Der Anspruch auf Zusendung eines nicht gefalteten Arbeitszeugnisses

Der Arbeitnehmer hat einen Anspruch darauf; vom Arbeitgeber ein ungeknicktes/ungefaltetes Zeugnis zu erhalten1. Dies gilt auch dann, wenn sich die grundsätzliche Holschuld aus vom Arbeitgeber zu vertretenden Gründen in eine Schickschuld gewandelt hat.

Der Anspruch auf Zusendung eines nicht gefalteten Arbeitszeugnisses

Zwar ist die Zeugnisschuld grundsätzlich eine Holschuld2. Indes wird aus der Holschuld eine Schickschuld, wenn die Abholung für den Arbeitnehmer unzumutbar ist2. Dies gilt erst recht, wenn der Arbeitgeber die Abholung durch den Arbeitnehmer unmöglich macht. Dies war im hier entschiedenen Streitfall gegeben: Die Arbeitgeberin hat ihre Arbeitnehmer nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Arbeitnehmerin angewiesen, der Arbeitnehmerin nach Ausspruch der Kündigung, jedenfalls aber nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, keinen Zugang zu den Geschäftsräumen zu gewähren. Der Arbeitnehmerin ist damit ein faktisches Hausverbot erteilt werden, die Abholung des Zeugnisses beim Arbeitgeber ist ihr aus in dessen Sphäre liegender Umstände unmöglich.

Ist die Arbeitgeberin hiernach verpflichtet, der Arbeitnehmerin das Zeugnis zuzusenden, berechtigt das die Arbeitgeberin gleichwohl nicht dazu, dem Zeugnis ein Anschriftenfeld voranzustellen. Der auf einem Briefbogen vorgesehene Platzhalter für ein Anschriftenfeld hat frei zu bleiben3.

Die Arbeitgeberin ist schließlich auch verpflichtet, der Arbeitnehmerin das Zeugnis ungeknickt – mithin im Format DIN-A4 in einem entsprechenden Umschlag – zuzusenden.

Das Arbeitsgericht Kiel folgt dabei ausdrücklich nicht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. In einer Entscheidung aus dem Jahre 1999 hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass der zur Zeugniserteilung verpflichtete Arbeitgeber seine Schuld auch dann erfüllt, wenn er das Arbeitszeugnis geknickt bzw. gefaltet zur Verfügung stellt, solange sichergestellt ist, dass saubere Kopien angefertigt werden können4.

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Für das Arbeitsgericht Kiel scheint zweifelhaft, ob an dieser Rechtsprechung auch nach beinahe zwanzig Jahren noch festzuhalten sein wird. Dabei ist zunächst zu bedenken, dass Zeugnisse in Zeiten elektronischer Bewerbungen nicht kopiert, sondern durch technische Hilfsmittel gescant oder fotografiert und sodann gespeichert und verwendet werden. Das Scannen/Fotografieren eines geknickten Zeugnisses führt jedoch im Regelfall zu einer schlechteren Lesbarkeit im Vergleich zu einem Scan oder einem Foto eines ungeknickten Blattes. Die Einreichung von so unsauber erfassten elektronischen Dokumenten ist potenziell geeignet, beim künftigen Arbeitgeber – ähnlich wie Rechtschreibfehler im Anschreiben – unabhängig vom Inhalt des Textes eine weniger positive Grundeinstellung einem Bewerber gegenüber zu begründen.

Im Übrigen droht durch das Knicken/Falten stets – worauf auch das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung hinweist, dass einzelne Zeilen nicht oder schlecht lesbar sein können, insbesondere, wenn hiervon Kopien, Scans oder Fotografien angefertigt werden. Der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgend hinge es stets von den Umständen des Einzelfalls ab, ob der Arbeitnehmer in einem – unter Umständen nur deshalb zu führenden Zeugnisrechtsstreit – die (erneute) ungeknickte Zurverfügungstellung eines Zeugnisses verlangen kann. Insbesondere im konkreten Fall steht zu befürchten, dass bei einem geknickten Zeugnis weiterer Streit über die erneute Erteilung eines – in Teilen dann möglicherweise behauptet schwerer lesbaren – Zeugnisses droht. Die Arbeitsvertragsparteien sind nicht nur erkennbar im Streit auseinandergegangen und haben über diverse Ansprüche bereits in einem weiteren Verfahren gestritten. Sie streiten darüber hinaus im vorliegenden Rechtsstreit über ein (vermeintlich) erteiltes Zeugnis, das eher den Charakter der Begründung einer verhaltensbedingten Kündigung oder Abmahnung hat.

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Für das Arbeitsgericht Kiel war ungeachtet dieser praktischen Fragen entscheidend, dass ein schützenswertes Interesse des Arbeitgebers daran, ein unstreitig im ungeknickten DIN-A4-Format gedrucktes Blatt Papier zu falten/zu knicken, nicht erkennbar ist, zumal es sich im Regelfall um eine Holschuld handelt. Gleiches gilt, wenn allein aus Gründen, die der Arbeitgeber zu vertreten hat, aus der Holschuld eine Schickschuld wird. Dies ist hier – wie dargelegt – der Fall.

Arbeitsgericht Kiel, Urteil vom 6. März 2018 – 1 Ca 1712/17

  1. entgegen BAG 21.09.1999 – 9 AZR 893/98[]
  2. BAG, Urteil v. 08.03.1995 – 5 AZR 848/93[][]
  3. LAG Hessen, Beschluss v. 21.10.2014 – 12 Ta 375/14[]
  4. BAG, Urteil v. 21.09.1999 – 9 AZR 893/98[]

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