Die unanfechtbare Entscheidung des für den Verleiher zuständigen Versicherungsträgers, in der der Unfall eines – auf Grund eines wirksamen Vertrags – entliehenen Arbeitnehmers (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG) im Unternehmen des Entleihers als Arbeitsunfall anerkannt wird, hindert die Zivilgerichte nicht, den Unfall haftungsrechtlich dem Unternehmen des Entleihers zuzuordnen und diesen als haftungsprivilegiert anzusehen.
Nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Unternehmer den Versicherten, die für ihre Unternehmen tätig sind oder zu ihren Unternehmen in einer sonstigen die Versicherung begründenden Beziehung stehen, zum Ersatz des Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 versicherten Weg herbeigeführt haben.
Der Unfall ist haftungsrechtlich auch dem Unternehmen des Entleihers zuzuordnen, denn der Geschädigte war zum Unfallzeitpunkt auf dessen Baustelle als ein ihm überlassener Leiharbeitnehmer eingesetzt und damit als Versicherter für ihn tätig. Dies gilt unbeschadet des Umstands, dass die für das Unternehmen des Verleihers zuständige Berufsgenossenschaft den Unfall des Geschädigten als Arbeitsunfall anerkannt hat.
Zwar ist der Zivilrichter gemäß § 112 i.V.m. § 108 Abs. 1 SGB VII an unanfechtbare Entscheidungen der Unfallversicherungsträger hinsichtlich der Frage gebunden, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, in welchem Umfang Leistungen zu erbringen sind und ob der Unfallversicherungsträger zuständig ist. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erstreckt sich die Bindungswirkung auch auf die Entscheidung darüber, ob der Verletzte den Unfall als Versicherter aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 2 Satz 1 SGB VII erlitten hat und welchem Unternehmen der Unfall zuzurechnen ist1. An der Zuordnung des Unfalls zu einem anderen Unternehmen gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII sind die Zivilgerichte danach gehindert2.
Die unanfechtbare Entscheidung des für den Verleiher zuständigen Versicherungsträgers, in der der Unfall eines – auf Grund eines wirksamen Vertrags – entliehenen Arbeitnehmers (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG) im Unternehmen des Entleihers als Arbeitsunfall anerkannt wird, hindert die Zivilgerichte jedoch nicht, den Unfall haftungsrechtlich dem Unternehmen des Entleihers zuzuordnen und diesen als haftungsprivilegiert anzusehen.
Der Bundesgerichtshof hat seine Auffassung, die Bindungswirkung des § 108 SGB VII erstrecke sich auch auf die Entscheidung darüber, welchem Unternehmen der Unfall zuzurechnen ist, damit begründet, dass durch die – im Zuge der Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch – VII neu geschaffenen – Konkurrenzregelungen des § 135 SGB VII nicht nur die Zuständigkeit mehrerer Unfallversicherungsträger und ein mehrfacher Versicherungsschutz, sondern auch die Zuordnung eines Arbeitsunfalls zu mehreren Unternehmen verhindert werden solle3.
Diese Erwägungen lassen sich jedoch nicht auf die erlaubte Arbeitnehmerüberlassung übertragen. Sie ist durch Besonderheiten gekennzeichnet, die der Annahme entgegenstehen, dass die Beschränkung der Zuordnung eines Arbeitsunfalls zu einem Unternehmen auch in dieser Fallkonstellation dem Willen des Gesetzgebers entspricht und den Schutzzwecken der §§ 104 ff. SGB VII Rechnung trägt4.
So wird ein mehrfacher Versicherungsschutz bei der Arbeitnehmerüberlassung in erster Linie durch die spezielle Vorschrift des § 133 Abs. 2 SGB VII verhindert, wonach sich die Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers nach der Zuständigkeit für das Unternehmen des Verleihers bestimmt5. Anders als § 135 SGB VII6 hat die Bestimmung des § 133 Abs. 2 SGB VII ein Vorbild in der Reichsversicherungsordnung. Sie entspricht im Wesentlichen dem mit Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30.04.19637 geschaffenen § 648 RVO, wonach eine Berufsgenossenschaft Arbeitsunfälle bei Tätigkeit in einem Unternehmen, das für Rechnung eines ihr nicht angehörigen Unternehmers geht, dann zu entschädigen hat, wenn ein ihr angehöriger Unternehmer den Auftrag gegeben und das Entgelt zu zahlen hat8. Trotz dieser Regelung bestand unter der Geltung der Reichsversicherungsordnung kein Zweifel daran, dass ein Arbeitsunfall haftungsrechtlich dem Unternehmen des Entleihers zugeordnet werden konnte und diesem deshalb das Haftungsprivileg des § 636 Abs. 1 RVO zugute kam. Dies ergab sich bereits aus der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in § 636 Abs. 2 RVO, durch die klargestellt werden sollte, dass der grundsätzliche Ausschluss der Haftung des Unternehmers gemäß § 636 Abs. 1 RVO auch für den Entleiher im Verhältnis zu dem für ihn tätigen Leiharbeitnehmer gilt9. Diesen Rechtszustand wollte der Gesetzgeber mit dem Erlass des Sozialgesetzbuchs – VII nicht ändern. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist er davon ausgegangen, dass dem Entleiher die Haftungsprivilegierung auch nach neuem Recht zugute kommt. Wegen des vermeintlich klaren Wortlauts des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII – „Versicherte, die für ihre Unternehmen tätig sind“ – hat er eine besondere Regelung für Leiharbeitnehmer für entbehrlich gehalten10.
