheit, dürfe nicht dazu führen, dass dem Arbeitgeber aus seinem Versäumnis, seinen Mitwirkungsobliegenheiten zu genügen, ein Vorteil erwachse, der darin bestehe, dass die Erfüllung des Urlaubsanspruchs in sein Belieben gestellt sei. Wollte man anders entscheiden, führte dies zu einer unrechtmäßigen Bereicherung des Arbeitgebers und liefe dem Ziel von Art. 31 Abs. 2 GRC zuwider, die Gesundheit des Arbeitnehmers zu schützen.
Die nationalen Gerichte sind gehalten, das nationale Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen, um das dort festgelegte Ziel zu erreichen und damit den Anforderungen des Art. 288 Abs. 3 AEUV nachzukommen10.
267 AEUV weist dem Gerichtshof zur Verwirklichung der Verträge über die Europäische Union, der Rechtssicherheit und der Rechtsanwendungsgleichheit sowie einer einheitlichen Auslegung und Anwendung des Unionsrechts die Aufgabe der verbindlichen Auslegung der Verträge und Richtlinien zu. Daraus folgt, dass die nationalen Gerichte die Unionsvorschrift in dieser Auslegung (grundsätzlich) auch auf Rechtsverhältnisse anwenden können und müssen, die vor Erlass der auf das Auslegungsersuchen ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs entstanden sind11.
Allerdings unterliegt der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts Schranken. Die Pflicht zur Verwirklichung eines Richtlinienziels im Wege der Auslegung findet ihre Grenzen an dem nach innerstaatlicher Rechtstradition methodisch Erlaubten. Sie darf nicht als Grundlage für eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem dienen. Besteht jedoch ein Auslegungsspielraum, ist das nationale Gericht verpflichtet, diesen zur Verwirklichung des Richtlinienziels bestmöglich auszuschöpfen. Ob und inwieweit das innerstaatliche Recht eine entsprechende richtlinienkonforme Auslegung zulässt, haben allein die nationalen Gerichte zu beurteilen12.
Der Anspruch des Arbeitnehmers auf den gesetzlichen Mindesturlaub unterliegt zwar grundsätzlich der Verjährung. Bei der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung beginnt die Verjährung allerdings nicht zwangsläufig mit dem Schluss des Jahres, in dem der Urlaubsanspruch entstanden ist und der Arbeitnehmer über die in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB beschriebene Kenntnis verfügt. Zusätzlich ist erforderlich, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen. Die Vorgaben des Unionsrechts, die der EuGH in seiner Entscheidung vom 22.09.20229 präzisiert hat, bedingen bei unionsrechtskonformer Auslegung der §§ 1, 3 Abs. 1, § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BUrlG einen „anderen Verjährungsbeginn“ iSd. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB.
Der Anspruch des Arbeitnehmers auf den gesetzlichen Mindesturlaub unterliegt der Verjährung. Nach §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitnehmer für einen Zeitraum von 24 Werktagen zu Erholungszwecken von der vertraglichen Verpflichtung zur Arbeitsleistung freizustellen und die Vergütung nach Maßgabe des § 11 BUrlG fortzuzahlen. Dieses Recht des Arbeitnehmers als Gläubiger ist auf ein Tun des Arbeitgebers als Schuldner gerichtet und damit Anspruch iSd. § 194 Abs. 1 BGB.
Nach allgemeinen Grundsätzen ist ein Anspruch iSv. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstanden, wenn er erstmals geltend gemacht und notfalls klageweise durchgesetzt werden kann. Regelmäßig entsteht ein Anspruch im verjährungsrechtlichen Sinne, wenn er nach § 271 BGB fällig ist, weil der Gläubiger von diesem Zeitpunkt an nach § 271 Abs. 2 BGB mit Erfolg die Leistung fordern und den Ablauf der Verjährungsfrist durch Klageerhebung verhindern kann13. Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub entsteht nach Ablauf der Wartezeit (§ 4 BUrlG) zu Beginn eines jeden Urlaubsjahres14. Zu diesem Zeitpunkt kann der Arbeitnehmer von dem Arbeitgeber verlangen, ihm Urlaub zu gewähren, dh. ihn unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freizustellen15.
Die von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB geforderte Kenntnis des Gläubigers ist vorhanden, wenn er aufgrund der ihm bekannten Tatsachen gegen eine bestimmte Person Klage, sei es auch nur eine Feststellungsklage, erheben kann, die bei verständiger Würdigung so viel Erfolgsaussicht hat, dass sie dem Gläubiger zumutbar ist. Der Verjährungsbeginn setzt aus Gründen der Rechtssicherheit und Billigkeit grundsätzlich nur die Kenntnis der den Anspruch begründenden Umstände voraus. Nicht erforderlich ist es in der Regel, dass der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht16.