Auch steht der Schutzzweck des § 133 Abs. 2 SGB VII, insbesondere für Leiharbeitnehmer ständig wechselnde Zuständigkeiten zu verhindern11, in keinem Bezug zu Sinn und Zweck der Haftungsprivilegierung. Diese dient zunächst als Ausgleich für die allein von dem Unternehmer getragene Beitragslast. Darüber hinaus bezweckt sie die Wahrung des Betriebsfriedens, indem Streitigkeiten über die Unfallverantwortung vermieden werden12. Schließlich soll sie auch dem Umstand Rechnung tragen, dass die Betriebsgemeinschaft eine Gefahrengemeinschaft darstellt13.
Diese Schutzzwecke würden im Fall der Arbeitnehmerüberlassung weitgehend verfehlt, wenn eine Haftungsprivilegierung des Entleihers verneint würde. Denn bei Arbeitsunfällen von Leiharbeitnehmern kommt eine Haftung der Verleiher unabhängig von einer Haftungsbeschränkung typischerweise nur selten in Betracht14. Demgegenüber wären die Entleiher auf Grund der sie treffenden Fürsorgepflicht15 – insbesondere der Pflicht, die Arbeit in den Unternehmen durch Beachtung der Unfallverhütungsvorschriften unfallsicher auszugestalten16 – und infolge der Eingliederung der Leiharbeitnehmer in ihr Unternehmen17 bei einer Verneinung der Haftungsbeschränkung einem erheblichen Haftungsrisiko ausgesetzt. Es steht in Einklang mit den Schutzzwecken des Haftungsprivilegs, dieses Risiko als durch die für die Leiharbeitnehmer gezahlten Unfallversicherungsbeiträge abgelöst anzusehen16.
Dem steht nicht entgegen, dass der Entleiher die Beiträge regelmäßig nicht selbst an die zuständige Berufsgenossenschaft abführt, weil der Verleiher Beitragsschuldner ist18. In den praktisch bedeutsamen Fällen der entgeltlichen Arbeitnehmerüberlassung wird der Verleiher die Beiträge bei der Kalkulation des Entgelts berücksichtigen und an den Entleiher weiterreichen19. Darüber hinaus haftet der Entleiher dem Unfallversicherungsträger gegenüber wie ein selbstschuldnerischer Bürge (§ 150 Abs. 3 Satz 1 SGB VII i.V.m. § 28e Abs. 2 Satz 1 SGB IV). Die Loslösung des Haftungsprivilegs von der Beitragspflicht ist im Übrigen eine Folge der Aufspaltung der Arbeitgeber-Stellung, die für die spezielle Situation der Leiharbeitnehmer kennzeichnend ist20.
Vor diesem Hintergrund ist ein hinreichender Sachgrund dafür, Arbeitsunfälle von Leiharbeitnehmern im Verhältnis zum Entleiher haftungsrechtlich anders zu behandeln als Arbeitsunfälle der in gleicher Gefahrenlage arbeitenden eigenen Arbeitnehmer des Entleihers, nicht zu erkennen21.
Der geschädigte Arbeitnehmer war zum Unfallzeitpunkt als Versicherter gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII für den Entleiher tätig. Er war als ein ihm überlassener Leiharbeitnehmer gemeinsam mit einem eigenen Arbeitnehmer des Entleihers auf dessen Baustelle eingesetzt und damit wie ein Beschäftigter des Beklagten tätig (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Für die Beantwortung der Frage, ob der Geschädigte wie ein Beschäftigter im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII tätig geworden ist, ist entscheidend, ob er Aufgaben des anderen Unternehmens wahrgenommen hat und die Aufgaben seiner Tätigkeit bei wertender Betrachtung der Einzelfallumstände auch das Gepräge gegeben haben22. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn ein dem Entleiher zur Arbeitsleistung überlassener Arbeitnehmer im Unternehmen des Entleihers eingesetzt wird23. Die von dem Leiharbeitnehmer wahrgenommenen Aufgaben werden nämlich – anders als bei einem Dienst- oder Werkvertrag – nicht aufgrund des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags von dem Verleiher übernommen. Dessen Verpflichtung beschränkt sich vielmehr darauf, dem Entleiher Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen, die dieser nach seinen Vorstellungen und Zielen in seinem Betrieb wie eigene Arbeitnehmer einsetzt24.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 18. November 2014 – VI ZR 141/13