Die Vorgaben des Unionsrechts, die der EuGH in seiner Entscheidung vom 22.09.20229 konkretisiert hat, erfordern bei unionsrechtskonformer Auslegung der §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG einen „anderen Verjährungsbeginn“ iSd. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB, soweit der Anspruch des Arbeitnehmers auf den unionsrechtlich garantierten Mindesturlaub in Rede steht. Die Verjährung beginnt danach erst, wenn der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten bei der tatsächlichen Gewährung von Urlaub nachgekommen ist.
Durch das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts vom 24.09.200917, das mit Wirkung zum 1.01.2010 in Kraft getreten ist, wurde die bis dahin geltende Fassung des § 199 Abs. 1 BGB um den Restriktivsatz „soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist“ ergänzt. Der Gesetzgeber hat damit klargestellt, dass für die Regelverjährung ein von Abs. 1 abweichender Fristbeginn vorgesehen werden kann18. Abweichende „Sonderregelungen“19 können entweder positiv einen anderen Verjährungsbeginn festlegen20 oder negativ vorsehen, dass die Verjährung nicht vor dem Eintritt bestimmter Umstände beginnt.
Eine solche anderweitige Bestimmung des Verjährungsbeginns sieht das BUrlG für den Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub vor.
Das Bundesurlaubsgesetz regelt die Verjährung von Urlaubsansprüchen nicht ausdrücklich. Die Vorschriften des § 7 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 BUrlG bestimmen Verfalls, nicht aber Verjährungsfristen. Die Rechtswirkungen beider Rechtsinstitute unterscheiden sich. Während der Ablauf des in § 7 Abs. 3 BUrlG vorgesehenen Bezugs- bzw. Übertragungszeitraums rechtsvernichtende Wirkung hat und von Amts wegen zu berücksichtigen ist, gibt die Verjährung dem Schuldner gemäß § 214 BGB eine Einrede und hindert damit die Durchsetzung der rechtlich fortbestehenden Forderung21.
Der Anspruch auf Mindesturlaub ist Fristen unterworfen. Dies sind zum einen die Verfallfristen, die der Arbeitnehmer gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 BUrlG zu beachten hat, und zum anderen die Verjährungsfristen, die § 194 Abs. 1, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB für die Durchsetzbarkeit des Urlaubsanspruchs bestimmen. Bei einer unionsrechtskonformen Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB hängt nicht nur der Lauf der Verfallfristen, sondern auch der Lauf der Verjährungsfristen, soweit der gesetzliche Mindesturlaub (§§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG) betroffen ist, davon ab, dass der Arbeitgeber seiner Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubs gerecht wird und seinen Hinweis- und Mitwirkungsobliegenheiten nachkommt.
Die unionsrechtlich gebotenen Mitwirkungshandlungen unterstützen den vom Bundesurlaubsgesetz intendierten Gesundheitsschutz, der durch die tatsächliche Inanspruchnahme der bezahlten Arbeitsbefreiung gefördert wird. Wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über den Umfang des noch bestehenden Urlaubs informiert, ihn auf die für die Urlaubnahme maßgebenden Fristen hinweist und ihn zudem auffordert, den Urlaub tatsächlich in Anspruch zu nehmen, wird ein verständiger Arbeitnehmer seinen Urlaub typischerweise fristgerecht beantragen (vgl. zu § 7 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 BUrlG BAG 19.02.2019 – 9 AZR 321/16, Rn. 41). Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich bei der Frist um eine Verfallsfrist handelt oder die Frist allein die Durchsetzbarkeit des Urlaubsanspruchs zeitlich beschränkt.
Dem steht der Zweck des Verjährungsrechts nicht entgegen. Sowohl das öffentliche Interesse an Rechtssicherheit als auch das Interesse des Arbeitgebers, nach Ablauf der Verjährungsfristen nicht befürchten zu müssen, von dem Arbeitnehmer in Anspruch genommen zu werden, treten im laufenden Arbeitsverhältnis nach der für das Bundesarbeitsgericht bindenden Auslegung der unionsrechtlichen Vorgaben in Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC hinter dem Ziel des Gesundheitsschutzes zurück.
Die Befristung wie auch die Durchsetzbarkeit von Urlaubsansprüchen im laufenden Arbeitsverhältnis beruht demnach – ungeachtet der dogmatischen Unterschiede beider Rechtsinstitute – auf einer Risikoverteilung zwischen dem Arbeitgeber als Schuldner des Urlaubsanspruchs und dem Arbeitnehmer als dessen Gläubiger. Zunächst obliegt es dem Arbeitgeber, an der Gewährung von Urlaub mitzuwirken, indem er seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten erfüllt. Erst dann wechselt das Risiko, ob der Urlaub bei Untätigkeit des Arbeitnehmers noch zu gewähren ist bzw. noch in Anspruch genommen werden kann; vom Arbeitgeber auf den Arbeitnehmer. Dies gilt sowohl für die in § 7 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 BUrlG geregelte Befristung des Urlaubsanspruchs als auch für die Fristen, die § 194 Abs. 1, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB für die Verjährung und damit für die Durchsetzbarkeit des Urlaubsanspruchs vorsehen.
Die Regelungen in §§ 1, 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG, aus denen bei richtlinienkonformer Auslegung die Initiativlast des Arbeitgebers bei der Gewährung und Inanspruchnahme des gesetzlichen Mindesturlaubs und die Mitwirkungsobliegenheiten abzuleiten sind, sind als Bestimmungen iSv. § 199 Abs. 1 BGB, die einen anderen Verjährungsbeginn bestimmen, auch auf den arbeitsvertraglichen Mehrurlaub anzuwenden. Haben die Parteien – wie vorliegend – hinsichtlich des Mehrurlaubs weder die Initiativlast des Arbeitgebers noch die Mitwirkungsobliegenheiten abweichend von den gesetzlichen Bestimmungen ausgestaltet, finden auch für jenen die Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes – in seiner richtlinienkonformen Auslegung – Anwendung. Dies hat zur Folge, dass der Mehrurlaub in verjährungsrechtlicher Hinsicht das Schicksal des gesetzlichen Urlaubs teilt. Zwischen beiden Ansprüchen besteht in diesem Fall ein verjährungsrechtlicher „Gleichlauf“. Dieser Gleichlauf bewirkt, dass die Verjährungsfrist auch für den vertraglichen Urlaubsanspruch der Arbeitnehmerin erst mit Schluss des Jahres beginnen konnte, in dem der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten erfüllte.
Im Hinblick auf den Urlaub wurde die Verjährungsfrist von dem Arbeitgeber nicht in Gang gesetzt. Er hat die Arbeitnehmerin im Verlauf des Arbeitsverhältnisses weder aufgefordert, ihren Urlaub zu nehmen, noch darauf hingewiesen, dass nicht beantragter Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfallen kann.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. Dezember 2022 – 9 AZR 266/20
- EuGH, Urteil vom 22.09.2022 – C-120/21[↩]
- vgl. im Einzelnen BAG 19.02.2019 – 9 AZR 423/16, Rn. 21 ff., BAGE 165, 376[↩]
- vgl. BAG 19.02.2019 – 9 AZR 423/16, Rn. 21, BAGE 165, 376[↩]
- BAG 25.06.2019 – 9 AZR 546/17, Rn. 21[↩]
- EuGH 13.12.2016 – 9 AZR 541/15 (A) [↩]
- EuGH 06.11.2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften][↩]
- vgl. BAG 26.05.2020 – 9 AZR 259/19, Rn. 29, unter Hinweis auf BVerfG 10.12.2014 – 2 BvR 1549/07, Rn. 40[↩]
- BAG 29.09.2020 – 9 AZR 266/20 (A), BAGE 172, 337[↩]
- EuGH 22.09.2022 – C-120/21[↩][↩][↩]
- vgl. EuGH 6.11.2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 58 f.[↩]
- vgl. BVerfG 10.12.2014 – 2 BvR 1549/07, Rn. 26[↩]
- vgl. BVerfG 26.09.2011 – 2 BvR 2216/06, 2 BvR 469/07, Rn. 47; BAG 19.02.2019 – 9 AZR 423/16, Rn.19, BAGE 165, 376[↩]
- vgl. BAG 29.09.2020 – 9 AZR 266/20 (A), Rn. 30, BAGE 172, 337[↩]
- vgl. BAG 21.02.2012 – 9 AZR 486/10, Rn. 14[↩]
- vgl. BAG 25.08.2020 – 9 AZR 612/19, Rn. 22, BAGE 172, 66[↩]
- vgl. im Einzelnen BAG 29.09.2020 – 9 AZR 266/20 (A), Rn. 31, BAGE 172, 337[↩]
- BGBl. I S. 3142[↩]
- vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung BT-Drs. 16/8954 S. 14[↩]
- PWW/Deppenkemper BGB 17. Aufl. § 199 Rn. 1[↩]
- vgl. die Übersicht bei Bamberger/Roth/Hau/Poseck/Henrich BGB 4. Aufl. § 199 Rn. 1[↩]
- vgl. BAG vom 29.09.2020 – 9 AZR 266/20 (A), Rn. 45, BAGE 172, 337[↩]
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