- vgl. BGH, Urteile vom 22.04.2008 – VI ZR 202/07, VersR 2008, 820 Rn. 9, 13; vom 19.05.2009 – VI ZR 56/08, BGHZ 181, 160 Rn. 17, 21; vom 30.04.2013 – VI ZR 155/12, VersR 2013, 862 Rn. 9, jeweils mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 22.04.2008 – VI ZR 202/07, VersR 2008, 820 Rn. 13; vom 19.05.2009 – VI ZR 56/08, BGHZ 181, 160 Rn. 17, 20 f.; aA BAG, NZA-RR 2010, 123 Rn. 27, 54 f.[↩]
- Urteile vom 22.04.2008 – VI ZR 202/07 aaO; und vom 19.05.2009 – VI ZR 56/08, aaO Rn. 13, 18; zustimmend ErfK/Rolfs, 14. Aufl., § 108 SGB VII Rn. 3; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 104 Rn.04.4 [Stand: Mai 2011]; Waltermann in Eichenhofer/Wenner, SGB VII, § 108 Rn. 4; ablehnend Ricke in Kasseler Kommentar, § 104 SGB VII Rn. 10 [Stand: Dezember 2011]; ders., NZS 2011, 454; von Koppenfels-Spies, SGb 2013, 373; Burmann/Jahnke, NZV 2014, 5, 10; anders auch BAG, aaO[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 19.05.2009 – VI ZR 56/08, BGHZ 181, 160 Rn.20[↩]
- vgl. Köhler in Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 4. Aufl., § 133 Rn. 10; Quabach in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl., § 133 Rn. 29[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 19.05.2009 – VI ZR 56/08, BGHZ 181, 160 Rn. 13[↩]
- BGBl. I S. 241[↩]
- vgl. BT-Drs. 13/2204, S. 108[↩]
- BT-Drs. 3/758 S. 60; vgl. BAGE 42, 194, 200[↩]
- BT-Drs. 13/2204 S. 100; vgl. Lemcke, r+s 2009, 391, 392; Kampen, NJW 2010, 2311, 2315; Ricke, NZS 2011, 454, 457; von Koppenfels-Spies, SGb 2013, 373, 378; Burmann/Jahnke, NZV 2014, 5, 10[↩]
- Lemcke, r+s 2013, 411, 412; Köhler in Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 4. Aufl., § 133 Rn. 5[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 16.01.1953 – VI ZR 161/52, BGHZ 8, 330, 338; vom 24.01.2006 – VI ZR 290/04, BGHZ 166, 42 Rn. 11; vom 16.12 2003 – VI ZR 103/03, BGHZ, 157, 213, 218, jeweils mwN; BVerfGE 34, 118, 129 f., 132[↩]
- vgl. BVerfGE 34, 118, 136; Ricke in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 104 SGB VII Rn. 2 [Stand: Dezember 2011]; Hollo in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl., § 104 Rn. 9; von Koppenfels-Spies, SGb 2013, 373, 377[↩]
- vgl. Thüsing, AÜG, 3. Aufl., Einf. Rn. 78; Schüren in ders./Hamann, AÜG, 4. Aufl., Einl. Rn. 758[↩]
- vgl. BAGE 25, 514, 522; BAG, NZA 1989, 340, 341; NZA-RR 2010, 123 Rn. 43 f.[↩]
- vgl. bereits BT-Drs. 3/758 S. 60[↩][↩]
- vgl. BAGE 25, 514, 520; 77, 102, 110; 144, 222 Rn. 13[↩]
- Schmitt, SGB VII, 4. Aufl., § 150 Rn. 11; Schlaeger in BeckOK SozR, § 150 SGB VII Rn. 7 [Stand: Juni 2014][↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 16.01.1953 – VI ZR 161/52, BGHZ 8, 330, 333; Lehmacher, r+s-Beil.2011, 79, 81[↩]
- vgl. BAGE 144, 340 Rn. 26[↩]
- so bereits RGZ 171, 393, 398 und BGH, Urteil vom 16.01.1953 – VI ZR 161/52, aaO[↩]
- BGH, Urteil vom 23.03.2004 – VI ZR 160/03, VersR 2004, 1045, 1046 f.; BAG, NZA-RR 2010, 123 Rn. 35[↩]
- vgl. BSGE 98, 285 Rn. 17; OLG Jena r+s 2010, 533; LAG Berlin-Brandenburg, r+s 2014, 48; Krasney in: Becker/Burchardt/ders./Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung, § 104 Rn. 11 [Stand: September 2010]; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl., § 104 Rn. 8; Waltermann in Eichenhofer/Wenner, SGB VII, § 104 Rn. 10; Grüner in Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 4. Aufl., § 104 Rn. 11 f.; Hollo in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl., § 104 Rn. 25; Schüren in ders./Hamann, AÜG, 4. Aufl., Einl. Rn. 756; Thüsing, AÜG, 3. Aufl., Einf. Rn. 77; Geigel/Wellner, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 31 Rn. 81; Lepa, Haftungsbeschränkungen bei Personenschäden nach dem Unfallversicherungsrecht, S. 154 f.[↩]
- BAGE 77, 102, 110 f.; 87, 186, 189; 96, 150, 153[↩]










